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Nie so viel gewollt

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02.01.2002
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Nie so viel gewollt

Ich nippte an meinem Rotwein. Es war ein kalter Novemberabend. Der Regen prasselte gegen die Scheiben, der Wind heulte ums Haus und ich war froh, nicht alleine sein zu müssen. Während des Films hatte mich Daniel beiläufig gefragt, ob ich bei ihm übernachten wolle, und ich hatte ja gesagt. Zuhause würden mich Anrufe von Simon erwarten und das war das Letzte, wonach mir zumute war. Simon hatte meinen besten Freund nie gemocht. Schon während unserer Beziehung waren ihm meine Treffen mit Daniel verhasst gewesen und jetzt, nach der Trennung, waren sie es erst recht.

Ich trank noch einen Schluck. Daniel kannte diese Momente, in denen ich nur meinen Gedanken nachhängen wollte, und er respektierte sie. Ich dankte ihm innerlich dafür. Nach der Trennung hatten wir oft stundenlang miteinander telefoniert oder ich bei ihm übernachtet. Heute aber wollte ich nicht über Simon sprechen. Der Abend war zu schön gewesen, um ihn dadurch zu zerstören. Ich stellte das leere Glas auf den Couchtisch. Ein Blick auf die Uhr verriet mir: Mitternacht vorbei. Ich rückte ein wenig näher an Daniel heran.

Schrilles Telefonklingeln durchbrach die Stille und ließ uns beide zusammenfahren. Zögernd griff Daniel nach dem Hörer. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich.

»Ruf mich bitte nicht mehr um diese Uhrzeit an«, zischte er und legte auf.

»Simon?«, fragte ich leise, obwohl ich die Antwort wusste. Er nickte. Die gemütliche Stimmung war verschwunden.

Ein paar Minuten lang saßen wir da, ohne etwas zu sagen.

»Es tut mir Leid«, brachte ich schließlich hervor. Daniel winkte ab. Mir brauchte nichts Leid zu tun. Ich wusste das, aber es belastete mich trotzdem, dass Simon so weit gegangen war und meinen besten Freund belästigt hatte. Meinetwegen belästigt hatte. Ich schmiegte mich an Daniel. Er fasste meine Hand und spielte mit meinen Fingern; eine beruhigende Geste, die ich so gerne mochte. Der kleine Zeiger der Uhr rückte auf die Eins vor. Das Ticken war das einzige Geräusch im Zimmer. Durch meine Kleidung hindurch fühlte ich Daniels Wärme und, wenn ich mich ganz nah an ihn drängte, seinen Herzschlag. Regelmäßig wie seine Atemzüge. Seine Hand fuhr meinen Arm entlang. Eine unendlich vertraute Berührung, tausendmal gespürt ... doch heute durchlief mich ein Kribbeln. Mein Herz klopfte schneller. Unsere Blicke trafen sich. Einen Moment lang hielt ich stand, ehe ich den Kopf senkte.

Ich kann bis heute nicht sagen, was ich in seinen Augen gelesen habe. Vielleicht alles, vielleicht auch nichts.

Womöglich habe ich in jener Nacht etwas verloren, als ich den Blick abwandte. Aber vielleicht ist wichtiger, was ich behalten habe.

 

Hi Ginny-Rose,

schöne Geschichte mit überraschendem Schluß. Ich hätte wetten können, dass sich Deine Prot und Daniel noch deutlich näher kommen. Aber so wird die Geschichte wesentlich interessanter.
Die Erkenntnis, dass man manchmal auf einen schönen Augeblick verzichten sollte, damit es einem nicht später leid tut, ist zwar nicht neu, aber in Deiner Story gut umgesetzt.:)

Gruß
Jörg

 
Zuletzt bearbeitet:

Tausend mal berührt, tausend mal ist nichts passiert, tausendundeine Nacht, und es hat Zoom gemacht...

