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Noah, der Deutsche

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02.01.2011
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Noah, der Deutsche

1

»D-Die Amerikaner«, sagt Tarek, und blickt vom flackernden Fernsehbildschirm auf, »i-ich will, dass die Amerikaner kommen!«
Ständig redet Tarek von den Amerikanern. Dass es das Größte wäre, gegen die Amerikaner zu kämpfen, hier, auf muslimischem Boden. Wir sind nicht mal seit drei Monaten raus aus Deutschland, und trotzdem bin ich fast erschrocken, wie sehr sich Tarek verändert hat. Nichts mehr übrig von dem schüchternen, blassen Jungen, dem neben mir in der Schule der Schweiß ausgebrochen ist, wenn ihn die Lehrerin aufgerufen hat; nichts mehr übrig von dem Counterstrike-Zocker, dem Kiffer, der sich bei jeder Gelegenheit über seinen Vater aufregt, wenn der ihm mal wieder ’ne Standpauke gehalten hat, wenn der ihm mal wieder gesagt hat, dass er doch endlich mal sein Leben auf die Reihe kriegen soll, dass er sich ’ne ordentliche Ausbildung suchen soll und das alles.
Jetzt liegt Tarek neben mir, auf dem Teppichboden, in seinem blauen, arabischen Gewand, mit dem schwarzen Tuch um den Kopf gebunden, und zappt durch die Fernsehsender, von denen wir nur einzelne arabische Fetzen verstehen.
»D-Die A-Amerik-kaner«, sagt Tarek wieder, deutet auf den Fernseher und beginnt dabei, diebisch zu grinsen. Bloß das Stottern hat ihm Allah, subhanahu wa ta’ala, noch gelassen, denke ich mir, dann drehe ich mich auf die Seite, ziehe mir die Decke über die Schultern und schließe meine Augen.


2

Nachts bombardieren die Amerikaner. Die Explosion kommt sehr unerwartet – der Knall reißt uns alle schlagartig aus dem Schlaf: Das ganze Haus wackelt, die Fensterscheiben platzen, Glas, Staub und heiße Asche fliegen uns sofort um die Ohren. Der Einschlag muss sehr nah gewesen sein, das ist mir gleich klar. Als Tarek und ich zehn Minuten später zum Fenster robben, sehen wir das zerstörte Haus am Ende der Straße; das ganze Gebäude ist ein einziger Schutthaufen, grelle Flammenzungen lecken aus den Trümmern hervor, zwischen Stahlträgern und einzelnen, noch stehenden Wänden. Jetzt rennen unten die ersten Leute auf die Straße, weißhaarige, alte Irakis und hysterische Frauen, die vor lauter Schreck vergessen haben, sich das Haupt zu bedecken; sie fluchen und schreien, schlagen sich die Hände über dem Kopf zusammen – ich winke ihnen zu, dass sie wieder reingehen sollen, rufe in meinem schlechten Arabisch: »Yallah, yallah, bayt, bayt!«, aber sie verstehen es nicht; jederzeit kann noch eine zweite Bombe einschlagen – vor ein paar Wochen haben die Amerikaner gewartet, bis die ersten Frauen auf die Trümmer gestiegen sind, um nach ihren Verwandten zu graben – und dann haben sie die zweite, die heftigere Bombe abgefeuert, die Schweine, die Kufar.
Ein Dutzend Alte und Frauen sind in dieser Nacht gestorben.

»D-Die Amerikaner!«, sagt Tarek wieder, diesmal mit weit aufgerissenen, irren Augen; jetzt kommt auch der Pakistani ans Fenster gerannt, der sich mit uns das Zimmer teilt, und ich sage zu Tarek, dass er keine Angst haben braucht, dass Allah, subhanahu wa ta’ala, den Zeitpunkt bestimmen wird, an dem wir sterben, dass auf uns der Himmel wartet, dass wir direkt ins Paradies kommen, dass Gott die liebt, die sich für ihn hingeben. Ich spule das alles so herunter, wie es mir Ibrahim Caftici gelehrt hat, damals, vor Jahren, in unserer Hinterhof-Moschee in Mönchengladbach; und während all die Worte aus meinem Mund laufen und sich mein Atem langsam wieder beruhigt, starre ich weiter auf das brennende Haus: Ich rieche den schwarzen Dunst des Feuers, ich höre die Schreie der weißhaarigen Irakis, der aufgebrachten Frauen – diese hohen, verbitterten Schreie, ich spüre die Hitze auf meinem Gesicht.


3

Es fallen keine weiteren Bomben mehr. Nach zwei Stunden legen wir uns wieder auf den Boden und wollen etwas schlafen, aber es geht nicht: Die Fensterscheiben sind hinüber und es ist kalt, stinkend und laut: Kalt, wegen der frischen Nachtluft, die durchs kaputte Fenster zieht, stinkend, wegen der ganzen Asche, die in unserer Wohnung hängt, und laut, wegen den Menschen, die auf den Trümmern stehen, die schreien, fluchen, flehen; und auch laut wegen den Drohnen, die immer nach den Bomben kommen: Sie kreisen jetzt direkt über uns, mit diesem Surren, diesem alles durchdringenden, monotonen Surren. Wir wissen nie, was die Amerikaner mit ihren Drohnen da oben vorhaben, wir wissen nie, wann die nächste Bombe fällt. Ich schalte den Fernseher ein und lasse ihn die ganze Nacht laufen, es ist das Einzige, was wirklich gegen dieses gottverdammt Surren hilft. Gegen die Kälte, die durch die kaputten Fenster zieht, und den Ruß und den Rauch, der in unserer Wohnung hängt, können wir nichts machen, außer uns unsere Decken bis zur Nase hochzuziehen.
Ich kriege kein Auge zu.


4

Am nächsten Morgen steht Abu al-Chattab vor uns, dieser Bär von einem Mann, breit grinsend und mit frischem Fladenbrot und Kiri-Käse in den Händen.
»Alles gut? Wie geht’s?«, fragt er mich mit seinem bosnischen Akzent, als ich noch unter meiner Decke auf dem Boden liege. Ich erzähle ihm vom Angriff letzte Nacht, und ob er das zerstörte Haus gesehen hätte. Abu al-Chattabs Grinsen verschwindet. Er holt tief Luft, schüttelt den Kopf, und dann zitiert er einen Koranvers auf Arabisch, den ich nicht kenne.
»Wir los müssen«, sagt er schließlich, »geben viel zu tun heute, much work


5

Ich war noch nie an der Front. Nachdem wir die türkische Grenze bei Kilis passiert hatten, haben sie mich und Tarek vier Wochen lang in so ein Ausbildungslager gesteckt. In den ersten beiden Wochen haben wir den Koran gelesen, in den letzten beiden gelernt, wie man schießt, wie man kämpft – hauptsächlich an »der Russischen«, an der Kalaschnikow: wie man sie auseinander- und zusammenbaut, wie man mit ihr auf fünfzig Meter Entfernung einem Mann das Gehirn aus dem Schädel schießt, wie man mit der Schulterstütze zuschlagen muss, um zu töten.
Nach diesen vier Wochen ist Abu al-Chattab auf mich zugekommen, weil er davon gehört hatte, dass ich drei Semester lang Maschinenbau studiert habe, in Aachen – »Deutschland«, »studiert«, dann noch etwas mit Maschinen: Das beeindruckt hier. Tarek war damals schon nicht mehr Tarek – er hieß fortan Abu Nuh al-Almani, »Abu Noah, der Deutsche«, und ging gleich los, an die Front, um Gottes Willen zu vollstrecken, um gegen die Ungläubigen, die Kufar, zu kämpfen, um die Muslime vor ihren Schlächtern zu beschützen, vor Assad und den Amerikanern.
Ich habe keine Angst davor, zu sterben – denn alhamdulillah, inschallah, wenn meine Absicht rein ist, dann sterbe ich für Allah. Der größte Beweis, dass du Allah liebst, sagt Gott im Koran, ist der Dschihad. Und ein guter Muslim liebt Allah mehr als sich selbst, ein guter Muslim liebt Allah mehr als sein Essen oder seinen Schlaf, oder seinen Körper oder sein Leben.
Und ich will ein guter Muslim sein, ich will Gutes tun.


6

Ich bin mir sicher, dass der Westen die Muslime unterdrückt. Nicht diese Wischi-waschi-Muslime, die lieber Schweinefleisch fressen und Alkohol trinken, anstatt in die Moschee zu gehen – sondern die echten Muslime, die wahren Gläubigen, die so leben wollen, wie der Prophet es vorgelebt hat.
Wieso sonst hat der Direktor Tarek und mir in der Oberstufe keinen Gebetsraum gegeben? Wieso sonst wurde Tarek gleich mit von der Schule verwiesen, obwohl es bloß ich gewesen war, der jeden Tag um 12 Uhr seinen Gebetsteppich im Klassenzimmer ausgebreitet hat? Wieso sonst werden überall auf der Welt Muslime erschossen, Muslime von Drohnen weggebombt? Wieso sonst ist der Westen in den letzten hundert Jahren mehr als fünfzig Mal in muslimische Länder einmarschiert? Wieso sonst sind unter Bush und Blair eine Millionen Muslime getötet worden?
Ich hasse die heuchlerische Art des Westens, wie er von Freiheit redet; aber was Freiheit wirklich bedeutet, davon hat der Westen keine Ahnung: Freiheit bedeutet eben nicht, alles tun und lassen zu können, was man will, sondern Freiheit bedeutet, frei von weltlichem Verlangen zu sein, frei von der Gier zu sein: der Gier nach Sex, nach Geld, nach Besitz, nach Status. Freiheit bedeutet, nur für Gott leben zu können. Freiheit bedeutet, für Gott sterben zu können, wenn man das will.
Ich weiß, dass wir siegen werden. Die USA sind keine Supermacht, Gott ist eine Supermacht. Und egal, wie viele Drohnen die Ungläubigen, die Kufar, uns noch auf den Hals hetzen, egal, wie viele unserer Frauen und Kinder sie töten – wir werden siegen. Da bin ich mir ganz sicher. Das Leben ist ein Test, bei dem wir Gott zeigen müssen, dass wir wahre Muslime sind, dass wir so leben, wie er es uns im Koran vorgeschrieben hat. Ich fürchte den Tod nicht, ich fürchte bloß die Hölle, in die ich einkehren werde, wenn ich jetzt kein guter Muslim bin.
Gott ist mit uns, ich spüre es jeden Tag, und das ist alles, was zählt.


7

Wir fahren mit Abu al-Chattabs Toyota aus der Stadt raus, durch karges, felsiges, ödes Land, bis wir schließlich in diesem kleinen Ort ankommen. Ich sitze die ganze Zeit auf dem Rücksitz, neben Tarek, und habe nichts Besseres zu tun, als ihn zu beobachten; er hat sich verändert, seitdem ich ihn vor ein paar Wochen das letzte Mal gesehen habe, im Trainingscamp, da bin ich mir ganz sicher. Die ganze Fahrt über habe ich darüber gegrübelt, was es denn genau ist, das sich so sehr an ihm verändert hat: Ist es seine neue, gerade, selbstbewusste Haltung, oder der dichte, schwarze Vollbart? Als wir im Ort ankommen und vor einer kleinen Scheune aussteigen, fällt es mir auf: Es ist sein Blick, es ist dieses diebische Grinsen; da ist irgendetwas an ihm, das neu ist, das irgendwie nicht zu Tarek gehört, das mir vorkommt, als sei es wie ein Dschinn, wie ein schlechter Geist, der in ihn eingekehrt ist, und der von ihm Besitz ergriffen hat. Tarek grinst, kratzt sich an der Nase, dann blickt er mich an, mit diesem neuen, mit diesem unheimlichen, wahnsinnigen Blick.
»Alles klar bei dir, Mann?«, sagt er zu mir. »Glotzt mich aber heute ganz schön komisch an«, sagt er, dann lacht er, und ich lache mit.


8

Abu al-Chattab ist von der Medienabteilung des Kalifats, und da gibt es diesen einen Panzer, einen amerikanischen Abrams, den die Brüder voriges Jahr bei der Einnahme von Mossul erbeutet haben; Mann, war das eine Aktion: 300 Mudschahidin stürmen auf Mossul zu, und zwanzigtausend dieser schiitischen Feiglinge rennen Hals über Kopf aus der Stadt, und lassen uns all das Gerät da, all die Panzer, all die Gewehre und Raketen. Nur dumm, dass das Kalifat viel zu wenige Panzerfahrer hat, es dürften nur eine Handvoll sein, und die sind alle im Kampf, in Kobane und bei Homs; aber Abu al-Chattab will der Welt zeigen, dass wir eine schlagkräftige Armee sind, dass wir ’ne Menge Panzer haben, die wir auch fahren können – deswegen hat er mich dazu abkommandiert, dass ich herausfinde, wie man dieses verdammte Ding fährt, damit wir ein kleines Video drehen können, für das Internet, ich habe das ja drei Semester lang studiert, Maschinen. Einen Bruder sollte ich mir noch aussuchen, der das Geschütz steuert, und da in meiner Einheit kaum einer Englisch oder Deutsch spricht, ist mir auf die Schnelle kein anderer als Tarek eingefallen – der war am Anfang natürlich ganz schön angepisst, weil er hier weg von seiner Einheit ist; aber als ihm Abu al-Chattab gesagt hat, der Kalif höchstpersönlich hätte das angeordnet, und Allah, subhanahu wa ta’ala, würde ihm seine Verdienste hinter der Front hoch belohnen, da hat er sich damit abgefunden.


9

Zum Glück ist es wolkig. Bei bedecktem Wetter kommen keine Bomben, die Amerikaner sehen nichts durch die Wolkendecke hindurch, und so tief fliegen, dass sie etwas sehen könnten, trauen sich diese Feiglinge dann doch nicht.
Der Panzer steht in der Scheune, ’ne Menge Benzin-Kanister stehen daneben, genug, dass wir einmal nach Kobane und zurück fahren könnten.


10

Wir bekommen das mit dem Panzer nicht hin. Das Ding springt an, aber irgendetwas stimmt mit der Lenkung nicht, ich kann immer nur geradeaus fahren. Abu al-Chattab ist ganz schön verärgert. Er und zwei andere Brüder, die hier beim Panzer stationiert sind, wollen endlich filmen, draußen, in den Sanddünen, aber es geht nicht, wir kommen nicht mal aus der Scheune raus. Die Stimmung ist gereizt, Abu al-Chattab brüllt irgendetwas auf Bosnisch, das ich nicht verstehe, dann wirft er die Kamera durch die Gegend und stampft davon.

Später beten wir und essen wieder Fladenbrot mit Kiri-Käse, dazu gibt es für jeden eine Flasche Pepsi, die kriegt man hier trotz des Krieges an jeder Straßenecke. Als es dämmert, fahren wir zurück in die Stadt, ohne auch nur eine Minute gedreht zu haben. Niemand sagt ein Wort, bloß die Naschids, die islamischen, hypnotischen A-capella-Gesänge, schallen aus dem Autoradio.


