Noch ohne Titel
Er liegt auf dem Bett, die Arme locker hinter dem Kopf verschränkt, auf dem Rücken. Es ist warm, er ist allein, sanfte Musik dringt aus verborgenen Lautsprechern, gerade leise genug, dass er die Geräusche hören kann, die aus dem Haus zu ihm dringen. Der Raum ist mit Kerzen erleuchtet. Vielleicht eine halbe Stunde, eine Stunde liegt er schon so da, lässt seine Gedanken schweifen ...
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Sie hatten schon länger nicht mehr miteinander geschlafen, sicher einige Monate. Das war ungewöhnlich zwischen ihnen, doch seit ihrem zehnten Hochzeitstag, der nun schon eine Weile zurücklag, hatte sich alles verändert. „Ich möchte dir eine Erfahrung schenken“, hatte sie nach dem exquisiten Abendessen gesagt, das sie für ihn gekocht hatte. „Die Erfahrung, dass die Liebe zwischen uns ein Geschenk ist, das wir einander zu machen haben.“ Dann hatte sie ihn mit ihren großen schönen Augen angesehen und ihn gebeten, eine Weile den Weg der Enthaltsamkeit mit ihr zu gehen. So lange, bis sie einander wieder als keusche Liebende begegnen können, hatte sie hinzugefügt.
Sie hatte ein kleines geschnitztes Kästchen auf die Kommode gestellt und ihm eine leichte goldene Kette mit einem Medaillon um den Hals gelegt, das das Yin-Yang-Symbol zeigte. Erst jetzt bemerkte er, dass sie die gleiche trug.
„Wenn du bereit bist, lege es in das Kästchen, ich werde das gleiche tun“, hatte sie gesagt und ihm einen Kuss auf den Mund gehaucht.
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Er war enttäuscht gewesen an jenem Abend. Als er ihren wunderschönen Körper im Arm hielt, später, sie sich gegen ihn presste, nur bekleidet in jenem halbtransparenten weißen Nachthemd, das er ihr einmal geschenkt hatte, waren Wellen der Lust und Erregung durch seinen Körper geflossen, das Verlangen fast übermächtig geworden. In seiner Pein versuchte er schließlich, selbst Hand an sich anzulegen, doch sie hatte ihn nur angesehen. „Glaubst du, mir geht es nicht ganauso?“, hatte sie ihn gefragt.
Sie küssten einander noch eine Weile zärtlich, er erinnerte sich an die ersten Wochen ihres Kennenlernens. Sie hatten auch damals gewartet, bis zur Hochzeitsnacht. Schließlich fand er Ruhe, er schlief in ihren Armen ein.
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Die ersten Tage und Wochen waren hart gewesen. Er war es gewohnt, nahezu täglich zu ejakulieren, der Gedanke daran quälte ihn ständig. Sie hatte keine besonderen Vorkehrungen getroffen, ihn zu kontrollieren, doch er wusste, sie meinte es ernst und würde ihren Teil der Vereinbarung einhalten. Er ließ also das lockere Verhältnis mit einer jungen Sekretärin vorerst ruhen, das ihm seit einiger Zeit ein wenig Abwechslung verschafft hatte, und widerstand auch dem Drang, sich selbst Erleichterung zu verschaffen. Er war bereit, sich auf sie und ihren Weg einzulassen, obwohl er nicht verstand.
Sie machte ihm die Sache dadurch nicht leichter, dass sie begann, besonderen Wert auf ihr Aussehen zu legen. Nicht nur das, es lag ständig dieses Strahlen in ihren Augen, das er schon damals so geliebt hatte, als er sich um sie bemüht hatte, ihr seine Liebe gestanden hatte.
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Nach eingen Wochen begann der schmerzliche körperliche Druck nachzulassen. Es gelang ihm immer öfter, nicht mehr ständig daran denken zu müssen, sich auf anderes zu konzentrieren, auch allein. Wenn er mit ihr zusammen war, nahm er zunehmend wieder die vielen Kleinigkeiten wahr, die er an ihr so liebte, die ihm aber vollkommen aus dem Bewusstsein entglitten waren.
