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Nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen

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08.04.2016
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Nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen

Ich wusste innerhalb des Bruchteils einer Sekunde, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Einen, den ich nicht mehr korrigieren konnte. Ich würde nach unten stürzen.
Der Boden, auf dem ich stand, gab nach. Im selben Augenblick, noch bevor ich einen bewussten Gedanken fassen konnte, und gerade noch rechtzeitig, bevor ich durch den Untergrund brach, winkelte ich meine Ellenbogen an und klappte sie wie die Streben eines Schirms nach oben.
Es ruckte schmerzhaft in den Schultergelenken. Dann steckte ich fest, wie ein menschliches "t", jeweils rechts und links über einem Balken eingehakt.
Mein Kopf ragte in den Speicher, die Beine dagegen hingen ohne Halt in unserem zukünftigen Arbeitszimmer von der Decke herunter, während mein Mann Jens und unsere Kinder Anna und Christoph sich unter meinen Füßen vor Lachen kugelten.
Es nützte nichts, dass ich schimpfte und tobte. Zum einen verliert ein Wutanfall deutlich an Wirkung, wenn man - den Kopf in einem anderen Stockwerk - von der Decke baumelt. Zum anderen war ich selbst daran schuld: Ich war nicht auf die vorsorglich ausgelegten Platten getreten, die den Speicherboden schon größtenteils bedeckten, sondern genau daneben auf unbedecktes, graues Dämmmaterial. Das bot zusammen mit der Folie noch keinen Halt, was man ihm aber nicht ansah. Ich hätte mich am liebsten selbst in den Hintern getreten, wenn das möglich gewesen wäre.
Endlich brachte Jens eine Leiter, um mich aus meiner misslichen Lage zu befreien.
Natürlich war das nicht mein erstes Missgeschick gewesen.
Bereits einige Wochen zuvor war ich auf unserer improvisierten Treppe, das rechte Bein weit ausgestreckt, gestolpert und auf dem Po abwärts gerutscht, bis ich mit dem Fuß in einem noch nicht zugegipsten Loch in der hinteren Wand steckengeblieben war.
Und eines Nachmittags, als ich mit bequemen Schlappen im Garten herumgelaufen war, hatte ich mir einen langen Nagel durch den rechten Schuh bis in den großen Zeh gerammt. Damals war es der Arzt gewesen, der sich das Lachen hatte verbeißen müssen.
Niemand bereitet einen darauf vor, worauf man sich einlässt, wenn man zum ersten Mal ein Haus baut. Oder wenn man - wie in unserem Fall - aus einer alten Scheune ein Wohnhaus machen will.

Im Grunde wollte ich niemals bauen. Das wusste ich schon als Kind. Ich lebte damals mit meinen Eltern, Geschwistern und Großeltern in einer großen alten Stadtvilla, in der es immer etwas zu reparieren oder renovieren gab.
Damals war es üblich - zumindest bei uns - dass man die Handwerker zum Mittagessen einlud und große Mengen an Getränken, vor allem an Kaffee und Bier bereitstellte.
Ich hasste es, wenn fremde Menschen mit am Tisch saßen. Ich wollte in Ruhe essen und mit meinen Geschwistern herumalbern. Vor allem wollte ich nicht wie ein Trottel vor fremden Menschen dastehen, wenn ich wieder mal meinen Apfelsaft verschüttete, was öfters geschah.
Nun saßen da diese großen, klobigen Männer mit ihren schmutzigen Arbeitshosen, mit Gipsstaub in den Haaren, notdürftig gesäuberten Händen und Ränder unter den Fingernägeln. Uns hätte man so etwas am Tisch niemals erlaubt!
Die fremden Männer redeten ausschließlich über ihre Arbeit und rissen derbe Witze, während mein Vater, der Arzt war, an ihren Lippen hing. Sie diskutierten endlos das Für- und Wider verschiedener Baumaterialien oder Handwerksmethoden, was sterbenslangweilig war, und tranken Bier in großen Mengen, was in unserer Familie sonst völlig verpönt war, weil mein Vater das ungesund fand. Nein, Handwerker mochte ich nicht.
Bis auf einen älteren Italiener. Er arbeitete im Garten und machte sich manchmal einen Spaß daraus, uns Kinder in einen Schubkarren zu laden und durch den Garten zu karren. Wir kicherten, während er laut und aus voller Kehle "Santa Lucia" sang. Wir liebten ihn sehr.

Nein, ich wollte niemals bauen. Doch als unsere Kinder geboren wurden und wir in Miete wohnten, mit merkwürdigen Vermietern und wechselnden Nachbarn, fanden wir uns eines Tages vor der Auslage eines Maklers wieder.
Wir hinterließen unsere Anschrift und Telefonnummer und begaben uns bald danach auf die Suche nach einem Häuschen auf dem Land. Nur: Alles, was für uns bezahlbar gewesen wäre, hatte einen Haken. Entweder waren die Häuser zu groß oder zu klein. Oder wir entdeckten Schimmel- und Salpeterflecken, die außer uns niemand zu sehen schien. Einmal besichtigten wir ein spinatgrünes Haus, das, von der exotischen Farbe angesehen, von vorne ganz einladend aussah. Aber zur Gartenseite hin besaß das Haus einen Anbau, der im Grunde schon dabei war, sich von der Hauswand zu lösen. Wir hofften sehr, dass er das erst nach unserem Besichtigungstermin tun würde. Außerdem grenzte der Garten des Hauses direkt an die dahinterliegenden Bahngleise. Wenn der Intercity vorbeifuhr, flatterte die Wäsche.
Meistens gaben sich die Hausbesitzer große Mühe, um ihr Haus so gut wie möglich zu präsentieren. Einmal jedoch saß bei der Hausbesichtigung eine teilnahmslose Familie stumm und rauchend im Wohnzimmer. Sie sahen aus wie die Ölgötzen, während der Rauch ihrer Zigaretten sie sanft in eine Art dichte Dunstglocke hüllte. Es war das erste Mal, dass ich mich bei einer Hausbesichtigung nicht beherrschen konnte und einen Lachanfall bekam.

