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Nico und der kleine Hund
Hallo, ich bin Nico! Nico aus Meck-Pomm! (Das heißt nicht Pommes von McDonalds, sondern Mecklenburg-Vorpommern). Ich gehe in die 3. Klasse und wohne mit meinem Papi in einem kleinen Dorf. Und zwar in einem alten Katen, den Papa von meinen Urgroßeltern geerbt und wieder so richtig schick gemacht hat, und zwar fast alleine, denn er ist ein sehr guter Handwerker. Hier ist nichts los, meint ihr? Oh, doch, `ne ganze Menge! Einiges davon möchte ich euch erzählen.
Der kleine Hund
Hans kam zu spät zum Unterricht. Ganz außer Atem entschuldigte er sich kurz bei der Lehrerin und ging schnell zu seinem Platz. Im Vorbeigehen flüsterte er mir aufgeregt zu: „Kessi hat Babys!“
Kessi? Wer ist denn Kessi? Ach ja, eine der beiden Hündinnen von Hans’ Familie heißt ja so.
Ja, Hans hat es gut. Zwei Hunde gibt es bei ihm zu Hause. Und jede Menge anderer Tiere: Katzen, Hühner, Enten, Kaninchen und sogar ein Pony, aber das gehört seiner Schwester. Und eine richtig große Familie: Vater und Mutter, Oma und Opa, kleine Schwester und großer Bruder. Darum beneide ich ihn ein bisschen. Ich habe nur meinen Papi. Allerdings ist das der allerallerbeste Papi auf der ganzen Welt. Trotzdem wünsche ich mir manchmal, eine größere Familie zu haben. Und ich wünsche mir noch mehr einen eigenen Hund.
In der Pause erzählte Hans, dass Kessi in der Nacht fünf Welpen geboren hat. Seine Mutter hatte ihn sogar mitten in der Nacht geweckt und er durfte zuschauen, wie die Hundebabys zur Welt kamen.
Gleich nach der Schule lief ich mit zu Hans nach Hause. Frau Neumann, Hans’ Mutter, ermahnte uns, gaaanz leise zu sein und führte uns in einen Raum neben der Küche. In einer großen Holzkiste, die mit einer Decke und einem Laken ausgelegt war, lag Kessi lang ausgestreckt, und an ihrem Bauch nuckelten fünf kleine Wesen, kleiner noch als Meerschweinchen. Über die Kiste hatte Frau Neumann noch eine Decke gehängt, so dass die Hundefamilie in einer kuscheligen Höhle lag. Die 5 Wollknäule sahen noch gar nicht richtig wie Hunde aus mit ihren kurzen Beinchen, kurzen Schnäuzchen und den noch fest geschlossenen Augen. Allzu gern hätte ich die Kleinen in die Hand genommen, aber Hans’ Mutter erlaubte es nicht: „Die Welpen brauchen jetzt vor allem Ruhe. Wenn sie dann 3-4 Wochen alt sind, dürft ihr mit ihnen spielen“, versprach sie uns. Hans Mutter ist ziemlich streng, deshalb traute ich mich auch nicht zu fragen, ob ich einen der Welpen bekommen kann.
In der folgenden Zeit besuchte ich Hans sehr oft und staunte, wie schnell die Hündchen wuchsen. Nach einer Woche waren sie schon doppelt so schwer wie zur Geburt, könnt ihr euch das vorstellen? Nach 2 Wochen hatten sie endlich die Augen offen und nach 3 Wochen sahen sie dann schon aus wie kleine Hunde. Und sie begannen herumzulaufen und ihre Welt zu entdecken. Aber noch total tollpatschig. Das sah so lustig aus. Von Tag zu Tag wurden sie sicherer auf ihren immer noch recht kurzen Beinchen und durften bald im Hof und auf der Wiese spielen. Hier gab es unendlich viel zu entdecken und zu bestaunen für die Kleinen. Und sie wurden von Tag zu Tag frecher. Wisst ihr überhaupt, was für nadelspitze Milchzähnchen so kleine Hunde schon haben? Und wie fest sie damit zubeißen können? Das tut ganz schön weh! Aber die Kleinen meinen das nicht böse, die beißen einfach in alles rein, was sie erwischen, um es so kennen zu lernen. Sie haben ja schließlich keine Hände, um es anzufassen.
Je größer die Welpen wurden, um so mehr Spaß machte es, mit ihnen zu spielen. Wie gerne hätte ich die Kleinen alle mit nach Hause genommen! Na, oder wenigstens einen von ihnen.
Darum fasste ich eines Tages all meinen Mut zusammen und fragte Hans’ Mutti, ob ich denn einen von den Hündchen bekommen könnte.
„Da musst du natürlich zuerst mal deinen Papa fragen“, antwortete sie.
Doch Papa würde das nie erlauben. Schon gar nicht nach der Geschichte mit dem Zwergkaninchen. Ganz bestimmt nicht. Aber ich wollte unbedingt so einen kleinen Hund. Was sollte ich nur tun?
