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Nightfall
überarbeitete Version: Nightfall
Und die überarbeitete Version, diesmal sogar mit Kommas :-) Allerdings bin ich mir nicht ganz so sicher, ob ich sie alle erwischt habe, oder vielleicht sogar jetzt zu viele habe (eher unwahrscheinlich, aber ...). Vom Inhalt her werde ich es mir auch noch mal vornehmen und erweitern, sobald ich etwas Zeit habe.
***
Nightfall
Plop
Plop
Plop
Plop
Mit einem Stöhnen kam sie zu sich. Unfreiwillig, aber angetrieben von dem Ploppen, das gnadenlos und ohne Unterbrechung ihr Unterbewusstsein penetrierte. Nein, malträtierte war eine noch viel bessere Beschreibung. Es fühlte sich so an, als wenn eine ganze Trommlervereinigung Zuflucht in ihrem Kopf gesucht hätte und dort für ihren nächsten Auftritt probte.
Testend öffnete sie ein Auge. Es kostete sie eine unvorstellbare Anstrengung. Fast so, als wenn jemand ihre Augenlider zugeklebt hätte. Aber das war Blödsinn. Das zweite folgte. Es war etwas leichter. Ein kleiner Erfolg.
Den Raum, indem sie sich wiederfand, kannte sie nicht. Obwohl sich tief in ihrem Inneren etwas regte, das ihr sagte, dass ihr die moosgrünen Vorhänge oder das exklusive Bett vielleicht doch bekannt vorkommen sollten. Sie dachte angestrengt nach. Ihre Mühe wurde belohnt. Für einen Moment waren da Bilder aus einem früheren Leben. Lachende Leute, ein Gebäude, Licht, Hoffnung, und ... Leben. Lachende, fröhliche grüne Augen, hellrote Haare.
Das Wissen, dass sie die Person kennen sollte, spornte sie an. Sie verdoppelte ihre Anstrengung, versuchte verzweifelt an den Gedankengängen festzuhalten und sie zu einem Bild zusammenzusetzen.
Plop
Plop
Plop
Plop
Das Geräusch machte es ihr fast unmöglich zu denken. Immer wieder, in immer schnellerer Abfolge als zuvor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie stieß einen wütenden Schluchzer aus, als die mühevoll an die Oberfläche gezogenen Erinnerungen in einem Nebel von Rot entschwanden.
Plop
Plop
Plop
Plop
Sie versuchte die Fesseln, die trotz Polsterung unangenehm einschnitten, zu ignorieren. Mühevoll wendete sie den Kopf, in dem Versuch zu erkunden woher das Geräusch kam. Es wurde intensiver.
Ihre Kopfschmerzen schwollen an.
Plop
Plop
Plop
Plop
Das Geräusch kam ihr bekannt vor. Sie war sich dessen sicher.
Plop
Plop
Plop
Plop
Nicht von rechts. So viel konnte sie sogar in der Dunkelheit, die sie umgab, erkennen ... hören. Das Geräusch wurde noch lauter ... fast wie ein ... Sturm! Beinahe erleichtert, ließ sie sich wieder gegen die Wand sinken. Regen. Ganz banaler Regen. Wäre sie nicht so müde, hätte sie das erleichterte, beinahe hysterische Lachen, laut herausgelassen. So behielt sie es in sich. Hütete es wie ein Schatz. Genauso wie die wenigen vagen Erinnerungen, die sie noch ihr eigen nannte.
Sie war Adrianna Chureko. Drittes Kind und einzige Tochter von Victor und Madalina Chureko.
Und sie hatte den Tod geschlagen.
Bisher.
***
Wie lange war sie schon hier? Tage? Wochen? Monate? Und warum war sie überhaupt hier? Niemand hatte sich die Mühe gegeben, es ihr zu sagen. Nicht das es sie sonderlich kümmerte. Meistens nicht zumindestens. Zu oft war sie einfach zu müde um sich zu sorgen. Heute nicht. Heute war sie zornig und wütend. Sie wollte Antworten. Sie wollte frei sein. Sie wollte ihr Leben zurück!
