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Ninas Mappe
Nina kommt in mein Zimmer getanzt, hat einen Teller mit Marmeladenbroten in der rechten Hand und ihre Schreibtischlampe in der linken. Es ist ein wirklich hässliches Teil, so grün mit weißen Punkten drauf, und sie streckt es mir strahlend entgegen.
“Deine war ja kaputt. Und ich bin fertig für heute.”
Ich nehme das Ding und stelle es ganz hinten auf den Schreibtisch, neben die Farbflaschen. Es ist jetzt schon im Weg.
“Danke.”
Meine Zwillingsschwester hebt mit obligatorischem Lächeln die Schultern, und drückt mir die Brote in die Hand, dabei beugt sie sich so über mich, dass sie das wellige Stück Papier besser sehen kann, das ich mit Kreppband auf der Tischplatte fixiert habe.
“Darf ich mal gucken?”, fragt sie und mustert schon das Bild. Ich will es am liebsten wegreißen und dann verschwinden, schäme mich für die dicken, wackeligen Pinselstriche, die ich noch nicht zufriedenstellend übermalt habe und für das bescheuerte, einfallslose Motiv. Ein Stilleben. Still. Und langweilig. Warum muss man auch unbedingt so eine kack Mappe mit Bildern abgeben, wenn man Illustration studieren will?
Unruhig rutsche ich auf dem Stuhl herum, Nina guckt viel zu lange. Bestimmt denkt sie auch, dass sie den Studienplatz viel eher kriegt als ich. Ganz sicher. Als sie endlich wieder aufschaut sagt sie übertrieben freundlich: “Hey, also die Farben passen doch total gut. Mach da vielleicht eine Bilderserie draus, dann kannst du ein bisschen mit der Perspektive variieren und so. Das wird echt klasse.”
Ich gähne nur und beiße in eines der Brote.
“Ich will erst mal das hier fertig kriegen”, murmle ich mit halbvollem Mund.
Nina klopft mir auf die Schulter. “Mach nicht mehr so lang. Ich wecke dich morgen um halb sechs, okay? Nachti, Katja!“
Nachti. Echt jetzt. Ich verziehe das Gesicht und schlucke das Brot hinunter, um etwas zu Patziges zu erwidern, aber mit diesen Worten hopst sie schon winkend aus meinem Zimmer, als wäre dieses fröhliche Getue normal und als würde morgen nichts Wichtiges anstehen. Aber für sie wird es ja auch nicht schlimm.
Noch lange nachdem es im Nebenzimmer still geworden ist, sitze ich an meinem Schreibtisch und lausche dem Sirren ihrer blöden Lampe. Und dem Kratzen des Pinsels auf Papier, dem Blut, das in meinen Ohren pocht, dem bösen Gedanken, der sich in meinem Hirn eingenistet hat und immerzu flüstert: Du schaffst es nicht.
Am Morgen hämmert Nina einen komplizierten Rhythmus an meine Tür. Bestimmt gibt es in ihrem Kopf eine passende Melodie dazu. Ich grummle, bewege mich nur ganz langsam, als ich aufstehe und mich fertig mache. Die Mappenberatung fängt doch erst in ein paar Stunden an.
Schließlich tapse ich in die Küche. Setze mich. Nina steht am Herd und kocht. Grießbrei mit Blaubeeren für sich, Spiegelei für mich, wie immer. Ich betrachte ihr Gesicht, das sich in der Dunstabzugshaube spiegelt. Sie grinst und summt und wackelt mit den Augenbrauen herum, als sie bemerkt, dass ich sie beobachte. Auf ihrem Stuhl steht ein großer, brauner Koffer.
“Was ist das denn?”, frage ich.
Nina fährt herum und lacht.
“Meine neue Mappe. Ist doch klar. Die habe ich gestern auf dem Flohmarkt gefunden. Und die Maße sind perfekt. Hab ich das echt noch nicht erzählt?”
