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Nichts

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19.06.2024
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Nichts

Ich spüre die Regentropfen auf meiner Haut. Der leichte Wind streift mir über das Gesicht. Ich schaue nach oben in den Himmel und erkenne den großen Waagen in den Sternen. Wie so oft frage ich mich, was ich an diesem Tag geschafft habe und was ich morgen machen sollte. Die Betonung hierbei liegt auf „sollte“. Hinter allem was ich gemacht habe, mache oder noch machen werde steckt ein Muss und eine Perfektion.
Hast du dich mal gefragt was Perfektion bedeutet? Es gibt keine richtige Antwort. Perfektion ist ein komisches Wort. Es ist in jedem Wortschatz vorhanden, doch gibt es Perfektion eigentlich nicht. Was ist schon perfekt? Nichts, absolut gar nichts kann perfekt sein. Es gibt immer etwas, was man verbessern oder ändern kann.
Während ich meinen Gedanken freien Lauf lasse, laufe ich weiter. Die laute Musik dröhnt durch meinen ganzen Körper. Ich höre den Song „Paralyzed“ von NF. Die lyrics und Melodie lassen mich wie in Trance weiterlaufen. Ich spüre meine Beine nicht und doch schmerzen sie. Mein Herz pocht stechend und mir wird schwindelig. Ich fühle mich als wäre ich high. Ich bekomme nichts von Außen mit. Nicht die Menschen, nicht die Autos die an mir vorbei fahren. Ich bin in meiner eigenen Welt. Ich bleibe kurz stehen und schließe die Augen. Es fühlt sich alles so unrealistisch an. So als wäre nicht ich die, die hier steht, sondern jemand anderes als wäre ich in einer Art Blase und kann mich nicht befreien. Ich zünde mir mit meinen zitternden Händen eine Kippe an und ziehe einen tiefen Zug. Während ich den Rauch langsam ausatme, beobachte ich die knisternde Glut an der Zigarette in der Dunkelheit.
Was das alles bringt?! Absolut gar nichts.
Ich laufe weiter. Einen Schritt vor den anderen. Um irgendwie weiter zu kommen.
Ich kann nicht mehr. Mein Körper kann nicht mehr. Meine Gedanken können nicht mehr. Die Welt hat es geschafft, dass ich am Ende bin. Am Ende angekommen mit mir selbst. Die Angst und dennoch Gleichgültigkeit. Kälte zusammengemischt mit Wärme. Die Leere in mir und dann wiederum die Überflutung und das Gefühl erdrückt zu werden. Das an alles Denken und das an nichts Denken. Sich bei allen melden zu müssen und das sich abschotten zu müssen und für jeden eine Last zu sein. Jeden Tag das Gefühl zu haben nichts gemacht zu haben und wieder einen Tag verschwendet zu haben. Auf der anderen Seite enttäuscht davon zu sein, den Tag überlebt zu haben und nicht an den anderen Tag zu denken. In dieser Art von Luftblase zu leben aus der es Unmöglich zu erscheint auszubrechen und sich selbst zuzusehen wie man den Tag überlebt und immer das gleiche Tut. Sich aufzuregen immer das Gleiche zu machen aber dann keine Lust zu haben irgendwas zu unternehmen und zu erleben. Allein zu sein. Vielleicht auch einsam. Mal allein, mal einsam. Was bin ich? Was macht mich aus? Was zur Hölle mögen sie an mir. Gibt es da überhaupt was oder bin ich einfach nur da? Eine Person die zuhört und sich nicht traut was zu erzählen, weil eh niemand Zuhört oder man sich dumm vorkommt dabei. Wen interessiert schon was von mir? Während ich weiterlaufe überlege ich mir wann das alles angefangen hat. Wann ich eine Enttäuschung für mich selbst und alle anderen wurde. Wann ich mich so verändert habe. Wann ich keine Hoffnung mehr hatte. Wann ich keine Angst, keine Trauer und keine Freude mehr empfand. Wann mir alles egal wurde und wann es mein größter Wunsch wurde, dass dieser Schmerz aufhört und ich gehen kann.