Wütend trat sie gegen den Stuhl, den sie erreichen konnte - und schrie auf bei dem plötzlichen Schmerz, der ihren Fuß durchfuhr.
Sie kämpfte noch gegen ihre Tränen, als die Türe sich öffnete. Sie kniff die Augen zusammen, als helles Licht von draussen die Halbdämmerung in ihrem Gefängnis durchbrach und ihre Augen beleidigte. Eine Gestalt trat in den Türrahmen, nahm dem Licht etwas von der Schärfe. Schlank, schwarze lange Haare, blass.
Und bekannt.
»Wie ich sehe, hast du noch nichts von deinem Temperament verloren.«
Nicht nur das Aussehen, sondern auch die Stimme kam ihr bekannt vor. Nicht nur wie eine Stimme die man mal neben sich in der Bahn gehört hat, sondern auf beinahe schmerzhafte Weise. Sie weckte Erinnerungen.
Bilder.
Gedanken.
Ein Name.
Rilanya!
»Du.«
Keine Frage, sondern nur eine einfache Feststellung. Sie war nicht wirklich überrascht. Zum überrascht sein brauchte man Kraft, und die hatte sie nicht mehr. Nicht für so etwas. Sie brauchte ihre Kraft für andere Dinge, wie zum Überleben.
Ihr Gegenüber kam näher. Ihre Bewegungen waren anmutig. Ganz so, wie sie es in Erinnerung hatte. Die Nase in dem wohlgeformten Gesicht rümpfte sich als die Frau vor ihr in die Hocke ging. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen warum.
»Ich, ja.«
»Warum?«
Eine Frage, die viele Antworten offen hielt. Alles Antworten, die sie wollte. Nein, brauchte, um zu verstehen, um nicht ihren Verstand zu verlieren.
Ihr Gegenüber zuckte beinahe gelangweilt mit den Schultern. »Ich wollte Dich von Anfang an, ich dachte das wäre offensichtlich.«
Sie klang gequält und trotzig zugleich. »All das wegen einer Abfuhr?«
Das Lachen der Frau klang melodisch, wie Musik. »Ganz bestimmt nicht. Ich hätte dich jederzeit haben können, meine Liebe.« Eine Hand streckte sich aus und strich über ihre Wange. Sanft. Und für einen Augenblick war sie verführt sich fallen zu lassen, die Berührung nicht nur zu akzeptieren, sondern nach mehr zu verlangen.
Sie war gerettet, als die Hand sich zurückzog. Eine Tasse wurde gegen ihre Lippen gepresst, und kaltes Wasser floss in ihren leicht geöffneten Mund. Sie trank es. Es war nicht als wenn sie sonst nichts bekam, - im Gegenteil, ihre Wärter waren sehr darauf bedacht, dass sie weder Hunger noch Durst litt -, aber das Trinken lenkte sie von der verstörenden Nähe zur anderen Frau ab.
»Warum?«, fragte sie noch einmal als die Tasse wieder abgesetzt wurde.
»Es ist dein Blut. Es ist was ganz besonderes. Es ist wer du bist.«
»Und wer bin ich?« Sarkasmus begleitete ihre Worte.
»Du bist wichtiger als du es dir vorstellen kannst.«
»Das ist keine Antwort.«
»Es ist soviel Antwort wie ich bereit bin dir zu geben.«
Es war frustrierend.
»Warum lässt du mich nicht gehen?«
»Selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht. Du bist zu wichtig.«
Sehr frustrierend.
»Für wen?«
»Für mich, für uns alle.«
Sie fühlte Wut in sich aufsteigen. »So wichtig, dass es sich lohnt eine ganze Familie dafür auszulöschen?«
»Noch mehr als das. Aber vielleicht tröstet es dich zu wissen, dass sie nicht deine Familie waren? Du gehörst zu uns, nicht zu denen.«
Die Worte waren mit Verachtung gesprochen.
Nicht ihre Familie ... Blödsinn!
»Und wer seid ihr?«
»Jäger nicht Gejagte. Aber das wirst du auch erkennen, - wenn es soweit ist.«
Die Antwort war endgültig. Sie wusste das sie nicht noch mehr erfahren würde.