Ich schüttle nur den Kopf und beobachte, wie Nina das Essen auf zwei Teller verfrachtet. Kurz summt sie etwas, vielleicht die Klopfmelodie.
“Und eine normale Mappe tut’s da nicht?”, frage ich, als sie sich zu mir setzt.
“Ich find’s gut. Ist zumindest nicht so langweilig. Und heute werden wir ja erfahren, wie es ankommt, oder.”
Es ist keine Frage. Nina beginnt über beide Ohren grinsend, sich Grießbrei in den Mund zu schieben.
“Tzz” mache ich nur. Aber am liebsten will ich meinen Kopf brutal ins Spiegelei matschen. Natürlich werden die es gut finden. Die werden ihr vermutlich aus der Hand fressen, wenn sie ihre Bilder sehen. Und irgendwann wird Nina dann Illustration studieren und säckeweise Bilderbücher verkaufen. Oder verschenken. Allein. Ich hetze dann immer noch diesem Traum hinterher und schrotte eine Schreibtischlampe nach der anderen.
Nina fixiert mich mit ihrem Blick, zieht eine Schnute und lacht dabei.
“Hey, Griesgram, entspann dich mal. Das wird toll heute.”
“Ja, klar”, sage ich leise und starre auf meinen Teller. Sie hat es so hingekriegt, dass die beiden Eigelbe und eine gebogene braungebratene Stelle mich aus dem Weißen angrinsen wie ein übergroßer Smiley.
“Sogar aus Eiern …”, murmle ich noch, aber beim Gedanken an die Mappenberatung und beim Anblick von Ninas Koffermappe bleibt mir der Rest des Satzes im Hals stecken. Um das Gefühl zu vertreiben, schiebe ich mir eine volle Gabel in den Mund und zwinge mich zum Schlucken. Aber ich schmecke das Ei gar nicht richtig.
Später im Zug zeichnet Nina die ganze Zeit fremde Menschen in ihr Skizzenbuch. Vom weißen Papier schauen mir Miniaturgesichter entgegen, die genauso aussehen wie ihre Originale. Ich erkenne sogar auf der kleinen Zeichnung den Schweißfilm, der auf der Stirn dieses Kerls da drüben klebt. Sein Portrait ist wirklich genau so schmierig wie er.
Ich fühle mich auch ein bisschen klebrig, aber mir ist ganz kalt. Immer wieder rutsche ich auf meinem Sitz herum, ändere meine Position. Ich streiche mit der Hand über die schlichte Plastikmappe auf meinem Schoß, lasse den Blick schweifen, suche nach etwas, auf das ich mich konzentrieren kann. Manchmal bemerken es die Leute, wenn Nina sie zeichnet, dann gucken sie böse oder drehen sich weg. Nina stört das aber nicht. Mich schon. Meine Mappe sieht ja neben ihrem Koffer ganz kümmerlich aus. Da ist es auch nicht besser, dass Nina beim Zeichnen die ganze Zeit von Hamburg redet, von der Hochschule, von unserer gemeinsamen Zukunft als Illustratorenteam im selbstgegründeten Kinderbuchverlag. Ich merke, dass ich angefangen habe zu zittern und mache mich ganz steif, damit Nina es nicht merkt.
Irgendwann piekst sie mir mit dem Bleistift ins Bein und ich zucke zusammen. Sie hält mir das Skizzenbuch vor die Nase und ich erkenne mein Gesicht, zu einem Lächeln verzogen wie für ein Foto.