11

Als wir zurück nach Mossul kommen, herrscht dort großes Treiben. Überall Leute, die Straßen sind voll mit Autos und Motorrädern, fast jeder Laden hat noch geöffnet; Eis, Kaffee, Nüsse, Rosinen und Trockenfrüchte gibt es zu kaufen. Das ist nicht ungewöhnlich für einen Tag wie heute, an dem die Wolken so dicht über uns hängen, dass die Leute keine Angst haben, auf die Straßen zu gehen; plötzlich bleiben wir im Verkehr stecken.
Eine aufgebrachte Menschentraube hat sich drei Autos vor uns gebildet. Abu al-Chattab steigt aus und läuft in Richtung der Menschentraube, und als er zwei Minuten später nicht wieder da ist, steigen auch Tarek und ich aus. Sofort sehe ich den Typen, der auf der Ladefläche des weißen Pick-Up-Vans inmitten der Menschenmasse steht: ein schwarzhaariger, dünner Kerl, in meinem Alter, mit zugeschwollenem, blaugeschlagenem Gesicht; seine Arme sind seitlich ausgestreckt und mit Kabelbindern an eine Holzlatte gebunden, und sein Blick ist müde nach unten gerichtet, auf seine Füße. Ein Kurde, ein YPG-Kämpfer, denke ich gleich. Auf dem Van stehen auch noch fünf, sechs andere Jungs, ganz in schwarz gekleidete Kämpfer, Mudschahidin , mit Sturmmasken und Kalaschnikows, die sie in die Luft strecken. Einer der Mudschahidin hat das Mikrofon in der Hand, er heizt die Menge an. Ich verstehe bloß einzelne Worte, Worte wie: »Kurde«, »Kobane«, »Abtrünniger«, »Allah«, »tot«, und »Allahu akbar!«
Die Menge pfeift und klatscht, immer wieder strecken sie ihren Zeigefinger in die Höhe – der islamische Gruß, der bedeutet, dass man nicht vergessen soll, dass dort oben jemand ist, im Himmel; viele Kinder und Halbstarke sind dabei, auch einige Alte, keine Frauen; manche sind eifriger und steigen auf die »Takbir!«-Rufe des Vorsprechers ganz energisch mit »Allahu akbar!«-Schreien ein und strecken immer wieder den Finger nach oben – andere sind verhaltener, skeptischer, stiller, aber niemand verlässt den Platz.
Auch ich brülle mit, auch ich strecke meinen Finger nach oben, in Richtung Himmel, in Richtung Gott.
»Komm«, sagt Tarek auf einmal zu mir, »lass’ weiter vorgehen!«
Wir quetschen uns durch die Menschenmasse, und als wir schließlich fast in der ersten Reihe stehen, blicke ich noch einmal hoch zu dem Kurden, der auf dem weißen Pick-Up steht, der ganz blass auf seine Füße starrt, dessen Arme an die Holzlatte gebunden sind, und hinter dem schon einer der Mudschahidin mit seinem Messer herumspielt. Ich blicke diesem Kurden ins Gesicht, noch mal und noch mal, und auf einmal kommt mir da etwas vertraut vor, auf einmal habe ich das Gefühl, diesen Kerl schon mal gesehen zu haben, irgendwann, irgendwo; ich denke noch weiter darüber nach, dann tippe ich Tarek auf die Schulter und sage: »Sag’ mal, ist das nicht Boran
Jetzt blickt auch Tarek dem Kurden ins Gesicht.
»Scheiße«, sagt er, »ja, das könnte er sein, oder?«
Wir gehen noch ein Stück vor, und jetzt sind wir uns ganz sicher: Ja, das ist er, Boran, der Kurde aus der Oberstufe, der Basketball-Star unserer Schule, der Frauenheld; eine dieser Figuren, von dem die Mädchen im Pausenhof schwärmen, und mit dem jeder Typ befreundet sein will. Tarek und ich können es nicht fassen. Boran. Hier. In Mossul.
Plötzlich steht Abu al-Chattab neben uns.
»Ihr ihn kennen?«, fragt er uns in brüchigem Englisch, und nickt in Richtung des weißen Vans. Wir nicken, dann versuchen wir ihm klarzumachen, dass wir auf der gleichen Schule gewesen waren und das alles. Abu al-Chattab ist plötzlich ganz aus dem Häuschen. Sofort rennt er zurück zum Toyota, und zwei Minuten später steht er auch schon wieder neben uns, mit der Kamera in den Händen. Dann geht er vor, zu den Jungs auf dem Pick-Up, spricht mit ihnen, hebt die Kamera hoch und deutet auf uns.
»You will kill him«, sagt Abu al-Chattab, als er wieder vor uns steht, und grinst breit dabei. »You will kill him and I will film it.«
Ich schlucke. Ja, klar, wir werden ihn töten. Wir müssen ihn töten. Als ich hierher gekommen bin, war mir klar, dass ich töten werde. Um all meine Brüder und Schwestern zu schützen, vor dem Schlächter Assad und dem Bombenteufel Amerika. Boran, dieser Kurde, hat sich gegen uns gestellt, und wer gegen uns ist, muss sterben.
Ich weiß nicht, wieso ich jetzt an den alten tunesischen Imam denken muss, der in meiner ersten Moschee in Mönchengladbach gepredigt hat, noch vor meiner Zeit bei Ibrahim Caftici. Ich weiß nicht, wieso ich jetzt an all die Streite denken muss, die wir jungen Konvertiten damals mit diesem alten, tunesischen Imam hatten: Wir wollten die besten Muslime sein, wir wollten leben wie der Prophet höchstpersönlich, und deswegen haben wir uns Tag für Tag mit ihm angelegt, mit dem Imam: wegen der Digitaluhr, die im Gebetsraum hing, die aber in unseren Augen unislamisch war, weil der Prophet unmöglich selbst eine Digitaluhr benutzt haben kann; und hätte Gott gewollt, dass wir Digitaluhren benutzen, hätte sie der Prophet doch benutzt – er hat es nicht getan, also will Gott auch nicht, dass wir es tun, so einfach ist das. Wir haben uns auch wegen dem Schaf gestritten, das einige Gemeindemitglieder zur Feier unserer Konvertierung schlachten wollten, weil das unserer Meinung nach Bid’a war, ein neuer religiöser Akt, der in den Überlieferungen über das Leben Mohammads nicht vorkomme; und wir wollten doch genauso leben wie Mohammad, weil wir darin die einzige Chance gesehen haben, vor Gott nichts falsch zu machen, und mit Sicherheit ins Paradies zu kommen – und letztendlich haben wir uns täglich mit dem Imam gestritten, haben ihn als Heuchler beschimpft, haben ihm vorgeworfen, dass er kein wahrer Muslim sei – also sind wir rausgeflogen, aus der Moschee. Irre hat uns der Imam genannt, Wahnsinnige und Ungebildete, und ein Großteil der Gemeinde stand auch noch hinter ihm, hinter diesem Murtad, hinter diesem Abtrünnigen.
Aber das ist jetzt egal – denn jetzt sind wir hier, in Mossul, und Abu al-Chattab steht vor uns, und der graue Himmel spannt sich über uns, und die schnaufende, schreiende und schwitzende Menschenmasse steht hinter uns, vor uns, neben uns, und Boran, der Basketballer, ist fünf Meter vor mir auf dem Pick-Up, und jetzt blickt er mich an, und er ist kreidebleich, und Tarek und ich sind nicht mehr Tarek und ich, wir sind Abu Nuh al-Almani und Abu Musa al-Almani, und Abu al-Chattab steht vor uns und sagt, dass wir Boran töten sollen, und dass wir davor auf Deutsch sagen sollen, dass wir ihn kennen, dass auch wir früher Deutsche gewesen wären, aber dass wir nun zum Islam gefunden hätten, und dass alle deutschen Muslime es uns gleich tun sollen, und jedem die Kehle durchschneiden sollen, der sich gegen das Kalifat, der sich gegen Allah, subhanahu wa ta’ala, stellt.

Meine Beine werden weich und zittrig, ich stehe wie versteinert da. Plötzlich wird mir speiübel – aber nein, ich muss, ich will kämpfen, ich will Gutes tun; auch der Prophet ist in den Krieg gezogen, auch der Prophet hat das Schwert gegen seine Feinde gerichtet.
Als mein Studium immer schlechter lief, als ich die ganzen Berichte über das Kalifat und die Hinrichtungen gesehen habe, da war mir klar, was auf mich zukommt; da war mir klar, dass ich erst töten werden müsse, um dann ein gottgerechtes Leben führen zu können, im Kalifat, im einzigen islamischen Staat. Doch wieso muss es jetzt Boran sein, den ich töten muss? Wieso muss es Boran sein – Boran, der Schülersprecher, Boran, der einer der Wenigen gewesen war, die sich für meinen Gebetsraum eingesetzt haben? Boran, der mich immer nett grüßte, wenn wir im Gang aneinander vorbeigelaufen sind? Boran, Boran ...
»Was ’n los mit dir?«, sagt Tarek plötzlich von der Seite zu mir, er lacht, dann klopft er mir auf die Schulter. »Auf geht’s!«, sagt er. »Wollen wir dieses Schwein mal schlachten, oder?«
Ich nicke, sage: »Ja, los geht’s«, und dann klettern wir auch schon rauf, auf den Pick-Up; vor mir Abu al-Chattab, der jetzt die Kamera auf das Stativ setzt und sie auf uns positioniert, vor mir die aufgebrachte, schnaufende Menschenmenge – die Mudschahidin heizen ihnen jetzt wieder ordentlich ein, »Takbir!«, schreien sie, »Allahu akbar!«, schallt es zurück, »Takbir!«, »Allahu akbar!«
Jetzt wird es plötzlich still. Abu al-Chattab nickt uns zu, dann fängt Tarek das Reden an: Was er genau sagt, bekomme ich nicht mit, so schwindelig ist mir. Ich beiße mir auf die Zunge, krampfe meine Fäuste zusammen; all die Menschen, sie starren uns an, und ihre Gesichter sind nicht voller Hass oder voller Zorn oder Neugier, ihre Gesichter kommen mir vor wie die von Besoffenen: aufgedunsen, müde, zerschunden, mit glasigem Blick.
Als Tarek fertiggeredet hat, schauen alle auf mich. Aber ich schaue bloß Boran an, und auch sein Gesicht ist aufgedunsen, müde und zerschunden; aber seine Augen sind so grün und so stechend, wie sie schon immer gewesen waren.
Dann schüttelt Boran auf einmal den Kopf, atmet tief ein und blickt auf die Menschenmasse vor uns – und plötzlich kommt diese Stimme aus ihm heraus, diese tiefe, kräftige, bebende Stimme: »Ihr Schweine!«, schreit er auf Deutsch, und die Leute blicken sich fragend an, sie verstehen es nicht. »Ihr dreckigen Hunde! Das verzeiht euch Allah nicht! Allah liebt die, die Gutes tun! Allah liebt die, die Frieden stiften! Und Allah hasst euch Schlächter! Er hasst euch, ihr dreckigen Sadisten! Ihr werdet schon noch sehen, mit wem Allah ist! Ihr werdet schon sehen, was er euch antun wird, ihr –«
Plötzlich versagt Boran die Stimme, ich höre ihn neben mir röcheln, und als ich mich umdrehe, sehe ich Tarek, wie er breit grinsend das Messer in der Hand hält, wie er Boran an den Haaren hält und den Schnitt langsam und sauber durch seine Kehle führt; dunkles, schwarzes Blut strömt aus der Wunde, dann läuft es Boran auch aus dem Mund, er hustet, spuckt es heraus, zappelt herum – dann wird Boran ruhig und still, sein Körper sackt in sich zusammen, seine grünen, stechenden Augen drehen sich in den Schädel. Die Menge tobt, sie strecken die Finger wieder nach oben und schreien: »Allah! Allahu akbar!«
Tarek brüllt: »Takbir!«, »Takbir!«, und dann grinst er bis unter beide Ohren und hält das blutige Messer in Siegerpose hoch. »Takbir!«, schreit er, »Takbir!« – und da ist es wieder, dieses Neue an Tarek: diese diebisch-strahlenden Augen, die selbstbewusste Körperhaltung, das Blut an seinen Händen, auf seinem Gewand. Tarek schreit und die Menge tobt.


12

Ich gebe zu, ich kenne nicht den ganzen Koran. Aber das meiste. Ich kenne die Suren, die das Töten erlauben, ich kenne die Aussprüche über den Dschihad, über den Heiligen Krieg. Ich bin hierher gekommen, um ein besseres Leben anzufangen, um Buße zu tun, um all die Sünden meines früheren Lebens wiedergutzumachen. Ibrahim Caftici hat damals, in der Hinterhof-Moschee in Mönchengladbach, immer gesagt: Eine Stunde Dschihad auf dem Schlachtfeld sind mehr wert als 60 Jahre in der Moschee. Ich glaube ihm. Ich will ihm glauben. Ich laufe hin und her, in der Wohnung. Ich bete, lange und intensiv, aber dieses Gefühl in mir, es verschwindet nicht, es wächst weiter an, bringt mich um den Verstand. Ich sehe Boran vor mir, wie er mich mit seinem blaugeprügelten Gesicht ansieht; und dann sehe ich Tarek, wie er grinsend den Schnitt ansetzt, wie das ganze Blut da herausläuft, wie Boran röchelt, hustet, und schließlich sein eigenes Blut auskotzt. Ich laufe hin und her. Ich will ein guter Mensch sein, ich will ein guter Muslim sein. Ich will leben, wie es mir der Prophet vorgelebt hat, in einer rein islamischen Gesellschaft, fernab jeder westlichen Verführung. Ich will die Menschen vor Assad schützen. Ich will die Menschen vor ihren Schlächtern schützen.
Tarek bekommt nichts von alldem mit. Er liegt schon wieder in seiner Decke gehüllt vor dem Fernseher und schläft. Immer und überall einschlafen zu können, das lernt man an der Front, hat Tarek noch zu mir gesagt.
Ich frage mich, was er noch alles gelernt hat, an der Front.


13

Es vergeht keine Stunde, da fallen auf einmal wieder Bomben – grelles Licht blitzt für den Bruchteil einer Sekunde durch die kaputten Fenster, bumm, bumm, die Einschläge sind so laut, dass sie mir bis ins Mark fahren, das ganze Haus fängt zu Beben an; auf einmal steht Tarek vor mir, ganz aufgebracht – er packt mich am Arm und schreit: »Los! Raus! Raus hier!«
Wir rennen die Treppen hinunter, das ganze Haus wackelt so sehr, dass es uns gegen die Wände wirft. »Raus! Raus!«, schreit Tarek, die Beleuchtung des Treppenhauses flackert, erlischt – schließlich rennen wir durch Dunkelheit, bloß die Blitze der Bomben erhellen kurz das Treppenhaus.
Als wir schließlich im Erdgeschoss stehen, zittere ich am ganzen Körper – bumm! bumm!, eine Bombe nach der anderen schlägt vor uns, neben uns, über uns ein; Helligkeit, Dunkelheit, dieser Lärm, ich verstehe nicht, was Tarek sagt, ich sehe bloß sein Gesicht, seinen Mund, der sich bewegt, die weit aufgerissenen Augen – dann kracht es direkt über uns, und das ganze Haus bebt so arg, dass ich sofort auf dem Boden liege – und, ich weiß nicht, wie das möglich ist; ich weiß nicht, wie das sein kann, dass ich plötzlich wieder seine Stimme höre: Aber zwischen all diesem Donnern und dem Blitzen und Beben kann ich ihn wieder hören: Boran, mit seiner tiefen, kräftigen Stimme: »Ihr werdet schon noch sehen!«, brüllt er, »ihr werdet schon sehen!«, brüllt er, »ihr werdet –«

 
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Lieber zigga,

nur kurz, weil ich noch auf Arbeit hocke und wider meiner Deadlines hier deinen Text verschlugen habe: Beeindruckende Geschichte. Ich kann ungefähr einschätzen, wie intensiv du dich mit der Thematik auseinandergesetzt hast, um das so schreiben zu können, wie du es getan hast. Sicher hast du auch das ein oder andere Video gesehen, dessen Bilder man nur wieder loswird, indem man sie sich von der Seele schreibt, wenn man gegen den Wahnsinn und die Finsternis anschreibt. Also Chapeau, Lob und Anerkennung. IMO eine Empfehlung wert.

