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Noch einmal
Halbdunkel und kalt ist es um mich. Ich kann nur tasten, fühle kühles Metall oder ein anderes, unbekanntes Material. Vielleicht kennen SIE ja gar keine Temperatur, haben keine Rezeptoren dafür. Keine Decken da, nur der glatte Untergrund. Ich gleite nach vorn auf die Knie, strecke eine Hand suchend wie einen Blindenstock, während ich mich mit der anderen abstütze.
Horch. Ein Geräusch aus der Schwärze da hinten. Gefahr? Hilfe? Egal, ich krieche darauf zu.
Meine Hand stößt an etwas Weiches, schnellt zurück. Stoff. Ein Stöhnen.
„Hallo?“, wage ich.
„Ben?“ Ist das Glorias Stimme? Sie wirkt so verändert, so brüchig.
„Ja, ich bin es. Gloria?“
„Gut, Ben.” Ist das Erleichterung?
Welche Ironie. Haben SIE uns zusammen verschleppt, nur weil wir gerade in einem Zimmer waren?
Irgendwie haben alle Spaß, nur ich nicht. Das Buffet ist fast leer, mich stört die Sonnenglut, und der Pool ist so voll, da will ich mich nicht auch noch hineindrängen. Ist bestimmt inzwischen lauwarmes Wasser, und überall Arme und Beine und Prusten und Lachen. Ich schnappe mir noch einen Drink und gehe durch die Terrassentür in die angenehme Kühle. Geblendet bemerke ich Gloria erst, als sie sich etwas bewegt. Was soll´s? Ein paar Worte werde ich noch hinkriegen.
„Na, auch keine Lust auf Schwimmen?“
„Lass es , Ben. Kein Bock auf Smalltalk.“ Wozu bist du dann gekommen, frage ich mich stumm, was sonst auf einer Party? Aber die Frage kann ich mir auch selber stellen. Anscheinend verpackt sie es genauso wenig wie ich.
„ Ich auch nicht! Aber ich wollte mich wenigstens mal sehen lassen!“
„Deinen Segen geben? Braver Ben!“
„Hast du eine Ahnung, wie lange wir schon hier sind?“ Mir kommt es so vor, als wäre ich gerade hoch gebeamt worden, aber die Kälte sitzt mir schon in allen Gliedern. Wahrscheinlich war ich bewusstlos.
Gloria rückt näher an mich heran. Ich spüre durch den dünnen Stoff ihres Sommerkleides, wie sie zittert. Zaghaft lege ich den Arm um sie, doch ihr Körper strahlt keine Wärme aus. Sie atmet stockend, schluchzt, hält sich die Hand vor den Mund.
„Was passiert wohl mit uns?“, frage ich zaghaft.
„SIE sind gefährlich.“
„Hast du einen von IHNEN gesehen?“
„SIE holen dich. Ja, SIE werden dich auch noch holen.“ Ihr Zittern schüttelt ihren schmalen Körper.
„Vielleicht hast du Recht. Ich hätte nicht kommen sollen. Du auch nicht. Sollen sie doch ihr neues Leben führen, ohne uns! Aber ich habe Anna geliebt, und Hendrik war mein bester Freund.“ Ich atme tief durch, bevor meine Stimme mich verrät.
„ Dass sie dich betrügt, wusste ich“, sagt sie leise, „nur nicht, mit wem.“
Welche Ironie! Eigentlich müsste ich wütend auf sie sein, aber in mir ist nichts ... nur Leere.
„Es ist anders, als es in den Filmen gezeigt wird. Keine medizinischen Experimente! Aber es ist grässlich, unerträglich ...“
„Wie sehen SIE aus?“ Ich versuche, mir etwas vorzustellen, das möglichst weit von meiner menschlichen Figur entfernt ist. Ein Tentakelwesen, dessen Körperauswüchse wie Gekröse aus seinem Körper dringt, eine unförmige Ursuppe, die sich wie eine Amöbe über den Boden schiebt, formlose Nebel ...
„Für uns verkörpern SIE sich wie Menschen. Vielleicht speisen SIE sich aus unserer Erinnerung ...“
„Habe ich schon mal gelesen! Aber was ist dann so schrecklich an IHNEN?“
„Ich weiß nicht. SIE ...“ Sie weint wieder los, ihr Körper vibriert. Ich halte sie fester, spüre, wie meine Wärme auf ihren Körper übergeht. Wenn wir doch nur etwas zum Zudecken hätten!
„Einer sah Hendrik ähnlich. Ich meine, ich wusste, dass er es nicht war, aber ich hatte solche Sehnsucht! SIE verfügen über diese Kraft, dieses unsägliche Verlangen auszulösen. Ich wollte ihm nur nahe sein, ihn in mich aufnehmen ...“
Sie zittert so in meinen Armen. Bestimmt hat sie Angst, welches Wesen jetzt in ihr ... Irgendetwas Tröstliches muss ich sagen, Hoffnung geben. In meinem Kopf ist aber nur Leere.
Stattdessen fängt sie an, mich zu küssen. Ihre Lippen gleiten über meinen Bart, suchen meinen Mund, ihre Zunge verfolgt die Bewegungen von meiner.
Auf der Erde hätte ich sie nie angerührt. Die beste Freundin meiner Freundin ist tabu, auch wenn es jetzt meine Ex ist. Und in der Kälte und Ungewissheit hier und mit ihrer Verzweiflung geht mir anderes durch den Kopf. Der Rest meines Körpers scheint es anders zu bewerten, reagiert bereitwillig, nein gierig, auf ihre Annäherung. Und wie lange ist es her, dass ich mit Anna ... Ich stöhne auf, als Glorias kühle Hände meinen Körper erforschen. Sie streift ihr Sommerkleid über den Kopf, befreit mich von Hemd und Bermudas.
„Nicht denken“, sage ich mir, und Glorias Berührungen verschmelzen mit Bildern von Anna, glücklichen Erinnerungen. Wie oft habe ich mir gewünscht, nur noch einmal in meinem Leben ihren Körper zu genießen, sie noch einmal an all den Stellen berühren zu dürfen, die mir jetzt versagt sind. Zeitlos, unendlich erscheint es mir, als wir im Gleichklang unsere Körper bewegen. Welch ein Geschenk ...
Als ich komme, ist es, als wenn mein Samen in das Nichts explodiert. Unmengen von Spermien entströmen mir, leeren mich, werden ausgesaugt. Entsetzt sehe ich, wie Gloria zerfällt in etwas jenseits meiner Vorstellungskraft. Der letzte Rest Wärme flüchtet aus meinem Körper, der letzte Rest Leben.