„Hey, Katja“, sagt sie, „So will ich dich sehen, okay?“
Ich ziehe die Mundwinkel nach oben, aber es fühlt sich falsch an und außerdem wird mir langsam schlecht. In zwei Stunden sind wir in der der Hochschule, und dann werden alle sehen, wie dieser Traum für mich zerplatzt, weil ich sowieso niemals angenommen werde. Und dann, wenn es blöd läuft, wird Nina mir gut zureden und mir sagen, dass ich ja noch genug Zeit habe, um irgendwelche Anregungen von da umzusetzen und …
„Hey, ich mein‘s ernst. Heute ist der erste große Tag. Das wird toll. Freu dich doch ein bisschen, ja?“
„Okay“, sage ich und nicke. Ich setze mich aufrechter hin. Der Zug fährt eine Kurve und meine Mappe rutscht mir vom Schoß. Als ich sie aufhebe, zittere ich schon wieder.
„Ich hab Angst“, gebe ich zu, ganz leise.
„Ach, Quatsch! Da kann gar nichts passieren. Wenn wir das wirklich wollen, schaffen wir das auch. Zusammen. Du und ich.“
Zusammen. Wenn wir das wirklich wollen. Toll.
„Ja klar“, sage ich viel zu laut.
Nina will meine Hand greifen, aber ich ziehe sie weg. Plötzlich bin ich wütend, ich springe auf und keife: „Mensch, kannst du nicht mal aufhören, immer so verdammt positiv zu tun? Das hilft mir alles gar nicht und das weißt du selbst.“
Ich muss Luft holen, und bemerke plötzlich die vielen Blicke, die jetzt auf mir ruhen. Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare und setze mich wieder hin.
„So hab ich das nicht …“, setzt Nina an, aber ich lasse sie nicht ausreden.
„Klar, für dich ist das alles schön und einfach, aber denk doch mal ein bisschen an mich. Die werden mir sagen, dass meine Bilder Schrott sind und ich das ganze vergessen kann.“
„Nein“, sagt sie bestimmt. „Das werden sie sicher nicht. Die geben heute doch nur Tipps, und ich finde du malst wirklich auch total gut. Echt. Hör mal auf mit der Schwarzmalerei, das nervt.“
Mir fällt so viel ein, was ich jetzt sagen will. Dass ich das nicht schaffe. Und dass sie mich nicht anlügen soll, weil sie eben besser ist als ich es jemals sein werde. Und dass ich sie nicht enttäuschen will. Dass sie mich einfach verdammt nochmal in Ruhe lassen soll. Und dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, jemals angenommen zu werden und jemals eine gute Illustratorin zu sein. Aber ich sage nichts, und während ich meine Stirn an der Fensterscheibe kühle, beginnt Nina, wieder in ihr Skizzenbuch zu zeichnen und irgendein Lied zu summen.
Ich kaue mir auf der Unterlippe herum, hole immer wieder tief Luft, um etwas zu sagen, und versenke dann doch nur die Zähne in den bereits wunden Stellen.
Als wir in Hamburg ankommen, schmecke ich Blut, aber zumindest zittere ich nicht mehr so sehr und meine Atmung hat sich beruhigt. Nina springt total dämlich mit ihrer Koffermappe aus dem Zug, grinst mich auffordernd an und zerrt mich zielstrebig weiter. Sie ist jetzt noch energischer. Gerüche, Lärm und Farben prasseln auf mich ein und drängen die Mappenberatung in den Hintergrund meiner Gedanken, zumindest für den einen Moment. Überall sind Menschen, wir rempeln einige an, bevor Nina endlich langsamer wird und sich den Weg mit etwas mehr Bedacht bahnt. Aber sie guckt sich kaum um, wahrscheinlich hat sie den richtigen Weg vorher auswendig gelernt. Ich bin ein bisschen außer Atem, Nina nicht. Natürlich nicht. Je näher wir der U-Bahn kommen, desto fester wird Ninas Griff um meine Hand, ihre Knöchel sehen ganz weiß aus und es tut ein bisschen weh.
„Mach mal halblang!“, sage ich, aber sie reagiert nicht und ich belasse es dabei. Zumindest hopst sie nicht mehr, sonst würde sie mir vielleicht noch irgendeinen Knochen brechen.