Hallo Ginny-Rose,

du hast diese Situation von Vertrautheit sehr schön eingefangen. Ohne viele Worte weiß der Leser das von der Protagonistin und ihrem Seelenfreund, was er wissen muss.

Grundsätzlich bin ich immer skeptisch, was die Existenz solcher über lange Zeit erotikfreien und trotzdem innigen Freundschaften zwischen Mann und Frau angeht, zumal wenn ausdrücklich Zärtlichkeiten dazu gehören. Und du deutest ja auch an, dass sich die Zeit der Unschuld dem Ende zuneigt. Du entlässt den Leser mit der Frage, ob die Freundschaft in dieser Intensität weiterhin bestehen wird - ein gelungenes Ende, weil es Nachwirkung bedeutet.

Chica

 

Hello Ginny-Rose,

eine wirklich schöne, gefühlige Geschichte hast Du da geschrieben!
Allerdings teile ich Chicas Skepsis. Es sei denn, der Mann bevorzugte grundsätzlich das eigene Geschlecht...

Mir wollte Dein Ende nicht so recht schmecken. Es impliziert, dass die Protagonistin etwas verloren hätte, wäre der Abend anders verlaufen. Und dass Freundschaft nur ohne noch nähere Nähe bestehen kann - eine poetische Sichtweise, die einer Überprüfung in der Realität kaum standhalten wird. Allein deswegen, weil Männer oftmals mit körperlicher Nähe besser umzugehen vermögen als mit seelischer...

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo Ginny Rose,

vier Fragen zum Schluss, über die der Leser nachdenken darf hättest du wahrscheinlich fast jedem anderen Autoren hier als Bevormundung um die Ohren geschlagen. ;)
Ich muss Gox widersprechen. Auch für Männer ändert Sex oft alles, und das nciht immer zum Guten. Allerdings erfährt man das immer erst, wenn man das Risiko eingeht.
Das Gefühl deiner Protagonistin sprach wohl eine andere Sprache, das Feuer war ihr zu heiß, die Lust stimmte nicht grundsätzlich mit ihrem Gefühl überein.
Wahrscheinlichist es besser, wenn beide am anderen Morgen bereuen, es getan nicht getan zu haben, als wenn nur einer bereut, es getan zu haben. Ersters lässt sich ja nachholen. :)

Die Situation zwischen den beiden hast du schön eingefangen, auch wenn sie mich ein bisschen an das erinnert, was ich immer das "Benny-Syndrom" nenne. Die Rolle deines männlichen Protagonisten bleibt undankbar. :)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Ginny-Rose,

Filmes

Films - ohne "e" bitte.

hatte mich Daniel beiläufig gefragt

"beiläufig" streichen?

ob ich bei ihm übernachten wolle und

Komma vor dem "und".

Schon während der Beziehung

"unserer" statt "der"?

in denen ich nur meinen Gedanken nachhängen wollte und

Komma vor dem "und". (Ts.)

Nach der Trennung hatten wir oft stundenlang miteinander telefoniert. Wenn es mir besonders schlecht ging, hatte ich bei ihm übernachtet. Heute aber

Hm - Den Wenn-Satz komplett streichen, stattdessen den Folgesatz mit Komma anfügen?

Ich wusste das, aber es belastete mich trotzdem, dass Simon so weit gegangen war und meinen besten Freund belästigt hatte. Meinetwegen belästigt hatte.

Statt Plusquamperfekt das Imperfekt?

eine beruhigenden Geste,

Ts. Ohne "n" am Ende.

Unsere Blicke trafen sich gleichzeitig.

"gleichzeitig" streichen.

Der Zauber war gebrochen.

Würde ich ebenfalls streichen, da die diesen Satz umgebende Handlung vollkommen ausreicht.

<g> Da man ja auch Positives sagen soll: Schön kurz, der Text.

