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Niemands-Land
Auf der Suche nach einer neuen Heimat, hatte Ndego unzählige Wälder, Flüsse und Täler durchquert. Er war fremden Menschen begegnet, deren Worte er nicht verstand und die so ganz anders aussahen als er. Nicht alle waren freundlich zu ihm. Manchmal wurde er mit Steinen beworfen, was ihn zuerst in Angst und Schrecken versetzte, denn Ndego hatte noch nie Feindschaft erlebt. In seinem kleine Dorf kannte man keinen Hass.
Er lernte schnell, dass außerhalb seiner kleinen, behüteten Welt, die Menschen andere Sitten hatten. Nachdem ihn der erste Stein am Kopf getroffen hatte, näherte er sich weitaus vorsichtiger als zuvor den fremden Kulturen.
Wenn er wieder einmal zu einem Dorf kam, in dem er nicht davon gejagt wurde, blieb er einige Tage um sich auszuruhen. Fasziniert unterhielt er sich dann mit den Bewohnern, was mitunter äußerst kompliziert, jedoch ebenso amüsant war, da keiner die Sprache des anderen verstand. Ndego sagte dann immer, „wir haben doch eine gemeinsame Sprache“, während er gleichzeitig seine Hände zur verbalen Kommunikation einsetzte.
Jeden Morgen wenn Ndego die Augen aufschlug, bedankte er sich bei der Sonne, dass sie ihn geweckt, und noch nicht zu sich geholt hatte.
Ebenso bedankte er sich jeden Abend vor dem schlafen gehen beim Mond, der die Dunkelheit darstellte.
Wenn Ndegos irdisches Leben vorbei war, würde er nur noch das Licht der Sonne sehen, was ihm jedoch nicht wirklich Sorgen bereitete. Viel mehr dachte er oft darüber nach, ob er denn überhaupt noch würde schlafen können, wenn es denn ständig nur hell um ihn ist. So wenig wie möglich versuchte er demnach an diese Situation zu denken und war glücklich über jeden Tag und jede Nacht, die er erleben durfte.
Nach beinahe zwei Jahren entdeckte er das, wonach er gesucht hatte. Ein fruchtbares Land, das niemandem gehörte. So jedenfalls dachte er, als er sich erschöpft ins saftig weiche Gras sinken lies und glücklich den wolkenlosen Himmel betrachtete.
Zum ersten mal in seinem Leben kam in ihm ein Gefühl auf, welches er zuvor nie kannte. „Ich bin ein Held“, sagte er stolz zu der Sonne, die ihm Wärme und Geborgenheit schenkte, und unter der er, was ihm noch nie passiert war, mitten am Tag selig einschlief.
Doch die Sonne schien seine Überheblichkeit nicht zu schätzen und strafte ihn dafür.
Als Ndego aufwachte, war seine bleiche Haut rot und geschwollen. Als er sich versuchte aufzurichten, hatte er das Gefühl, jemand würde ihm die Haut bei lebendigem Leibe vom Körper reißen.
„Was habe ich getan, dass du mich so bestrafst?“ rief er die Sonne an. „So lange war ich auf der Suche nach einem Ort, an dem mein Volk keinen Hunger mehr leiden muss. Jetzt, da ich ihn gefunden habe, lässt du mich dafür büßen?“
Nachdenklich sah er sich seinen Körper an. Seine Haut hatte die selbe Farbe wie diese seltsamen Tiere, die eines der fremden Völker ihm als Nahrung angeboten hatten. Sie hatten diese Tier, bei lebendigem Leibe, in heißes Wasser geworfen, um sie anschließend zu essen..
„Willst du mir damit sagen, ich soll mein Volk in jenes Land der roten Wassertiere bringen?“ fragte Ndego.
Natürlich bekam er keine Antwort. Ndego war bewusst, dass er alleine auf die Lösung kommen musste, was die Sonne ihm sagen wollte.
Sechs Tage lang zerbrach er sich den Kopf darüber ob es noch eine andere Antwort geben könnte. Schließlich war er lange genug auf der Suche gewesen um nicht sofort die erst beste Möglichkeit für wahrhaft zu betrachten.