Am Gleis lässt sie mich endlich los und beginnt hin und her zu laufen, auf der Stelle zu treten, herumzuzappeln. Den Koffer behält sie in der Hand, ab und an stößt er an ihre Beine, dann hält sie für einen Moment still und streicht sich die Haare aus dem Gesicht oder fummelt am Reißverschluss ihrer Jacke. Irgendwas hält mich davon ab, den Blick von ihr zu lösen, ich schnipse ein paar mal mit den Fingern in meiner Hosentasche, um etwas zu tun zu haben.
„Guck mal“, sagt sie plötzlich und ich zucke wieder zusammen. Sie deutet auf einen Jungen, der in einiger Entfernung herumsteht und eine schwarze Mappe unterm Arm klemmen hat. Seine ist etwa doppelt so voll wie die von mir.
„Der will bestimmt auch da hin!“
„Ja. Toll“, sage ich. „Bleib mal bei der Sache, okay?“
Sie macht ein paar Schritte auf den Jungen zu, öffnet sogar schon den Mund um vielleicht zur Begrüßung etwas zu rufen. Na super, denke ich, bestimmt werde ich gleich wieder in ein Gespräch mit diesem wildfremden Typen verwickelt, der mir dann erzählt, dass meine Mappe im Vergleich zu Ninas auch ganz gut ist und so weiter. Das hat gerade noch gefehlt.
Ich will gerade möglichst unauffällig in die entgegengesetzte Richtung laufen, als Nina stehen bleibt und sich zu mir umdreht. Ich blinzle sie verwirrt an. Sie steckt die freie Hand wie ich in die Hosentasche, zuckt mit den Schultern, grinst wieder, aber irgendwie anders als sonst.
„Tja“, sagt sie, „Gleich geht es los. Ich bin ja mal echt gespannt, was es da noch so für Mappen hat. Bestimmt sind wir besser als alle anderen bei der Beratung, wir beide. Und dann werden wir angenommen und alles läuft gut.“
Sie lacht, aber es kommt mir nicht echt vor, eher so wie meine eigene geheuchelte Zuversicht der letzten Tage. Aber Quatsch, das kann ja nicht sein. Für Nina ist das hier wahrscheinlich der aufregendste Tag ihres Lebens, sie muss sich ja keine Sorgen machen. Ich verdrehe die Augen, aber dann schüttle ich den Kopf. Für mich sollte das hier doch auch der aufregendste Tag sein. Was ist eigentlich falsch mit mir? Mit der Einstellung kann ich das ganze echt gleich vergessen. Wieder zwinge ich mir ein Grinsen aufs Gesicht, ich wippe leicht auf den Zehen, wie Nina manchmal, aber jetzt zappelt sie wirklich schrecklich herum, da komme ich nicht ran.
Eine Gruppe Mädels steht in unserer Nähe, sie sind vielleicht zwei Jahre jünger als wir und schnattern so laut, dass ich sie nicht überhören kann.
„Weißt du eigentlich inzwischen endlich, was du nach dem Abi machst?“, fragt die eine gerade, ihre fröhliche Stimme erinnert mich an Nina.
„Keine Ahnung. Jetzt nerv nicht so!“, antwortet die zweite und die dritte kichert. „Wir werden dich so lang fragen,bis du endlich mal gescheit antwortest.“
Alle drei lachen.
Ich schlucke, weil sich meine Zunge ganz pelzig anfühlt, der fröhliche Gesichtsausdruck, den ich eben versucht habe, ist mir auch wieder abhanden gekommen. Ich zwinge mich, wegzuhören und schaue wieder Nina an, die jetzt plötzlich beide Arme um den Koffer geschlungen hat.
„Das … Das wird super“, sagt sie nochmal. Ich nicke ergeben, dann fährt unsere Bahn ein.
