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Normale Reaktionen
Normale Reaktionen
Das größte Problem eines Stotterers ist meistens das Telefon ( Viele Stotterer nennen es auch liebevoll ‚Stottiefon’).
Viele Stotties haben wahnsinnige Angst vor dem Stottiefonieren, denn man sieht sein Gegenüber nicht, kennt ihm meist nicht und somit kann man ihn auch nicht einschätzen und beurteilen. Was macht er gerade, schlägt er sich die Hände über den Kopf, grinst er sich einen ab, oder versucht er ernst und nüchtern zuzuhören, während man ihm voll stottert?
Bei mir ist das eigentlich kaum der Fall: Klar ,habe ich oft Angst ,doch läuft es mir nicht eiskalt den Rücken runter, bildet sich kein Angstschweiß auf der Stirn und ich mache mir vor Schreck, wieder stottiefonieren zu müssen, nicht in die Hosen. Einkaufen und Stottiefonieren haben mir meine Eltern nicht abgenommen – heute bin ich Ihnen dafür recht dankbar!
Ich stottiefoniere eigentlich recht gerne, gerade mir fremden Personen, die ich nie gesehen habe und wahrscheinlich nie sehen werde, stottere ich gerne was vor. Platz eins meiner Vorstotter - Hitliste hat dabei die Auskunft eingenommen.
An einem Tage im Mai, war es nicht anders. Ich musste einige Anrufe erledigen, deshalb machte ich es mir auf der Couch gemütlich , lehnte mich zurück, platzierte meine Füße auf dem Tisch, doch anstatt eines Bieres gönnte ich mir nur das Stottiefon.
Es konnte also losgehen: Ich musste das Klinikum in Aachen anrufen und brauchte die Stotter- Nummer. Zwar hatte ich diese schon längst, doch ein Anruf bei der Auskunft schadet ja nicht!
Gesagt getan, es ging auch eigentlich ganz gut, bis aufs Wort ‚Klinikum’, da wollte mein Sprachfluss nicht mehr so , wie ich es wollte, aber das kennt man ja. Wenn man es am wenigsten erwartet, stottert man. Plötzlich kommt es über einen, schüttelt es einem die Buchstaben durch den Raum und man sucht händeringend nach Ausweichmöglichkeiten. Vergeblich und in Windeseile begibt man sich auf der Suche nach Ersatzwörtern, versucht sein Glück in merkwürdigen Mimiken, zuckenden Bewegungen oder verkrampft sich am ganzen Körper.
In diesen Momenten ist es aus mit lustig, Angstschweiß bildet sich und ein Schamgefühl ergreift Besitz von dir , man will im Boden versinken, doch es passiert nichts dergleichen, abbrechen und auflegen kommt nicht in Frage, denn das hieße Aufgeben und ist oft peinlicher als zu stottern.
Doch all die Gedanken sind so schnell verflogen, wie sie gekommen sind. Es war ein kurzer Satz, ich bin noch glimpflich davon gekommen. Etwas Scham ist zwar noch da, aber was solls , die Frau am anderen Ende hat sich wahrscheinlich genauso darüber amüsiert, wie ich mich im nachhinein darüber amüsiere. Ich stelle mir ihr verdutztes Gesicht vor, sehe Ihre Gedanken kreisen, ob sie mir helfen soll oder nicht, ob sie meine halbausgesprochenen Wörter vervollständigen soll oder nicht. Hilflos sah sie sich meinen Stottern ausgesetzt, genauso hilflos wie ich. Zwei Leidensgenossen, konfrontiert mit ein und derselben Sache, aber doch weit voneinander entfernt.
Nochmals tief Luft holen und nun das Klinikum anrufen, zuerst natürlich höflich an der Information nachfragen:
Das hatte mir jetzt noch gefehlt, ein Typ mit strenger und lustloser Stimme meldet sich. Ich bin erst mal irritiert, hatte mir die Stimme etwa Angst gemacht? Also gut, Auflegen gibt es nicht, da muss ich durch, brauche ja nur zu sagen, er soll mich mit der Logopäden Abteilung verbinden, dürfte ja nicht so schwer sein.
Doch weit gefehlt, ich stottere ihm auf höchstem Niveau etwas vor, keine Verkrampfungen lösen meine Wörter, ich kann machen was ich will, ich komme nicht vorwärts. Diese krächzende Männerstimme, hatte mir mehr Angst eingejagt, als ich anfangs dachte.
„Ich verbinde“ tönt es aus der Leitung. Wieso denn verbinden, ich habe doch noch nicht gesagt , was ich will und mit wem ich überhaupt verbunden werden will. Mit wem verbindet er mich denn jetzt, kann er etwa Gedanken lesen?
„Kiefer - Chirurgie ,guten Tag“. Da wollte ich bestimmt nicht hin, zornig und recht flüssig, sage ich, dass es sich um einen Irrtum handle und man solle mich wieder mit der Information verbinden. Denn dem will ich jetzt erst recht noch mal etwas vorstottern.
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Wie war das noch damals bei der Musterung, als man mich erst mal zum Psychologen schickte. Oder bei Lennys Musterung, als man ihm fragte , ob er schon bei einem Kiefer - Spezialisten wegen seines Stotterns war. Dass man einem Stotterer seelische Probleme vorwirft, ist ja alt bekannt , aber dass man ihnen auch schon Kiefer-Chirurgen auf dem Hals hetzt, ist mir neu.
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Jetzt lasse ich ihn spüren , dass ich wütend bin, sage in einem zornigem Ton, dass er mich falsch verbunden hat und dass er mich endlich mit der Logopädenabteilung verbinden soll. Doch siehe da, wie gut ich doch reden kann, wenn ich zornig bin. Warum kann ich nicht immer so wütend sein beim Sprechen?
Stammt die Frage wirklich von mir, glaube ich ernsthaft ,dass mir dann noch jemand zuhören würde? Schlage ich schon in die selbe Kerbe , wie all die Leute die sagen ,ich solle langsam und leise reden, oder ich solle singend reden.
Nein, ich stottere den Leuten lieber etwas vor, als eine gekünzelte Sprache anzunehmen, eine Sprache ohne Emotionen, Kalt wie ein Roboter.