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Noch eine Nacht bitte

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03.07.2004
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Noch eine Nacht bitte

Lang, lang war's her ... Auf der diesjährigen Buchmesse würde bereits die dritte Auflage vorgestellt werden mit 1.001 Zeichnungen, und der Autor, Herrscher über die unzähligen Inseln, würde eine Signierstunde geben. Auch sonst war die Zeit nicht spurlos vorübergezogen. Schahrsad lebte mit ihren drei Kindern im Müttertrakt des Harems recht unberührt vom täglichen Klatsch und den üblichen Intrigen. Sie hatte neue Aufgaben erhalten und da sie so schön Geschichten erzählen konnte, erzählte sie jeden Tag allen Kindern nachmittags eine spannende Geschichte zum Unterrichtsstoff des Vormittags - und abends eine Gute Nacht Geschichte.

Eines Nachmittags unterbrach eine tiefe Stimme ihre Erzählung: "Ein wenig mehr Pfeffer könnte ruhig dabei sein."
"Mais pas en présence des enfants", erwiderte Schahrsad dem König und erzählte ungerührt weiter.

Als Schahrsad ihre Geschichte beendet hatte und zu ihren Gemächern wandelte, stand Schahrayar wie sie es schon erwartet hatte auf dem Gang: "Und wie wäre es heute Nacht?"
"Mit deinen drei Favoritinnen zusammen?"
"Das wäre doch was – eine menage a cinq."
"Sicher, aber lieber nicht in dieser Konstellation."
Und weil Schahrayar nur verdutzt und auch ein wenig ärgerlich schaute, sprach Schahrsad schnell weiter: "Du weisst, dass auf der Buchmesse auch der zweite Band von 'Schahrsads Gute-Nacht-Geschichten für Kinder' erscheinen wird."
"Ja, im Ali Baba Verlag und nicht im Palast-Verlag" knurrte der König.
"Es gibt eben zu viele Menschen im Palast, die sich jedes gehörte Wort merken und noch nach Wochen stundenlange Gespräche genau wiedergeben können – und mindestens eine deiner Favoritinnen gehört dazu."
"Also wir beide alleine?", entgegnete Schahrayar enttäuscht.
"Das würde nur zu Eifersüchteleien führen und uns beiden nicht gefallen. Aber ich habe drei treue Freundinnen, die ohnehin regelmäßig zur Nachtshow bei dir eingeteilt sind und die ganz besondere Fähigkeiten haben."
"Oh – und welche?"
"Nun da ist erst einmal Zara."
"Oh ja, ein Körper wie Honig", leckte sich der König die Lippen.
"Vor allem kann sie sehr schnell schreiben, so dass die Geschichte am Morgen fertig zu Papier gebracht ist. Es ist ja ein beliebtes Spiel, zu lauschen, wenn ein Horcher den Inhalt seines Gedächtnisses diktiert."
"Nun ja, aber ich brauche was zum Spielen, während Du erzählst."
"Da habe ich Nahla im Sinn – sie beherrscht hunderte von Rollenspielen und kann meine Geschichte mit Dir spielen, während ich sie erzähle."
Schahrayar klatschte in die Hände "Und die dritte?"
"Das ist Yasemin 2."
"Die zierliche mit den blondierten Haaren und den Brüstchen? Da hab' ich ja gar nichts in der Hand." Der König schien nicht begeistert.
"Nun, sie hat ein besonderes Talent: Sie zeichnet fantasievolle Bilder zu meinen Geschichten."
"Anregende Bilder?" Schahrayar schaute schon etwas freudiger.
"Ich denke, der Wesir würde ihre Zeichnungen nur für verheiratete Männer über 25 Jahren freigeben."
"Ohh, sie soll auf jeden Fall Kostproben mitbringen. Ich glaube wir werden spannende Nächte erleben."
Schahrsad lächelte sanft. "Ich denke, meine Geschichten werden werden zu den Zeichnungen so gut passen, dass wir eine limitierte Ausgabe auf den Markt bringen können – das bringt am Ende mehr als hohe Auflagen und der Wesir kann sich nicht querlegen."

Natürlich hatten die bekannten Klatschzeitungen für Wochen genügend neue Themen. "Hat Schahrsade den König verzaubert?" – "Nahla, Yasemin und Zara – die neuen Favoritinnen –nur mit einem dünnen Schleier bedeckt. Zeichnungen auf Seite 3" – "Nacht für Nacht geschieht Unglaubliches in den königlichen Gemächern."

