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Normale Quälereien

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14.03.2002
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Normale Quälereien

„Hast Du Franze gemacht?“, werde ich noch vor’m ersten Hinsetzen begrüßt. Durch eine traditionelle Verneinung meine heruntergekommene Arbeitsmoral bestätigend, bin ich im Begriff meine Jacke auszuziehen. Ich konnte es nicht, weil ich zu unfähig und unmotiviert bin, wahrscheinlich „gehöre ich dann nicht auf diese Schule und wäre woanders besser aufgehoben“. Naja. Nicht gerade einladend hält mir nun der von Furz und Angstschweiß wabbelige Stuhl sein Antlitz entgegen. Er ist schon von Anfang an in braun gekauft worden, damit man Verfärbungen nicht wahrnimmt. Ich bin schon tausend Tode gestorben. Den ersten, als mir mein Wecker heute morgen akustisch, indem er schrie, und optisch in 3 cm großen, teufelroten Digitalzahlen unvermittelt signalisierte: Steh auf, Du Loser. Du bist in einer Leistungsgesellschaft!. Jedenfalls ist es Montag und wir unterhalten uns trotz unseres noch nicht angepassten Biorhythmus ausgiebig über das Wochenende. Das Wochenende, war es noch so unbedeutend und übereinstimmend mit den schon tausendfach verlebten, wird immer thematisiert. „Könntest Du nicht mal aufhören zu reden! (es ist keine Frage) Das stört den Unterricht! Sonst haben wir auch noch hier vorne einen Platz frei.“, fällt mir der diensthabende Beamte aufsässig ins Wort und macht lakonisch eine Geste vor sich auf einen freien Stuhl. Der letzte Satz ist wahrscheinlich einer der ersten, die man in einem Pädagogikstudium lernt. Direkt neben dem Klassiker „Du könntest mehr, als Du im Unterricht zeigst“. Und diese beiden Sätze hängen vermutlich im Lehrerzimmer direkt neben der Tür in einem protzigen Rahmen, der von den Reinigungskräften, bevor sie irgendetwas anderes tun, penibel abgestaubt wird. Nur leider ist das nur der oberflächliche Staub, der mit den Augen sichtbare. Nicht der fühlbare.
Unser Bildungsbeauftragter wird uns heute noch öfter unterbrechen, manche Leute wissen einfach nicht, wie man sich in einer Gruppe höflich verhält und brauchen immer eine „Extraeinladung“. Es redet eigentlich die ganze Klasse, nur einer tanzt andauernd aus der Reihe und versucht, ähnlich einem dazu geborenen Außenseiter, immer wieder verkrampft ein Gespräch zu beginnen. Wir lassen ihn weitgehend abblitzen, manche begreifen diese ablehnende Haltung und ziehen sich zurück, dieses Exemplar nicht. Die Dialoge werden wieder aufgenommen. Sie sind wunderschön.
- War lustig am Freitag, ich war voll breit und dann später noch, als dann dieser Asi, der eine da.
- Ja, fett, auch die Musik, ich hab drei verraucht, einmal mit diesem einen, der war auch dabei.
- Ach, dieser...eine da, mit den...
- Ja, genau.
Eigentlich ist es übertrieben, Punkte hinter die Äußerungen zu setzen. Nun werden wir eine Pause einlegen, um uns bösartig über Mitschüler doch vor allem Lehrer lustig zu machen. Wir mögen beide ja keinen Kaffee, deshalb müssen wir uns durch reden wach halten. Der Kleidungsstil des Lehrers ist oft erprobtes Witzmaterial. Die Witze sind nicht gut, aber ausreichend. Auch bizarre Verhaltens- und Sprachmuster werden karikiert und satirisch abgearbeitet. Man stellt sich jetzt noch vor, wie diese Typen wohl in ihrer Schulzeit waren, als sie so alt waren, wie wir jetzt. (Der letzte Satz ist abgenutzt, ich gebe es zu.) Wir gelangen zu vor Selbstsicherheit kotzenden Vorurteilen, die jedoch unterhaltsamer nicht sein könnten. In dieser Phase wird virtuos assoziiert, jede These kommt durch, sie wird maximal durch eine andere, lustigere, doch selten treffendere, überlagert. Witze machen ist ja eine große Kunst, die Vorteile schafft. Beherrscht man diese Kunst, ist es sogar Tugend, sie anzuwenden.
Ein Blick durch die Klasse verrät einiges. Man kann schon an Aussehen, Haltung und Sitzplatz ungefähr erkennen, wer scheiße, langweilig, Streber (was ich völlig wertfrei meine) oder Außenseiter ist. Die mitarbeitenden Klassenkameraden sitzen eigentlich immer vorne, was kein Geheimnis ist. Sie sitzen oftmals aufrecht und liegen nicht etwa, wie ein Großteil der Klasse, lethargisch auf ihrem Tisch, schon völlig damit ausgelastet, ihren Sabber im Mund zu behalten. Gelegentlich frage ich mich, wo lernbegierige Leute später hinwollen, was sie antreibt. Haben sie in ihrem Kopf schon ihre Karriere geplant, diese ganzen Etappenpokale des Lebens (Familie, Haus, gutbezahlter Beruf, der Spaß macht)?
Und nun zu den eignartigsten Geistern in einer Klasse: Außenseiter. In jeder Klasse gibt es sie eigentlich, es sind immer so zwischen 1 und 3 unsympathische Vögel, die niemand mag. Wären es mehr, könnten sie sich bei Zusammenrottung schon wieder als eigene kleine Gruppierung bezeichnen. Man kann sie noch unterteilen. a) Sie haben noch soziale Ambitionen, bemühen sich um Anerkennung durch das Probieren von Witzen, geben sich abgeklärt, cool, nur leider künstlich, so dass es jeder merkt. Sie machen den Mund auf und man will schon nicht mehr hinhören, sondern sich aufs anschließende Lästern und Aufregen vorbereiten. b) Sie haben es aufgegeben, finden sich mit ihrem Dasein ab. Müssen es zumindest, was ihnen mehr oder weniger mit Fassung gelingt.
Herrlich sind so kleine Wichte unter ihnen, die Söhne von Muttis, die Klassenausflüge in der Grundschule regelmäßig begleitet haben, und deren Söhne es NICHT als störend empfunden haben! Und waren sie dann doch mal nicht dabei, hatten diese Kinder immer Stangenweise Sunkist-Päckchen dabei. Sie völlig wegzutrinken ist eigentlich lebensgefährlich, doch haben diese kleinen Scheißer es trotzdem immer wieder fertig gebracht. Nur um angeben zu können und nichts abgeben zu müssen. Die Strafe war immer ein Rückbankverbot auf der Busfahrt, das sie sich wahrscheinlich eh auch ohne solche Aktionen eingefangen hätten. Die meisten Außenseiter sind, glaube ich, schon ihr Leben lang welche gewesen. Sie tragen wohl ein Gen in sich, dass sie brandmarkt. Alle Wege, Außenseiter zu involvieren, gestalten sich unbegehbar. Man kann erreichen, dass sie nicht mehr angepöbelt werden, doch es gilt:
Aus einem Esel kann man kein Rennpferd machen.
Mittlerweile ist es später geworden, nicht viel, doch unser Reizlevel ist so weit hinunter geschraubt, dass wir uns freuen. Zwar 10 Minuten, in denen nichts Bewusstseinserweiterndes passiert ist, näher dem Tod, doch auch dem Wochenende. Dieser Optimismus ist nur von kurzer Dauer, schon beim nächsten Atemzug beginnt ein herzhaftes, kollektives Stöhnen mit einem synchronen Zusammensinken auf dem Stuhl. Die ersten groben Planungen fürs Wochenende werden angestellt.