Besten Gruß

Der Exilfranke

 

Hallo zigga,

eine spannende Geschichte hast du da geschrieben, konnte sie bis zum Schluss nicht aus der Hand legen. Anfangs, weil ich wissen wollte, was nun passiert, in diesem brandaktuellen Setting, und später dann, um zu wissen, wie es ausgeht.

Allerdings gibt es auch ein paar Kritikpunkte, die ich anbringen möchte.

Zum einen ist da der Schluss: das wirkt irgendwie unfertig, halbgar. Sie werden wieder bombardiert. Überleben sie es? Gibt es einen Konflikt zwischen den beiden, weil Tarek sich offensichtlich mehr radikalisiert hat als der Erzähler? Hier bleibt mir zu viel offen.

Zum anderen ist es merkwürdig, dass sie Boran treffen, ihren alten Schulkameraden. Das ist einfach zu viel Zufall, das wirkt konstruiert. Ich denke, die Geschichte würde auch funktionieren, wenn da anstatt Schulkamerad Boran irgendein unbekannter Deutscher stehen würde.

Bei der Hinrichtungsszene geht es mir auch ein wenig zu schnell. Der eine Abu meint, dass er mal schnell die Kamera holt und schon ist klar, dass unsere beides Protagonisten ran dürfen. Wäre das in Wirklichkeit so einfach? Würden nicht die, die Boran gefangen haben, auch diejenigen sein wollen, die ihn töten? Müsste es da nicht ein paar handfeste Diskussionen geben? Wie gesagt, irgendwie läuft das zu glatt.

Der übermäßige Gebrauch von Strich- und Doppelpunkten stört ein wenig, finde ich.


Nichts mehr übrig von dem schüchternen, blassen Jungen, der neben mir in der Schule in Schweiß ausgebrochen ist, wenn ihn die Lehrerin aufgerufen hat;
Ich denke, es heißt "ihm bricht der Schweiß aus" und nicht "er bricht in Schweiß aus".

Ich rieche den schwarzen Dunst des Feuers, ich höre die Schreie der weißhaarigen Irakis, der aufgebrachten Frauen – diese tiefen, verbitterten Schreie, ich spüre die Hitze auf meinem Gesicht liegen.
Tiefe Schreie von Frauen? Wenn ich aufgebrachte arabische Frauen in den Nachrichten sehen, dann schreien die mit sehr schrillen hohen Stimmen ...

Sehr flüssig und spannend geschrieben. Gerne gelesen.

 
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Lieber zigga,
ich weiß es aus anderen Gründen, was es bedeutet, solch eine Geschichte zu schreiben. Wieviel Recherche es bedeutet, wieviel Arbeit, Energie und Fantasie es braucht, sich in die Charaktere hineinzuversetzen, wieviel Mut auch, sich überhaupt in ein solches setting hineinzubegeben.
Ich finde, du hast das wahnsinnig gut gemacht. Diese Geschichte zeigt, wie aus ganz normalen jungen Männern fanatische Gegner werden, die sich gegenseitig töten, du zeigst diese jungen Männer nicht klischeebelastet, sondern näherst dich ihnen ernsthaft und mit Glaubwürdigkeit.
Hut ab vor dieser Geschichte.
Viele Grüße von Novak

PS: Klar, ein paar Sachen hätte ich auch, ein paar hat mein Vorredner schon aufgelistet, zum Beispiel das mit dem Schweiß, aber zu solchen Details kann man ja noch kommen.
Mir ging es hier um die große Linie, und die hast du einfach großartig angelegt.

Und noch ein PS: Ich will gleich mal sagen, dass ich deine Geschichte eben empfohlen habe. Ich hoffe, ich hab nicht allzu viele Tippfehler reingehauen, so begeistert bin ich immer noch.

 
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Moin zigga,

deine erschütternde Geschichte hat die Empfehlung verdient.

Wie Exilfranke und Novak bin auch ich mir sicher, dass du viel Zeit und Recherche in dieses Werk gesteckt hast. Hat sich definitiv gelohnt und du hast m.E. genau die richtige Mischung aus Information und Emotion gefunden. Da gab es nichts, das ich überspringen wollte, was ein sehr gutes Zeichen ist.

Trotzdem ein kleines Aber:

Nichts mehr übrig von dem schüchternen, blassen Jungen, der neben mir in der Schule in Schweiß ausgebrochen ist, wenn ihn die Lehrerin aufgerufen hat; nichts mehr übrig von dem Counterstrike-Zocker, dem Kiffer, der sich bei jeder Gelegenheit über seinen Vater aufregt, wenn der ihm mal wieder ’ne Standpauke gehalten hat, wenn der ihm mal wieder gesagt hat, dass er doch endlich mal sein Leben auf die Reihe kriegen soll, dass er sich ’ne ordentliche Ausbildung suchen soll und das alles.
Wie gesagt, toll recherchiert, aber die zitierte Stelle, die den früheren Tarek beschreibt, ist mir zu klischeebehaftet. Counterstrike, Kiffen und arbeitslos - das könnte aus einem Taff Bericht stammen. Leider passt dieses Klischee ja tatsächlich zu vielen radikalen Konvertiten, aber ich hätte mir da etwas mehr Hintergrund gewünscht.
Später schreibst du:
zur Feier unserer Konvertierung
Tarek ist ein arabischer / islamischer Name. Ist nur der Erzähler konvertiert, oder was hat es damit auf sich?

in dieser Hinterhof-Moschee in Mönchengladbach
Mit "dieser Hinterhof-Moschee" habe ich ein Problem. Das klingt für meinen Geschmack viel zu unbedeutend. Immerhin war diese Moschee der Wende- und eine Zeit lang auch der Mittelpunkt im Leben der beiden.

und dann zitiert er einen Koranverse auf Arabisch
einen Koranvers

Das war's auch schon. Sehr gerne gelesen.

PS: Ich hab die beiden schon tot gesehen, als sie versucht haben, den Panzer in Gang zu kriegen. Wer weiß, was da gefilmt werden sollte ... Den Schluss finde ich im Gegensatz zu HSB übrigens sehr einleuchtend.

Liebe Grüße,
JackOve

 

Guten Abend ihr alle,

freut mich natürlich total, dass der Text so gut ankommt! Ähnlich wie Exilfranke habe ich auch eine Deadline bis morgen, die ich leider nicht kicken kann ... Ich antworte euch gleich morgen, in aller Frische sozusagen, und mit dem Kopf frei! Danke euch allen schon mal! :)

 

Hallo zigga,

das ist eine der stärksten Geschichten, die ich seit langem hier gelesen habe.

Dass ich den Wandel des Protagonisten zum fanatischen IS-Kämpfer nicht nachvollziehen kann, ist kein Makel an der Geschichte. Zu viele ähnliche Beschreibungen der Wandlungen von frischen Konvertiten habe ich gesehen, als dass ich das anzweifeln würde. Aber verstehen, das kann ich es nicht.

Gut, wie du in kurzen Szenen und Flashbacks das Gedankengut und die Konflikte des Protagonisten darlegst. Und die Schilderungen derer, die unter den Bombardements leiden und nicht entkommen können.

Ich stimme HSB zu, dass das Wiedersehen von Boran konstruiert wirkt, aber ich finde es nicht schlimm - Zufälle soll es ja geben. Andererseits bin ich der Ansicht, ein zufälliges anderes Opfer hätte nicht die gleiche Wirkung erzielt.

Wenn ich ein paar kleine Kritikpunkte habe, dann würde ich mir wünschen, dass ein bisschen mehr auf den Alltag des Protagonisten eingegangen wird. Was hat er z.B. getan in den zwei Wochen, in denen er von Tarek getrennt war? Sollte er nicht auch an die Front? Da habe ich irgendwie das Gefühl, dass der Protagonist zwei Wochen lang Däumchen gedreht hat, während Tarek an der Front war, und das nur, um Tareks Wandlung zu unterstreichen. Hier verschenkst du m.E. Potenzial, um das Leben unter der IS-Herrschaft darzulegen.

Erst nach dem Lesen ist mir der Punkt mit Tareks sich auflösendem Stottern aufgefallen. Das ist mMn etwas zu subtil geraten. Vielleicht sollte es dem Protagonisten auch auffallen.

Noch zwei Kleinigkeiten:

Abu al-Chattab ist von der Medienabteilungs des Kalifats

Als ich hier her gekommen bin
Ich bin hier her gekommen
hierher

Gruß
Hopper

 

Hallo zigga,

ich finde es bewundernswert, dass du dich an diese Thematik rangetraut hast, wirklich, Respekt! Und du hast es m.M.n. gut umgesetzt, man merkt, dass da ne Menge Arbeit drinsteckt.

Deine Geschichte hat mich sofort mitgezogen. Schon allein deswegen, weil es für mich ein unbekanntes Setting ist, das mich neugierig gemacht hat.
Und die Spannung hältst du. Durch die vielen Zeit- und Ortswechsel kommt es zu keinen Längen, es hat was von einem Thriller - es passiert viel auf engstem Raum. Hast du gut gemacht!

Besonders beeindruckt hat mich die Szene, in denen du die Bombeneinschläge schilderst. Vielleicht liegt es auch daran, dass mich so etwas generell immer mitnimmt, aber die Stelle hat mich berührt und beklommen gemacht.

Dunkelheit, dieser Lärm, ich verstehe nicht, was Tarek sagt, ich sehe bloß sein Gesicht, seinen Mund, der sich bewegt, die weit aufgerissenen Augen – dann kracht es direkt über uns, und das ganze Haus bebt so arg, dass ich sofort auf dem Boden liege – und, ich weiß nicht, wie das möglich ist; ich weiß nicht, wie das sein kann, dass ich plötzlich wieder seine Stimme höre: Aber zwischen all diesem Donnern und dem Blitzen und Beben kann ich ihn wieder hören: Boran, mit seiner tiefen, kräftigen Stimme: »Ihr werdet schon noch sehen!«, brüllt er, »ihr werdet schon sehen!«, brüllt er, »ihr werdet –«
Den Schluss find ich richtig stark. Ich hatte das Gefühl, ich werde aus der Geschichte genau so abrupt wieder rausgeworfen, wie sie mich reingezogen hat. (Weiß nicht, wie ichs besser formulieren soll ;) )
Es passt auch für mich, dass es ein offener Schluss ist.

Mein einziger Kritikpunkt betrifft die Sache mit Boran. Das wirkte auf mich zu unrealistisch, dass sie ausgerechnet jemanden aus ihrer alten Schule dort treffen und dass sie ausgerechnet ihn töten müssen. Ich frage mich auch, ob das nötig gewesen wäre. Mit eigenen Händen einen Menschen zu töten, zum ersten Mal - ist dieser Moment nicht für sich schon furchterregend genug? Muss es unbedingt ein bekannter Mensch sein? Oder vielleicht hätte es ausgereicht, dass es nur ein bestimmtes Merkmal an ihm gibt, ein bestimmter Blick, eine Körperhaltung, die ihn an einen ihm bekannten Menschen erinnert und deswegen zweifeln lässt? Das wäre für mich realistischer gewesen.

Ansonsten noch ein paar Kleinigkeiten:

Wieso sonst hat der Direktor Tarek und mir in der Oberstufe keinen Gebetsraum gegeben? Wieso sonst wurde Tarek gleich mit von der Schule verwiesen, obwohl es bloß ich gewesen war, der jeden Tag um 12 Uhr seinen Gebetsteppich im Klassezimmer ausgebreitet hat? (...)
Diese vielen Fragen waren mir hier fast einen Tick zu ... hm, plakativ? Bin da aber selbst hin- und hergerissen. Irgendwie passt das Plakative auch.

Als wir im Ort ankommen und vor einer kleinen Scheune aussteigen, fällt es mir auf: Es ist sein Blick, es ist dieses diebische Grinsen;
Hier fällt ihm auf, dass Tarek plötzlich dieses "diebische Grinsen" hat.
Allerdings beschreibst du dieses Grinsen ja schon im ersten Abschnitt:
D-Die A-Amerik-kaner«, sagt Tarek wieder, deutet auf den Fernseher und beginnt dabei, diebisch zu grinsen
Da war ich zeitlich kurz verwirrt - liegen jetzt zwischen dem ersten Abschnitt und diesem hier die vier Wochen? Oder findet das alles nach den vier Wochen statt? Ist mir nicht ganz klar geworden. Oder hab ich was überlesen?

Insgesamt ein wirklich toller Text!

Liebe Grüße,
Tintenfisch

P.S. Hab die anderen Kommentare nur überflogen - kann also sein, dass sich was wiederholt.

 
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Hallo zigga,

um mal ein bisschen Wasser in den Wein zu gießen: Ich habe so ein paar Probleme mit diesem Text. Er wirkt mir insgesamt ein bisschen zu künstlich. Es haben schon etliche Kommentatoren gelobt, wie umfassend du recherchiert haben musst. Und dem kann ich mich nur anschließen, das ist wirklich beeindruckend. Mein Problem: Das merkt man dem Text total an.

Vor allem in der ersten Hälfte fühlte ich mich ein bisschen in einer Nummernrevue, in der die typischen Gründe, warum und wie sich jemand so radikalisiert, der Reihe nach abgehandelt werden: vermeintliche Benachteiligung in der Schule, Indoktrination durch einen einschlägigen Imam (natürlich in Mönchengladbach), Einmärsche des Westens in muslimische Länder, unethische Kampfmethoden der Amis. Das wirkt auf mich konstruiert. Da ist nichts Persönliches drin, was den Erzähler (oder auch Tarek) und seinen Weg in die Radikalität individuell macht. Was hat er denn wirklich selbst, persönlich erlebt, das ihn geprägt hat? Was hat er dabei gefühlt? Das erfahre ich nicht.

Auch das Leben im Kriegsgebiet macht auf mich ein wenig den Eindruck, als hättest du deine Rechercheliste abgehakt: Deutsche Ingenieure begehrt - check. Nächte im Bombenhagel - check. Panzer von den Amis erbeutet und nicht flottgekriegt - check. Homs und Kobane erwähnt - check. Propagandaabteilung des IS - check. Hopper hat nach dem Alltag des Prot gefragt. Der hätte mich auch interessiert - nicht, weil ich ihn per se für spannend halte, sondern weil das die Gelegenheit geliefert hätte, mehr Individualität in die Person zu bringen. So ist es mir ein bisschen zu viel Infodump.