Aber was dort wirklich geschah, erfuhren einige Monate später nur die wenigen, die sich das neue Buch leisten konnten. Auch heute werden die Exemplare, die noch existieren, von ihren Eigentümern sorgsam gehütet. Sie zu erwerben ist nahezu unmöglich – und so können wir diese Geschichte leider nur mit einigen Abschnitten aus der ersten Gute-Nacht-Geschichte beenden:

"Vor vielen Jahren lebte die Jungfrau Afifah im Königreich der 1000 Inseln. Sie war tugendsam, wie ja ihr Name schon sagt, aber angesichts des immensen Reichtums ihres stolzen Vaters kaum bescheiden. Eines Abends erging sie sich auf dem Dach ihrer Gemächer, das mit vielen kostbaren Büschen und Bäumen bepflanzt einen blickdichten Urwald mitten im Ort bildete. Schon vor einiger Zeit hatte Afifah einen schmalen Gang entdeckt, der durch die wuchernden Büsche an den Rand des Daches führte und ihr einen Ausblick auf einige Nachbarhäuser erlaubte. Nur geschah dort nie etwas – bis zu diesem Abend. Afifah erblickte in einem Innenhof einen Jüngling, der einen Wasserkübel über sich ausschüttete und dann einige Pirouetten drehte, dass die Tropfen nur so von ihm flogen. Aber da hing noch etwas an diesem Jüngling, das nicht davonflog und Afifah erst sehr verstörte, allmählich aber ein eigenartiges warmes, zunehmend schwüles Ziehen in der Mitte ihres Leibes hervorrief. ..."
"... Nach einer unruhigen Nacht erforschte Afifah bei ihren ebenso jungfräulichen Dienerinnen, ob diese Hilfe wüssten und erfuhr so einiges, was ihre Wangen zum Erglühen brachte. Als aber diese Hitze wieder abwärts wanderte, sandte sie ihre Dienerinnen aus und bald kamen diese mit einem gut gefüllten Gemüsekorb aus der Küche zurück. ..."

Und während Schahrsad weiter erzählte, zog Nahla einen Korb hinter ihrem Rücken hervor und begann zu spielen.
"Die Dienerinnen zeigten Afifah, welche vielfältigen Möglichkeiten Gemüse eröffnete:"
"Stop, Yasemin und Zarah übernehmen diese Rollen.", befahl Schahrayar und Schahrsad unterbach ihre Erzählung.

Aber schon nach kurzer Zeit bat der König, Schahrsad möge sich bitte um sein erntereifes Gemüse kümmern. Yasemin 2 zeichnete am folgenden Tag aus dem Gedächtnis einige fantastische Bilder von der Gemüseparty, die zunehmend ausuferte. Denn angesichts des artenreichen Anschauungsmaterials kamen Schahrayar noch manche Ideen, die die fünf spielten, bis sie wohlig erschöpft auf den zahlreichen Kissen im Gemach einschlummerten.

 

Diese kleine Geschichte habe ich am 26.4.2011 geschrieben, bevor ich im Radio hörte, dass dieser Tag der Welttag des geistigen Eigentums ist.

jobär

 

Gurken! Gurken!

Hallo Jobär,

eine hübsche kleine Geschichte, die viel andeutet und reichlich Raum für Fantasie läßt, hat mir gefallen!
Wenn allerdings der König nicht begeistert ist, würde er vermutlich nicht 'zierlich' sagen, sondern eher einen negativen Ausdruck für 'zu klein' verwenden. Und wie klatscht man in die Hände, wenn nicht 'begeistert'?

Viele Grüße vom
gox

 

Hallo gox,

danke für Deine Rückmeldung. Habe den Teil korrigiert.

Viele Grüße

Jobär

 

Hallo Jobär!

Ehm ... hat mir irgendwie in der Rätselhaftigkeit und dem, was unausgesprochen bleibt, gefallen.
Unpassend fand ich nur "Buchmesse", was ich modern assoziiere, während mir der Rest der Geschichte aus einem vergangenen Jahrhundert vorkommt.
Auch die Regenbogenpresse ist mir ein kleiner Dorn im Auge. Das passt für mich nicht ins Gesamtbild.

erzählte sie jeden Tag allen Kindern nachmittagseine spannende Geschichte
Leerzeichen fehlend

Mais pas en présence des enfants
Zum Glück hatte ich mal Französisch, aber selbst wenn ichs nicht verstanden hätte, es würde aus dem Unkundigen eines der Kinder machen, in dessen Gegenwart kein Pfeffer in die Erzählung soll ;) Und alles wäre noch ... verschleierter.
"Vor allem kann sie sehr schnell schreiben, so dass die Geschichte am Morgen fertig niedergeschrieben ist.
Hum... zweimal das verb des Schreibens ... vielleicht das erste Schreiben durch: Sie hat eine sehr schnelle Hand, so dass die Geschichte ...
Würde auch wieder eine schöne Zweideutigkeit in die Sache bringen ...

allmählich aber ein eigenartiges warmes zunehmend schwüles Ziehen in der Mitte ihres Leibes hervorrief
Fehlen da nicht ein paar Kommata?
"ein eigenartiges, warmes, zunehmend schwüles Ziehen ... "

"Die Dienerinnen zeigten Afifah, welche vielfältigen Möglichkeiten Gemüse eröffnete:"
"Stop, Yasemin und Zarah sind jetzt die Dienerinnen.", befahl Schahrayar
Würde ich so machen: "...eröffnete: ..."
"...Dienerinnen", befahl

Bis dann: Timo

 

Hallo Timo,

danke für Deine Kritik. Das meiste habe ich umgesetzt. Ich komme aus einer Zeit, in der die Eltern manches Mal französisch sprachen und obwohl wir Kinder die französische Sprache nicht beherrschten, waren wir aufgeklärt genug, um zu wissen, das wir am Abend lange im Bett lesen konnten.

LG

Jo

 

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