Ich gehe weiter bis ein Auto neben mit anhält. Das Fenster geht runter und eine Hand winkt mich rein. Ich steige ein. Lasse meine Kopfhörer drin und schaue aus dem Fenster.
Irgendwann schaue ich nach links zum Fahrer und sehe einen jungen Mann, der nichtssagend weiter fährt. Er schaut mich an, lächelt kurz und guckt wieder nach vorn. Mein Blick wandert wieder zum Fenster. Ich schließe die Augen und versuche an irgendetwas zu denken doch es geht nicht. Ich sehe nur die Dunkelheit und die Enge in mir und meinem Kopf. Was bedeutet dieses Nichts an Gedanken und Gefühlen? Es bedeutet die Gleichgültigkeit des Lebens. Die Gleichgültigkeit eines Selbst. Das Nichts, das man spürt, wenn es um einen selbst geht oder um nahestehende Menschen. Wenn eine geliebte Person im Sterben liegt und man einfach nichts fühlen kann. Und das macht Angst. Nicht das zu spüren, was man spüren sollte oder so unbedingt spüren will und man nur eine Leere in sich findet, die einen von innen auffrisst.
Irgendwann hält das Auto an und ich sehe im Augenwinkel wie der Fremde aus dem Auto steigt und sich eine Zigarette anzündet. Ich nehme meine Kopfhörer aus den Ohren und steige aus dem Auto. Mir wird die angerauchte Zigarette in die Hand gedrückt und ich ziehe nickend einen Zug. Dann kommt er auf mich zu und umarmt mich fest. Das Nichts was ich vorher spürte, verschwindet langsam und eine seltsame Wärme breitet sich in mir aus.
Wie lange habe ich nichts mehr gespürt? Es kommt Angst in mir hoch, da es für mich mittlerweile ein fremdes Gefühl geworden ist. Ich spüre seine Hände an meinen Narben, die mich mein Leben lang begleiten werden.
Wann war das letzte Mal als ich so eine Art der Wärme verspürte? Doch so schnell wie diese Wärme gekommen war, genauso schnell verschwindet sie auch wieder und die Erinnerungen kommen wieder. Die Gefühle von Angst und Verrat wandern in mir hoch. Ich versuche mich aus der Umarmung zu befreien, doch je heftiger ich mich wehre, desto stärker wird die Umarmung. Ich fühle mich eingeengt. Ich fühle mich hilflos. Ich fühle mich ausgenutzt und missbraucht. Ich habe keine Kraft mehr und lasse die Umarmung über mich ergehen.

Dann öffnen sich meine Augen und ich schaue mich um. Ich spüre wie mich jemand umarmt. Doch als ich begreife, dass mich meine eigenen Arme umarmen und ich alleine auf dem Boden in der Dunkelheit sitze, fange ich an zu weinen. Ich spüre die Tränen meine Wangen hinunter laufen, mein Atem stockt.
Ich bin müde. Müde vom Leben. Müde vom Spielen einer Person, die ich nicht bin. Müde davon aufzustehen. Müde vom Schlafen.
Ich lege mich auf den Boden, schließe mit einem Lächeln im Gesicht die Augen und irgendwann... irgendwann haben mich die Sonnenstrahlen erreicht...

 

Liebe Susanna,

ich habe den Text gerade gelesen und ich musste länger darüber nachdenken. Mir gefällt das Setup und die Autofahrt, bei der erstmal nicht klar ist in welche Richtung es geht.

Ein paar Sachen die mir aufgefallen sind.

erkenne den großen Waagen in den Sternen.
... großen Wagen (vom Sternbild Waage gibt's glaub ich nur eins)

Ich höre den Song „Paralyzed“ von NF
Die Band und den Song kenne ich nicht. Hier kommt mir nicht so klar raus wofür die Nennung des Songs da ist (fühlt sich die Person paralysiert? Erzeugt der Song eine spezielle Stimmung, für die man ihn kennen muss?)

Allgemein kam das Thema der Geschichte nicht ganz für mich raus. Ich dachte erst es ging um Depressionen, durch die Autofahrer-Umarmung war mir dann irgendwie nicht mehr klar ob es jetzt um Missbrauch ging.

Die Geschichte hat mich da etwas verwirrt zurück gelassen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich sehe nur die Dunkelheit und die Enge in mir und meinem Kopf.

Ein Satz, der – ob bewusst oder nicht, Jacke wie Hose – nicht nur das Wort „Angst“ auf den Nenner bringt und zugleich beschreibt als „Enge“, deren Gleichklang im Superlativ (eng – enger – am engsten) mit dem Plural der Angst, „Ängste“ jedem Muttersprachler vertraut sein müsste.

Dabei hat Angst auch seine Funktion – denn wie vorsichtig verhielten wir uns sonst im Straßen- und sonstigen Verkehr? & wie die Alten schon wussten,
Übermut tut selten gut

So weit oder doch eher wenig zum Zusammenhang Sprache und Gefühlswelt –

liebe @Susanna,

und zugleich ein Übergang zu den Modalverben wie „müssen“ und „sollen“, wobei letztgnanntes auch bei Dear obsiegt

... und was ich morgen machen sollte. Die Betonung hierbei liegt auf „sollte“.
einem Gegensatz zum „müssen“, das - wie es im neudeutschen so heißt - "alternativlos" ist.

