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Nordstern

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26.09.2018
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Nordstern

Ich sitze auf einer kalten Stahlbank an der Bushaltestelle. Starker Regen prasselt aggressiv auf das Glasdach der Haltestation. Die Glaswand links von mir fehlt und durch das deswegen alleinstehende Stahlgerüst trägt der Wind Kälte und Regen in meine Richtung. Der Himmel ist verhangen von dunklen Gewitterwolken. Nur einige Blitze durchdringen die Dunkelheit.

Plötzlich weht eine Windböe einen ganzen Wall aus Wasser in das Häuschen. Gefühlt erschlägt mich eine Fontäne aus Regen. Ich zucke zusammen. Meine linke Körperhälfte ist nun total durchnässt. Ich spüre wie ein einzelner kalter Wassertropfen von meinem Nacken aus langsam meinen Rücken runterläuft. Ich kriege eine beklemmende Gänsehaut am ganzen Körper. Ich stehe auf und stelle mich in die hinterste Rechte Ecke wie möglich. Das Risiko ist zu groß ein weiteres Mal so viel Wasser abzubekommen. Ich drücke mich fest an die verbliebene, schützende Glaswand. Ich friere. Bei jedem weiteren Windstoß breitet sich die Kälte weiter in meinem Körper aus. Ich zittere.

„So ein blödes Dreckswetter“, meldet sich plötzlich mein Verstand zu Wort. „Wieso heute? Wieso jetzt? Die letzten zwei Wochen hat es kaum geregnet. Da will man einmal mit dem Bus fahren, was ja schon schwer genug bei diesen Busverbindungen“, denke ich und rege mich innerlich mehr auf als ich eigentlich will. Ich blicke auf mein Handy. 16:49 Uhr. „Noch sechs Minuten. Das schaffe ich. Hauptsache dieser scheiß Bus kommt. Wieso muss sein Auto denn gerade jetzt in der Werkstatt sein? Und wieso hatte ich überhaupt die Idee ihn zu überraschen? Könnte daran liegen, dass ich ihn liebe. Und wie ich ihn liebe!“ Bei diesem Gedanken bessert sich meine Laune etwas. „Ihn in den Arm zu schließen wird das alles wert gewesen sein. Das weiß ich.“ Es wird immer wärmer, wenn ich an ihn denke. Von meinem Herz geht ein wohltuendes Gefühl aus, welches sich in meinem Körper verbreitet. Für einen Moment verdrängt dieses Gefühl der Liebe die nasse Kälte.

Windstoß. Und schon ist der Moment vorbei. „MAAAAAN!“, schreie ich still in meinem Kopf. „Wieso?“ Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht wieso, aber die Situation überfordert mich. Sie überfordert mich so sehr, dass ich merke wie meine Augen ganz leicht anfangen zu zucken, zu zittern. Mein Gesicht wird ganz heiß und langsam fangen meine Augen an sich mit Tränen zu füllen. „Nein! Nicht weinen! Ich will jetzt nicht weinen!“ Doch meine Gefühle entscheiden anders; Eine heiße Träne läuft über meine Wange. Langsam. Bis sie an meinem Kinn angekommen ist und auf den Boden tropft. Eine zweite folgt. Dann kann ich es nicht mehr halten, aber ich lasse es einfach zu. Eine Träne nach der anderen läuft mein Gesicht herunter. Und dann hört es einfach auf. „Wieso ist das passiert?“, frage ich mich selbst. Doch eine Antwort darauf kann ich nicht geben.

Ein erneuter Blick auf die Uhr. 16:52 Uhr. Nur noch drei verbleibende Minuten. Für mich eher eine kleine Ewigkeit. Mit meinem noch trockenen Ärmel wische ich die letzten Tränen aus meinem Gesicht. Ich stehe nun da und warte. Aber ich warte nicht nur auf den Bus. Ich warte auf die besseren Zeiten. Die Zeiten, wenn die bösen Gedanken an diesen Ort und die dort lebenden Menschen endgültig verschwinden. Ich schließe die Augen und stelle es mir vor. „Wunderschön“, murmele ich leise vor mich hin. „Es ist wunderschön!“ Mir fällt auf, dass der Regen schwächer geworden ist und als ich die Augen öffne, sehe ich zwischen der Wolkendecke einen kleinen hellblauen Fleck Himmel. „Genau so!“, sage ich. Der Bus fährt vor. Die Türen öffnen sich. Halbnass, durchgefroren und verweint steige ich ein und setze mich an einen Platz relativ weit hinten rechts. Meine nassen Klamotten kleben immer noch an meiner Haut. Aus dem Fenster sehe ich, wie dem blauen Fleck am Himmel ein einziger heller Sonnenstrahl entspringt. „Genau so wird es sein“, denke ich und lächle. Der Busfahrer startet den Bus und fährt los. Ich blicke ein letztes Mal zurück zur Haltestelle „Nordstern“. Ich löse meinen Blick, schaue nach vorn und nehme die nächste Station in Angriff: Glück!

