noch keiner
In meinem Traum trete ich durch eine Glastür in einen Park, der zu einem wunderschönen Schloss gehört. Schwerelos schwebe ich über den taunassen Rasen auf das Gartentor zu. Niemand ist zu sehen. Alles duftet nach Frische. Ich berühre das Tor und drücke es zur Seite. Kein Laut ist zu hören. Vor mir liegt ein kleines Wäldchen. Ich schreite über den Kiesweg darauf zu. In der Ferne sehe ich ein kleines Waldhäuschen, aus dem Rauch steigt.
Von Neugierde gepackt, schreite ich weiter den knirschenden Weg entlang und klopfe mit pochendem Herzen an die alte Holztür. Nichts. Nach einem erneuten Klopfen, öffne ich einen Spalt breit, gerade so, dass ich sehen kann, was sich drinnen befindet. Der Anblick verschlägt mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem. Im ersten Moment bin ich nicht einmal sicher, ob es wirklich nur ein Wohnhaus ist. Es ist unvorstellbar groß und die schimmernden Möbel und Gegenstände scheinen aus Eis und Kristall geschnitzt zu sein, als hätte jemand einen Diamanten genommen und zu einer Wohnung geformt. Eine schimmernde Aura aus goldenem Licht umgibt das innere des Häuschens und trotz dieser punkvollen Ausstattung wirkt es von außen leicht und zerbrechlich.
„Gefällt dir, was du siehst?“, erschrocken fahre ich herum, als ich die etwas heisere Stimme vernehme und blicke direkt in die stahlblauen Augen eines Mädchens mit langen blassblonden Haaren. „Entschuldigung... ich ähm wollte nicht... ja, es ist wunderschön...“, stottere ich als Antwort. „Ich bin Yulia, tritt ein“, erwiderte sie, erst jetzt bemerke ich den Rollstuhl, in dem sie sitzt. Zögernd komme ich der Aufforderung nach.
Nachdem ich das Angebot einer Tasse Tee annehme, erfahre ich das Schicksal von Yulia. Sie spricht, als hätte sie schon ewig nicht mehr die Gelegenheit dazu gehabt, so viel hat sie zu erzählen.
Sie zieht sich vor der Außenwelt zurück, da sie aufgrund eines Unfalls ihre Zeit im Rollstuhl verbringen muss und sich somit vor den forschenden, bohrenden Blicken und unangenehmen Fragen ihrer Mitmenschen zu schützen versucht, dafür nimmt sie sogar die jahrelange Einsamkeit in Kauf.
Nach langen Gesprächen versuche ich nun Yulia dazu zu bringen, sich wenigstens einmal nach draußen zu begeben, was mir- dank meiner Überzeugungskraft- gelingt. Zwar merkt man ihre Hilflosigkeit, als wir durch den Park fahren, doch sie scheint auch froh über den Ausflug zu sein.
Doch plötzlich, als wir aus dem Schatten der Alleebäume treten, geschieht etwas unfassbares, ich kann es kaum glauben, was ich sehe: Yulia erhebt sich aus ihrem Rollstuhl und geht einen Schritt auf mich zu! „Du hast recht, man muss sich seinen Ängsten stellen, um frei zu sein“, murmelt sie und verschwindet in demselben Augenblick.