Klaus

 

Hi Ginny,
wieder einmal die Art Geschichte von dir, die ich so gerne lese! Hat mich auch dieses Mal berührt. Was einige Leute mit acht Seiten nicht schaffen, erzeugst du hier auf ner Halben. Der letzte Satz regt wie gewohnt zum nachdenken an...

Dein Stil gefällt mir auch gut! Die Kleinkrämerei meines Vorredners finde ich ziemlich albern, aber jedem das Seine ;)

besten Gruß
*Christian*

 

Geschrieben von ANiMA
Die Kleinkrämerei meines Vorredners finde ich ziemlich albern

Leider gibt es viel zu wenig Texte auf KG.de, die gut genug sind, dass sich diese "Albernheiten" lohnen.

 

Hallo Ginny-Rose

Das ist eine schöne und kurze Geschichte. Kein neues Thema, aber was ist schon neu? Am Ende geht es darum, die "alten" Themen immer wieder interessant zu bringen, auf seine eigene Weise. Man sieht sehr schön, dass sich die Prot blitzschnell entscheiden musste, zumindest für diesen Abend. Ob dies die richtige Entscheidung war, ist letztendlich egal, wichtig war, dass sie entschieden hat und nicht andere über sich entscheiden ließ. Vielleicht steht am Ende der Geschichte etwas zu oft "vielleicht". :) Wie's weiter geht, bleibt offen. Es wird suggeriert, dass Gefahr bestand, etwas Wertvolles zu verlieren. Das glaube ich auch und möchte in diesem Punkt ebenfalls gox widersprechen. Tja, und wie es Daniel dabei geht, erfährt man nicht. Und wie es weiter geht. Ändert sich ihre Beziehung? Geht es so weiter wie bisher und wird dieser Abend schamhaft totgeschwiegen? Das wäre wohl eine andere Geschichte. Aber eine interessante.

franck

 

Hi zusammen.

Danke fürs Lesen und Kommentieren - ich freu mich, wenn die Geschichte gefallen hat.

@Chica (&gox):

Grundsätzlich bin ich immer skeptisch, was die Existenz solcher über lange Zeit erotikfreien und trotzdem innigen Freundschaften zwischen Mann und Frau angeht, zumal wenn ausdrücklich Zärtlichkeiten dazu gehören.
Stimmt schon. Ich habe da mal dreist von mir auf meine Protagonistin geschlossen, denn mir sind solche Freundschaften durchaus bekannt - auch wenn sie sehr selten sind und wohl meistens früher oder später mal der Punkt erreicht wird, der hier in der Geschichte thematisiert wird.

@Klaus: Anmerkungen wurden fast alle übernommen. Beim "beiläufig" überlege ich noch - es soll bezwecken, dass deutlich wird, dass es keine große Sache für die beiden ist, dass sie bei ihm übernachtet. Da wird nicht drüber diskutiert, denn es ist schon so oft vorgekommen, dass sich niemand etwas dabei denkt, es wird eben "beiläufig" erwähnt und damit ists gut.
Hm. Wenn der Leser allerdings davon ausgeht, dass alles, was man während des Films zum Anderen sagt, beiläufigen Charakter hat, kann ich es streichen.

@ANiMA:

wieder einmal die Art Geschichte von dir, die ich so gerne lese!
Das dacht ich mir bereits beim Veröffentlichen, dass sie dir gefallen würde. ;-)
Danke. :-)

Achso:

Die Kleinkrämerei meines Vorredners finde ich ziemlich albern, aber jedem das Seine
Nee - das passt schon so. Ich bin froh, wenn sich jemand meine Texte genau vornimmt.
(<g> Auch wenn einem die aufgelisteten Fehler nicht gefallen.)

@franck:

Vielleicht steht am Ende der Geschichte etwas zu oft "vielleicht".
Das "vielleicht" im vorletzten Satz habe ich durch ein "womöglich" ersetzt. Ich bin mir noch nicht ganz sicher ob es besser ist, aber bislang gefällt es mir. Mal schauen.

That's all, folks.

Ginny

 

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