Seltsamerweise ist es genau die Szene, die in den anderen Komms am meisten kritisiert wurde, die mich wieder (oder erstmals so richtig) in die Geschichte hineinzieht. Ich ertappe mich schon ein bisschen beim Überfliegen, als der gefangene Kurde Boran ins Spiel kommt, und auf einmal packt es mich. Klar, dieses Wiedersehen ist höchst unwahrscheinlich. Aber es löst endlich die Gefühle im Erzähler aus, die ich vorher vermisst habe. Da werden auch einmal Zweifel sichtbar, die zuvor höchstens gaaanz schwach angedeutet waren, sich vielleicht am ehesten im Kontrast zu Tarek vorsichtig gezeigt haben. Sicher war diese Szene auch als Höhe- und Wendepunkt angelegt, auf den die restliche Geschichte erst mal hinarbeiten musste. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, vorher schon mehr von dem Innenleben des Prot zu erkennen, das du hier plötzlich offenlegst.

Und falls es Konsens ist, dass das Wiedersehen mit dem alten Schulkameraden zu konstruiert ist: Vielleicht würde die Szene ja auch funktionieren, wenn es nicht Boran, sondern irgendein namenloser Kurde wäre? Der Prot könnte ja trotzdem erstmals mit einem realen Tötungsauftrag konfrontiert sein und dabei erkennen, dass die "anderen" auch Menschen und vielleicht sogar gute Muslime sind? Geht das wirklich nur, weil sein Opfer ihm persönlich bekannt ist? Vielleicht wäre es sogar stärker, wenn das nicht nötig wäre. Nur mal so als Idee.

Bei aller Kritik: Das ist immer noch ein starkes Stück Text. Vielleicht kriegst du es ja hin, den ersten Teil etwas organischer zu machen. Aus meiner Sicht könntest du gern auf das eine oder andere Stück Hintergrundinformation verzichten, man kennt ja eh vieles aus den Medien. Und dafür eben mehr Individuelles aus dem (Innen-)Leben des Prot. Dann könnte m.E. aus einem guten Text ein hervorragender werden.

Ach ja, und vielleicht noch die diversen Tippfehler rauslesen ... ;)

Auch wenn es vielleicht nicht den Eindruck gemacht hat: Gern gelesen!

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Zigga,

ich finde, das ist einer Deiner besten Texte – aktuelles, hochbrisantes Thema, spannende Story, überzeugende Kulisse, nachdenklich stimmender Subtext, handwerklich sauber geschrieben. Gefällt mir alles sehr gut.

Der Erzähler weist in seiner Kritik des Westens auf Phänomene hin, die sich zusammengefasst als Dekadenz beschreiben lassen. Und obwohl ich kein Muslim bin, stimme ich dieser Kritik zu: Es gibt ein Problem mit dem westlichen Freiheitsbegriff, mit Konsumismus, mit Übersexualisierung, mit Rassismus, Gier und religiösem Dünkel. Die westlichen Gesellschaften haben bislang keine zukunftsfähige Perspektive erarbeitet, insbesondere, was die Themen der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Verantwortung betrifft. Und das Paradigma, das einer zukunftsfähigen Perspektive im Wege steht - das Gift in den Köpfen der Menschen, um es mal drastisch auszudrücken - wird bislang von kaum jemandem infrage gestellt: Es ist die Wahnvorstellung von unbegrenztem wirtschaftlichen Wachstum, das den Westen und die ganze Welt ruinieren wird.

Also auf der philosophischen Ebene stimme ich den Gedanken des Protagonisten in diesen Punkten zu, finde aber trotzdem, dass Holg nicht ganz unrecht hat, wenn er auf den Mangel an persönlichen Bezügen hinweist. Für mich klingt der Erzähler innerhalb seiner Weltsicht zwar recht rational, aber bis auf die ein, zwei Schulerlebnisse (Gebet im Klassenzimmer) konnte ich nicht viel persönliche Motivation finden.

Dieses Thema der Motivation von Dschihadisten lässt auch Experten ein wenig ratlos zurück. Ich denke, schlüssig erklären lässt sich das mit den Mittel von Literatur und Film nur dann, wenn man tief in die Seele einer Figur blickt und sie bei den einzelnen Phasen ihrer Radikalisierung begleitet. Von einem Rebellen auf dem Schulhof bis zu dem IS-Henker, der einem Menschen die Kehle durchschneidet, ist es innerlich ein ziemlich weiter Weg. Details können entscheidend sein. Lässt man die weg, wirkt die Karriere eines Extremisten wahrscheinlich immer bizarr.

Ich habe mich daran allerdings nicht sonderlich gestoßen, weil ich die Aufgabe dieser Kurzgeschichte nicht darin gesehen habe, mir die Motivationen eines Dschihadisten zu erklären.

Abu al-Chattab ist von der Medienabteilungs des Kalifats, und da gibt es diesen einen Panzer, einen amerikanischen Abrams, den die Brüder voriges Jahr bei der Einnahme von Mossul erbeutet haben; Mann, war das eine Aktion: 300 Mudschahedijn stürmen auf Mossul zu, und zwanzigtausend dieser schiitischen Feiglinge rennen Hals über Kopf aus der Stadt, und lassen uns all das Gerät da, all die Panzer, all die Gewehre und Raketen.

Ich kenne die Zahlen ein bisschen anders: 25.000 Polizisten und Soldaten sind davongelaufen, vor anfangs 1000, am letzten Tag (der dreitägigen Kämpfe) maximal 2000 IS-Kämpfern. Quelle: Christoph Reuter, Die schwarze Macht

In den ersten beiden Wochen haben wir den Koran gelesen, in den letzten beiden gelernt, wie man schießt, wie man kämpft – hauptsächlich an »der Russischen«, an der Kalaschnikow: wie man sie auseinander- und zusammenbaut, wie man mit ihr auf hundertfünfzig Meter Entfernung einem Mann das Gehirn aus dem Schädel schießt ...

Innerhalb von zwei Wochen zu lernen, wie man mit einem Sturmgewehr aus 150 Metern einen Kopftreffer erzielt, halte ich für sehr ambitioniert. Ich habe mit der AK47 geschossen, ebenso mit dem G3, dem G36 und dem M4. Das sind keine Jagdgewehre, Zigga. Die sind als Standardwaffen der Infanterie nicht für Präzisionsschüsse ausgelegt, obwohl solche Treffer mit Glas, Zweibein und entsprechender Ausbildung durchaus möglich sind. Ich bezweifle, ehrlich gesagt, dass die meisten Leute da, eine Melone auf 100 Meter Entfernung treffen würden. Also wenn es denn schon ein Kopftreffer sein muss, würde ich 50 Meter oder 80 Meter sagen, obwohl das zugegebenermaßen nicht sonderlich eindrucksvoll klingt. Ist vielleicht auch nicht wichtig.

Plötzlich versagt Boran die Stimme, ich höre ihn neben mir röcheln, und als ich mich umdrehe, sehe ich Tarek, wie er breit grinsend das Messer in der Hand hält, wie er Boran an den Haaren hält und den Schnitt langsam und sauber durch seine Kehle führt; dunkles, schwarzes Blut strömt aus der Wunde, dann läuft es Boran auch aus dem Mund, er hustet, spuckt es heraus, zappelt herum – dann wird Boran ruhig und still, seine Körperhaltung sackt in sich zusammen, seine grünen, stechenden Augen drehen sich in den Schädel.

Diese Szene stellt das Ganze ein bisschen so dar, als würde es bei diesen Hinrichtungen um das Durchschneiden der Kehle gehen. Der psychologisch aufschlussreiche und bei Weitem unheimlichere Aspekt ist allerdings die Enthauptung. Das heißt, der Henker durchtrennt nicht nur die Gefäße und Sehnen und Muskeln des Halses, sondern auch die Wirbel der Halswirbelsäule. Das erfordert einiges an Übung und kann filmtechnisch schnell zum Debakel werden. Diese grausamen Details lässt Deine Geschichte weg, woraus man den Vorwurf ableiten könnte, dass die Szene einer ästhetisierenden Retusche bzw. Zensur unterzogen wurde. Ist aber vielleicht nur ein Nebenschauplatz.

Als wir im Ort ankommen und vor einer kleinen Scheune aussteigen, fällt es mir auf: Es ist sein Blick, es ist dieses diebische Grinsen; da ist irgendetwas an ihm, das neu ist, das irgendwie nicht zu Tarek gehört, das mir vorkommt, als sei es wie ein Dschinn, wie ein schlechter Geist, der in ihn eingekehrt ist, und der von ihm Besitz ergriffen hat.

Das hat mir sehr gefallen. Bei politisch oder religiös indoktrinierten Menschen fällt diese dämonisch-dümmliche Selbstgewissheit auf, dieser Wahn, im Besitz eines höheren Wissens zu sein, was dann auch rechtfertigt, Dinge zu tun, vor denen jeder vernünftige Mensch zurückschreckt. Ich finde dieses Grinsen besonders beunruhigend, denn es symbolisiert, dass der Täter seine Empfindungslage um 180 Grad gedreht hat – er genießt es, Dinge zu tun, die ihn eigentlich mit Abscheu erfüllen müssten. Vor solchen Menschen, denen der empfindungsmäßige Kompass verloren gegangen ist, muss man sich in Acht nehmen.

Ich denke, hier erkennt man auch einen charakteristischen Unterschied zum Lächeln des Weisen. Der Weise lacht, weil er das Mysterium des Lebens, die letztliche Ungewissheit allen Tuns und Strebens vollkommen akzeptiert hat. Der Fanatiker lacht, weil er meint, er hätte das Rätsel der Welt entschlüsselt.

Zigga, tolle Geschichte, gern gelesen.

Gruß Achillus

 
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lieber Peeperkorn und blöde Novak, du hasts ja voll drauf, süße, supersexy, säuselnde maria.meerhaba :D
Ich wusste es doch, die Frauenbewegung ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Ach, was waren das noch für Zeiten, als Sigrid Rüger mit Tomaten nach Hans Jürgen Krahl schmiss.

Nichts direkt zum Text, aber einfach, weil es mich inhaltlich hat nachdenken lassen, Achillus

Bei politisch oder religiös indoktrinierten Menschen fällt diese dämonisch-dümmliche Selbstgewissheit auf, dieser Wahn, im Besitz eines höheren Wissens zu sein, was dann auch rechtfertigt, Dinge zu tun, vor denen jeder vernünftige Mensch zurückschreckt. Ich finde dieses Grinsen besonders beunruhigend, denn es symbolisiert, dass der Täter seine Empfindungslage um 180 Grad gedreht hat – er genießt es, Dinge zu tun, die ihn eigentlich mit Abscheu erfüllen müssten. Vor solchen Menschen, denen der empfindungsmäßige Kompass verloren gegangen ist, muss man sich in Acht nehmen.
Ja, das sehe ich auch so.

Von einem Rebellen auf dem Schulhof bis zu dem IS-Henker, der einem Menschen die Kehle durchschneidet, ist es innerlich ein ziemlich weiter Weg. Details können entscheidend sein. Lässt man die weg, wirkt die Karriere eines Extremisten wahrscheinlich immer bizarr.
Mal davon abgesehen, dass ziggas Geschichte ja, wie du auch schreibst, einen anderen Schwerpunkt hat, als diese Wandlung eins zu eins nachzuvollziehen, es stimmt, diese Wandlung ist ein ziemlich weiter Weg.
Manchmal frage ich mich, das ist vielleicht ein sehr ketzerischer Gedanke, ob dieser weite Weg nicht genauso lang oder kurz ist wie der, überhaupt als Soldat in einen Krieg zu ziehen. Auch in anderen Gesellschaften. Was IS tut, ist barbarisch. Aber auch in den USA oder in Europa müssen Soldaten "lernen", Dinge zu tun, die die den normalen Menschen sicherlich mit Abscheu erfüllen. Dass das "Kriegshandwerk" der Unsrigen sachlicher und vernünftiger scheint und auch so besprochen wird, das liegt vielleicht auch daran, dass es die Unsrigen sind? Und dieses Tun einem rechtmäßig scheint?
Zu jedem Krieg, auch zu denen, die hier geführt werden, gehört Verrohung dazu und ein Feindbild, eine Verzerrung des Gegners ins Unrechtmäßige, und wenn so ein Feindbild erst mal da ist, dann tötet es sich mit gleich viel mehr gutem Recht. Das klingt zynisch, wenn ich das so sage, aber ich meine, da ist was dran.
Ziggas Geschichte gefiel mir auch aus dem Grund, weil er eben auch die Last dieses Krieges zeigt, z. B. für die von den USA bombardierten Gebiete. Auch das trägt zur Radikalisierung bei. Und so wird der Konflikt der beiden/der drei ehemaligen Schulfreunde vielfältiger und vielschichtiger gezeigt. Und das ist es, was mir an Literatur gefällt, wenn sie es sich gönnt, die Perspektive ertwas zu erweitern.

 

Hallo zigga,

es fällt mir schwer, deine Geschichte unter ästhetischen Gesichtpunkten zu beurteilen, das ist angesichts der medialen Berichterstattung, finde ich, sehr schwierig. Es hat hier auch schon die eine oder andere Geschichte über Menschen auf der Flucht gegeben. Auch hier speist sich die Betroffenheit bei mir in erster Linie aus dem, was ich aus den Medien erfahre.
Wann setzt die Radikalisierung ein, wodurch wird sie in Ländern wie Deutschland virulent? Es sind ja nicht immer prekäre Umstände. Dein Ich- Erzähler hat als Student durchaus gesellschaftliche Privilegien gehabt. Tarek wiederum muss sich von seinem Vater nur das anhören, was auch nichtmuslimische Jugendliche, wenn sie von der Schule fliegen, sich zuhause anhören müssen.

Eine Schlüsselstelle im Text ist die Geschichte mit dem Gebetsraum in der Schule. Ist Tarek ein Opfer des Schulleiters, weil er Muslim ist? Goran, der Kurde, ebenfalls Muslim, ist an dieser Schule immerhin Schülersprecher.

Ein solcher Konflikt, im Detail dargestellt, wäre vielleicht geeignet, die Radikalisierung der beiden Protagonisten noch deutlicher zu machen, aber auch die Unterschiede.

Wir sind, gerade was die Schulen angeht, zu lange blauäugig und/oder arrogant gewesen Mir selbst ist in Erinnerung (vor zehn Jahren und länger) dass meine muslimischen Schüler/innen sehr schnell gekränkt waren und sich abgewertet fühlten. Mehr Sensibilität wäre gut gewesen.

Lieber zigga, es ist dir hoch anzurechnen, dass du diese Thematk aufgreifst. Du wirst vielleicht (außerhalb des Forums) nicht nur Beifall finden oder Beifall von Leuten, den du gar nicht willst.

Danke für diesen Text

Freundliche Grüße
wieselmaus


.