Hinter allem was ich gemacht habe, mache oder noch machen werdeKOMMA steckt ein Muss und eine Perfektion.

Hastu Dich jemals gefragt, warum nicht nur die Zehn Gebote oder jegliches Gesetz nicht befolgt werden „muss“, sondern befolgt werden „soll[te“? Ich denke, Du weißt, warum alle mir bekannten Rechtssysteme und Gebote „sollen“ und nicht „müssen“ verwenden.

Man muss gar nix, außer manierlich und friedfertig mit seinem Nächsten umgehn (Nächstenliebe heißte ja nicht, dass man seine Feinde lieben soll ...)

Ich fühle michKOMMA als wäre ich high.

Nicht die Menschen, nicht die Autos die an mir vorbei fahren.
vorbeifahren, immer zusammen!

Es fühlt sich alles so unrealistisch an. So als wäre nicht ich die, die hier steht, sondern jemand anderesKOMMA als wäre ich in einer Art Blase und kann mich nicht befreien.
Hier empfehl ich, „können“ wie „sein/“war“) in den Konjunktiv „könnte“ umzuformen, wiewohl „können“ an sich für Perfektionisten nur zwei Wirkungen haben kann – entweder man kann oder kann es eben nicht.

Die Angst und dennoch Gleichgültigkeit.
Das gibt’s – ob immer aus einem Gefühl der Machtlosigkeit (man könne nix ändern) oder eher Trägheit - will & kann ich nicht entscheiden …

Die Leere in mir und dann wiederum die Überflutung und das GefühlKOMMA (oder Gedankenstrich als Alternatiefe) erdrückt zu werden.

Jeden Tag das Gefühl zu haben nichts gemacht zu haben und wieder einen Tag verschwendet zu haben.

In dieser Art von Luftblase zu lebenKOMMA aus der es nmöglich zu erscheint auszubrechen und sich selbst zuzusehenKOMMA wie man den Tag überlebt und immer das gleiche [t]ut. Sich aufzuregenKOMMA immer das Gleiche zu machenKOMMA aber dann keine Lust zu habenKOMMA irgendwas zu unternehmen und zu erleben.

Eine PersonKOMMA die zuhört und sich nicht trautKOMMA was zu erzählen, weil eh niemand [z]uhört oder man sich dumm vorkommt dabei.

Während ich weiterlaufeKOMMA überlege ich mirKOMMA wann das alles angefangen hat.
Irgendwann schaue ich nach links zum Fahrer und sehe einen jungen Mann, der nichtssagend weiterfährt.
(vorsicht beim zweideutigen "nichtssagend", was schweigen wie leeres schwätzen bedeuten kann ...

Ich schließe die Augen und versuche* an irgendetwas zu denkenKOMMA doch es geht nicht.
* vllt. fragstu Dich, warum ich hier kein Komma verlange.
Es ist das Prädikat, ein sehr komplexes, das durch ein Komma gespalten würde – nämlich „(irgendetwas) zu denken versuchen“

Ich sehe nur die Dunkelheit und die Enge in mir und meinem Kopf. Was bedeutet dieses Nichts an Gedanken und Gefühlen? Es bedeutet die Gleichgültigkeit des Lebens.
Irgendwann hält das Auto an und ich sehe im AugenwinkelKOMMA wie der Fremde aus dem Auto steigt und sich eine Zigarette anzündet.

Das NichtsKOMMA was ich vorher spürte, verschwindet langsam und eine seltsame Wärme breitet sich in mir aus.

Ich spüreKOMMA wie mich jemand umarmt.

Ich spüre die Tränen meine Wangen hinunter laufen, mein Atem stockt.
Ein Wort „hinunterlaufen“

und schließlich & endlich

Ich lege mich auf den Boden, schließe mit einem Lächeln im Gesicht die Augen und irgendwann... irgendwann haben mich die Sonnenstrahlen erreicht…
bedeuten im Deutschen Auslassungspunkte direkt am Wort, dass dort mindestens ein Buchstabe ausgelassen sei – was hier nicht der Fall ist. Also besser
„… und irgendwann … irgendwann haben mich die Sonnenstrahlen erreicht …

So viel oder doch eher wenig zum „Nichts“

und damit herzlich willkommen hierorts,

@Susanna


Nachtrag:
Warum die "Unterstreichungen" erfolgen vermag ich nicht zu beurteilen und erst recht nicht, warum ich den Anfang - aber bisher auch nur den - von der Streicherei befreien konnte - k. A. - und lass Dich davon nicht beeindrucken, es kann auch an meinem relativ "uraltem" System liegen. Ich gebrauche Dinge, bis sie selbst von mir abfallen ... Windows 11 könnte da absehbar en großes LOch in mein Rentchen reißen ...

Tschüss,

Friedel

 

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