Ich musste es versuchen. Ich lief nach Hause, machte meine Hausaufgaben, auch die erst zu Übermorgen auf waren, räumte mein Zimmer auf (das war auch bitter nötig), trug den Müll raus, goss die Blumen, fegte die Küche, räumte das Geschirr aus der Spülmaschine in den Schrank, saugte Staub im Flur und deckte den Abendbrotstisch. Gerade als ich damit fertig war, kam Papa nach Hause. Es war schon spät, Papa war müde und abgespannt und schien überhaupt nicht zu bemerken, wie fleißig ich gewesen bin. Wir aßen und ich wartete. Aber nein, Papa bemerkte wirklich nichts. Komisch! Wenn ich etwas nicht gemacht habe, was ich eigentlich machen sollte, merkt er es sofort. Sogar wenn er müde ist.
Also musste ich ihm all meine guten Taten aufzählen. Und dann fragte ich, ob ich einen kleinen Welpen von Neumanns haben darf.
„Nein, Nico! Wer soll sich denn um den Hund kümmern? Ich bin froh, dass ich endlich wieder Arbeit habe, da muss ich auch Überstunden in Kauf nehmen. Es bleibt schon so wenig Zeit für dich und für all das, was hier zu Hause gemacht werden muss. Und dann soll ich auch noch einen Hund füttern und pflegen und erziehen? Ich hab’s doch schon schwer, dich zu erziehen.“
„Papi, du brauchst gar nichts zu machen, das mache ich alles ganz alleine, ich verspreche es dir! Wirklich, Papi, ganz bestimmt! Bitte, Papi! Bi-i-i-itte“
„Du? Du machst das drei Tage lang, vielleicht auch vier. Dann ist es dir langweilig. So ein kleiner Hund ist ein Lebewesen und kein Spielzeug, das man in die Ecke legen kann, wenn man es nicht mehr möchte. Denk an dein Zwergkaninchen, das du mal hattest. Das wäre fast verhungert!“
Ja, da war sie wieder, die alte Geschichte mit dem Zwergkaninchen. Schnell drehte ich mich weg und lief in mein Zimmer. Papa sollte nicht sehen, dass ich heulte.
Die Zeit verging schnell und Neumanns Welpen wurden von ihren neuen Besitzern abgeholt. Auf Neumanns Hof war es auf einmal seltsam ruhig. Und ich war traurig. Ich hatte keine Lust mehr, nach der Schule zu Hans zu gehen und auch nicht, mit den anderen draußen zu toben. Ich hatte nicht mal Lust mit irgend jemandem zu reden. Papa glaubte schon, ich werde krank. Aber ich habe einfach nur so vor mich hingeträumt. Ich dachte mir aus, wie es wäre, wenn ich einen kleinen Hund hätte, wie ich mit ihm spielen würde, dass er bei mir im Bett schlafen dürfte und dass ich ihm alles erzählen würde, auch die geheimsten Geheimnisse. Ein Hund petzt ja schließlich nicht und plaudert auch nichts aus. Und dass ich ihn Vulpix nennen würde, wie eines der Pokemons.
Eines schönen Nachmittags standen Hans und sein größerer Bruder Phillip vor der Tür. Sie hatten ihre Angelruten an die Fahrräder geschnallt. „Wir fahren Angeln. Kommst du mit, Nico?“
„Gleich, ich muss nur noch schnell das Geschirr aus der Spülmaschine räumen.“
Dann holten wir noch Tom ab. Toms Mutter gab ihrem Sohn reichlich Wurst- und Käsestullen mit. Angeln macht ja bekanntlich Hunger. Aber Tom hatte sowieso immer Hunger, auch wenn er nicht angelte, und das sah man ihm an. Er war der Dickste in der Klasse und kam beim Rennen ganz schnell außer Puste. Dafür war er aber der Stärkste in der Klasse. Doch die meisten mochten ihn, weil er immer so lustig war. Auch heute war er supergut drauf, verteilte Schokoriegel und erzählte die neuesten Anglerwitze.
Das Angeln machte großen Spaß, denn die Fische bissen gut, und die Welt war fast wieder in Ordnung. Vielleicht wäre mein heißer Wunsch nach einem kleinen Hund auch bald abgekühlt, wenn - ja wenn nicht gerade jetzt in diesem Augenblick etwas kitzelndes, feuchtes meine Wade berührt hätte. Ich schrie auf, sprang einen Schritt zur Seite und ließ vor Schreck meine Angel fallen. Hans, Phillip und Tom lachten laut. Es war nur ein kleiner Hund, der an meinem Bein geschnuppert hatte. Ein kleiner, niedlicher, zottelhaariger Hund mit großen, dunkelbraunen Kulleraugen und einer schwarzen, feuchten, kalten Nase. Ein kleiner Hund, wie ich mir einen wünschte! Natürlich lachte ich auch und streichelte den Hund. Wo war der nur so plötzlich hergekommen? Der Kleine leckte an meinen Händen, lief dann zielsicher zu Toms Rucksack mit den Wurstbroten und steckte seine kleine, freche Nase hinein. Tom protestierte lautstark und rettete seinen Proviant. Doch das Hündchen ließ nicht locker, machte vor Tom „Männchen“ und winselte ganz wehleidig. Das sah vielleicht putzig aus! So putzig, dass Tom sogar eine seiner Lieblings-Käsestullen opferte. Als die Stulle im Hundemagen verschwunden war, tobten Hans, Tom und ich mit dem kleinen Hund herum. Phillip, der lieber angeln wollte, schimpfte mächtig: „Bei diesem Krach und Getrampel, das ihr hier macht, hauen ja alle Fische ab!“
Aber wir waren nicht zu bremsen. Da packte Phillip das Angelzeug zusammen. „Lasst uns gehen! Hier beisst jetzt sowieso nichts mehr.“
Wir radelten los. Und der kleine Hund rannte uns hinterher.
