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NO WAR - Wenn Sprechchöre nicht mehr loslassen

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10.01.2003
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NO WAR - Wenn Sprechchöre nicht mehr loslassen

NO WAR – Wenn Sprechchöre einen nicht mehr loslassen

Der 21. März war ein sonniger Tag und wie trügerisch dieser erste Frühling den Tag erstrahlen ließ, wurde Frank Gerber erst dann klar, als der Einsatz ihn ereilte. Mehr als zweihundert Menschen sollten vor der Botschaft hocken, schreien, weinen, grölen, um gegen den Krieg im Golf zu protestieren. Ein wenig traurig war er schon, als ihm klar wurde, was sein Job als Polizist von ihm verlangte. So hatte er es sich nicht ausgemalt und dennoch musste er durchhalten.

Als sie in den Einsatzwagen sprangen und die Sonnestrahlen über seine Nase strichen, kamen ihm Tränen. Er zwinkerte mit den Augen, versuchte sich zu beherrschen, jedoch es kostete so unsagbar viel Kraft. Eigentlich glaubte er nicht so stark von diesem Krieg betroffen zu sein. Er hatte keine Verwandte dort, war hier geborgen in einem demokratischen Land mit all seinen Schwächen und Problemen. Er erinnerte sich wie er am Morgen, als der Kaffeebecher zu Boden gefallen war, das heiße Gebräu den Fußboden bespritzte wie dreckiges Blut, an die Erzählungen seines Großvaters vom Weltkrieg gedacht hatte. Irgendwie haftete diesen Erzählungen etwas Staubiges an und genauso den Dokumentationen die in Grautönen den Horror ausleuchteten.

Dieses Mal war es ganz anders. Der kleine Fernseher hatte die Live-Bilder gezeigt von den Panzern die durch den Wüstensand pflügten. Eine brachiale Gewalt, eine Welle des Grauens, hatte er gedacht. Es war nicht seine Art solche Vergleiche heran zu ziehen, doch der Krieg schien den Menschen zu verändern, ihn aufzuwecken. Der Lappen sog die Kaffeelachen in sich auf, wie wohl der Wüstensand das Blut von Menschen verschlingen würde.

Der Polizeitransporter setzte sich in Bewegung. Die Einsatzbesprechung war seltsam gewesen. Ihr Instruktor hatte ihnen klar gemacht, das den Protestierenden maximal noch 30 Minuten nach ihrer Ankunft verbleiben sollten. Dann war es an ihnen sie wegzudrängen und die Demo aufzulösen. Niemand traute sich zu fragen wieso und warum. Sie alle nickten langsam. Keiner machte irgendwelche Spielereien oder wirkte desinteressiert, wie bei den Atomtransporten, die gleichfalls eine Zeit der Demonstrationen waren.

Die Fahrt gestaltete sich ruhig. Nichts passierte. Frank blickte aus dem Fenster und dennoch konnte er nichts sehen. Seine Augen schienen in sich gekehrt, wo er selbst gegen die innere Wut zu kämpfen hatte. Es war alles so gemein und hinterhältig. Wenn man sich die täglichen Berichte anschaute und sah wie es sich entwickelte, war klar, der Krieg war von Anfang an das Ende der ganzen Sache gewesen. Egal wie man dagegen aufbegehrte. Jeder schien es zu wissen, aber dennoch man musste es leugnen, um irgendwie noch die Flamme der Hoffnung im eigenen Herzen leuchten zu lassen.

Frank dachte an das nette Mädchen vom letzten Wochenende in der Disko. Er wusste sich nicht zu helfen, ihre Gestalt erschien wie ein kleiner Engel als Trost und Gegenpart zu seiner aufflammenden Wut der Hilflosigkeit. Er wollte nicht den Menschen ins Gesicht sagen, sie dürften ihre Ansichten nicht hier vor der Botschaft der Vereinigten Staaten in den Frühlingshimmel rufen. Sie war keine Deutsche gewesen, ihre Sprache voller kleiner Fehler, die ihn aber verzückt hatten. Die braunen Augen hatten ihn nicht losgelassen. Er glaubte sie war Türkin gewesen, aber so klar war das nicht, denn sie hatten natürlich nicht über Herkunft gesprochen.

Plötzlich glitten die Worte über die vorher noch so zusammengepressten Lippen: „Es ist doch scheißegal! Entweder man ist Mensch oder man ist Unmensch! Jemand der Krieg führt ist ein Unmensch!“

Zwei seiner Kollegen blickten ihn verdutzt an. Sie saßen so hilflos dort auf der Sitzbank des kleinen Transporters. Ihre grünen Uniformen hatten die Farbe von sterbenden Blättern und ihre Augen waren müde. Er konnte in ihnen sich wieder erkennen, denn genau so hatte er heute Morgen auch in den Badspiegel geblickt. Es war nicht die erste Demo und es würde nicht die letzte sein, die sie auflösen mussten. Aber er war sich sicher, er musste endlich auch Farbe bekennen.