[Beitrag editiert von: Ben Jockisch am 16.03.2002 um 15:29]

 

Hey,

gelunge Beschreibung der normalen Quälereien. Ich bin ja jetzt schon ein weilchen von der Schule weg, aber deine Story hat meine eigenen Erinnerungen ziemlich aufgefrischt.

Gruss
Franko

 

Hi,

gelungene Beschreibung der Struktur einer Klasse mitsamt ihren Kommunikationsversuchen. :)

Bin selber noch in der Schule und kann die meisten deiner Aussagen untermauern.

Weiter so, stilistisch gibt es da nichts zu meckern.

Gruß, Drumsmasher

[Beitrag editiert von: Drumsmasher am 15.03.2002 um 16:36]

 

a) Sie haben noch soziale Ambitionen, bemühen sich um Anerkennung durch das Probieren von Witzen, geben sich abgeklärt, cool, nur leider künstlich, so dass es jeder merkt. Sie machen den Mund auf und man will schon nicht mehr hinhören, sondern sich aufs anschließende Lästern und Aufregen vorbereiten.

Beschreibst Du damit nicht eher 90% aller Teenager? <img src="graemlins/kotz.gif" border="0" alt="[kotz]" />

Gruß, Patrick

 

Moin Epikuros.

Ich kann mich absolut in deiner Kg wiederfinden.
Das -eine Kurzgeschichte- in der Überschrift würde ich weglassen.

Lieben Gruß
Maya

 

Hallo Epikuros,

die Geschichte habe ich gerne gelesen, wenn sie auch mehr einen Bericht darstellt. War für mich auch sehr informativ, gehöre ich doch so halbwegs zur anderen Fraktion, denke auch in den beiden von Dir genannten Grundsätzen. Shit. Werde langsam alt.

Einige Absätze mehr, manche sprachlichen Wirrungen noch genauer herausarbeiten, ansonsten halte ich es für gelungen.

Claus.

 

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