Es sind ungefähr zehn Minuten bis zur Hochschule, aber es kommt mir länger vor. Wie oft habe ich mir diese letzte Strecke heute schon vorgestellt. Nina, die übermütig an den Sitzreihen vorbeihüpft und endlos von unserer Zukunft quasselt oder Fremden Leuten ihre Bilder zeigt. Und daneben ich, wie ich vor Angst kaum noch ein Wort rausbringe, oder wie ich peinlich in Tränen ausbrechen oder so sehr zittere, dass mir die Mappe aus den verschwitzten Händen rutscht. So hätte diese Fahrt sein müssen. Aber meine Schwester bleibt ganz still. Sie wirkt seltsam blass und starrt auf ihre Füße mit den beiden unterschiedlichen Socken. Wir beide spiegeln uns im Fenster und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ihr Spiegelbild für meins halten, nervös und fahrig. Ich bekomme eine Gänsehaut und lasse den Blick immer wieder zu der blassen Nina im Fenster wandern. Es kommt mir vor, als täte ich etwas Verbotenes. Die Stille zieht die Zeit in die Länge und als wir aussteigen, springe ich geradezu aus der Bahn, um der Enge zu entkommen.
Wir gehen ein Stück und ich habe das Gefühl, dass ich etwas sagen muss.
„Alles okay?“, frage ich schließlich, als die Hochschule in Sicht kommt und ich bemerke, wie unregelmäßig und laut Nina atmet.
Sie bleibt stehen, dreht sich zu mir um und starrt mich ein paar Sekunden an. Auf einmal kneift sie die Augen zusammen und ihr Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, dann stellt sie den Koffer ab und umarmt mich. Ich stehe ganz steif da, unsicher, wie ich reagieren soll, bis sie sich abwendet und an eine Hauswand lehnt. Ihre Augen sind glasig und sie wischt sich hektisch darüber bevor sie zitternd Luft holt und mich wieder anschaut. Was soll das denn? Ich ziehe den Kopf ein bisschen ein und mache einen winzigen Schritt auf sie zu.
„Ja. Alles okay“, flüstert sie dann. „Es ist nur … Ich … was wenn wir das hier nicht schaffen? Wenn wir nicht gut genug sind?“
Erst denke ich, sie will mir damit eins auswischen, es muss ein schlechter Scherz sein. Aber ihr Gesicht sagt etwas anderes. Die Wangen sind unnatürlich angespannt, die Mundwinkel sinken alle paar Sekunden nach unten. Das kann doch nicht sein, oder? Einen Moment stehe ich nur wie angewurzelt da und glotze sie verdattert an, dann sage ich: „Aber das hier ist doch nur der Beratungstermin, da kann gar nichts passieren. Das sagst du doch selbst immer.“
„Ja. Aber wenn sie uns eröffnen, dass es für uns nichts wird?“ Sie macht eine Pause, guckt kurz meine Mappe an. „Ich weiß nicht, was ich dann machen soll. Das hier war doch immer unser Ziel, was machen wir, wenn … wenn …“
Sie schlingt die Arme um die Brust und schluckt ein paarmal und ich nehme sie wieder in die Arme, weil mir nichts besseres einfällt. Nina macht sich Sorgen um ihren Studienplatz? Nina, die besser malen kann als alle Menschen, die ich kenne? Die immer auf das hier hingearbeitet hat und die mir von klein auf von unserem Plan vorgeschwärmt hat?
„Nein“, murmle ich, meine Stimme klingt zu hoch. „Nein, das wird nicht schiefgehen. Du bist sowas von talentiert. Wir schaffen das. Und es wird alles so, wie wir es vorhaben, okay? Wir werden da reingehen und das Ding rocken und höchstens tolle Tipps kriegen und alles. Und nächstes Semester studieren wir hier gemeinsam Illustration, wie wir das immer wollten. Dann gründen wir den Kinderbuchverlag und verkaufen gemeinsam Kinderbücher und …“
Ninas Schultern beben ganz leicht, als ich ihr herunterbete, was ich schon so oft selbst gehört habe. Immer wieder, all die Jahre hat sie es mir erzählt, wie unsere Zukunft einmal aussehen würde, bunt und fröhlich, aber jetzt helfen diese Worte nicht.