„Wenn Bomben fallen, sterben Menschen. Wenn Menschen sterben, sterben Worte. Wenn Worte sterben, stirbt die Vernunft!“

Er wusste nicht was mit ihm da geschah. Er las nur hin und wieder und meist nur Zeitung oder Comics. Woher kam diese Entschlossenheit?

„Hey, Frank. Beruhige dich!“ meinte einer seiner Kumpanen.

Der Transporter erreichte den Ort ihres Einsatzes. Einer schob die Schiebetür mit wuchtigem Schwung zur Seite und sie sprangen nacheinander aus dem Wagen. Manche nahmen gleich den Schlagstock zur Hand, andere sahen sich nur um. Sie waren sieben im Wagen gewesen. Doch es war eine ganze Kolonne.

Die Polizisten brachten sich in Position; formten einen Ring um die sitzenden Demonstranten. Frank wurde mehr oder weniger mitgezogen. Seine Augen beobachteten, sein Herz schlug und dennoch kämpfte er mit dem geistigen Tod. Entweder seine Meinung starb oder er schaffte es zu handeln nach seinem Herzen.

Es waren Menschen wie er, jedoch hatten sie Mut und standen zu ihren Gedanken. Dort saßen Frauen, Kinder, Jugendliche. Ein alter Mann paffte eine Zigarre und sein grauer Anorak war mit Filzstiften bemalt. NO WAR. Die Buchstaben wirkten zittrig, der Mann jedoch saß felsenfest auf dem Asphalt.

Dann begann der Sprechchor.

„NO WAR“, schrieen sie.

„Entweder man ist Mensch oder man ist Unmensch! Jemand der Krieg führt ist ein Unmensch!“ rief Frank wieder.

Blicke folgten den Worten. Seine Arbeitskollegen schienen sich auf die Lippen zu beißen. Zwei Mädchen jubelten plötzlich. Eine drosch ihm vor Freude gegen das Schienbein und schrie: „NO WAR“.

„Wenn Bomben fallen, sterben Menschen. Wenn Menschen sterben, sterben Worte. Wenn Worte sterben, stirbt die Vernunft!“ konnte Frank nicht an sich halten und abermals waren sowohl Polizisten als Demonstranten überrascht.

So ging es die verbleibenden 30 Minuten. Schließlich war der Zeitpunkt gekommen, sie mussten das Feld räumen.

Die ersten weigerten sich um sich schlagend, andere riefen immer wieder NO WAR voller Inbrunst, selbst als sie an ihren Händen auseinander gezerrt wurden.

Dann schrie Frank:
"Wenn Bomben fallen, sterben Menschen. Wenn Menschen sterben, sterben Worte. Wenn Worte sterben, stirbt die Vernunft!"
Die Demonstranten fielen mit ein. NO WAR - Wenn Bomben fallen, sterben Menschen. Wenn Menschen sterben, sterben Worte. Wenn Worte sterben, stirbt die Vernunft!

Zum Schluss standen die Polizisten um die Demonstranten und riefen gleichfalls NO WAR. Was sollte man tun? Sich gegen sich selbst wenden oder gegen den Krieg?

NO WAR Sprechchöre schallten gegen die kalten Wände der Botschaft, gegen Fenster und über den Platz. Zwischen den Polizisten und Demonstranten mischten sich immer mehr Menschen.

Und morgen wieder …

 

Hallo badfinger,

Der saubere und fluessige Stil gefaellt mir gut, aber ansonsten ist die Geschichte etwas duenn. Die Situation mit dem Irak ist so unglaublich kompliziert, und die Meinungen so verschieden, da koennen mich Platitueden, wie das, was die Demonstranten rufen, nicht zufrieden stellen. Eine griechische Tragoedie, in der aus verschiedenen schlechten Moeglichkeiten eine gewaehlt werden muss, die womoeglich verheerende Folgen haben koennte, kommt der Essenz des Problems schon naeher. Auch finde ich nicht, dass ein Polizist, der eine Demo ueberwacht (und nicht nur um die Demonstranten in Zaum zu halten, sondern auch um sie vor Angriffen von Leuten einer anderen Partei zu schuetzen) "geistig stirbt", wenn er nicht mitdemonstriert. Egal wie gut das Anliegen der Demo ist.