„Was machen wir mit dem denn?“ fragte Tom.
„Den behalte ich!“ rief ich kurzentschlossen.
„Dein Vater erlaubt das doch gar nicht,“ entgegnete Hans.
„Der ist sowieso immer auf Arbeit. Und abends verstecke ich ihn einfach im Schuppen.“
„Der Hund hat ein Halsband und ist ordentlich gepflegt, der gehört irgendjemandem“, meinte Phillip. „Und er findet schon alleine wieder nach Hause, sobald ihr ihn in Ruhe lasst!“
Doch der kleine Hund lief uns weiter nach.
Zuerst verabschiedete sich Tom, dann bogen Hans und Phillip in ihre Straße ein. Aber der kleine Hund war immer noch da. Ich hielt an. Der Kleine freute sich und sprang an meinen Beinen hoch.
„Geh nach Hause!“ sagte ich streng. Der Hund setzte sich.
„Verschwinde endlich, du gehörst jemandem, hat Philip gesagt.“
Der Hund legte den Kopf leicht zur Seite und schaute mich an, als hätte er nicht verstanden.
„Du sollst gehen!“ schrie ich, und tatsächlich ging der Kleine einige Schritte, schaute sich noch mal um und – kam wieder zurück zu mir.
Ich sah mich um. Kein Mensch war zu sehen.
„Na gut, du hast es nicht anders gewollt!“ Kurzentschlossen holte ich die Tüte mit den geangelten Fischen aus dem Rucksack und warf sie ins Gebüsch. Da können die Katzen heute Nacht eine Fete feiern. Dann schnappte ich das Hündchen, riet ihm, ja leise zu sein und packte ihn in meinen Rucksack. Der Kleine zappelte tüchtig, aber ich setzte den Rucksack auf und radelte im Feuerwehrtempo nach Hause.
Vaters Auto stand schon vor dem Haus. „Mist!“ dachte ich, lief zum Schuppen, öffnete leise die Tür und lauschte. Nein, Papa war nicht im Schuppen. Ich schob das Fahrrad hinein und schloss die Tür hinter mir. Ganz hinten im Schuppen ist ein Verschlag, der früher einmal als Schweinestall diente und in dem immer noch etwas Stroh lagert. Hier packte ich das Zappelhündchen aus. Der Kleine hatte die kurze Reise als Rucksacktourist recht gut überstanden und schnüffelte nun neugierig im Stroh.
„Du bleibst hier und bist ganz leise!“ befahl ich. Doch das Hündchen begann zu winseln, als ich rausgehen wollte.
„Ssschttt! Sei leise! Bitte! Ich komme doch gleich wieder. Und ich bringe dir was zu fressen mit.“
Ich rannte ins Haus. Papa war gerade beim Fensterputzen.
„Soll ich dir helfen?“ fragte ich.
„Nö, lass mal, das wird wohl besser, wenn ich das selbst mache.“
„Soll ich dir ein Bier bringen?“
„Jetzt doch noch nicht, dann schlafe ich ja gleich ein.“
„Soll ich schon das Abendessen machen?“
„Was ist denn mit dir los, Nico, du bist ja so eifrig? Hast Du wieder was ausgefressen?“
„Nö, Papi, ich hab nur schon solchen Hunger!“
„Ihr wart angeln? Haben denn ein paar Fische angebissen?“
„Nö.“
Ups, das war ja schon wieder eine Lüge! Und dabei hatte ich meinem Papi doch versprochen, nie mehr zu lügen.
Ich deckte den Abendbrotstisch. Statt Bratfisch gab’s nur Brot und Wurst und Tomaten. Schade, ich hätte lieber Fisch gegessen. Sollte ich schnell losradeln und die schönen Fische wieder aus dem Gebüsch holen? Aber das ging nicht, ich musste ja aufpassen, dass Papa nicht in den Schuppen lief. Falls Papa etwas aus dem Schuppen brauchte, würde ich es ihm holen.
Nach dem Abendessen nahm Papa eine Flasche Bier und ein Glas, ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Ich räumte wie immer den Tisch ab; aber vorher schmierte ich schnell noch eine Wurststulle. Dann schlich ich aus dem Haus und ging zum Schuppen. Als ich die Schuppentür öffnete, sprang mir das Hündchen schon entgegen und bellte laut vor Freude.
„Leise! Halt die Klappe!“ Ich schnappte den Kleinen und schloss schnell die Schuppentür hinter mir. Dann lauschte ich. Ob Papa das Bellen gehört hatte? Wie war der Kleine aus dem Ställchen rausgekommen? Ich brachte ihn zurück und stellte fest, dass der alte Bretterverschlag schon recht morsch war. Eine Latte war lose gewesen und da hatte sich das Hündchen hindurchgezwängt.