Und er begann an der unschuldigen Zärtlichkeit gefallen zu finden, die sie einander schenkten. Zunächst gingen sie vorsichtig miteinander um, gaben einander Zeit, mit der Lust und der Gier umgehen zu lernen, die sich bei beiden immer wieder einstellte. Es war für ihn eine neue Erfahrung, dass auch sie damit zu kämpfen hatte, er hatte sie immer als kontrolliert erlebt, ihre Sexualität als etwas, was sie nach Belieben ein- und ausschalten konnte. Mehr als nur einmal nahm auch er ihre suchende Hand, führte sie zu seinem Mund, küsste sie und sah ihr dabei tief in die Augen, sah das Verlangen brennen, während sie ein fast unhörbares „Danke“ hauchte.
Schließlich wurden sie mutiger, begegneten einander nackt, dehnten die Bereiche der Zärtlichkeit immer mehr aus, als sie sicherer wurden in der Beherrschung ihrer Leidenschaft. Sie schliefen oft so, eng aneinandergeschmiegt, Haut an Haut.
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Er hatte auch begonnen, seinen Körper wieder in Form zu bringen. Er nahm sich die Zeit, täglich laufen oder schwimmen zu gehen. Gelegentlich begleitete sie ihn dabei, ohne ihn darauf anzusprechen, nahm es als selbstverständlich. Er war dankbar, dass sie ihn mit einer sanften Umstellung der Ernährung dabei unterstützte, ohne dass er darum bitten musste, versuchte diesen Weg auch in der Firmenkantine fortzusetzen, seinen Alkoholkonsum zu reduzieren.
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Vor ein paar Tagen hatte er sein Medaillon in das Kästchen gelegt. Sie war einige Tage verreist gewesen, er hatte Zeit gehabt, nachzudenken. Er glaubte, verstanden zu haben, glaubte, bereit zu sein. Er konnte nicht erkennen, ob sie es überhaupt bemerkt hatte, er änderte auch sein Verhalten ihr gegenüber nicht. Eine innere Unruhe hatte ihn erst befallen, als er einen Brief auf seinem Kopfkissen gefunden hatte, in ihrer schönen Handschrift, mit einem Hauch ihres Parfums darauf.
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Sie kommt ins Zimmer, trägt das weiße, halbtransparente Nachthemd, das Kerzenlicht lässt ihre Schönheit voll zur Geltung kommen, zaubert sanften Glanz in ihre dunklen Augen. Seine Erregung, die schon wieder abgeschwollen war, beginnt wieder deutlich sichtbar zu werden. Sie setzt sich an sein Bett, beugt sich über ihn, beginnt ihn zärtlich zu streicheln, ihre Lippen sanft auf seinen Mund zu drücken, sie über seinen Körper gleiten zu lassen. Er entspannt sich, genießt die Berührungen, wartet.
Sie hilft ihm nicht mehr dabei, seine Lust zu kontrollieren, sie arbeitet gegen seinen Widerstand. Zärtlich wecken ihre Finger, der dünne Stoff auf ihrer Haut, ihre Lippen seine Leidenschaft, es fällt ihm schwerer und schwerer, dagegen anzukämpfen, doch sie trägt es noch um den Hals, das Medaillon.
Sie wendet sich ab, geht aus dem Zimmer. Er ist verwirrt, doch er vertraut ihr, wartet geduldig. Nach einer kleinen Ewigkeit kommt sie wieder, trägt das Kästchen in ihren Händen. Er sieht ihr zu, wie sie erst das Nachthemd ablegt, dann ruhig und gefasst das Medaillon abnimmt und in das Kästchen legt.
Erst am nächsten Morgen schlafen sie erschöpft ein, dicht aneinandergeschmiegt.