 

Hey @Pro.Chi ,

zuerst dachte ich, du schilderst einfach Assoziationen, schreibst einfach mal runter. Daraus hat sich dann aber doch eine Kurzgeschichte ergeben. Mal sehen .. :gelb:

Starker Regen prasselt aggressiv auf das Glasdach

Du kannst die beiden Adjektive eigentlich streichen. Mindestens aber würde ich auf »aggressiv« verzichten. Das wirkt überladen. Im »prasseln« steckt ja auch schon einiges an Stärke.

Regen prasselte aufs Glasdach, fegte zur Wand herein.

Die Glaswand links von mir fehlt und durch das deswegen alleinstehende Stahlgerüst trägt der Wind Kälte und Regen in meine Richtung

das ist umständlich formuliert. Bei solchen Partizipalkonstruktionen ist das eigentlich keine Seltenheit. Müsste dir eigentlich auch aufgefallen sein. Mach zwei Sätze draus, wie auch immer. Aber das solltest du echt nochmal umstellen.

weht eine Windböe einen ganzen Wall aus Wasser in das Häuschen

zuerst dachte ich, ob du Schwall schreiben willst. Moment mal: Eine Windböe weht einen Wall aus Wasser ins Häusschen. Das kann ich mir als Bild einfach nicht so gut vorstellen, obwohl ja die Metapher des Walls genau das erreichen soll (denke ich jetzt mal). Dann schreib es lieber ohne Metapher, aber so, dass ein Bild entsteht.

Ich stehe auf und stelle mich in die hinterste Rechte Ecke wie möglich. Das Risiko ist zu groß ein weiteres Mal so viel Wasser abzubekommen.

den Teil kannst du streichen. Ist schon klar, warum der/die Ich-ErzählerIn in die Ecke flüchtet.

„So ein blödes Dreckswetter“, meldet sich plötzlich mein Verstand zu Wort.

Das mit den Anführungsstrichen hat mich etwas irritiert. Du könntest die Rede zum Beispiel auch einfach kursiv setzen. Das wird ja klassisch auch oft in Flüster-Sequenzen gemacht oder in Fantasy bei Gedankenübertragung und so. Also so:

So ein blödes Dreckswetter, meldet sich plötzlich mein Verstand zu Wort.

Du kannst es auch ganz normal schreiben, machen auch einige. Selbst das verstehen die meisten Leser und beide Varianten finde ich eleganter als die Anführungsstriche. So nochmal ohne Kursive:

So ein blödes Dreckswetter, meldet sich plötzlich mein Verstand zu Wort.

Könnte daran liegen, dass ich ihn liebe. Und wie ich ihn liebe!“ Bei diesem Gedanken bessert sich meine Laune etwas. „Ihn in den Arm zu schließen wird das alles wert gewesen sein. Das weiß ich.“ Es wird immer wärmer, wenn ich an ihn denke. Von meinem Herz geht ein wohltuendes Gefühl aus, welches sich in meinem Körper verbreitet. Für einen Moment verdrängt dieses Gefühl der Liebe die nasse Kälte.

die Stelle, um mal ein bisschen aufzulösen, worum es hier eigentlich geht ist hier auf jeden Fall richtig, finde ich. Doch dieses ganze »könnte daran liegen, dass ich ihn liebe. Und wie ich ihn Liebe ... das Gefühl der Liebe.« Das ist leider Kitsch. Das zeigt mir nichts. Das sind leere Worte für mich. Ich will wissen, was die erzählende Person hinter diesen Worten fühlt und mehr nicht. Sie muss mir nicht sagen, dass das Liebe ist. Das kann ich selbst entscheiden, wenn ich sie beobachte. Es sei denn, sie redet von Liebe und es ist ganz offensichtlich, dass sie keinen Schimmer hat, wovon sie spricht. In dem Fall brauchst du die Worthülsen natürlich.

Und schon ist der Moment vorbei. „MAAAAAN!“, schreie ich still in meinem Kopf. „Wieso?“ Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht wieso, aber die Situation überfordert mich. Sie überfordert mich so sehr, dass ich merke wie meine Augen ganz leicht anfangen zu zucken, zu zittern

Hier und auch an vielen anderen Stellen im Text war mir das emotional zu dick aufgetragen. Dann ist deine Figur verzweifelt und dann heult sie fast und so weiter. Dabei steht sie nur in einer Bushaltestelle und es regnet nun mal heftig. Aber dieser ganze innere Monolog und die krassen Gefühle – das ist einfach der Situation nicht so ganz angemessen, zumindest in meiner Wahrnehmung. Ich würde da viel mehr mich selbst fragen, was würde ich in der Situation fühlen.
Oder wenn du deinen eigenen Radius verlassen willst, könntest du Gründe vorschieben, warum sie so heftig reagiert. Sonst wirkt auch das kitschig.

