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Nimm' die Maske nicht ab!

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25.01.2002
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Nimm' die Maske nicht ab!

Schon wieder nur 2 Punkte. Rebecca sinkt auf ihren Stuhl zurück. In ihrem Bauch fängt an sich ein Klumpen zu formen. Sie fühlt, wie die Tränen ihr in die Augen steigen. Sieht starr aus dem Fenster, möchte an etwas Schönes denken um sich vor dem Kurs nicht die Blöße zu geben auch heulen. Sie weiß, dass es wichtig ist, sich keine Gefühle anmerken zu lassen. „Kann ich mal auf die Toilette?“ Sie sperrt sich in eine Zelle ein, setzt sich auf den Deckel, stützt den Kopf auf den Armen ab. Langsam beginnt sie zu weinen. Der Klumpen im Magen beginnt sich aufzulösen. Sie versucht keinen Laut von sich zu geben, damit niemand ihren Schmerz mitbekommt. Die Anderen würde sie eh nicht verstehen. Langsam geht es wieder. Sie geht zu den Waschbecken, lässt sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen. Noch schnell die verwischte Wimperntusche wegwischen und zurück ins Klassenzimmer. Nur nicht auffallen.

13 Uhr: Rebecca packt rasend schnell ihre Stifte und Ordner in die lederne Umhängetasche und läuft zur U-Bahn. Wenn sie diese nicht bekäme wäre sie zu spät im Laden. Sie hat Angst gekündigt zu werden. In der Métro sucht sie nach einer Kopfschmerztablette in der Tasche. Ihr Blick fällt auf die Klausur, wieder wird ihr schlecht. Am liebsten wäre sie alleine. Würde weglaufen. Aber sie muss ihr Abitur bestehen. Sie ist der Außenseiter in ihrer Familie, die Eltern leben von der Sozialhilfe, ihnen ist ihre Ausbildung zu teuer. Jessica, Sven und Marcel sind auf der Hauptschule bzw. machen eine Ausbildung. Jan geht zur Sonderschule. Endstation! Sie läuft aus der Tür, über die Rolltreppe.

Nach 6 Stunden am Gemüsestand für 5€ die Stunde sitzt sie wieder in der U-Bahn nach Hause. Für was macht sie das alles? Ihr Magen knurrt, den ganzen Tag nur ein Mars und einen Apfel. Auf dem Weg von der Station zum Block macht sie einen Umweg um noch in einer Boutique ein T-Shirt für 50€ zu kaufen. Die anderen Mädchen in der Schule unterhielten sich darüber, es sei so trashig. Sie musste es haben, vielleicht denken sie dann nicht mehr dass ich so arm sei. Die Eltern dürfen nicht erfahren, dass sie sich so ein teures neues Shirt gekauft hat. Sie sperrt die Tür auf, 13. Stock, riecht den Gestank von abgestandenem Zigarettenrauch und Alkohol. Ihre Mutter kommt auf sie zu, brüllt sie an, kreischt, was sie doch für eine Schlampe sei, sich nach der Schule so lange herumzutreiben. Rebecca geht in ihr Zimmer, das sie sich mit zwei weiteren Geschwistern teilt. Versteckt das Shirt hinter dem Schreibtisch. Sie geht ins Badezimmer, hat ein Loch im Bauch. Hunger. Als sie sich im Spiegel betrachtet: Augenringe, hört sie ihren Vater rufen. Sie geht aus dem Bad, schon an dem Ton erkennt sie dass er wütend ist. Er steht unter der Tür zur Küche. Rebecca erkennt ihre Klausur in seiner linken Hand, die leuchtend roten 2 Punkte. Sie duckt sich, weiß was jetzt kommt, nimmt die Arme über den Kopf, wimmert, geht zu Boden.

(ms, 28.01.2002)

[Beitrag editiert von: Poetna am 29.01.2002 um 14:00]

 

Wow!

Ich konnte mich richtig gut in das Mädchen hinein versetzen.
Du hast mit wenigen Sätzen so viel rüber gebracht, wo andere drei Seiten dafür bräuchten.
Soviel zum Inhalt und dem Schreibstil.


lässt sich kalte Wasser über die Handgelenke laufen

Entweder fügst du dem kalt noch ein "s" zu, oder du stellst hinter "sich" das Wörtchen das


Er steht unter der Tür zur Küche

Hört sich ein wenig merkwürdig an. Wie kann man unter einer Tür stehen? Wenn, dann doch höchstens im Türrahmen. Oder?


möchte an etwas Schönes denken um sich um sich vor dem Kurs

Einmal würde genügen ;)


Gruß
L.o.C.

 

L.o.C. hat es gesagt: in diesen kurzen Sätzen steckt eine Menge Verzweiflung - und der stetige Versuch, das Hoffen nicht aufzugeben, auch wenn ständig alles gegen Rebecca arbeitet. Es sind eine Menge Facetten schön herausgearbeitet, wie die KlassenkameradInnen, in die sie die sechs Stunden Arbeit steckt, die Widersinnigkeit der Eltern, die, in ihrem Rausch gefangen, beständig gegen ihre Tochter arbeiten.
Stilistisch hätte ich vielleicht noch hinter das „Kann ich mal auf die Toilette?“ ein 'fragt sie'. gesetzt. Der Satz, fällt mir gerade mal auf, steht ja auch fast stellvertretend für ihren ganzen Charakter(wie es der Titel sagt), der zweifellos ziemlich stark ist.

Insgesamt: Gefällt mir.
Gruß, baddax

@L.o.C.:
Ich glaube, das "unter der Tür stehen" gibt es schon ,ich weiß nur nicht in welcher sprachlichen Ecke.

[Beitrag editiert von: baddax am 29.01.2002 um 10:17]

 

Vielen Dank für das Lob. Danke auch an L.o.C. für den Hinweis auf die Rechtschreibfehler, es war wirklich spät heute nacht. ;-) Habe sie auch gleich geändert, das unter der Tür stehen möchte ich aber so lassen, weil ich diesen Ausdruck so kenne. Vielleicht sagt man das auch nicht überall.

mfg
ms

 

Ok, ihr habt mich überzeugt. :)
Die Aussage mit der Tür scheint wohl weitläufig bekannt zu sein.

Dann ergebe ich mich halt in mein Schicksal und werde euch Glauben schenken. ;)

 

Hi Poetna

Gefiel mir auch sehr gut, weil Du nicht zuviel drumrumgeschrieben hast.
Ich finde alles nachvollziebar, und dicht erzählt...

Ansonsten schließe ich mich meinen Vorkritikern (L.O.C.) an, daß ich "Unter der Türe stehen" auch nicht in meinem allgemeinen Sprachschatz habe, oder verwenden würde...Tut der Güte der Geschichte aber keinen Abbruch...

Mehr davon.. :D

es grüßt:

Der Lord
<cogito ergo sum>

 

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