 
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Hi, zigga,

mir sind einige Stellen in diesem guten Text besonders aufgefallen, aus verschiedenen Gründen. als sie Boran treffen, den Kurden und ehemaligen MItschüler: da steckt einiges drin, das über die Situation hinausgeht. dass zwei Menschen wegen des Zufalls von Geburt oder Sozialisation zu Todfeinden werden, die im anderen gesellschaftlichen Kontext friedlich nebeneinander oder miteinander leben könnten. in Deutschland haben wir öfter die umgekehrte Situation: dass bspw hier geborene Kurden und Muslime einander an den Kragen gehen, weil in ihren arabischen Herkunftsländern gerade wieder eine Krise oder kriegerische Auseinandersetzung ist. im Winter '14 sind vor meiner Haustür, am Steindamm in Hamburg, mehrere Hundert Kurden und Al-Kaida-Sympathisanten mit Dönerspießen und Messern aufeinander losgegangen, fast 20 Schwerverletzte. in deiner Geschichte ist es jetzt etwas anders, aber dieses Phänomen, dass auch arme Menschen heutzutage relativ leicht Grenzen überqueren und woanders in den Krieg ziehen können, wo sie dann mitunter auf Menschen treffen, mit denen sie hätten aufwachsen und später vllt zusammenarbeiten können, wenn das Leben anders gespielt hätte: dieses Phänomen zu thematisieren ist intressant und gibt auch dramaturgisch einiges her.
ein anderer Aspekt der mir unterwegs auffiel, ist die Erinnerung an den Iman, den dein Protagonist in der Erinnerung herabwürdigte, weil er nicht gottgefällig lebe. da schwingt die Sehnsucht nach Radikalität mit, der Wunsch nach Klarheit und Stärke. aber auch die Vermessenheit von Menschen, die meinen, alles besser zu wissen. die Gefährlichkeit der Idee, allein im Besitz der reinen Lehre zu sein. wenn wir noch etwas mehr über die Herkunft der beiden Kriegstouristen erführen, könnte das Bild vervollständigt werden. du beschreibst ja den Moment, wo dem Erzähler auffällt, dass sich etwas an seinem Freund verändert habe. ich erinnere mich an diebisches Grinsen, aber auch ein neues Selbstbewusstsein, eine neue Haltung. das könnte mit dem Bild junger Männer harmonieren, die in Deutschland abgehängt waren oder sich so fühlten. sie haben den Eindruck, in Deutschland nichts werden zu können, nur vor sich hinzuvegetieren, wenn sie hierzulande nach den Regeln spielen. haben vielleicht weder das entsprechende kulturelle noch soziale Kapital, das so wichtig ist, wenn man hier wenigstens im MIttelstand vernünftig leben will. aber wenn sie in den Krieg ziehen, verändert sich ihr Status automatisch, sie steigen auf und sind auf einmal wer. ihre Herkunftskultur, die sie in Deutschland mglw als Makel empfanden, wird zu einer Eintrittskarte. Kriegszeiten ermöglichen rasante Aufstiege. man kann in sehr kurzer Zeit sehr viel gewinnen. wie schwierig wäre ein Aufstieg für die beiden in Deutschland gewesen? das wäre eine Möglichkeit, dem Text durch ein paar Striche zusätzliche Dimensionen zu geben, auch noch mehr Tiefe, ohne dass er dadurch weniger stringent sein müsste.

wobei der Text auch jetzt bereits die nötige Tiefe hat. er ist spannend und lädt zum MItlesen ein - diese Lesemotivation hielt auch die gesamte Zeit an, ich habe hier keine Hänger gespürt. die Wechsel der Szenerien, die Erinnerungen, die absurde Situation mit dem Panzer, das Treffen mit dem Kurden; hier passiert sehr viel, ein bunter Strauß von Szenen. fühlt sich echt an, diesen Eindruck hast du gut simuliert. als Zutat könnte die Geschichte noch mehr Schweiß, Blut und Scheiße vertragen. ist mir insgesamt etwas zu sauber runter-erzählt, erinnert mich stellenweise an die von den Protagonisten gehasste amerikanische Erzählkultur. Krieg als real-life-entertainment. ist natürlich ein spannendes Setting für eine Geschichte und du hast das hier gut umgesetzt. jedes Thema ist legtitim für die Produktion von Kunst.

ich muss gleich aufhören. es gibt noch einige wenige Textstellen, wo ich alternative Formulierungen vorschlagen will. die werden bei Gelegenheit nachgereicht.

ich kenne Syrer und Kurden, einige sehr gut. mit manchen habe ich studiert, andere lernte ich während der Flüchtlingshilfe in Hamburg und Schwerin kennen. dabei habe ich viele Geschichten gehört, aus denen gute Geschichten werden könnten. ich weiß nicht genau, was mich davon abhält, aber bisher war das für mich undenkbar. wobei Geschichten von Flucht und Überleben noch naheliegender wären, als diese (inhaltlich) abgefahrene Geschichte. die hätte auch Thema einer Reportage sein können. sie ist aufmerksamkeitsheischend, hat die Aufmerksamkeit aber auch verdient. wenn die Erzählung in ihren Outlines so gut recherchiert ist, wie sie sich anfühlt, wirft sie auch ein Schlaglicht auf bestimmte Typen und Situationen und außer dem spannenden Lese-Erlebnis kann man auch was über ein wichtiges Thema unserer Zeit lernen. Glückwunsch.

Grüße,
Kubus

 
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Hi Exilfranke,

danke dir erst mal fürs Lesen und Kommentieren, ich habe mich sehr gefreut.

Ich kann ungefähr einschätzen, wie intensiv du dich mit der Thematik auseinandergesetzt hast, um das so schreiben zu können, wie du es getan hast. Sicher hast du auch das ein oder andere Video gesehen, dessen Bilder man nur wieder loswird, indem man sie sich von der Seele schreibt, wenn man gegen den Wahnsinn und die Finsternis anschreibt.

Ja, ich habe echt eine ganze Ecke für diese Story recherchiert. Ich möchte mich aber gar nicht darüber beschweren, ich finde, egal, über was man schreibt, als Autor steht man immer in der Pflicht, ordentlich über sein Sujet Bescheid zu wissen. Gerade bei einem Thema wie diesem hier fände ich es fatal, frei nach meiner Vorstellungskraft zu erzählen und das dann dem Leser als Wirklichkeit zu verkaufen, das wäre fast schon fahrlässig.

Danke dir auf jeden Fall auch für dein Lob und deine Anerkennung, das bedeutet mir viel.

Viele Grüße!


Grüß dich, HSB,

auch dir danke fürs Lesen und Vorbeischauen und Kommentieren!

eine spannende Geschichte hast du da geschrieben, konnte sie bis zum Schluss nicht aus der Hand legen.
Das freut mich natürlich

Zum einen ist da der Schluss: das wirkt irgendwie unfertig, halbgar.
Hier bleibt mir zu viel offen.
Mhm, ich mag den Schluss. Klar, da bleib einiges offen, aber ich finde, dieser innere Konflikt, der im Prot durch die Hinrichtung losgetreten wurde, dieser Sinneswandel, der kommt zu einem vorläufigen Höhepunkt - ich weiß, man kann es dem Text nicht zu 100% entnehmen, aber für mich als Leser wäre an dieser Stelle auch klar, dass die beiden Prots erstens sterben, und dass im Moment zuvor beim Erzähler, als er Boran plötzlich aus dem Nichts hört, noch mal so ein weiterer Schritt im Sinneswandel passiert - Boran, der prophezeit hat, dass Gott seine Mörder rächen wird, und in diesem Augenblick hört ihn der Erzähler plötzlich wieder. So in die Richtung war das gedacht.


Zum anderen ist es merkwürdig, dass sie Boran treffen, ihren alten Schulkameraden.
Ja. Das haben einige bemängelt. Es ist nur so, wäre das ein x-beliebiger Kurde, würde dessen Tod den Erzähler nie in der Art aus dem Gleichgewicht bringen, wie es Boran tut. Ich wollte neben dieser Storyline noch etwas anderes zeigen, und zwar diese Zerrissenheit, die sich in den letzten Jahren durch die islamische Welt zieht, diese alten und neuen Konflikte, die zwischen den verschiedenen Konfessionen und Völkern (neu) aufgeflammt sind.

Der übermäßige Gebrauch von Strich- und Doppelpunkten stört ein wenig, finde ich.
Ach ja :D Das ist so ein Tick von mir. Mir gefällt das irgendwie, aber ich versuche das schon immer, möglichst gering zu halten.

Schweiß ist auch ausgebessert!

Danke dir nochmals fürs Kommentieren und Gedankenmachen, du hast ein scharfes Auge, ist viel wert!

Hallo Novak,

natürlich möchte ich auch dir danken, für Lesen, Kommentieren, alles, du weißt schon.

ich weiß es aus anderen Gründen, was es bedeutet, solch eine Geschichte zu schreiben. Wieviel Recherche es bedeutet, wieviel Arbeit, Energie und Fantasie es braucht, sich in die Charaktere hineinzuversetzen, wieviel Mut auch, sich überhaupt in ein solches setting hineinzubegeben.
Ja, klar, war viel Arbeit, wobei Arbeit eigentlich das falsche Wort dafür ist. Es macht mir ja Spaß. Also auch das Recherchieren - klar, das ist schrecklich, was hier gerade auf der Welt abgeht, ich will das gar nicht beschönigen oder irgendwas, aber ich finde es gesellschaftspolitisch einfach extrem spannend und ich kann gar nicht anders, als mich damit zu beschäftigen.

In deinem späteren Kommentar sagst du:

Manchmal frage ich mich, das ist vielleicht ein sehr ketzerischer Gedanke, ob dieser weite Weg nicht genauso lang oder kurz ist wie der, überhaupt als Soldat in einen Krieg zu ziehen. Auch in anderen Gesellschaften.
Das sehe ich ähnlich. Mir war in dieser Story einfach wichtig zu zeigen: Die denken, sie sind die Guten. Jeder denkt, er sei bei den Guten. Das ist eine Erkenntnis, die ich erst nach 24 oder 25 Jahren meines Lebens gemacht habe. Man muss sich das mal wirklich verinnerlichen und auf der Zunge zergehen lassen. Jede Gesellschaft bzw. jedes gesellschaftspolitische System hat eine eigene Anschauung auf die Welt, hat eigene Werte, Ansichten etc., und wirklich kein System denkt: Wir sind bei den Schlechten, wir sind die Bösen!
Wir, die westlich geprägten Demokratien, haben unsere eigene Ansicht auf die Dinge und unsere eigenen moralischen Ansprüche/Normen, und wir sind uns ganz sicher: Wir sind die Guten. Leider denken auch die Nordkoreaner, sie seien bei den Guten, und selbst bsplw. das Dritte Reich hatte eine Anschauung auf die Welt, die ihr Handeln rechtfertigte und ihnen das Gefühl gab: Wir sind auf der guten, der richtigen Seite. Ich will nicht sagen, dass irgendeine von den jetzt aufgelisteten Systemen und Ideologien recht (gehabt) hätte oder richtig lag - mir war es hier bloß wichtig, zu zeigen: Auch die IS-Leute denken, sie stehen auf der richtigen Seite und kämpfen für eine gute Sache. Wie gesagt: Ich meine das alles ohne Wertung.

Klar, ein paar Sachen hätte ich auch, ein paar hat mein Vorredner schon aufgelistet, zum Beispiel das mit dem Schweiß, aber zu solchen Details kann man ja noch kommen.
Hey, immer gerne her damit :D manchmal mache ich echt komische Fehler, und bemerke die einfach nicht.

Novak, ich danke dir vielmals, natürlich auch für die nette Empfehlung, da hab ich mich besonders drüber gefreut.

Lass es dir gutgehen.


Hi JackOve,

deine erschütternde Geschichte hat die Empfehlung verdient.
Hat sich definitiv gelohnt und du hast m.E. genau die richtige Mischung aus Information und Emotion gefunden. Da gab es nichts, das ich überspringen wollte, was ein sehr gutes Zeichen ist.

das freut mich!

Wie gesagt, toll recherchiert, aber die zitierte Stelle, die den früheren Tarek beschreibt, ist mir zu klischeebehaftet. Counterstrike, Kiffen und arbeitslos - das könnte aus einem Taff Bericht stammen.
Ja ... ich hab mir darüber auch schon vor dem Reinstellen hier ins Forum mal den Kopf zerbrochen. Es ist bloß so: In den Biografien über die deutsche Salafisten/Dschihadisten-Szene gibt es zwei Typen von jungen Männern, die beinahe ungeheuer oft auftritt: Einmal der ziellose, herumhängende Faulenzer, der dank der Religion einen Sinn und eine Aufgabe findet, und zweitens gut behütet aufgewachsene junge Männer mit islamischen Wurzeln, meistens Akademiker (prozentual extrem häufig Maschinenbauer, aber wieso das so ist, ist eine andere Geschichte) ohne jede soziale oder wirtschaftlichen Probleme, sag ich jetzt mal. Klar, diese zwei Typen gibt es dann noch in verschiedenen Ausprägungen. Aber wenn ich da jetzt eine völlig neue Biografie erfinden würde, weißt du, ein ehmaliger CDU-Jungpolitiker, der erst fünf Jahre bei den Hare Krishnas gehaust hat, und dann irgendwie ein Dschihadist wird (jetzt nur als übertriebenes Beispiel :D) - da würde ich mir unsicher vorkommen. Darf ich das einfach so konstruieren, obwohl ich nirgends einen Beweis in der Tasche habe, eine Quelle, auf die ich im Notfall zeigen kann und sagen kann: Das ist durchaus realistisch!
Das dumme an Klischees ist halt, dass - Obacht, politisch inkorrekt - sie zu einem gewissen prozentualen Anteil und in einer gewissen Ausprägung da draußen natürlich existieren. Aber ist angekommen, was du mir sagen wolltest: Mehr Individualität, mehr eigener Charakter. Ich schau mal, wie weit ich da noch rumschrauben kann.


Später schreibst du:
zur Feier unserer Konvertierung
Tarek ist ein arabischer / islamischer Name. Ist nur der Erzähler konvertiert, oder was hat es damit auf sich?
Es war so angedacht, dass lediglich der Erzähler konvertiert ist, eben mit anderen, die hier im Text keine weitere Rolle gespielt haben. Aber ja, das könnte ich noch klarer ausdrücken, danke.

Mit "dieser Hinterhof-Moschee" habe ich ein Problem.
Ich jetzt auch! Ich werde es ändern, danke für die Anmerkung.


PS: Ich hab die beiden schon tot gesehen, als sie versucht haben, den Panzer in Gang zu kriegen. Wer weiß, was da gefilmt werden sollte ... Den Schluss finde ich im Gegensatz zu @HSB übrigens sehr einleuchtend.
Super! Ich mag den Schluss auch.


Danke dir vielmals, JackOve, fürs Lesen und Kommentieren! Hat mich weitergebracht.


Hopper, Tintenfisch, The Incredible Holg, maria.meerhaba, Achillus, wieselmaus, Kubus, ich bin echt hin und weg von den vielen und tollen Kommentaren, aber ich muss euch leider auf morgen verschieben!

Danke euch allen!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Novak,

Manchmal frage ich mich, das ist vielleicht ein sehr ketzerischer Gedanke, ob dieser weite Weg nicht genauso lang oder kurz ist wie der, überhaupt als Soldat in einen Krieg zu ziehen. Auch in anderen Gesellschaften. Was IS tut, ist barbarisch. Aber auch in den USA oder in Europa müssen Soldaten "lernen", Dinge zu tun, die die den normalen Menschen sicherlich mit Abscheu erfüllen. Dass das "Kriegshandwerk" der Unsrigen sachlicher und vernünftiger scheint und auch so besprochen wird, das liegt vielleicht auch daran, dass es die Unsrigen sind? Und dieses Tun einem rechtmäßig scheint?
Zu jedem Krieg, auch zu denen, die hier geführt werden, gehört Verrohung dazu und ein Feindbild, eine Verzerrung des Gegners ins Unrechtmäßige, und wenn so ein Feindbild erst mal da ist, dann tötet es sich mit gleich viel mehr gutem Recht. Das klingt zynisch, wenn ich das so sage, aber ich meine, da ist was dran.