»Du kannst mich hier nicht für immer festhalten.«
Sie verfluchte innerlich das leise Zittern in ihrer Stimme, das deutliche Zeichen von Unsicherheit und Angst.
»Das wird auch kaum nötig sein. Sehr bald wirst du wesentlich empfänglicher sein für unsere Vorschläge.«
»Das glaube ich kaum.«
Leises Lachen.
Das Gesicht ihres Gegenübers kam näher, bis ihre Lippen sie berührten. Federleicht. Sie zog ihren Kopf ruckartig weg. Ihre Augen blitzten vor Zorn. »Niemals!«
»Wir werden sehen.«
Noch bevor sie fragen konnte was ihr Gegenüber damit meinte, fühlte sie es auch schon. Eine allgegenwärtige Präsenz in ihrem Kopf, die sich vorsichtig um ihre Gedanken - und Erinnerungen - legte, sie einwickelte.
Sie war Adrianna Chureko.
Drittes Kind und einzige Tochter von Victor und Madalina Chureko.
Wie ein Mantra sagte sie es vor sich her, versuchte der Manipulation zu entkommen, die auf ihren Verstand ausgeübt wurde, während sie, in einem letzten Zug von Gegenwehr, solange sie noch klar denken konnte, Spucke in ihrem Mund sammelte und auf das Gesicht der anderen Frau zielte. Sie verfehlte. Aber ihre Tat zeigte trotzdem sofort Wirkung. Eine Hand wandte sich in ihr Haar und ihr Kopf wurde so grob beiseite gezogen, dass ihr Tränen in die Augen traten. Dann, ein unvorstellbarer Schmerz an ihrem Hals. Instinktiv versuchte sie sich gegen den unerwarteten Angriff zu wehren. Vergebens. Und dann ...
Es war als ob sie ihren Körper verließ. Sie fühlte eine unheimliche Ruhe über sich kommen. Für den Moment waren alle Gedanken an Flucht oder Gegenwehr vergessen. Frieden und Ruhe legte sich über sie.
Genauso plötzlich wie er begonnen hatte, ließ der Schmerz nach. Sie konnte ein Seufzer nicht unterdrücken, als ein Mund sanft über ihren Hals wanderte. »Du wirst kommen, mein kleiner Liebling. Du bist fast soweit.«
Und mit einem letzten Kuss auf ihre rauen Lippen stand Rilanya auf. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, öffnete sie die Türe und verließ den Raum.
Sie zitterte am ganzen Körper und fühlte sich so hilflos wie ein kleines Baby, als sie sich, soweit es die Ketten erlaubten, in sich selbst zusammenrollte und die Tränen der Hoffnungslosigkeit laufen ließ.
Ich bin Adrianna Chure ...
Adrianna Cher ...
Adrianna!
***
Sie war so müde. Sie wollte sich nur noch zusammenrollen und schlafen, sich von der Kälte um sie herum zudecken und wegtreiben lassen. Versinken in der Bewusstlosigkeit. Und nie wieder aufwachen.
Nein, nicht schlafen. Sie wusste instinktiv, dass mit dem Schlaf die Bilder wieder kommen würden. Bilder von Blut und Schmerz. Verzweifelt kramte sie nach etwas, das sie verankern würde. Etwas Reales. Ein Bild, eine Erinnerung, irgendetwas.
Warme Arme die sie umschlangen und wiegten. Geborgenheit.
Sie setzte sich auf, und schlang die Arme um ihre Beine. Sie zuckte kurz zusammen, als der raue Jeansstoff gegen die kaum verheilten Wunden an ihren Handgelenken rieb. Die Ketten klirrten bei der ruckartigen Bewegung. Sie legte den Kopf auf ihre Knie und schloss die Augen, versuchte das Bild festzuhalten. Für einen Moment länger gelang es ihr, dann -
die Türglocke.
Ihre Mutter steht auf um aufzumachen.
Sie will schreien, ihre Mutter warnen, bekommt aber keinen Ton raus.
Lachen aus dem Korridor, zwei Stimmen die fröhlich miteinander reden.
Eine ihre Mutter, die andere ...