Und am siebten Tag, als seine Haut langsam wieder heller wurde, kam Ndego die Erleuchtung. „Unsere neue Heimat soll bei dem Volk sein, welche Federn auf ihren Häuptern tragen und sich Tiernamen geben.“
Glücklich, endlich erkannt zu haben wohin er sein Volk führen sollte, schlief er, im Schutz des Mondes, ein.
An jenem Morgen wurde er bei Tagesanbruch wach, und dankte erst einmal der Sonne.
Während er sich vom vorherigen Abendmahl erleichterte, machte er sich Gedanken darüber, wie er wieder den Wege zurück, zu seinem Volk, finden würde.
Die Sonne war wohl nicht zufrieden mit ihm, denn plötzlich entzog sie ihm ihre Wärme. Ndego saß im Schatten, während alles um ihn herum weiterhin in strahlendes Licht getaucht war.
„Was willst du mir nun schon wieder zu verstehen geben?“ wollte Ndego wissen.
Er erschrak beinahe zu Tode, als er tatsächlich eine Antwort bekam. Mit einer tiefen, männlichen Stimme antwortete die Sonne: „Ich will wissen, was du hier zu suchen hast.“
Ndego war verwundert über diese Antwort, zugleich jedoch auch erfreut. Noch nie hatte die Sonne zu jemandem gesprochen. „Aber das weißt du doch.“
Der Schatten verschwand, und vor Ndego trat ein menschliches Wesen. Hünenhaft, mit einem struppigen langen Bart im braungebrannten Gesicht, welches aussah als sei es aus Leder.
Ndego gab einen gurgelnden Laut von sich, sprang panisch auf die Beine, blickte die Gestalt mit schreckensgeweiteten Augen an und warf sich in der nächsten Sekunde wieder auf den Boden, um sich erberbietig zu verneigen.
„Hast du was verloren, oder warum steckst du deine Nase so tief ins Gras?“
„Verzeiht mir, erwürdige Sonne. Ich fühle mich geehrt, dass ihr mich auserwählt habt um zu mir zu sprechen.“
„Sonne?“ fragte die Gestalt verblüfft und kratzte sich geräuschvoll am Kinn. Mit ihrer gewaltigen Stimme brach sie plötzlich in grölendes Gelächter aus. „Ah, jetzt kapier ich. Wenn ich dich so anschaue ist mir einiges klar. Du hast einen Sonnenstich.“
„Einen was?“ Ndego sah verblüfft nach oben.
„Komm mal wieder auf die Beine. Vor allem hätte ich noch immer gerne eine Antwort was du hier zu suchen hast.“
„Bin ich hier in deinem Reich?“ fragte Ndego zaghaft.
„Das ist mein Stück Land, ja.“
„Dann hast du mein Volk auserkoren, für immer in Licht und auch in Dunkelheit zu leben?“
„Hä?“
„Oh große, barmherzige Sonne. Ich danke dir. Sofort werde ich mich auf den Weg machen, damit mein ...“
„Was hast du denn immer mit deinem Volk und der Sonne?“ wurde er barsch unterbrochen. „Mach, dass du hier weg kommst.“
Ndego stand verwirrt auf. „Bist du der Mond?“
„Ich zeig dir gleich die Sterne, wenn du nicht endlich deine Beine in die Hand nimmst und von meinem Grund und Boden verschwindest.“
„Aber wer bist du dann, dass du meine Sprache verstehst und sprichst?“ Verzweiflung machte sich in Ndego breit als er begriff, dass er weder der Sonne noch dem Mond gegenüberstand.
„Jetzt hör mal genau zu. Ich hab keine Ahnung wer du bist, woher du kommst und wohin du willst. Ehrlich gesagt ist mir das auch vollkommen wurscht. Hauptsache du verschwindest endlich, damit ich meine Kühe auf die Weide lassen kann. Es sei denn, du möchtest Bekanntschaft mit meinem Bullen machen. Aber eines sage ich dir gleich, mit einer Schmerzensgeldklage brauchst du mir dann anschließend erst gar nicht daher kommen.“
„Was ist eine Scherzmeldkage?“ Ndego hatte dieses Wort noch nie gehört.