Mit einem Mal wird mir klar, was ich da überhaupt sage. Es stimmt nicht. Ich löse mich langsam aus der Umarmung, halte Nina eine Armeslänge von mir weg.
„Katja?“, fragt Nina leise und schnieft ein bisschen.
Ich nicke. „Nina, ich glaube, ich muss dir was sagen.“
Dann mache ich eine Pause und überlege, wie ich es ausdrücken soll, aber bevor ich mich entschieden habe, murmle ich weiter: „Nina. Ich kann mir bei dir wirklich nicht vorstellen, dass das nicht klappt, weil du für mich längst da angenommen bist. Ich hab dich schon immer da gesehen, seit du es zum ersten Mal erzählt hast, weil es dich begeistert. Illustration ist dein Traum. Wenn irgendwer diesen Traum wahrmachen kann, dann du. Aber ...“
Mir wird wieder schlecht, aber jetzt muss ich einfach weitersprechen, auch wenn die Worte, die sich inzwischen irgendwie in meinen Gedanken gebildet haben, sinnlos klingen und mir die Luft abschnüren. „Aber das ist nicht mein Traum.“, höre ich mich sagen. „Nicht wirklich. Das war mir vorher nie klar, aber ich wollte das nur, weil du das wolltest. Das hier ist nicht meine Welt. Ich will meinen eigenen Weg gehen.“
Nach ein Paar Sekunden erst werden ihre Augen größer und ich stelle mir vor, wie sie es ganz langsam versteht während es auch zu mir durchsickert. Ich habe das gerade wirklich gesagt. Obwohl sich alles in mir verkrampft, steigt ein Lachen meine Kehle hinauf und bricht dann unkontrolliert aus mir hervor. Ich halte immer noch Ninas Schulter und krümme mich geradezu vor Lachen, ich komme mir dämlich vor, aber es tut gut.
„So. Jetzt ist es raus“, sage ich schließlich und schnappe nach Luft.
„Du willst nicht …? “, fängt sie an, ganz leise und piepsig, dann schließt sie für ein paar Sekunden die Augen. Ich presse die Zähne aufeinander, mache mich darauf gefasst, zu streiten. Nina stampft mit dem Fuß auf. Verschränkt die Arme. Seufzt. Ihr Blick trifft meinen für einen Moment, dann nochmal. Sie setzt zum Sprechen an, aber braucht dann noch einen Moment. Die Luft sirrt in meinen Ohren wie die grüne Schreibtischlampe, die zuhause auf zwischen den Farbflaschen so sehr im Weg steht.
Und schließlich sagt sie mit ihrer üblichen ruhigen, festen Stimme: „Du machst das schon irgendwie, schätze ich. Ich hätte das wahrscheinlich längst merken müssen, aber … Tut mir leid.“
Kurz starre ich sie an, warte auf mehr und begreife nicht, dass es so einfach sein soll. Etwas in mir will sich wehren, will sie anbrüllen, will ihr meine Mappe um die Ohren hauen und auf ihren Koffer eintreten. Aber sie lächelt ganz vorsichtig und nickt mir zu.
„Ja“, sage ich dann und habe auf einmal das Gefühl, ein paar Zentimeter zu wachsen. „Ja.“ Mein Blick fällt wieder auf den große, braunen Koffer, der neben uns steht. „Mir fällt bestimmt was ein. Und du machst jetzt endlich dein Ding.“
Ich drücke Nina ihren Koffer in die Hand.
„Das wird toll.“
Und wir gehen gemeinsam die letzten Schritte zu ihrer Mappenberatung.
Ein bisschen hopse ich auf dem Weg.