„Na, du Frechdachs, hast du Hunger? Sieh mal, was ich hier habe!“ Ich gab ihm die Wurststulle. „Du musst mir aber versprechen, dass du ganz, ganz brav bist heute Nacht! Bleib fein hier in deinem Strohbett und schlaf! Und jaule und belle nicht, sonst hört dich Papa und schimpft mit uns!“
Dann drückte ich das lose Brett am Verschlag wieder an seinen Platz und stellte eine schwere Kiste davor. „So, nun kannst du nicht mehr raus. Wie heißt du eigentlich?“ Das Hündchen sah mich mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an. „Ich werde dich Vulpix nennen, wie das Pokemon, einverstanden?“ Ich kraulte ihm das weiche Fell und sagte immer wieder „Vulpix, Vulpix“, damit sich der Kleine an diesen Namen gewöhnte. Dann schaute ich auf meine Armbanduhr. Oh, ja, ich musste mich beeilen, denn gleich würde Papa kommen und schauen, ob ich denn schon im Bett liege. Hoffentlich hat er das Bellen nicht gehört. Leise schlich ich zurück ins Haus und lugte ins Wohnzimmer. Hier war Papa nicht mehr. Nanu? Hatte er was gemerkt? Doch da hörte ich es in der Dusche plätschern und atmete auf. Also hat Papa wohl nichts mitgekriegt. Ich zog meinen Schlafanzug an und verkroch mich mit der Taschenlampe, Harry Potter Teil 3, einer Tüte Chips und meinem Discman unter die Bettdecke.
An diesem Abend schlief ich erst spät ein und wachte bald wieder auf: Von den salzigen Chips hatte ich Durst bekommen. Da durchfuhr mich ein Schreck: Der Kleine hat ja auch nichts zu trinken! Mein Zwergkaninchen wäre damals fast verhungert, nur weil ich vergessen hatte, es zu füttern; und nun würde der kleine Hund verdursten. Das durfte nicht sein! Ich schlich die Treppe hinab, so leise wie möglich, trotzdem knarrten die Stufen verräterisch. In der Küche füllte ich eine leere Colaflasche mit Wasser. Dann suchte ich einen geeigneten Napf. Plötzlich tauchte Papa in der Küchentür auf. „Was machst du denn noch hier?“
„Äh..., ähm..., ich... -- ich hatte Durst und habe ein bisschen Wasser getrunken, Papa.“
„Nun aber ab ins Bett!“
Ich gehorchte. Aber ich schmuggelte die Wasserflasche und eine kleine Schüssel mit in mein Zimmer. Nun galt es abzuwarten, bis Papa endlich schlief. Es dauerte fast eine Ewigkeit, bis das gewohnte Schnarchen aus Papas Schlafzimmer zu hören war. Den Weg über die knarrende Treppe konnte ich nicht noch einmal riskieren. Also gab es nur noch eine Möglichkeit: Über’s Dach. Ich nahm meinen Rucksack, packte die Flasche mit Wasser, die Schüssel und meine Taschenlampe hinein und setzte ihn auf. So hatte ich beide Hände frei. Dann kletterte ich vorsichtig aus dem Fenster meines Zimmers, das sich in der Dachgaube befand, hinab auf die Dachrinne. Die Dachrinne hat Papa selbst angebaut, die wird halten, dachte ich. Denn was mein Papa macht, macht er ordentlich und stabil, da gibt es nichts. Es war stockdunkel. Vorsichtig, Schritt für Schritt, tastete ich mich mit den Füßen die Dachrinne entlang. Mit den Händen stützte ich mich auf dem schrägen Dach ab. Dabei begannen mir ganz schön die Knie zu zittern. Die Dachrinne knarrte verdächtig und mir wurde immer wackliger in den Beinen. Hoffentlich schläft Papa fest und hört nichts. Und hoffentlich stürze ich nicht mitsamt Dachrinne in die Tiefe. Aus etwa zweieinhalb Metern Höhe auf den Pflasterweg zu stürzen – diese Vorstellung war nicht gerade lustig. Papa bekommt einen Herzschlag, wenn er mich hier oben sieht, dachte ich. Die Dachrinne ächzte und bog sich, aber sie hielt. Hoffentlich hat Papa nichts gemerkt! Endlich hatte ich die Pergola erreicht und kletterte am Rankgitter zwischen wildem Wein, Clematis und Spinnenweben auf die Erde hinab.
Als ich zum Schuppen kam, hörte ich das Hündchen jaulen. Man, warum musste der nur so einen Krach machen! Aber wenigstens war er noch hinten in seinem Verschlag. Gierig schlabberte der Kleine das Wasser. Ja, er hatte wirklich Durst nach den Aufregungen dieses Tages und nach dem salzigen Wurstbrot. Als ich gehen wollte, winselte der kleine Vulpix wieder.
„Bitte sei still! Ich würde ja gern bei dir bleiben, aber das geht nicht. Morgen komme ich doch wieder. Ich vergesse dich nicht!“
Auf dem gleichen Weg, wie ich gekommen war, schlich und kletterte ich zurück. Und der Rückweg war fast noch schwieriger. Völlig erschöpft fiel ich ins Bett.