„Hau endlich ab!“ Das Gesicht des Bärtigen verfärbte sich dunkelrot.
Ndego wurde klar, dass er wieder mal auf einen Menschen gestoßen war, der ihm nicht freundlich gestimmt war. Schmerzhaft erinnerte er sich an Steine, die ihm auf seiner Reise nachgeworfen wurden. Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Sollte er die Flucht ergreifen oder nicht. Nun war er schon so lange auf der Reise, hatte keine Ahnung wie er wieder nach Hause finden sollte und ob er jemals einen schöneren Ort als diesen finden würde. Er nahm seinen letzten Mut zusammen und sagte schließlich: „Vielleicht hilft es mir weiter wenn ich wenigstens weiß wo ich mich hier befinde, um den Weg zu meinem Volk zurück zu finden.“
„Du bist hier in Niemandsland.“
„Ach“, war alles, was Ndego darauf einfiel, ehe sich seine Gehirnwindungen in Gang setzten. Die Antwort des Fremden half ihm zwar vorerst nicht den Weg in seine Heimat zu finden, jedoch vielleicht eine Heimat für sein Volk zu erobern. Gelangweilt lies er sich wieder ins Gras fallen und meinte: „Wenn das hier niemand`s Land ist, dann ist es jetzt meines.“
„Hä?“
„Lass deine Kühe nur auf diesem saftigen Gras weiden. Es ist genug für alle da. Und mein Volk wird sich freuen über frische Milch am Morgen.“
„Dir haben sie wohl bei der Geburt den Nabel in die falsche Richtung gedreht.“
„Sieh mal, guter Mann. Du sagst, dies hier sei niemand`s Land. Wenn es also niemand gehört, dann können wir es uns ja teilen.“
„Nein, du betonst das ja ganz falsch. Es heißt Niemandsland und nicht niemand`s Land. Kapierst du den Unterschied?“
„Da gibt es keinen Unterschied. Wir sprechen doch die gleiche Sprache, wie sollte ich dich da falsch verstehen? Ich werde jetzt gehen um meine Heimat wieder zu finden. Bis wir wieder hier sind, haben deine Kühe genug Land für sich alleine.“ Mit diesen Worten stand Ndego auf und ging davon.
„Hey“, rief ihm der Fremde nach. „Wenn ich dich hier noch einmal erwische, bist du ein toter Mann.“
„Bis hoffentlich bald“, antwortete Ndgeo freundlich winkend, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ndego hatte vier lange Jahre gebraucht, ehe er endlich sein Volk wieder fand. Er erzählte ihnen von seiner Reise und dem schönen Land, welches er gefunden hatte.
In all der Zeit saß ein grummeliger, bärtiger Mann lauernd auf seinem Grundstück, bewaffnet mit einem Fernglas und einer Mistgabel und murmelte immer nur: „Bin ich Niemand, dass du mir so das Wort im Munde herum drehst? Dieses Land gehört mir.“
Ndego hat das Niemandsland bisher nicht wieder gefunden, und so zieht noch heute eine Karavane durch die Lande, auf der Suche nach einer neuen Heimat.
Bei vielen Menschen stößt dieses Volk auf Ablehnung, weil die Angst vor dem Unbekannten zu groß ist. Diese seltsame Sprache, dieses merkwürdige benehmen, die eigenartige Kleidung und diese blasphemische Religion.
Bei vielen Menschen stößt dieses Volk auf Verständnis und Gastfreundschaft, weil es nichts weiter will als einen Ort, in dem es in Frieden leben kann.
Vielleicht werden sie irgendwann im Niemandsland ankommen. Ndego hat es schließlich schon einmal gefunden. Und so groß ist die Welt ja nun auch wieder nicht, um dieses kleine, idyllische Fleckchen Erde nicht wieder zu finden.
Noch hat die Sonne Ndego nicht zu sich geholt, wofür er ihr, seit seiner Reise, noch mehr dankt als früher. Denn seine schmerzhafte Erfahrung, bei Licht einzuschlafen, machte ihm noch mehr Bedenken als die Schlaflosigkeit.