Diesen Überlegungen kann ich mich nicht so ganz anschließen, obwohl ich einige Punkte ähnlich sehe. Aber wenn Deine Ansicht im Kern in die Richtung geht, dass die Mitgliedschaft in militärischen Streitkräften, die durch einen demokratischen Prozess legitimiert wurden, ethisch so beurteilt werden sollte, wie die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, dann sehe ich das anders.

Jemand, der in Deutschland, Frankreich, Spanien oder Norwegen Soldat wird, hat nicht zwangsläufig die Idee, die Absicht oder gar den Wunsch, in den Krieg zu ziehen. Dass es dazu kommen kann, liegt auf der Hand. Aber ich sehe da deutliche Unterschiede. Und wenn dann Soldaten in den Krieg geschickt werden, sagen wir, wie die Deutschen 2011 mit 5300 Mann in Afghanistan, dann bezweifle ich sehr stark, dass die Grundmotivation dieser Männer und Frauen Hass auf Andersdenkende ist.

Nur weil zwei Männer Sturmgewehre in den Händen halten, heißt das nicht, dass ihr Tun gleich wäre. Selbstverständlich haben auch Soldaten aus demokratisch legitimierten Armeen schreckliche Dinge getan (z.B. Folter und Massaker) und tun es noch immer. Sie verletzen dabei aber Regeln, auf die sie einen Eid geschworen haben. Es ist keinem Soldaten einer regulären Armee erlaubt, Zivilisten zu massakrieren. Da besteht zu den Leuten vom IS wohl ein Unterschied.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi zigga

so ganz und gar warm bin ich mit der Geschichte noch nicht geworden, aber ich habe in jedem Fall viel dafür übrig, wie du zeigen möchtest, dass die Leute glauben, auf der richtigen Seite zu stehen; und wie du dabei dich nicht scheust, ihnen Argumente zuzugestehen, die Gut und Böse auch wirklich ein wenig grau in grau verschwimmen lassen können. Auch das Konzept gefällt mir gut. Die Durchführung ist mir, glaube ich, stellenweise noch etwas zu schablonenhaft, da halte ich es mit dem einen oder anderen Vorredner.

Ich stochere mal ein bisschen in dem Text herum:

»D-Die Amerikaner«, sagt Tarek, und blickt kurz vom flackernden Fernsehbildschirm auf, »i-ich will, dass die Amerikaner kommen!«
"Kurz" dürfte wahrscheinlich weg, oder? Denn das legt nahe, dass er schon wieder auf den Bildschirm schaut, wenn weiterredet. Aber warum sollte er?

Wir sind nicht mal seit drei Monaten raus aus Deutschland, und trotzdem bin ich fast erschrocken, wie sehr sich Tarek verändert hat.
Das finde ich etwas merkwürdig. Hat sich der Ich-Erzähler nicht genauso verändert? Oder wenn der schon immer so war: Findet er es nicht gut, dass Tarek jetzt nachzieht? "Bin erschrocken" klingt für mich nach Kritik. Aber die gibt es hier ja nicht.

und beginnt dabei, diebisch zu grinsen.
"beginnt zu grinsen" - hm, passt das? Oder grinst er halt einfach diebisch?

Nachts bombadieren die Amerikaner.
Nachts - heißt das: Jede Nacht? Oder diese Nacht? Wenn es nicht regelmäßig ist, würde es mir, glaube ich, besser gefallen, wenn du mit dem Ereignis anfängst: Es gibt plötzlich diesen Knall. Und dann erst die Erklärung: Die Amerikaner bombardieren.

Die Explosion kommt sehr unerwartet
"sehr unerwartet" klingt, finde ich, ungelenk. Es kommt außerdem zwei Sätze später schon gleich wieder ein "sehr"...

Als Tarek und ich zehn Minuten später zum Fenster robben,
Der ist ja echt abgebrüht. Ich hätte in dem Moment mein Zeitgefühl wahrscheinlich ziemlich verloren...

Jetzt rennen unten die ersten Leute auf die Straße, weißhaarige, alte Irakis und hysterische Frauen,
Warum nicht "weißhaarige, alte Männer"? Wenn man in Italien ist, sagt man ja doch eher nicht: "Schau mal da, die Italiener drüben an der Ampel" sondern einfach "die Leute". Dazu kommt dann noch, dass auf der einen Seite "Irakis", auf der anderen "Frauen" steht.

dass er keine Angst haben braucht,
"zu haben braucht" - oder geht das auch ohne? Kann schon sein.

und sich mein Atem langsam wieder beruhigt,
Also hat er doch Angst? Oder hat er sich nur kurz erschreckt, ist aber an sich durchaus gefasst? Später heißt es ja noch einmal, dass er keine Angst habe, zu sterben. Ich würde als Leser gerne wissen: Gibt es einen Widerspruch zwischen Reden und Fühlen oder nicht? Das würde ich mir klarer wünschen.

starre ich weiter auf das brennende Haus
Möglich vielleicht: Er hat für sich keine Angst, aber ihn entsetzt es um der anderen Willen? Das wäre vielleicht gar nicht schlecht. Aber wie gesagt: ich würde mir das klarer wünschen.

Schreie der weißhaarigen Irakis, der aufgebrachten Frauen
Noch mal dasselbe wie oben...


Die Fensterscheiben sind hinüber und es ist kalt, stinkend und laut: Kalt, wegen der frischen Nachtluft, die durchs kaputte Fenster zieht,
Die Kälte erklärt sich eigentlich von selbst.
stinkend, wegen der ganzen Asche, die in unserer Wohnung hängt, und laut, wegen den Menschen, die auf den Trümmern stehen, die schreien, fluchen, flehen; und auch laut wegen den Drohnen, die immer nach den Bomben kommen: Sie kreisen jetzt direkt über uns, mit diesem Surren, diesem alles durchdringenden, monotonen Surren.
Das erklärt sich nicht unbedingt von selbst, insofern gibt es nichts auszusetzen. Aber diese Aufzählung... Wäre es nicht stimmungsvoller, z.B. nur die lauten Menschen auf den Trümmern herauszugreifen und das Stinken unerklärt zu lassen? Es stinkt, weil es brennt, oder weil die Kanalisation zerfetzt ist, oder weil eben sonst irgendetwas in die Luft geflogen ist, das normalerweise zugedeckt bleibt. Braucht man die genaue Info? Und zwei Erklärungen dafür, warum es laut ist - das gefällt mir auch nicht so. Jedenfalls nicht mit diesem aufzählenden Anschluss "und auch". Laut sind die Leute auf den Trümmer, laut sind auf die Drohnen - ja, warum nicht. Nur halt weniger mit dem Zeigestock in der Hand.

Gegen die Kälte, die durch die kaputten Fenster zieht, und den Ruß und den Rauch, der in unserer Wohnung hängt, können wir nichts machen, außer uns unsere Decken bis zur Nase hochzuziehen.
Ja, sehr schön: Hier ist sie doch, die Erklärung für Kälte und Gestank! Und ganz ungezwungen kommt sie daher. Also ich meine wirklich, da geht nichts verloren, wenn du sie oben streichst.


Nach diesen vier Wochen ist Abu al-Chattab auf mich zugekommen, weil er davon gehört hatte, dass ich drei Semester lang Maschinenbau studiert habe, in Aachen – »Deutschland«, »studiert«, dann noch etwas mit Maschinen: Das beeindruckt hier.
Eine der Stellen, die mir gut gefallen, weil sie für mich authentisch und gut überlegt bzw. recherchiert klingen. Bei weitem nicht die einzige, aber ihr ist es mir vielleicht am stärksten aufgefallen.

Tarek war damals schon nicht mehr Tarek – er hieß fortan Abu Nuh al-Almani, »Abu Noah, der Deutsche«,
"Damals schon"? Das ist doch gar nicht so lange her. Und ist es nicht ganz normal, dass er sich einen frommen Namen zulegt, auch sogar, bevor er überhaupt loszieht? Was ich meine: Ich empfinde das eher so, als würde er "erst jetzt" nicht mehr Tarek genannt, nicht "schon". "Jetzt" harmoniert womöglich auch mit "fortan" besser als "damals"?

Der größte Beweis, dass du Allah liebst, sagt Gott im Koran, ist der Dschihad.
Mich wundert, dass der Ich-Erzähler "Dschihad" alternativlos als Kampf auslegt. Aber es gibt vielleicht Leute, die das so tun.

Wieso sonst hat der Direktor Tarek und mir in der Oberstufe keinen Gebetsraum gegeben? Wieso sonst wurde Tarek gleich mit von der Schule verwiesen, obwohl es bloß ich gewesen war, der jeden Tag um 12 Uhr seinen Gebetsteppich im Klassezimmer ausgebreitet hat?
Berechtigte Fragen...

Wieso sonst werden überall auf der Welt Muslime erschossen, Muslime von Drohnen weggebombt? Wieso sonst ist der Westen in den letzten hundert Jahren mehr als fünfzig Mal in muslimische Länder einmaschiert?
Passt eigentlich auch, der Junge sieht es aus der Perspektive. Aber natürlich ist der Westen in ebenso viele nicht-muslimische Länder einmarschiert...


Ich hasse die heuchlerische Art des Westens, wie er von Freiheit redet; aber was Freiheit wirklich bedeutet, davon hat der Westen keine Ahnung: Freiheit bedeutet eben nicht, alles tun und lassen zu können, was man will, sondern Freiheit bedeutet, frei von weltlichem Verlangen zu sein, frei von der Gier zu sein: der Gier nach Sex, nach Geld, nach Besitz, nach Status.
Ja, an sich schon nachvollziehbar, dass jemand das so sieht.


er hat sich verändert, seitdem ich ihn vor ein paar Wochen das letzte Mal gesehen habe, im Trainingscamp, da bin ich mir ganz sicher.
Das kommt für mich überraschend, aber es kann an mir liegen. Ich hätte gedacht, die beiden waren die ganze Zeit zusammen.

Ist es seine neue, gerade, selbstbewusste Haltung, oder der dichte, schwarze Vollbart?
Hm, naja: Ob es der Vollbart ist, das wird er schon entschieden können, oder nicht? Aber vielleicht ist es nicht nur der Vollbart.

fällt es mir auf: Es ist sein Blick, es ist dieses diebische Grinsen; da ist irgendetwas an ihm, das neu ist, das irgendwie nicht zu Tarek gehört,
Das finde ich etwas merkwürdig: Da sagt er erst, "jetzt weiß ich, was es ist" und dann kommt doch wieder dieses suchende "irgendwas" und "irgendwie". Aber davon abgesehen: Der Abschnitt, vor allem das Folgende, gefällt mir gut:
"das mir vorkommt, als sei es wie ein Dschinn, wie ein schlechter Geist, der in ihn eingekehrt ist, und der von ihm Besitz ergriffen hat. Tarek grinst, kratzt sich an der Nase, dann blickt er mich an, mit diesem neuen, mit diesem unheimlichen, wahnsinnigen Blick.
»Alles klar bei dir, Mann?«, sagt er zu mir. »Glotzt mich aber heute ganz schön komisch an«, sagt er, dann lacht er, und ich lache mit.[/QUOTE] Der Dschinn wird schön anschaulich. Und wie der Ich-Erzähler das Unbehagen dann weglacht, weil es eben trotz allem doch der Tarek ist, denn er ja so gut kennt, das finde ich gut nachvollziehbar.

so tief fliegen, dass sie etwas sehen könnten, trauen sich diese Feiglinge dann doch nicht.
Ohne "dann doch" klingt es wahrscheinlich eine Spur verächtlicher, oder? "Dann doch" ist letztlich ein Zugeständnis: Sie trauen sich schon was, nur das eine dann eben doch nicht.

bloß die Nasheeds, die islamischen, hypnotischen A-capella-Gesänge, schallen aus dem Autoradio.
Vielleicht "unsere hypnotischen A-capella-Gesänge"? Es ist doch eh alles islamisch in seinem Umfeld.

»You will kill him«, sagt Abu al-Chattab, als er wieder vor uns steht, und grinst breit dabei. »You will kill him and I will film it.«
Sein Englisch hast du ja bisher deutsch wiedergegeben. Das fände ich speziell hier besser. Der Mann spricht brüchiges Englisch, wenn er dann wirklich englisch redet, wäre das sicher passender, es ist an einer Stelle, an der es auch tatsächlich brüchig ist.

Ich schlucke. Ja, klar, wir werden ihn töten. Wir müssen ihn töten. Als ich hierher gekommen bin, war mir klar, dass ich töten werde. Um all meine Brüder und Schwestern zu schützen, vor dem Schlächter Assad und dem Bombenteufel Amerika. Boran, dieser Kurde, hat sich gegen uns gestellt, und wer gegen uns ist, muss sterben.
Da ist für meinen Geschmack nun aber wirklich zu wenig innerer Konflikt! Einmal kurz schlucken, dann passt es schon? Wenn es ein Unbekannter wäre, könnte ich das wahrscheinlich sogar noch akzeptieren. Wenn Boran, der alte Kumpel, dran glauben soll, ist das aber nun doch schon eine extraharte Prüfung.

wieso ich jetzt an all die Streits denken muss,
Streits?? Gibt es das?


Meine Beine werden weich und zittrig, ich stehe wie versteinert da. Plötzlich wird mir speiübel –
Hier kommt dann so ein bisschen innerer Kampf nachgeliefert, immerhin. aber das nimmt mich nicht so richtig mit und dann -
aber nein, ich muss, ich will kämpfen,
- ist es auch schon wieder vorbei.

Doch wieso muss es jetzt Boran sein, den ich töten muss? Wieso muss es Boran sein – Boran, der Schülersprecher, Boran, der einer der Wenigen gewesen war, die sich für meinen Gebetsraum eingesetzt haben? Boran, der mich immer nett grüßte, wenn wir im Gang aneinander vorbeigelaufen sind? Boran, Boran ...
Und dann noch einmal nachgelegt. Gut, also es kommt da schon noch was. Aber ich sehe den Jungen nicht leiden. Höchstens ein bisschen jammern.

Das dagegen:

Plötzlich versagt Boran die Stimme, ich höre ihn neben mir röcheln, und als ich mich umdrehe, sehe ich Tarek, wie er breit grinsend das Messer in der Hand hält, wie er Boran an den Haaren hält und den Schnitt langsam und sauber durch seine Kehle führt; dunkles, schwarzes Blut strömt aus der Wunde, dann läuft es Boran auch aus dem Mund, er hustet, spuckt es heraus, zappelt herum – dann wird Boran ruhig und still, seine Körperhaltung sackt in sich zusammen, seine grünen, stechenden Augen drehen sich in den Schädel.
- das nimmt mich schon mit.


Es vergeht keine Stunde, da fallen auf einmal wieder Bomben –
Ginge für mich auch gut ohne Zeitangabe: "Auf einmal fallen wieder Bomben."