Als am nächsten Morgen mein Wecker klingelte, war Papa schon zur Arbeit gefahren. Ich zog mich schnell an und rannte in die Küche hinab. Dort standen wie immer meine Milch, meine Cornflakes und meine Pausenbrote bereit. Ich schlang das Frühstück rasch hinunter und schmierte eine Schnitte mit Butter und Käse: für meinen Vulpix. Dabei überlegte ich, was Hunde denn normalerweise fressen. Offensichtlich schmeckten die Wurst- und Käsebrote dem Hündchen, aber waren sie auch gesund für ihn? Ich nahm mir vor, Hans nachher fragen, was dessen Hunde so zu fressen bekommen.
Es war höchste Zeit. Ich packte die Pausenbrote in die Schultasche, schnappte meine Jacke und das Käsebrot, schloss die Haustür sorgfältig ab und lief zum Schuppen. Wieder hörte ich den Kleinen schon direkt hinter der Schuppentür kläffen.
„Du alter Racker, du solltest doch in deinem Ställchen bleiben!“ Ich nahm den kleinen Wuschel hoch und wollte ihn wieder in seinen Verschlag bringen. Da trat ich auf etwas weiches.
„Iiiih! Scheiße!“ fluchte ich. Damit hatte ich genau das richtige Wort getroffen - ich war in ein Häufchen von Vulpix getreten. Na lecker! Notdürftig reinigte ich den Schuh und den Schuppenboden mit altem Zeitungspapier. Dann fütterte ich den Kleinen, der die ganze Zeit ungeduldig und bellend um mich herumgesprungen war, und besah mir den Verschlag. Der war noch in Ordnung, kein Brett war ab. Wie war Vulpix diesmal rausgekommen? Drübergesprungen? Bei der Höhe des Verschlages konnte ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Aber ich hatte keine Zeit mehr zum Grübeln. Ich setzte den Hund wieder in den Verschlag, rannte zum Haus, um schnell noch die Schuhe zu wechseln und flitzte zur Schule. Völlig außer Atem kam ich im Klassenzimmer an. Es klingelte gerade zur Stunde.
Nach dem Unterricht kam Hans mit zu mir. Hinter der Schuppentür bellte und kratzte es.
„Du hast also den Hund wirklich behalten?“
„Klar, aber erzähle das niemanden! Auch nicht deinem Bruder Phillip! Ich hatte den Hund da hinten in den Verschlag gesperrt. Wie kommt der da nur raus?“
„Das werden wir gleich wissen“, meinte Hans. „Sperr ihn noch mal ein! So, und nun komm her und ruf ihn!“
Ruck-zuck, mehr geklettert als gesprungen, war der Kleine raus aus seiner Box und kam uns.
„Wir müssen das höher machen“, überlegte ich laut.
„Das hilft nicht viel, wir müssen den Verschlag oben zu machen“, sagte Hans.
„Aber dann bekommt Vulpix doch keine Luft mehr!“
Wir grübelten eine Weile.
„Ich hab eine Idee! Komm mit!“ Ich rannte hinter den Schuppen, wo neben Resten verschiedener Baumaterialien auch ein Stück verrosteter Maschendraht lagerte. Dann holte ich noch Papas Werkzeugkiste und los ging’s. Zuerst musste der Verschlag vermessen werden, dann wurde der Maschendraht auf die richtige Größe zugeschnitten. Das war trotz Papas guter Zange Schwerarbeit. Dann spannten wir den Maschendraht über den Verschlag und nagelten ihn an. Auch das war viel schwerer, als wir gedacht hatten, aber endlich hatten wir auch das geschafft! Es sah zwar nicht sehr schön aus, aber das Hündchen konnte nun wirklich nicht mehr raus! Wir gönnten uns erst mal eine kalte Cola und tollten dann mit Vulpix herum, bis Hans nach Hause musste.
Am nächsten Tag, in der großen Pause, kam Phillip zu mir und fragte, wo denn der kleine Hund jetzt ist.
„Warum willst’n das wissen?“
„Im Dorf hängen Zettel aus, dass ein Hund gesucht wird. Er gehört einer Frau Schultze am anderen Ende des Ortes.“
„Na, und? Was geht dich das an?“
„Nico, du kannst den Hund doch nicht einfach behalten, wenn du weißt, dass er gesucht wird!“
„Woher willst du denn wissen, dass es gerade der Hund ist, der gesucht wird? Es gibt doch viele Hunde. Und außerdem will der Hund gar nicht zurück, sondern bei mir bleiben. Ich habe ihn weggescheucht, aber er ist wieder zu mir gekommen. Das ist jetzt mein Hund!“ Ich ließ Phillip einfach stehen. Eigentlich mochte ich ihn, aber heute redete der wie ein Erwachsener, so obervernünftig.
Nach der Schule hätte ich gern mit Vulpix draußen getobt und wäre gern mit ihm spazieren gegangen. Weil ich aber nun wusste, dass ein Hund gesucht wurde, wollte ich nicht mit ihm gesehen werden, und spielte mit ihm nur ein wenig im Schuppen. Dann stellte ich ihm das Hundefutter hin, das Hans zu Hause heimlich abgezweigt hatte. Aber Vulpix mochte das nicht fressen. Fragend sah er mich an. Was soll’s, ich brachte ihm nach dem Abendessen wieder seine gewohnte Wurststulle.
