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Nicht so, wie Du denkst

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Nicht so, wie Du denkst

Nicht so, wie Du denkst

Die Luft floss in einem süßlichen Storm zurück in die Lungen. Kurz bevor der Husten einsetzte. Sie hatte nicht mehr die Kraft, gegen seine Hände anzukämpfen, die sie zurück unter Wasser drückten.

Zu bitten hatte nicht geholfen, ihr Flehen hatte er belächelt. Dann war sie still geworden, um einfach zu warten. Um ihm Zeit zu geben, sich zu beruhigen. Hatte auf dem Stuhl gesessen und zu Boden gesehen.
Aber dann war mit einem Mal wieder alles wie zuvor. In seinen Augen dieses Funkeln. Er hatte sie an den Haaren gepackt und ihr den Kopf mit einem Ruck in den Nacken gerissen, bei dem sie glaubte, ihr Genick würde brechen.
"Miststück", hatte er durch die Zähne gepresst und der Bierschleier hatte sich über ihr Gesicht gebreitet. Sie hatte noch einen Versuch unternommen, zu erklären. Einen sinnlosen Versuch.
Nicht so, wie Du denkst. Nur nett zu mir. Er hat nichts gewollt. Ein Lachen aus seiner Kehle. Heiser, das ihr sagt, dass er sie nicht versteht. Wie kann er lachen, wenn sie weint?

Er zieht an ihren Haaren, bis der Stuhl nach hinten kippt. Ihre Beine in der Luft. Rudernd. Noch einmal: Nichts geschehen. Nicht so, wie Du denkst. Dann lässt er los und sie schlägt schwarz auf den Küchenboden.
Er muss sie getreten haben. Unter Schmerzen wird sie wach. Er steht neben ihr. Ist also nicht in die Stadt gefahren. Wollte sich doch rächen. Ist aber nicht zu ihm gefahren. Erst rechnet er mit ihr ab. Jetzt ist es draußen dunkel geworden. Oder doch nur in ihr.
Die Tränen versiegt. Es hat so kommen müssen, eines Tages. Wer wird sich um Milli kümmern? Jemand wird es tun. Ein Tritt, der sie auf die Füße bringt, halb gezogen von der Hand, die den Stoff ihrer Bluse zerreißt. Diesmal wird er es tun. So kalt war seine Wut noch nie. Der Wodka macht es leichter. Für jeden von ihnen. Sie wünscht sich eine Flasche. Jetzt gleich.

Bis zum See sind es nur Meter. Er zieht sie hinein, als wäre sie federleicht. Sie fühlt sich wie Blei. Wird hinabsinken. Unter ihren bloßen Füßen gibt der Grund nach, quillt durch ihre Zehen, als sie einen Moment stehen bleiben.
Dann reicht ihr das Wasser bis zur Brust. Sein Knie rammt sich unter Wasser in ihren Bauch, sodass sie zusammensinkt. Seine Hand, die ihren Kopf hinunterpresst bis das kalte Wasser in sie dringt.
Das Leben zieht vor den Augen vorbei. Der Moment, den sie fürchtet. Nur Milli, nichts weiter sehen. Bitte. Nicht alles noch einmal erleben müssen. Lass es schnell gehen. Ihre Kraft hat sie vor langer Zeit verlassen. Jetzt soll es nur noch so sein. Aber nichts geschieht. Vor ihren Augen sieht sie nur sein Gesicht. Nur seine kalten Augen, die morgen früh auf Milli herabsehen werden. Wieder kommt sie hoch und die Luft saugt sich in sie hinein. Es wird sowieso geschehen. Lass es schnell gehen.
Er sieht sie an, lacht laut auf. Er wird Milli wecken. Sie darf das hier nicht sehen. Sie hat schon zu viel gesehen. All die Jahre über. So kann ein Kind nicht leben. So kann niemand leben. Aber wegzugehen, das hat sie nicht geschafft. Nie den Punkt gefunden, die Koffer zu packen und zu gehen. Wohin. Zu wem. Wozu. Für Milli. Aber nicht einmal das hat sie geschafft. Versagt.
Wieder presst die Hand sie herunter und diesmal drückt er sie länger in die Tiefe. Tiefer. Ihr Körper wird leichter. Er wird gut sein zu Milli. Bestimmt. Nur niemals zu ihr. Aber Milli ist etwas anderes. Noch ein wenig leichter. Milli hat es auch nicht verdient. Aber sie hat. Immer schon. Dann wird es dunkler und die Kälte löst sich in ihr auf. Leb wohl, Milli. Pass auf Dich auf.

[ 06-08-2002, 19:28: Beitrag editiert von: arc en ciel ]

 

Hallo arc en ciel,

eine sehr bewegende Kg ist dir da gelungen. Ich habe die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit der Protagonisten spüren können.

Zwei Dinge sind mir aufgefallen:

bsp1:Jetzt ist des draußen dunkel geworden

es

bsp2:Oder doch nur in ihr.

?

Ist ein wenig Erbsenzählerei.

Fazit: Echt gelungenes Teil.