Aber zwischen all diesem Donnern und dem Blitzen und Beben kann ich ihn wieder hören: Boran, mit seiner tiefen, kräftigen Stimme: »Ihr werdet schon noch sehen!«, brüllt er, »ihr werdet schon sehen!«, brüllt er, »ihr werdet –«
Mit dem Ende kann ich gut mitgehen.

Soweit mal von mir.
Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hi zigga,

glückwunsch zur Empfehlung.

Ich will dir kurz mein Leseeindruck schildern:

Die Aufteilung der Geschichte hat mir gut gefallen, dass werde ich übernehmen, das schafft Ordnung. Die Erzählstimme wirkt meist authentisch, nur mit folgenden Passagen hatte ich Probleme:

damals, vor Jahren, in unserer Hinterhof-Moschee in Mönchengladbach;

Immerhin ist es ihr Gotteshaus, ob sie es als Hinterhof-Moschee bezeichnen würden? Klingt irgendwie Abfällig.

Ibrahim Caftici hat damals, in der Hinterhof-Moschee in Mönchengladbach, immer gesagt:

Hier wieder. Außerdem ist das sehr für den Leser geschrieben. Ich würde das ersatzlos streichen, wer aufgepasst hat weiß, wer Caftici ist.


Das wars eigentlich schon, manchmal fand ich es etwas sehr merkwürdig, beispielsweise der Streit um die Digitaluhr, die Pepsiflasche oder der Kirikäse. Das liest sich schon fast wie Real-Satire, aber ich glaube dir einfach mal, dass es tatsächlich so ist?

Ich kann gar nicht so viel beitragen, weil ich deinen Text insgesamt sehr rund finde. Ich hätte gerne noch mehr über die Freundschaft der beiden erfahren, vorallem aber auch über die einzelnen Hintergründe. Das ist mir zu Oberflächlich und Schablonenhaft. Da hätte ich mir schlicht eine oder zwei Szenen zu Beginn gewünscht, welch die Protagonisten als Charaktere greifbar machen. So wirken sie doch recht farblos.

Jedenfalls gefällt mir die Geschichte dennoch, vorallem diese Stimmung die Mitschwingt, dass der Protagonist irgendwie selbst nicht so weiß, was er eigentlich macht. Und natürlich ist sie sehr realistisch, gab es ja schon einige Videos mit deutschen Gotteskämpfern ... leider.

Beste Grüße,

sonne

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber zigga,

Holg hat schon einiges gesagt (und auch kritisiert), was auch mir zu deiner Geschichte durch den Kopf gegangen ist: Man merkt, dass sich hier jemand mit den Aussagen von jungen Menschen, die sich dem IS angeschlossen haben, und dem Geschehen in und um Mossul auseinandergesetzt und sehr viel recherchiert hat.
Du beschreibst den IS-Alltag, den Kampf. Alles ist für den Leser vorstellbar und nachvollziehbar. Über weite Strecken hatte ich sogar das Gefühl, das so oder ähnlich schon einmal gelesen zu haben, sei es in Aussagen ehemaliger IS-Leute oder in Kriegsberichten. Aber das hat mich dann letztendlich nicht wirklich gestört, da ich das Gefühl hatte, eine interessante Geschichte gelesen zu haben, die sich so abgespielt haben könnte. Das Aufeinandertreffen der Drei ist natürlich konstruiert, aber so funktioniert Literatur manchmal, wenn sie uns packen soll.

Eher hatte ich ein Problem mit deiner Personenzeichnung. Und da beziehe ich mich auf Achillus:

Ich denke, schlüssig erklären lässt sich das mit den Mittel von Literatur und Film nur dann, wenn man tief in die Seele einer Figur blickt und sie bei den einzelnen Phasen ihrer Radikalisierung begleitet. Von einem Rebellen auf dem Schulhof bis zu dem IS-Henker, der einem Menschen die Kehle durchschneidet, ist es innerlich ein ziemlich weiter Weg. Details können entscheidend sein. Lässt man die weg, wirkt die Karriere eines Extremisten wahrscheinlich immer bizarr.

Achillus sagt weiter:
Ich habe mich daran allerdings nicht sonderlich gestoßen, weil ich die Aufgabe dieser Kurzgeschichte nicht darin gesehen habe, mir die Motivationen eines Dschihadisten zu erklären.

Mir ging es da ein wenig anders: Ich hätte schon gerne etwas über die Entwicklung der beiden erfahren, wie es gekommen ist, dass sie jetzt IS-Kämpfer sind, ihre Motivation, ihre Sozialisation. Ich erfahre, dass sie konvertiert sind und erst von diesem Moment an wird ihre Person für mich erfahrbar.

Wir haben uns auch wegen dem Schaf gestritten, das einige Gemeindemitglieder zur Feier unserer Konvertierung schlachten wollten,

Waren sie vorher keine Muslime? Woher stammen sie? Wie muss ich mir ihre Familien vorstellen?
Der Name Tarek deutet auf einen türkischen oder arabischen Ursprung hin. Aber wieso sind die beiden dann konvertiert? Das heißt doch, dass sie von einem Glauben zum anderen übergetreten sind. Waren sie vorher Christen?

Ebenfalls im Dunklen bleibt die Entwicklung, die Tarek durchmacht. Was hat aus dem schüchternen, ängstlichen und stotternden Jungen den gemacht, der plötzlich vor einer Menschenmenge steht, Reden hält und ohne Hemmung einen alten Schulfreund ermordet und dabei sogar noch grinst.

Überhaupt verwendest du in deinem Text sehr häufig das Wort ‚Grinsen’, um Tarek zu charakterisieren.

Am Anfang:

D-Die A-Amerik-kaner«, sagt Tarek wieder, deutet auf den Fernseher und beginnt dabei, diebisch zu grinsen.

Später, als der Ich-Erzähler sich fragt, was jetzt anders mit Tarek ist, gibt er sich selbst die Antwort:

Es ist sein Blick, es ist dieses diebische Grinsen; da ist irgendetwas an ihm, das neu ist, das irgendwie nicht zu Tarek gehört, das mir vorkommt, als sei es wie ein Dschinn,
Tarek grinst, kratzt sich an der Nase, dann blickt er mich an, mit diesem neuen, mit diesem unheimlichen, wahnsinnigen Blick.
Plötzlich versagt Boran die Stimme, ich höre ihn neben mir röcheln, und als ich mich umdrehe, sehe ich Tarek, wie er breit grinsend das Messer in der Hand hält, wie er Boran an den Haaren hält und den Schnitt langsam und sauber durch seine Kehle führt;

Tarek brüllt: »Takbir!«, »Takbir!«, und dann grinst er bis unter beide Ohren und hält das blutige Messer in Siegerpose hoch.

Und endlich:
und dann sehe ich Tarek, wie er grinsend den Schnitt ansetzt, wie das ganze Blut da herausläuft, wie Boran röchelt, hustet, und schließlich sein eigenes Blut auskotzt.

Und nicht nur Tarek grinst,

Abu al-Chattabs Grinsen verschwindet.

Mir ist das zu viel ‚Grinsen’, um einen Menschen zu charakterisieren. Möglicherweise setzt du das bewusst ein, aber dann erschließt sich mir das leider nicht.

Noch ein paar Kleinigkeiten:

Ich spule das alles so herunter, wie es mir (mich) Ibrahim Caftici gelehrt hat, damals,

Das sagt der Ich-Erzähler? Wieso bewertet er hier seine eigenen Aussagen als etwas Heruntergespultes, also etwas Negatives?

um Gottes Wille(n) zu vollstrecken

in muslimische Länder einmaschiert
einmarschiert

dann wird Boran ruhig und still, seine Körperhaltung sackt in sich zusammen,
sein Körper

Ich bin hier her gekommen,
hierher


Fazit: Ich habe eine sehr interessante Geschichte gelesen, deren Höhepunkt gut durchdacht und gut dargestellt ist. Was mich etwas stört, sind ihre Leerstellen: Warum konvertieren die beiden? Was hat sie dazu bewegt, sich erstens dem Islam und zweitens einem fundamentalistischen Islam zuzuwenden und dafür sogar in den Kampf zu ziehen? Und was hat aus dem schüchternen und stotternden Tarek dieses selbstbewusste, kämpferische und mordende Ungeheuer gemacht? Die Antworten muss ich mir als Leser selber suchen.
Natürlich funktioniert dein Text als Geschichte auch, ohne dass du auf diese Entwicklungen eingehst. Und unterm Strich habe ich sie deshalb mit Interesse gelesen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

II /II

nur kurz zu dem aufgeworfenen Punkt dass der Autor hier die Wandlung der Figuren von Schulrebellen zu Mördern nachzuzeichnen habe: es wäre auch ohne eine schrittweise Veränderung plausibel. diese nachvollziehbare Wandlung im Inneren von Menschen, die beginnen Gesetze und Konventionen zu überschreiten, fehlt häufiger als man denken könnte. auch für kaltblütigen Mord reicht ein einzelner, irrationaler Schritt, ein einziger Schnitt - wenn sie das entsprechende Set in sich haben und im richtigen Setting dafür sind.
diese irrationale Bereitschaft und Fähigkeit ist beängstigend, aber real. es ist natürlich nicht immer so, aber es ist möglich und scheint mir auch plausibel zu sein. gerade für so einen wenig selbstbewussten Schulversager mit MIgrationshintergrund. er wird nicht über seine Gefühle sprechen, die wahrscheinlich nicht mal selbst wahrnehmen, wenn es unmännliche Gefühle sind oder so abgefahrene innere Möglichkeiten, wie die Bereitschaft zum Mord. in dem einen Fall wird er vermeiden, als Schwächling dazustehen, im anderen Fall das Stigma vermeiden, als potentieller Gefährder dazustehen und unter die Räder entsprechender Maßnahmen zu geraten. so viel Straßenweisheit traue ich ihm zu. dass er zum Mord fähig ist, spürt er konkret erst in der Situation, wo er dazu gezwungen ist bzw die Möglichkeit hat.
Grüße
Kubus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Hopper,

das ist eine der stärksten Geschichten, die ich seit langem hier gelesen habe.
Danke dir.

Ich stimme HSB zu, dass das Wiedersehen von Boran konstruiert wirkt, aber ich finde es nicht schlimm - Zufälle soll es ja geben. Andererseits bin ich der Ansicht, ein zufälliges anderes Opfer hätte nicht die gleiche Wirkung erzielt.
Das sehe ich auch so. Ich denke, ein anderes, fremdes Opfer hätte im Erzähler nicht die Wandlung losgetreten, die Boran lostritt. Auch würde das natürlich Theatralik nehmen. Ich überlege mir mal, wie ich das Konstruiertwirkende evtl. lösen kann.


Wenn ich ein paar kleine Kritikpunkte habe, dann würde ich mir wünschen, dass ein bisschen mehr auf den Alltag des Protagonisten eingegangen wird. Was hat er z.B. getan in den zwei Wochen, in denen er von Tarek getrennt war? Sollte er nicht auch an die Front? Da habe ich irgendwie das Gefühl, dass der Protagonist zwei Wochen lang Däumchen gedreht hat, während Tarek an der Front war, und das nur, um Tareks Wandlung zu unterstreichen. Hier verschenkst du m.E. Potenzial, um das Leben unter der IS-Herrschaft darzulegen.
Ja, danke für den Hinweis. Das haben jetzt viele andere Kommentatoren nach dir auch aufgegriffen, die Prots bräuchten noch etwas Farbe, Fleisch. Ich schau mal, was ich da machen kann. Kennst du bestimmt, wenn eine Geschichte mal fertig ist und rund ist, ist das extrem schwierig, noch mal neu aufzuschneiden und dran rumzudoktern. Und man traut sich da natürlich nicht so dran. Aber ich schau mal.

Erst nach dem Lesen ist mir der Punkt mit Tareks sich auflösendem Stottern aufgefallen. Das ist mMn etwas zu subtil geraten. Vielleicht sollte es dem Protagonisten auch auffallen.
Du bist der einzige, dem das aufgefallen ist! :D Ich fände es ehrlich gesagt total schlimm, wenn irgendwann im Text stehen würde: "Ah, was mir gerade auffällt: Tarek stottert ja gar nicht mehr!" Das wäre so mit dem Vorschlaghammer draufgehauen, finde ich. Das Stottern ist ja auch kein gewichtiger Teil der Geschichte, sag ich mal, und ich persönlich finde es immer schön, wenn ich nach zweitem oder drittem Lesen einer Geschichte oft noch Kleinigkeiten entdecke, die ich vllt beim ersten Lesen schon vom Bauchgefühl her gespürt habe, aber die mir dann noch mal so richtig klar werden: Ah, der hört ja auf zu stottern!

Hopper, danke dir fürs Lesen und Kommentieren, hat mich weitergebracht!


Hallo Tintenfisch,

ich finde es bewundernswert, dass du dich an diese Thematik rangetraut hast, wirklich, Respekt! Und du hast es m.M.n. gut umgesetzt, man merkt, dass da ne Menge Arbeit drinsteckt.
Danke dir!

Deine Geschichte hat mich sofort mitgezogen. Schon allein deswegen, weil es für mich ein unbekanntes Setting ist, das mich neugierig gemacht hat.
Und die Spannung hältst du. Durch die vielen Zeit- und Ortswechsel kommt es zu keinen Längen, es hat was von einem Thriller - es passiert viel auf engstem Raum. Hast du gut gemacht!
Das freut mich natürlich.


Den Schluss find ich richtig stark.
Einige fanden den ja nur so lala, aber ich mag ihn auch, den Schluss


Mein einziger Kritikpunkt betrifft die Sache mit Boran. Das wirkte auf mich zu unrealistisch, dass sie ausgerechnet jemanden aus ihrer alten Schule dort treffen und dass sie ausgerechnet ihn töten müssen. Ich frage mich auch, ob das nötig gewesen wäre. Mit eigenen Händen einen Menschen zu töten, zum ersten Mal - ist dieser Moment nicht für sich schon furchterregend genug? Muss es unbedingt ein bekannter Mensch sein? Oder vielleicht hätte es ausgereicht, dass es nur ein bestimmtes Merkmal an ihm gibt, ein bestimmter Blick, eine Körperhaltung, die ihn an einen ihm bekannten Menschen erinnert und deswegen zweifeln lässt? Das wäre für mich realistischer gewesen.
Ja, womöglich realistischer, aber, ich hab das bei einem anderen Kommentar schon geschrieben, ich denke, es würde erstens nicht den Prozess im Erzähler lostreten, den Boran in ihm auslöst. Ein unbekannter Kurde hätte kein Gesicht und der Erzähler könnte sich das alles "schönreden", also er könnte denken: Der ist gegen uns, der bringt Muslime um, es ist gut und richtig, dass er stirbt. Boran hat eben ein Gesicht. Klar, ich finde das auch nicht ganz perfekt, dass das so aufgesetzt wirkt - aber mit der Figur des Boran wollte ich auch die Zerrissenheit bzw. die Entwicklung dieser Zerrissenheit der islamischen Völker/Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten in den letzten Jahren zeigen. Dieser Krieg ist Resultat vieler alter Konflikte, aber er reißt auch viele neuen auf. Der Erzähler ist ja in einem Gedankenkonstrukt zuhause, das ihm recht gibt, einen YPG-Kämpfer zu töten. Aber gleichzeitig sieht der Prot das Gesicht hinter diesem Kämpfer - auch ein Moslem, zwar ein säkularer, aber Boran war ihm immer wohlgesonnen.