Als ich am darauffolgenden Morgen in den Schuppen kam, erschrak ich tüchtig. Der kleine Hund war weg! Spurlos verschwunden. Ich rief ihn und suchte ihn in jeder Ecke. Hatte Phillip ihn geholt und zurückgebracht? Zuzutrauen wäre ihm das. Oder hatte jemand anderes den Hund bemerkt und wollte sich den Finderlohn verdienen? Oder hatte gar Papa den Kleinen entdeckt und rausgeworfen? .
Ratlos und traurig machte ich mich auf den Weg zur Schule. Doch kaum war ich um die Hausecke gebogen, da schrie ich auf. „Neeeiiin!!!“. Ich wollte nicht glauben, was ich da sah: Es war Vulpix – mit einem Zwerghuhn im Maul! Einem Zwerghuhn von Herrn Raab, unserm Nachbarn. Kein anderer im Dorf hielt Zwerghühner, aber Herr Raab züchtete sie, und sie waren sein ganzer Stolz. Auf Geflügelausstellungen hatte er schon viele Preise für seine Tiere erhalten. Und nun hatte Vulpix eine dieser preisgekrönten Hennen gekillt und schien auch noch stolz darauf zu sein. Das würde Ärger geben, mächtigen Ärger. Herr Raab verstand keinen Spaß, schon gar nicht, wenn’s um seine Hühner ging. Au weia! .
Schnell versuchte ich Vulpix das Hühnchen wegzunehmen, aber Vulpix wollte es nicht hergeben. Er lief immer wieder vor mir weg. Zwar kam er zurück, wenn ich ihn rief, aber jedes mal, wenn ich das Huhn greifen wollte, entwischte er wieder. Es schien dem Kleinen sogar Spaß zu machen, dass ich hinter ihm herrannte. Ein lustiges Spiel! Doch ich fand das überhaupt nicht lustig. Ich war am verzweifeln! Argwöhnisch schaute ich immer wieder zum Haus von Raabs. Zum Glück war dort alles ruhig. Wahrscheinlich waren die Raabs schon zur Arbeit gefahren.
Auf einmal hatte ich die rettende Idee. Ich holte meine Brotdose aus dem Ranzen und lockte damit den Hund in den Schuppen. Und tatsächlich tauschte der Kleine das tote Huhn gegen eine Leberwurststulle ein. Ich packte die Hühnerleiche in eine alte Zeitung und vergrub sie so tief ich konnte im Erdbeerbeet. Hoffentlich hat Herr Raab ja nichts gesehen1
Sicher, er würde seine Henne vermissen, aber die konnte ja auch ein Marder oder ein Fuchs oder ein Habicht geholt haben. Doch wie nur war Vulpix aus dem Ställchen und aus dem Schuppen herausgekommen? Irgendjemand musste ihn rausgelassen haben. Etwa Papa? .
Ich sperrte Vulpix wieder ein. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Dann lief ich schnell los Richtung Schule. Ich würde sowieso schon zu spät kommen. Kaum war ich 10 oder 15 Meter gerannt, lief mir etwas zwischen die Beine, so dass ich beinahe hingefallen wäre. Es war – der kleine Hund!
„Kannst du zaubern?“, fragte ich ihn. Ich ging zurück und untersuchte noch einmal das Ställchen. Erst jetzt sah ich es: Vulpix hatte sich unter der Schuppenwand hindurchgegraben. So ein Schlingel!
Ich legte ein paar große Steine vor das Schlupfloch und hoffte, dass Vulpix für das Graben eines neuen Loches länger brauchte als 5 Unterrichtsstunden dauern. Natürlich kam ich viel zu spät in der Schule an. Ich entschuldigte mich und sagte, ich hätte den Wecker nicht gehört. Das war ja keine echte Lüge, sondern eine Notlüge, oder?
Als am Abend Papa nach Hause kam, rief er mich, er müsse mal mit mir reden. Mein Herz pochte. Jetzt würde wohl ein Donnerwetter losbrechen.
„Nico, du musst mir einen Gefallen tun.“
„Was denn, Papa?“, fragte ich kleinlaut.
„Komme bitte morgen nach der Schule gleich nach Hause. Ich habe den Kammerjäger bestellt...“
„Was is ’n das?“
„Jemand, der Ungeziefer bekämpft. Zum Beispiel Kakerlaken oder Mäuse oder Ratten oder auch Marder. Und wir haben wohl einen Marder auf dem Dachboden.“
„Wir haben einen Marder im Dachboden?“ fragte ich zweifelnd.
„Ich glaube schon. Man hört ihn manchmal unter dem Dach rumoren. Außerdem fehlen dem Herrn Raab einige Zwerghühner.“
Nur gut, das es in der Diele etwas düster war, so sah Papa nicht, wie knallrot ich geworden war.
„Wie fängt denn der Kammerjäger den Marder? Erschießt er ihn?“
„Das sicher nicht. Vielleicht mit einer Falle oder mit vergifteten Fleischstücken, ich weiß es auch nicht.“
Oh, weh, Fallen und vergiftete Fleischstücken für den vermeintlichen Marder! Das wurde gefährlich. Viel zu gefährlich für den kleinen Hund. Nein, der Kleine sollte nicht von einer Falle erschlagen oder vergiftet werden, nur weil man ihn für einen Marder hielt. Ich musste etwas tun. Aber was?
