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- 18.06.2001
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nosferatu
Die Sonne wird in wenigen Stunden aufgehen, aber erst jetzt erwacht der Hunger in mir und die Lust zu jagen. Ich habe die Anderen gehört, wie sie sich nach draußen geschlichen haben und träge wiedergekommen sind, den schweren Duft des Blutes mit sich führend. So wenig, wie ich von ihnen, haben sie Notiz von mir genommen. So ist das hier unten. Wir sind zärtlich zueinander. Langsam erhebe ich mich und warte, bis wieder etwas Gefühl in meine kalten Beine zurückgekehrt ist, dann mache ich mich auf den Weg. Mein linker Knöchel gibt ein hässliches Knacken von sich, jedesmal wenn ich auftrete. Ich spiele kurz mit dem Gedanken in den Park zu gehen, aber dazu fehlt mir jetzt die Zeit. Der Spaß muss bis auf weiteres warten. Ich durchquere die Vorkammer, wobei ich all die Fallen umgehe, die wir hier aufgestellt haben. Die meisten sind nicht tödlich, aber doch sehr unangenehm. Draußen ist es kalt, aber ich kann das Nahen des Morgens spüren. Die Stadt am anderen Ende des Ufer des Flusses beginnt sich unruhig im Schlaf zu bewegen und leise dringen die Geräusche von Motoren an mein Ohr. Die Luft ist bitter und voll Feuchtigkeit. Der Waldarbeiter ist noch immer da, wo ich ihn liegen gelassen hatte. Er ist kaum noch am Leben, aber der wenige Rest seines Blutes stillt den Hunger. Ich kehre durch einen anderen Gang zurück. In alten Stahlschränken hängen unzählige Blutkonserven - der Vorrat für schlechte Zeiten. Gut, dass sich jemand darum kümmert, dass sie regelmäßig durch frische ersetzt werden. Nichts ist schlimmer als totes Blut… na ja, vielleicht ist der Hunger schlimmer. Ein paar Ratten huschen an mir vorbei - Fütterungszeit. Wenn sie lange genug immer wieder aus der Quelle trinken, die wir mit unserem Blut vermischen, werden sie manchmal so groß wie Hunde. Ich kann sie nicht ausstehen. Menschliche Ghoule sind schlimm genug, aber Ratten… Einmal habe ich miterlebt, wie sich so ein missgestaltetes Ding auf ein Rudel seiner Artgenossen gestürzt hat. Von den kleineren ist nicht mehr viel übrig geblieben. Plötzlich ist da wieder dieser schreckliche Schmerz in meiner rechten Seite. Ich bleibe stehen und reibe das kalte Fleisch über den Rippen. Die Finsternis um mich herum wird dichter und die Verzierungen an den Wänden, hauptsächlich Knochen und Schrott aller Art, werden mehr. Im allgemeinen nennt man den Teil der Gänge in dem ich mich nun befinde die Kammer des Grauens, aber ich finde es hier recht gemütlich. Das einzige, was mich stört ist die massige Gasleitung, die zur Stadt führt, die aber unablässig für uns ist. Nun vielleicht nicht unablässig, aber doch sehr nützlich. Jede Nosferatu - Gruppe auf der Welt hat Strom so viel sie will, aber Gas oder Öl hat nicht jede. Wir schon.
Als wir vor Jahren über den Fluss gekommen sind war es das erste die Energieversorgung unter unsere Kontrolle zu bringen. Ein wenig veruntreutes Geld fällt niemandem auf, ein paar zusätzliche Leitungen werden niemanden stören…
Unvermittelt sackt der Gang in eine Grube ab, aus der beständig polyphones Plätschern erklingt. Unser Stolz. Ich lasse mich fallen, fühle, wie sich mein Körper verwandelt, wie er schrumpft und die dünnen Flughäute in die Luft greifen und dann gleite ich durch das dichte Netz aus Röhren und Leitungen, die ihre Fracht nach und nach in die tönenden Becken abgeben und so die nie endende Symphonie erzeugen. Der Flug dauert nicht lange und ich lande auf der Insel wo die schwarze Uhr die Nachtstunden zählt. Sie tickt nur noch langsam und ich muss unwillkürlich an die Zeit denken als ich noch am Leben war und unter der Sonne wandelte. Ich hatte stets Angst vor Monstren in jeglicher Gestalt und nun war ich selber eines. Die Anderen erwarten mich bereits ungeduldig. Ich sehe es, obwohl sie sich nicht bewegen, als währen sie versteinert.