Als wir im Ort ankommen und vor einer kleinen Scheune aussteigen, fällt es mir auf: Es ist sein Blick, es ist dieses diebische Grinsen;
Hier fällt ihm auf, dass Tarek plötzlich dieses "diebische Grinsen" hat.
Allerdings beschreibst du dieses Grinsen ja schon im ersten Abschnitt:
D-Die A-Amerik-kaner«, sagt Tarek wieder, deutet auf den Fernseher und beginnt dabei, diebisch zu grinsen
Da war ich zeitlich kurz verwirrt - liegen jetzt zwischen dem ersten Abschnitt und diesem hier die vier Wochen? Oder findet das alles nach den vier Wochen statt? Ist mir nicht ganz klar geworden. Oder hab ich was überlesen?
ach ja, da hast du mich erwischt. :D Werde ich ausbessern, danke.

Danke dir fürs Vorbeischauen, Lesen, Kommentieren, Tintenfisch, hab mich gefreut!

Grüß dich The Incredible Holg

Es haben schon etliche Kommentatoren gelobt, wie umfassend du recherchiert haben musst. Und dem kann ich mich nur anschließen, das ist wirklich beeindruckend. Mein Problem: Das merkt man dem Text total an.
Jaa ... ich weiß gerade auch nicht, was ich dazu sagen soll :D Also ja, ich kann das nachvollziehen, deine Kritik, aber wenn ich mich persönlich als Leser sehe, der diesen Text liest, stört mich das nicht ganz ... also, dass da viele Informationen über Dschihadismus etc. sind. Aber du sagst:

Vor allem in der ersten Hälfte fühlte ich mich ein bisschen in einer Nummernrevue, in der die typischen Gründe, warum und wie sich jemand so radikalisiert, der Reihe nach abgehandelt werden: vermeintliche Benachteiligung in der Schule, Indoktrination durch einen einschlägigen Imam (natürlich in Mönchengladbach), Einmärsche des Westens in muslimische Länder, unethische Kampfmethoden der Amis. Das wirkt auf mich konstruiert. Da ist nichts Persönliches drin, was den Erzähler (oder auch Tarek) und seinen Weg in die Radikalität individuell macht. Was hat er denn wirklich selbst, persönlich erlebt, das ihn geprägt hat? Was hat er dabei gefühlt? Das erfahre ich nicht.
Ja, wobei ich das ehrlich gesagt nicht ganz so krass sehe, wie du. Evtl. stecke ich auch zu tief in diesem Text drin, und wenn ich ihn in 6 Monaten noch mal lese, empfinde ich das ein ganzes Stück mehr wie du. Das weiß ich nicht. Mir ging es in diesem Text auch nicht um den Weg in den Radikalismus, ich hab das nur kurz angeschnitten, mir ging es tatsächlich darum, eine spannende Story zu erzählen, und nebenbei auf den Punkt zu bringen, was im Kopf eines Dschihadisten vorgeht, was seine Weltansicht ist, und was da gerade im Nahen Osten abgeht. Ich habe da viel wert drauf gelegt, ein möglichst ausgewichtetes Bild zu zeigen - also den Islam nicht so darzustellen, dass man danach denkt: Der Koran ruft nur zum Mord auf, alle Moslems sind potentielle Terroristen! Aber auch nicht das Gegenteil, kein Augenverschließen und Friedefreudeeierkuchen.

Naja, das ganze Setting wirkt auf dich konstruiert, mhm, okay, ich empfinde es eher als realistisch. Aber ja, mehr Persönlichkeit, mehr Charakter, das kann ich nachvollziehen, ich werde mal schauen, wie ich da nachziehen kann. Ist natürlich immer so eine Sache, einen "fertigen" und "runden" Plot/Text noch mal komplett unterm OP zu schieben und aufzuschneiden. Aber danke dir auf jeden Fall für deine Einschätzung, ich werde mal sehen, ob und wie ich das hinbekomme. Von der Infodichte her finde ich es persönlich in Ordnung, ich denke, jemand, der jetzt nicht einschlägige Fachliteratur über Islamismus und Dokus darüber gesehen hat, demjenigen wird das den Horizont auf jeden Fall ein Stück erweitern.


Und falls es Konsens ist, dass das Wiedersehen mit dem alten Schulkameraden zu konstruiert ist: Vielleicht würde die Szene ja auch funktionieren, wenn es nicht Boran, sondern irgendein namenloser Kurde wäre? Der Prot könnte ja trotzdem erstmals mit einem realen Tötungsauftrag konfrontiert sein und dabei erkennen, dass die "anderen" auch Menschen und vielleicht sogar gute Muslime sind? Geht das wirklich nur, weil sein Opfer ihm persönlich bekannt ist? Vielleicht wäre es sogar stärker, wenn das nicht nötig wäre. Nur mal so als Idee.

Ich habe Tintenfisch gerade auf dieselbe Frage geantwortet, deswegen bin ich so frei und kopiere noch mal meine Antwort:

Ja, womöglich realistischer, aber, ich hab das bei einem anderen Kommentar schon geschrieben, ich denke, es würde erstens nicht den Prozess im Erzähler lostreten, den Boran in ihm auslöst. Ein unbekannter Kurde hätte kein Gesicht und der Erzähler könnte sich das alles "schönreden", also er könnte denken: Der ist gegen uns, der bringt Muslime um, es ist gut und richtig, dass er stirbt. Boran hat eben ein Gesicht. Klar, ich finde das auch nicht ganz perfekt, dass das so aufgesetzt wirkt - aber mit der Figur des Boran wollte ich auch die Zerrissenheit bzw. die Entwicklung dieser Zerrissenheit der islamischen Völker/Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten in den letzten Jahren zeigen. Dieser Krieg ist Resultat vieler alter Konflikte, aber er reißt auch viele neuen auf. Der Erzähler ist ja in einem Gedankenkonstrukt zuhause, das ihm recht gibt, einen YPG-Kämpfer zu töten. Aber gleichzeitig sieht der Prot das Gesicht hinter diesem Kämpfer - auch ein Moslem, zwar ein säkularer, aber Boran war ihm immer wohlgesonnen.


Bei aller Kritik: Das ist immer noch ein starkes Stück Text. Vielleicht kriegst du es ja hin, den ersten Teil etwas organischer zu machen.
Super! Ich werde mal schauen, inwiefern ich das hinbekomme. Auf jeden Fall vielen Dank dir, Holg, für deine Leseeinschätzung, ich fand sie sehr wichtig.


Servus supersexy maria,

In keiner Überlieferung steht, dass der Prophet getötet hat und kein einziger Moslem, den ich halt persönlich kenne, würde jemals so etwas sagen oder bestätigen.

Aiaiaiai, ja, shit, du hast recht. Das ist wirklich ne Kleinigkeit, aber eine wichtige, die hab ich wirklich ungünstig ausgedrückt, danke dir. Ich hab das jetzt mal so umformuliert:

auch der Prophet ließ töten, auch der Prophet ist mit dem Schwert gegen seine Feinde gezogen.

Kannst du kurz Bescheid sagen, ob du das korrekt findest? Oder würdest du es bauchgefühlmäßig noch einen Tick anders formulieren? Wenns dir keinen Kommentar wert ist, gern auch PM. Ist mir schon wichtig, dass solche Details stimmen

Was ich aber toll finde und was ich, bei vielen Geschichten der anderen bemängelt habe, ist, dass du dem Arabischen gleich die Übersetzung mitlieferst.

Ja ja, dank dir, sozusagen. Ich habe letztes Jahr mal eine Story mit Russen gepostet, und da hast du dich furchtbar drüber aufgeregt, dass du kein einziges eingeschobenes russisches Wort checkst :D, da hab ich diesmal beim Schreiben tatsächlich dran gedacht, und das so gelöst. Siehste mal.

Aber Maria, meine kleine Bitch, wo ist der Zerlegungs-Modus?
Ja, wo ist er?

Meryem, danke dir fürs Vorbeischauen, Lesen, du weißt schon, Lob, Angeb-Munition für mein vergangenes Wochenende :D


Achillus,

ich finde, das ist einer Deiner besten Texte – aktuelles, hochbrisantes Thema, spannende Story, überzeugende Kulisse, nachdenklich stimmender Subtext, handwerklich sauber geschrieben. Gefällt mir alles sehr gut.
Super, danke!

Der Erzähler weist in seiner Kritik des Westens auf Phänomene hin, die sich zusammengefasst als Dekadenz beschreiben lassen. Und obwohl ich kein Muslim bin, stimme ich dieser Kritik zu: Es gibt ein Problem mit dem westlichen Freiheitsbegriff, mit Konsumismus, mit Übersexualisierung, mit Rassismus, Gier und religiösem Dünkel. Die westlichen Gesellschaften haben bislang keine zukunftsfähige Perspektive erarbeitet, insbesondere, was die Themen der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Verantwortung betrifft.
Ja, kann ich halbwegs so unterschreiben. Allerdings finde ich, es wäre falsch zu sagen, die westlichen Gesellschaften hätten überhaupt keine zukunftsfähigen Perspektiven erarbeitet, was soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung angeht. Doch, sage ich, linksliberale/-ökologische Gesellschaftsstrukturen haben sich schon seit vielen Jahrzehnten aus dem leistungsorientierten, puren Kapitalismus entwickelt, als Gegenmodell, sozusagen, die Überkonsumierung anprangern etc. Klar, das ist keine vollkommen andere Gesellschaftsform, kein vollkommen anderes System, aber trotzdem ein Lebens-/Gesellschaftsmodell, das sich eigene Werte geschaffen hat.

Also auf der philosophischen Ebene stimme ich den Gedanken des Protagonisten in diesen Punkten zu, finde aber trotzdem, dass Holg nicht ganz unrecht hat, wenn er auf den Mangel an persönlichen Bezügen hinweist. Für mich klingt der Erzähler innerhalb seiner Weltsicht zwar recht rational, aber bis auf die ein, zwei Schulerlebnisse (Gebet im Klassenzimmer) konnte ich nicht viel persönliche Motivation finden.
Ja, da kam jetzt ganz oft, zu wenig Persönliches. Ich schaue auf jeden Fall mal, wie ich da noch nachholen kann.

Dieses Thema der Motivation von Dschihadisten lässt auch Experten ein wenig ratlos zurück. Ich denke, schlüssig erklären lässt sich das mit den Mittel von Literatur und Film nur dann, wenn man tief in die Seele einer Figur blickt und sie bei den einzelnen Phasen ihrer Radikalisierung begleitet. Von einem Rebellen auf dem Schulhof bis zu dem IS-Henker, der einem Menschen die Kehle durchschneidet, ist es innerlich ein ziemlich weiter Weg. Details können entscheidend sein. Lässt man die weg, wirkt die Karriere eines Extremisten wahrscheinlich immer bizarr.
Ja, aber einen Radikalisierungsweg hier in Gänze darzustellen war eigentlich nicht meine primäre Absicht in dieser Story. Ich wollte mich tatsächlich auf den Bruch bei der Hinrichtung fokussieren, und meine Erzählgewichtung auf das Gedankengut/die Weltansicht eines Dschihadisten und die aktuellen Probleme und die Zerrissenheit des Nahen Ostens bzw. der muslimischen Welt zeigen.
Ich stimme dir zu, die Motivation, das ist ein Thema, da gibt es ein paar Archetypen, aber nicht mehr. Ich habe neulich ein autobiografisches Buch von einem Deutschen gelesen, der hatte alles: Frau, Job, Wohnung, Katze. Er war zufrieden, hatte nie psychische Probleme, keine schwere Kindheit, nichts. Aber ihm war einfach langweilig. Das versucht er über Seiten hinweg zu beschreiben: Er hat sich gefragt: War das wirklich schon alles? Wird das jetzt noch 50 Jahre so weitergehen, und dann Schicht im Schacht? Und dann hat er die ersten Kriegsverbrechen des IS im Fernsehen gesehen, und hat von heute auf morgen beschlossen: Gegen die ziehe ich in den Krieg. Er ist kein Moslem, kein Kommunist, kein politisch Engagierter. Nichts. Und ein paar Wochen später hat er Job gekündigt, Frau verlassen, und ist in die Türkei gereist, um mit den Kurden gegen den Islamischen Staat in den Krieg zu ziehen. Ihm war einfach langweilig, er wollte seinen Enkeln was zu erzählen haben. Klar, das ist keine Radikalisierung im klassischen Sinne, aber es ist etwas sehr, sehr ähnliches, das Äquivalent, aus unserer westlichen Gesellschaft heraus. Ich will nicht sagen, dass Dschihadisten langweilig wäre, das wäre schwachsinnig. Was ich meine, ist, dass es die seltsamsten und unbegreiflichsten Wege gibt, einen solchen Schritt zu gehen.


Ich kenne die Zahlen ein bisschen anders: 25.000 Polizisten und Soldaten sind davongelaufen, vor anfangs 1000, am letzten Tag (der dreitägigen Kämpfe) maximal 2000 IS-Kämpfern. Quelle: Christoph Reuter, Die schwarze Macht

Jau, da gibts unterschiedliche Zahlen zu. Ich habe meine Zahlen aus einem Interview mit einem IS-Soldaten 2014/15 (ich habe das Buch gerade dummerweise ausgeliehen) direkt vor Ort, in Mossul, wo meine Geschichte ja auch spielt. Ich dachte, wenn der Erzähler dazu Zahlen im Kopf hätte, dann hätte er sie wohl von anderen Kämpfer vor Ort erfahren/würde ihnen glauben schenken, und nicht aus anderer (westlicher) Quelle. Meine Quelle ist ein Interview in: Todenhöfer, Inside IS

Ich habe mit der AK47 geschossen, ebenso mit dem G3, dem G36 und dem M4. Das sind keine Jagdgewehre, Zigga.
Da vertraue ich dir jetzt mal. Ich habe die Zahl deiner Empfehlung hin angepasst. Vielen Dank.

Diese Szene stellt das Ganze ein bisschen so dar, als würde es bei diesen Hinrichtungen um das Durchschneiden der Kehle gehen. Der psychologisch aufschlussreiche und bei Weitem unheimlichere Aspekt ist allerdings die Enthauptung. Das heißt, der Henker durchtrennt nicht nur die Gefäße und Sehnen und Muskeln des Halses, sondern auch die Wirbel der Halswirbelsäule. Das erfordert einiges an Übung und kann filmtechnisch schnell zum Debakel werden. Diese grausamen Details lässt Deine Geschichte weg, woraus man den Vorwurf ableiten könnte, dass die Szene einer ästhetisierenden Retusche bzw. Zensur unterzogen wurde. Ist aber vielleicht nur ein Nebenschauplatz.
Ja, das stimmt, da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Ich überlege mal, ob ich das Kopfabtrennen noch mit in den Text nehme, es wäre natürlich noch einmal eine Steigerung der Brutalität, schlechtenfalls würde das dem Leser effekthascherisch erscheinen, aber ich denke mal drüber nach.

Achillus, danke dir, dein Fachwissen und deine Vorschläge sind natürlich Gold wert.


Wird weitergeführt!

 

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