Ich grübelte den ganzen Abend, die halbe Nacht und auch noch am nächsten Morgen, aber mir kam keine rettende Idee.
In der Schule saß ich wie auf Kohlen und konnte mich nicht konzentrieren. Hoffentlich kommt der Kammerjäger nicht zu früh. Doch ich hatte Glück und die letzten beiden Stunden hitzefrei.
So lange ich auch nachdachte, es gab keinen anderen Ausweg: Ich musste den Hund dort hin zurückbringen, wo er hingehörte.
Ich band ein Stück Bindfaden an Vulpix’ Halsband und ging mit ihm los. Auf den Zetteln, die an verschiedenen Stellen im Dorf hingen, stand, dass eine Frau Schultze, Dorfstr. 56, ihren Hund vermisst. Das ist das allerletzte Haus in der Hauptstraße. Ich kannte die Bewohnerin des Hauses nicht, sie war erst vor Kurzem in unser Dorf gezogen. Aus Berlin, erzählte man. Als ich geläutetet hatte, kam eine Frau zum Tor. Sie hinkte leicht, obwohl sie noch gar nicht alt war. Sie freute sich riesig, dass sie ihren Hund wohlbehalten wieder hatte und das Hündchen freute sich genauso. Ich wurde richtig eifersüchtig. Aber ich bekam 20 € Finderlohn.
20 Euro! Das war viel Geld! Schnurstracks ging ich zum Dorfladen. Endlich kann ich mir neue Pokemon-Sammelbilder kaufen. Oder die neueste CD. Oder so eine coole Sonnenbrille. Oder die große Wasserpistole mit 50 Meter Reichweite. Und Hans und Tom zu einer großen Cola einladen und ..., und ..., und ... .
Vor dem Laden zog ich den blauen Geldschein aus der Hosentasche. Aber ich zögerte noch. Denn eigentlich war ich nicht ehrlich gewesen. Obwohl ich doch nie mehr lügen wollte. Das hatte ich meinem Papa versprochen. Ich hatte eigentlich überhaupt keinen Finderlohn verdient, denn ich hatte ja den kleinen Hund behalten und bei mir eingesperrt, obwohl ich schon lange wusste, wem er gehörte. Meinen Papa habe ich zwar nicht direkt belogen, aber die Wahrheit habe ich ihm auch nicht gesagt. Dass da gar kein Marder war. Sondern ein Hündchen im Schuppen. Auf einmal hatte ich keine Lust mehr, etwas zu kaufen und ging nach Hause.
Dort wartete schon der Kammerjäger. Ich zeigte Ihn die Stiege zum Dachboden und verkroch mich in mein Zimmer.
In der Nacht schlief ich schlecht. Und am nächsten Tag hatte ich miese Laune, richtige Stinklaune. Ich stritt mich mit all meinen Kumpels. Ziemlich einsam saß ich dann auf der Bank gegenüber dem Dorfladen und kritzelte mit einem Stock Striche in den Staub.
20 Euro sind wirklich viel Geld.
Dann stand ich auf, doch ich ging nicht in den Laden. Ich lief die Straße hinunter bis zum letzten Haus. Am Zaun begrüßte mich der kleine Hund schwanzwedelnd und bellend. Auch Frau Schulze, die gerade im Garten stand und die verblühten Rosen abschnitt, begrüßte mich freundlich. Hastig und mit gesenktem Kopf erzählte ich, wie es wirklich war und gab schnell den 20-€-Schein zurück. Dann drehte ich sich um und rannte los.
„Nico, nun warte doch mal!“ Zögernd blieb ich stehen. Wollte sie mich jetzt ausschimpfen? Oder bei der Polizei anzeigen? Aber Frau Schultze schaute noch immer freundlich.
„Komm doch erst mal rein in den Garten. Möchtest du nicht ein wenig spielen mit Struppi? Wenn ihr beiden euch doch so gern habt?“
„Struppi heißt der?“
„Ja, das passt doch zu ihm, findest du nicht?“
„Ist er eine Rasse?“
„Du meinst, ob er ein Rassehund ist? Nein, ganz und gar nicht. Ein bisschen Spitz, ein bisschen Terrier und was weiß ich noch alles. Möchtest du etwas trinken? Einen Kakao?“
Ich rümpfte leicht die Nase, und Frau Schultze sah das. „Oder lieber Apfelsaft?“
Meine Nase glättete sich wieder und ich bejahte. Cola wäre mir eigentlich lieber gewesen, aber die gab es hier vermutlich nicht. Es gab auch nicht den normalen Apfelsaft aus den Tetrapak, sondern selbstgemachten, naturtrüben. Meine Nase kräuselte sich wieder leicht, aber ich wollte ja nicht unhöflich sein. Außerdem hatte ich wirklich Durst und so trank ich einen Schluck von der trüben Brühe. Erstaunlicherweise schmeckte der Saft, zwar nicht wie „normaler“ Apfelsaft, aber doch recht gut.
Nun musste ich alles noch einmal ganz ausführlich erzählen.