Ihre Mutter spricht die unheilvollen Worte,
dann,
kaltes Lachen, gefolgt von
Schreie,
Schmerz,
Blut.
Dunkelheit.
Du bist zu Gast bei Gevatter Tod, und er tarnt sich als Freund.
Aber sie war ihm bisher noch immer entkommen.
Nur für wie lange noch? Wie lange konnte sie noch widerstehen? Ihre Kräfte schwanden mit jedem Tag. Sie konnte noch nicht einmal mehr mit Sicherheit sagen, wer sie war, oder warum sie hier war. Sie vegetierte vor sich hin, überlebte gerade eben so, von einem Moment zum anderen. Sie wusste noch nicht mal, ob sie überhaupt noch bei Verstand war.
***
Ein Wesen, dessen konstanter Begleiter der Tod war. Das ihn überall hinterließ, wo es vorbeizog, fast wie ein Hund, der sein Revier markierte. Entsprungen aus ihren tiefsten Alpträumen die Gestalt angenommen hatten. Ein Wesen, das nach der normalen Definition von Dingen gar nicht existieren dürfte.
Ein Wesen, das der personifizierte Tod war.
Und sie ließ sich von Tod umarmen.
Es schmerzte, als scharfe Zähne sich in ihren Hals bohrten. Allerdings nicht so sehr wie das, was folgte. Die Zähne schienen nicht nur die Haut zu durchdringend, sondern bohrten sich bis in ihr tiefstes Selbst.
Dort legte Tod ihre tiefsten Geheimnisse offen. Zog sie ihn sich auf, löschte ihre Persönlichkeit aus, bis sie nur noch ein Schatten ihrer selbst war, bis nichts mehr von ihr übrig zu sein schien.
Tod streichelte sie, liebkoste sie ...
Kämpf! Du willst doch nicht sterben, oder?
Die Stimme, die in den letzten Wochen immer leiser geworden war, meldete sich mit voller Kraft zurück, drängte sie sich zu wehren, zu kämpfen. Und sie versuchte es. Für einen Moment wenigstens, bevor ihre Kräfte sie endgültig verließen. Sie ergab sich ihrem Schicksal. Ergab sich dem Tod.
Ein leises Lachen erreichte sie. Nicht laut, sondern in ihrem Geist.
Dann eine Stimme. Irgendwie bekannt. Süß. Leicht. Verführerisch.
Tod sprach, aber sie verstand den Sinn der Worte nicht mehr. Die Schwärze wurde dichter. Legte sich um sie herum, umwickelte sie wie ein Kokon. Sie konnte nichts mehr sehen. Sie spürte Panik in sich aufflackern und began sich zu wehren. Es war umsonst. Tods Griff war unnachgiebig.
'Wehr Dich nicht. Akzeptiere dein Schicksal. Gebe Dich hin. Du musst sterben, um Deine Bestimmung zu erfüllen.'
Tods Stimme war genau wie sein ... ihr Griff. Fest und sanft zu gleich. Unmöglich zu ignorieren, noch unmöglicher zu widersetzen.
So kalt. Sie hatte Angst.
»Fürchte dich nicht.«
Hätte sie noch die Kraft gehabt, wäre sie zusammen gezuckt, als die Stimme nicht mehr nur in ihrem Kopf ertönte, sondern sie sie tatsächlich hörte. Sie fühlte, wie sich die Matratze unter ihr bewegte. Hände legten sich auf ihre Wangen, streichelten sie. Schwarze Augen betrachteten sie nachdenklich, irgendwie stolz. Sie wollte in deren Tiefe versinken, sich in ihnen verlieren, und nie wieder auftauchen.
Kalt.
Und nicht nur das. Ihre Sicht verschwamm langsam aber sicher. Dunkelheit näherte sich und umschloss sie, griff nach ihr, verlangte nach ihr.
Süßes Vergessen. Keine Vergangenheit, keine Gegenwart, keine Zukunft. Keinen Schmerz, keine Hoffnung mehr. Alles weg, ausgesaugt, ausgelöscht. Nur ewig andauernde Leere.
Und dann küsste Tod sie.
Und sein Kuss schmeckte süß.
Und sie küsste zurück ...