Eins noch:

Ihre grünen Uniformen hatten die Farbe von sterbenden Blättern

Fand ich etwas seltsam. Gruen ist doch eigentlich ein Zeichen dafuer, dass es Blaettern ziemlich gut geht.

Gruss,

I3en

 

Hallo badfinger!

Auch mir hat der angenehme Stil der Geschichte gut gefallen. Ausserdem fand ich es gut, dass Du einmal aus der Sicht eines Polizisten erzählt hast. Am Anfang dache ich mir eine Parallele irgendwie: die Polizisten, die nicht nachfragen, bereit sind zu tun, was man ihnen sagt. Als dann die individuelle Seite dazukommt, und Frank neben dem Job auch als Mensch erscheint, fand ich das sehr gut. Es wird Polizisten wohl öfter mal so gehen, dass sie eine Demo auflösen müssen, obwohl sie lieber selbst unter den Demonstranten wären... Allerdings ist auch mir die Darstellung zu... einfach. Der Wandel erfolgt zu schnell, zu sauber und einseitig irgendwie. Aber Du könntest es ausbauen, denke ich...

klar gemacht, das den Protestierenden – dass

schöne Grüße, Anne

 

Die Geschichte ist nicht perfekt und es ist auch nur ein ganz kleiner Ausschnitt, was ich denke eben nur für die Kurzgeschichte an sich möglich ist. Schön wenn die Story dennoch gefällt.

 

Hallo badfinger!

Die Tatsache, daß die Demonstration überhaupt aufgelöst werden sollte, gibt Deiner Geschichte was Trauriges.

Aber der Polizist in Deiner Geschichte ist wirklich mutig... und es ist halt ein uralter Traum der Demonstranten, daß die Polizisten einmal ihre Uniform vergessen und mitmachen.
Solche Illusionen machen aber Mut und deshalb sind sie wichtig - auch wenn die Geschichte wirklich ein bisschen an den Haaren herbeigezogen klingt, aber für jemanden, der sich selbst an solchen Demos beteiligt, liest sie sich wie ein schönes Märchen, von dem man sich wünscht, daß es eines Tages in Erfüllung geht. :)


Ein paar Verbesserungsvorschläge und Fehler hab ich noch rausgeklaubt - wäre fein, wenn Du sie editierst. ;)

"und die Sonnestrahlen über seine Nase strichen"
- Sonnenstrahlen

"versuchte sich zu beherrschen, jedoch es kostete so unsagbar viel Kraft."
- das "jedoch" finde ich vom Stil her nicht so passend, würde ein "aber" nehmen

"hatte ihnen klar gemacht, das den Protestierenden maximal noch 30 Minuten"
- dass (hat auch Maus schon gesagt, aber Du hast es noch nicht korrigiert - hast Du es ihr nicht geglaubt? ;) )
- dreißig (auch bei "die verbleibenden 30 Minuten" gegen Ende der Geschichte)

"Dann war es an ihnen sie wegzudrängen"
- ihnen, sie

"aber dennoch man musste es leugnen,"
- entweder gehört nach dennoch ein Doppelpunkt, Beistrich oder Bindestrich, oder Du schreibst "aber dennoch musste man es leugnen, ..."

"Entweder seine Meinung starb oder er schaffte es zu handeln nach seinem Herzen."
- oder er schaffte es, nach seinem Herzen zu handeln.

"Es waren Menschen wie er, jedoch hatten sie Mut und standen zu ihren Gedanken."
- kurz danach wiederholt sich das "jedoch" im Satz mit dem alten Mann - dort paßt es meiner Meinung nach besser als hier, mein Vorschlag: "..., aber sie hatten Mut ..."

"Unmensch!“ rief Frank wieder"
- Unmensch!", rief

"stirbt die Vernunft!“ konnte Frank nicht an sich halten"
- Vernunft!", konnte

"abermals waren sowohl Polizisten als Demonstranten überrascht"
- würde ein "auch" zwischen "als" und "Demonstranten" einfügen, es heißt "sowohl als auch" ;)

"Schließlich war der Zeitpunkt gekommen, sie mussten das Feld räumen."
- fände besser "wo sie das Feld räumen mussten"

"andere riefen immer wieder NO WAR voller Inbrunst"
- "NO WAR"

"NO WAR Sprechchöre"
- "NO WAR"-Sprechchöre

"Zwischen den Polizisten und Demonstranten mischten sich immer mehr Menschen."
- entweder "Zwischen die ..." oder besser "Unter die ..."

Alles liebe,
Susi

 

Danke allen, werde dieser Tage (die Woche hat erst begonnen :P) eine "edit" - Version machen :)

Thx, PEACE und lieben Gruß
Marcel

 

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