„Da hat Struppi ja ein richtiges Abenteuer erlebt. Und du auch!“ Frau Schultze gab mir den blauen 20-€-Schein wieder. „Das darfst du trotzdem behalten. Weil du am Ende doch noch ehrlich warst. Und ich bin ja so froh, dass Struppi wieder da ist.“
Zögernd nahm ich das Geld an.
„Nico, du möchtest also gern einen Hund haben ?“
„Ja.“
„Weißt du, Nico, vor ein paar Monaten hatte ich einen Unfall, und ich habe immer noch Probleme mit dem Fuß und dem Knie. Mir fällt das Laufen schwer und deshalb kann ich Struppi nicht genug Auslauf verschaffen. Aber wenn der Frechdachs nicht genug Bewegung und Beschäftigung hat, macht er nur Dummheiten. Ich glaube, das hast du ja selbst schon bemerkt. Vielleicht hast du ja Lust, ab und zu mal mit Struppi spazieren zu gehen oder mit ihm hier im Garten zu toben?“
„Na klar, sehr gerne!“ jubelte ich. Zwar hatte ich nun immer noch keinen eigenen Hund, aber ich könnte beweisen, dass ich ein guter Hundehalter bin.
Und ich gab mir viel Mühe: Jeden Tag ging ich 3 Mal mit Struppi spazieren: Das erste Mal schon früh vor der Schule. Dafür stand ich extra zeitiger auf. Dann noch einmal gleich nach der Schule und noch einmal abends vor dem Schlafengehen.
Das ging eine Woche so, dann wurde es anstrengend. Jeden Morgen so zeitig aufstehen? Es reichte doch auch, wenn ich nur Mittags und Abends mit Struppi spazieren ging. Und nach der Schule konnte ich auch nicht mehr jeden Tag zu Struppi, denn ich musste ja die Hausaufgaben ordentlich machen. Und seit ich im Fussballverein trainierte, schaffte ich dienstags und donnerstags ich auch keinen Abendspaziergang mit Struppi mehr. Und wenn es regnete, ging ich auch nicht. Das würde Frau Schultze schon verstehen. Und am Wochenende zum Angeln konnte ich Struppi wieder nicht mitnehmen. Sein Herumgerenne verscheucht die Fische. Das hatte Phillip gesagt.
Als ich eines Abends vom Fußballplatz zurückkam, saßen Papi und die Frau Schultze im Garten und tranken Tee. Was wollte diese Frau bei meinem Papa? Wollte sie sich beschweren, dass ich nur noch so selten mit Struppi ging? Warum sagte Papa ihr nicht einfach, was er mir immer vorhielt: Zu allererst müssen die Pflichten für die Schule erfüllt werden.
Aber Frau Schultze schaute freundlich. Wie immer. Wieso war sie eigentlich immer so freundlich? Sogar wenn ihr Bein schmerzte? Ich wollte nicht, dass sie zu Papa so freundlich war. Und schon gar nicht, dass Papa zu ihr auch nett war.
„Nico, Nico, da hast du uns ja was schönes eingebrockt!“ sagte mein Vater. Ich stutzte. Was hatte ich denn gemacht? Aber Papa lachte. Und Frau Schultze erklärte:
„Nico, du weißt ja schon, dass ich einen Unfall hatte und mein Bein mir immer noch Probleme macht. Wenn es besser werden soll, muss ich mich operieren lassen, das heißt, ich muss für etwa 2 Wochen ins Krankenhaus, und danach noch 3 Wochen in die Reha-Klinik. Nun wollte ich dich fragen, ob du den Struppi in dieser Zeit betreuen würdest, Nico? Du kommst doch so gut mit ihn klar und er mag dich wirklich sehr.“
„Uff!“ Ich stöhnte leise. Ich hatte ja nun erlebt, wie anstrengend es sein konnte, sich nur teilweise um einen kleinen Hund zu kümmern, und jetzt sollte ich alles machen, ihn ausführen, mit ihm spielen, ihn füttern, bürsten, aufpassen und die ganze Verantwortung übernehmen, und das 5 lange Wochen oder gar noch länger? Nun ja, genau das hatte ich damals meinem Vater versprochen, als ich einen Welpen haben wollte.
„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Und wenn er nun wieder ein Huh..“ Ich biss mir schnell auf die Lippen.
„Was wolltest du gerade sagen?“ fragte Papa nach.
„Papa, ich glaube, du hast recht gehabt. Ich bin kein guter Hundehalter. Ich glaube, ich schaffe das nicht. Die vielen Hausaufgaben und ... und das Fußballtraining und...“
„Was soll das heißen, Nico? Willst du nicht, dass wir Frau Schultze in einer Notsituation helfen? So kenne ich dich doch gar nicht. Soll der kleine Struppi 5 Wochen in irgendeinem Tierheim versauern?“
Wieso wollte Papa denn auf einmal, dass ich den Hund betreue? Misstrauisch schaute ich meinen Vater an. Ging es Papa wirklich um den Hund? Oder eher um Frau Schulze?
Als hätte Struppi alles gehört und verstanden, sprang er an meinem Bein hoch und schaute mich mit seinen Kulleraugen ganz treuherzig an und fiepte leise.
„Okay, Struppi, überredet! Ich kümmere mich um dich. Du musst nicht in irgendein Tierheim“, versprach ich.
Na, ob das wohl gut geht? Aber das erzähle ich euch später!