 

hi andré:
vielen Dank für Dein Lob. Das mit dem Erbsenzählen ist ja eigentlich MEIN Job :D schön, daß ich Unterstützung habe! ;)
das mit der ersten Anmerkung ist richtig. Tippfehler. Aber der 2. Satz ist richtig, wie er ist.

Lieben Gruß,
Frauke

 

Der Satz mag ja richtig sein, dennoch gehört an dessen Ende ein Fragezeichen. "?"

 

ach das meinst Du... nein, das war auch Absicht. Ich hab es als Frage formuliert und als Aussage hingeschrieben, ich weiß. Aber ich möchte, daß es so gelesen wird, wie eine Aussage, weil es vom "Sprechenden" nicht ernsthaft in Frage gestellt wird... verstehst mich?

Lieben Dank,
Frauke

 

Es kommt alles zum Vorschein in deiner Geschichte. Das nicht und nicht hinschauen wollen, ausgedrückt schon durch den Titelsatz, die Angst und gleichzeitig die Hoffnung, dass er das Kind doch anders betrachtet als die Mutter die den rechtzeitigen Schritt für ihre Tochter zu spät erkennt. Hat mich sehr beeindruckt und aufgewühlt durch den gedanklichen inneren Kampf neben dem geführten äußeren ums Überleben. Lieben Gruß schnee.eule

 

lieben Dank für Deine Kritik.
Ich hatte mir vorgenommen, mit dieser Geschichte vor allem Atmosphäre zu erzeugen und den Leser dazu zu bringen, sich in die Person hineinzufühlen. Das scheint mir wohl gelungen zu sein. ;)

Im Moment muß ich erstmal neue Ideen sortieren... muß dringend schreiben, weiß aber noch nicht, was... :confused:

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hallo arc,

nimmt mich aber schwer mit, deine Story. Du hast die Gedanken und Gefühle deiner Protagonistin so deutlich und mitreißend dargestellt, daß es schwerfällt, dabei nicht unbändigen Zorn gegen ihren Unterdrücker zu empfinden, der ja eigentlich nur als böser, "schwarzer" Mann im Raum steht und mißhandelt, ohne ein wirkliches Gesicht, einen Charakter dabei zu bekommen. Und alles ohne die Notwendigkeit von marktschreierischen Adjektiven oder reißerischen Begriffen! Die stille "Resignation" der Prot am Ende gibt dem Ganzen einen noch tragischeren Nachgeschmack.

Ein schreckliches und beunruhigendes Thema, sauber und klasse umgesetzt.

:thumbsup:

LG

Die Trainspotterin

 

hi Trainspooterin!
lieben Dank für Dein Lob und auch dafür, daß Du die Geschichte wieder ausgegraben hast. Wie bist Du denn darauf gestoßen?
Was Du über das Fehlen der Adjektive sagst, ist interessant. Im Grunde habe ich versucht, es durch ihre Augen zu sehen. Teil des Opfers zu sein, während es geschieht. Die Chronologie aufzubrechen...

naja, und Adjektive sind mir dabei eben nicht in den Sinn gekommen, denke ich :shy:

lieben Dank,

Frauke

 

Hi Frauke,

das mit dem Ausgraben war so:

Ich habe eine andere Story gelesen, in der es um Gefühle ging, und jemand hat dem Autor in seinem Kommentar deine Story vorgeschlagen als sehr gutes Beispiel dafür, wie sehr sowas packen kann, wenn es richtig geschrieben ist.

Und da bin ich doch gleich mal nachschauen gegangen, und siehe da: Es hat sich gelohnt! ;)

Viel Spaß beim Weiterschreiben, wir lesen uns bestimmt nochmal.

Die Trainspotterin

 

Hallo arc en ciel,

eine ausdrucksstarke Geschichte, die das Schicksal von drei Menschen in einem Punkt zusammenführt, auch wenn ein Schicksal beendet wird, ein weiteres einer Kehrtwendung unterliegt...
Allerdings finde ich die Rubrik `Spannung` ungünstig gewählt, der Ablauf ist absehbar und bietet auch keine Überraschung.
„sie schlägt schwarz auf den Küchenboden“ - Du meinst, ihr wird schwarz vor Augen?

„Bierschleier hatten sich über ihr Gesicht gebreitet“ und „gibt der Grund nach, quillt durch ihre Zehen“ - diese kleinen Beobachtungen (u.a.) sind gut gelungen, sie vervollständigen das Bild, das man sich von der Szene macht.

Tschüß... Woltochinon

 

hi!
lieben Dank für Deine Kritik zu meiner Geschichte.
Ja, natürlich wird ihr schwarz vor Augen, als sie auf den Boden schlägt. Aber das so zu schreiben, vermittelte nicht den Ausdruck / Eindruck, den ich erreichen wollte :)

mit der Rubrik... naja, was ist das sonst? es ist ( hoffentlich ) nicht Alltag... und "Sonstige" beinhaltet normalerweise auch andere "Genres"... naja, ich fand es als Tötungsgeschichte unter Spannung schon nicht so verkehrt... was schlägst Du vor?

Lieben Gruß,
Frauke

 

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