Ich blicke ein letztes Mal zurück zur Haltestelle „Nordstern“. Ich löse meinen Blick, schaue nach vorn und nehme die nächste Station in Angriff: Glück!

Die Idee, die hier zum Schluss kommt, finde ich auf ihre romantische Art echt schön. Da bringst du ja etwas fast Märchenhaftes rein.
Make it work, wie teddymaria immer so schön sagt.

LG
Carlo

 

Hallo Carlo.
Erst einmal danke ich dir für dein Feedback und deine ehrliche Kritik, die ich mir sehr gerne zu Herzen nehme.
Dass ich Texte mit unnötigen Adjektiven und (manchmal) viel zu ausführlichen Beschreibungen vollpacke, ist mir auch schon aufgefallen. Ich hatte sogar schon einige Adjektive gestrichen, die ich für unnötig hielt (aber anscheinend noch nicht genug ;)).
Vor allem für deine Anregung mit den Anführungszeichen bin ich dir sehr dankbar. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich das lösen soll und deine Erklärung bzw. Vorschläge dazu werde ich mir auf jeden Fall merken.
Das mit den krassen Gefühlen will ich kurz erklären (Das soll keine Rechtfertigung sein, nur meine Idee, die ich bei dem Text im Hinterkopf hatte!):
Und zwar ist diese Situation an der Bushaltestelle im Regen für mich wie ein Phase der Pubertät. Es geht vielleicht sogar ein bisschen in die Richtung Depression, aber da möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. In schwierigen Phasen in der Jugend erlebt man oft Situationen, in denen die Gefühle von einer Sekunde auf die anderen schwanken können. Wut, Liebe, Verzweiflung, Trauer. Auch der Regen stellt hier für mich schlechte Zeiten dar (deswegen auch am Ende das Bild des blauen Himmels und des Sonnenstrahls, die das Glück und die Hoffnung widerspiegeln). Deswegen habe ich die Gefühle sehr kurz und in "heftigster Form" beschrieben. Ich hoffe das ist halbwegs verständlich.
Ich denke ich werde den Text nicht überarbeiten, da es meine erste Geschichte ist, die ich hier hochgeladen habe und ich mich nun lieber erstmal neuen und frischen Ideen widmen will.
Trotzdem bin ich sehr froh über deine Anregungen und Vorschläge.

LG
Pro.Chi

PS: Es freut mich sehr, dass dir mein Ende gut gefallen hat. Das hat mich nochmal bestärkt, weiter zu schreiben und meine noch junge (bin ja auch erst 15 Jahre alt :)) "Karriere" auf dieser Plattform fortzusetzen.

 

Und zwar ist diese Situation an der Bushaltestelle im Regen für mich wie ein Phase der Pubertät. Es geht vielleicht sogar ein bisschen in die Richtung Depression, aber da möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

okay, verstehe. Ein ambitioniertes Vorhaben. Passt.

Deswegen habe ich die Gefühle sehr kurz und in "heftigster Form" beschrieben.

okay. Das macht natürlich Sinn. Problem für mich ist bloß, dass ich das beim Lesen nicht so verstanden habe. Genau wie die Sache mit den Phasen. Vielleicht könntest einfach noch klarer zeigen, wer die Person ist. Du hast mit der Ich-Form sehr wenig Distanz. Ich betrachte deine Figur nicht von außen. Ein Stückweit identifiziere ich mich mit ihr oder sehe zumindest durch ihre Augen. Wenn du jetzt dritte Person von außen geschrieben hättest, dann hättest du ganz spielerisch eine Kluft zwischen Erzähler und Erzähltem entstehen lassen. Hier ist es vielleicht etwas schwieriger.

(bin ja auch erst 15 Jahre alt

Chapeau! Das ist doch wunderbar. Freue mich, dass du deine Schreib»karriere« hier bei den Wortkriegern beginnst, echt ein toller Laden, auch wenn man sich nicht von harscher Kritik unterkriegen lassen darf. Mach das! Und es freut mich auch sehr, dass ich dich motivieren konnte weiterzuschreiben. Ein kleiner Rat: Wenn es mal schwer wird, deine Texte Ablehung erfahren und du dich wie ein hundsmiserabler Schreiber fühlst, mach weiter, wechsel die Richtung, aber gib nicht das Schreiben an sich auf. Das ist in gewisser Weise wirklich ein Hürdenlauf. Die Hürden gehören mit dazu. Finde raus, was dich an deinen Texten reizt und was die Leute reizt, bei denen es dir wichtig ist;)

LG
Carlo

 

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