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Nie im Leben
Nie im Leben
Er war sie also besuchen gekommen.
Die Reise hatte zwei Tage gedauert, und in diesen zwei Tagen hatte er ununterbrochen überlegt umzudrehen.
Und jetzt war er hier. Verrückt.
Wem er von seinem Plan erzählt hatte, hatte ihn für verrückt erklärt.
"Die ist nichts für dich" hatten sie geagt, "Wenn du zurückkommst wirst du traurig sein. Vorausgesetzt sie geht dir nicht so auf die Nüsse, daß du ihr den Hals umdrehst."
Sie und er, Eva und Manuel. Das konnte nicht gut gehen. Nie im Leben.
Er hatte sie so lange nicht gesehen, daß er sich nicht mal sicher war, ob er sie überhaupt erkennen würde. Heute wunderte er sich, daß er daran hatte zweifeln können.
Ihr Treffpunkt war eine Bar, fast hätte er sie nicht gefunden, Stadtplan lesen war noch nie sein Ding gewesen. Als er die Bar betrat, ging er zum Tresen und bestellte einen Gin gegen das Zittern seiner Hände, versuchte gut auszusehen, und ließ betont lässig seinen Blick über die Tische schweifen. Ob sie ihr Haar lang trug? Aus den Augenwinkeln nahm er einen Blick war, der auf ihm ruhte. Da! Das war sie. Das mußte sie sein.
Am anderen Ende des Tresens saß die Frau mit den bernsteinfarbenen Augen. Er hatte sie erkannt. Sie lächelten sich an.
Das war vor einer Woche gewesen. Sie hatten sich anfangs höflich unterhalten, keiner wollte etwas falsches sagen, waren aufgeregt, und verlegen auch.
Gegen die Verlegenheit tranken sie, was sie da tranken, hätte keiner von ihnen sagen können.
Sie und er. Nie im Leben. Der Gin tat seine Wirkung, sie versuchten ein Lachen, und das ging gut.
Dann hatten sie das rote Tier geweckt.
Diesen ersten Abend würde er nie vergessen. Er strich ihr übers Haar, und dachte daran, wie sie auf dem Nachhauseweg plötzlich keinen Schritt weitergehen wollte.
"Ich mag nicht mehr. Zuviel Gin." Er wollte sie weiterziehen,
"Du kannst doch nicht die ganze Nacht hier draußen bleiben."
"Doch." hatte sie geantwortet, und dieses Wort stand felsenfest auf dem Bürgersteig, und setzte sich auf den Boden.
In einer kleinen Seitengasse entdeckte er dann den Einkaufswagen und hob sie hinein, wie Mütter es mit ihren Kindern tun.
Er schob sie bis vor ihre Haustüre, sie zeigte ihm den Weg und erzählte ihm etwas auf spanisch, das er nicht verstand.
Heute, nachdem er die Gegend etwas besser kannte, fiel ihm auf, daß sie einen Umweg gefahren waren. Es hatte ihr wohl Spaß gemacht.
Es war sein letzter Tag, noch konnte er sich nicht vorstellen nächste Woche alleine in seinem Bett aufzuwachen, zur Arbeit zu gehen, und morgens die Post aus dem Briefkasten zu holen.
Aber was war die Alternative-
Eva und Manuel. Nie im Leben.
Heute, an ihrem letzten Abend, waren sie ans Meer gegangen, hatten Sand durch die Finger rieseln lassen, sich mit Algen beworfen, was man so macht, am Meer.
Ein langer Holzsteg führte ins Wasser, sie saßen am Ende und ließen die Füße baumeln, was man eben so macht, auf einem Steg.
Am Himmel hing ein halber Mond, sein Aschelicht spiegelte sich auf dem Wasser und umschloß den Steg wie eine Glitzerfolie.
Manuel und Eva. Nie im Leben dachte sie, und blickte auf einen Schwarm Weißfische unter ihren Füßen.
"Wenn ihr groß seid, werdet ihr gegessen, entweder von Menschen, oder von anderen Fischen. Ich kann euch auch nicht helfen."
"Warum nicht?" fragte ein Fisch, der hübsch aussah, und neugierig seine Nase,oder wie das bei Fischen heißen mag, aus dem Wasser streckte.
"Es steht nicht in meiner Macht, und wahrscheinlich werde ich sogar einen von euch essen."
"Du liebst uns einfach nicht", sagte der Fisch bitter und tauchte wieder unter.
Manuel drehte sich zu ihr: "Wenn ich morgen fahre, wird alles nur Erinnerung sein."
"Bete, daß es so bleibt." Wie platt. Doch es kann nicht anders sein. Manuel und Eva. Das war das Ende.
"Geh jetzt, geh schon."
"Dein Herzenswunsch?" In ihrem Kopf wirbelten Weißfische und Schmerzen durcheinander.
"Laß mich..... ich glaube ich werde ohnmächtig."
Und plumpste vornüber ins Wasser.
"Du hast echt einen totalen Knall" sagte Manuel zu den Kreisen auf der Wasseroberfläche, und sprang hinterher.
Das Wasser war nicht so kalt, wie er erwartet hatte, ruhig war es hier, ganz entfernt hörte er die Ankerketten der Schiffe aneinanderstoßen. Mit zwei kräftigen Zügen tauchte er zu ihr hinüber, ihre gelben Augen waren geschlossen, und das Tanggeflecht ihrer Haare schwebte um sie und einen Schwarm Weißfische. Sie lächelte.
Und mit einem Schlag wurde ihm klar, daß es besser wäre, sie hier ertrinken zu lassen. Besser für ihn, für sie, für alle.
Jetzt weiß er es, genau jetzt. "Ich liebe dich.Und ich werde dich trotzdem hierlassen."
Seine nassen Lippen berührten ihre kalte Stirn, noch ein einziges mal, dachte er.
"Jetzt ist es zu spät", brüllen die Weißfische, und er weiß es auch. Zu spät, um sie hierzulassen.
Keuchend liegt er auf dem Steg, Eva neben ihm. Die nassen Kleider zeichnen ihre Körper nach. Er dreht seinen Kopf, sieht sie an, und meint eine Träne zu sehen, aber das kann auch Wasser gewesen sein.