Dann standen wir eines Tages vor unserem Haus. Es war eine ehemalige Scheune, die ein solides Dach und dicke Außenwände besaß und innen - nichts. Gar nichts. Die Scheune war komplett leer, wenn man vom Staub und einigen Mäusenestern absah.
Der Makler bekam glänzende Augen. Wir auch.
Er redete von offenen Räumen, von Gestaltungsmöglichkeiten, die wir uns selbst schaffen könnten. Wir sahen alles ganz genau vor uns.
Der Makler sagte, er wolle uns einen guten Bauleiter vermitteln, der ein Kumpel von ihm sei, und günstige arbeite. Das leuchtete uns ein.
Und dann, meinte der Makler, werde er mit uns zusammen einen Artikel für das Magazin "Schöner Wohnen" schreiben. Dieses Haus würde etwas ganz besonderes werden: individuell und lichtdurchflutet.
Wir glaubten ihm - und unterschrieben. So nahm das Chaos seinen Lauf. Wir bauten. Und wieder zogen Handwerker in mein Leben ein.

Immerhin wollten unsere Handwerker nicht mit uns zu Mittag essen. Sie schienen im Grunde auch sonst nie etwas zu essen. Dafür tranken sie Bier, aber das kannten wir ja schon. Eines Tages mussten wir eine Wand, die sie aufgestellt hatten, wieder abbauen, weil sie doch ein wenig zu schief geworden war. Vermutlich gab es einen direkten Zusammenhang zu den leeren Bierflaschen, die davor standen. Hinter der Wand fanden wir eine solide Schicht aus Butterbrotpapier und sonstigem Müll. Nun mussten wir uns wenigstens keine Sorgen mehr um ihre Ernährung machen.
Dafür machten sie uns genügend andere Sorgen, denn sie ließen kaum eine Bausünde aus: Sie vergaßen die Dehnungsfugen im Estrich und bauten einen falschen Heizkessel ein. Wir bekamen eine Treppe ohne Stufen geliefert, und mussten aus rohen Baubrettern behelfsmäßige Ersatzstufen sägen.
Der Fliesenleger, der den Wohnzimmerboden bereits ordentlich gefliest hatte und mit Verfugen begonnen hatte, litt wohl an einer Art Gedächtnisschwund, denn er vergaß von einem Tag auf den anderen, welche Fugenfarbe wir vereinbart hatten. Als wir vorsichtig mit ihm darüber reden wollten, wurde er so ärgerlich wie ein missverstandener Künstler. Schlecht gelaunt begann er, die falschen Fugen wieder herauszuklopfen. Dabei schlug er den frischverlegten Fliesen die Ecken ab.

Viele Monate lang schliefen Jens und ich in einer Art Bretterverschlag, der mal unser Schlafzimmer werden sollte. Doch aus irgendeinem Grund ging es einfach nicht vorwärts. Eines Abends flog ein ungewöhnlich großer Nachtfalter über meinem Bett herum. Ich hatte bereits die Brille ausgezogen. Im Halbschlaf dachte ich darüber nach, dass das Insekt wirklich sehr groß war. Plötzlich schreckte ich hoch, weil mir klar wurde, dass das eine Fledermaus war, die über meinem Kopf ihre Kreise zog und Mücken jagte...
Und dann war da noch der Elektriker, der die Leitungen im Bad so verlegte, dass man nie mehr gleichzeitig das Licht anschalten und noch ein weiteres elektrisches Gerät anschließen konnte, ohne dass sie Sicherung heraussprang. Er war ein zart besaiteter Mann, der eines Tages kreidebleich zu mir kam und sagte, ich müsste sofort mitkommen, es sei etwas passiert.
Zitternd deutete er nach draußen. Im Garten hatte unser Kater Micky gerade eine fette Maus gefangen, die noch ein wenig piepste. Ich tat ihm den Gefallen und versuchte, unserem stolzen Mäusejäger die Beute wieder abzujagen, aber es war zu spät. Die Maus war hinüber und wurde verspeist. Der Elektriker kam niemals wieder.
Nach einigen Monaten, in denen wir immer noch gehofft hatten, dass es endlich besser werden würde, hatten wir endgültig genug. Wir konnten es nicht mehr ertragen und beschlossen, gegen unseren Bauleiter, der für all das Chaos verantwortlich war, gerichtlich vorzugehen.

Doch dazu kam es nicht. Unser Bauleiter tat etwas, das wir ganz gewiss nicht von ihm erwartet hatte: Er starb. Niemand konnte etwas dafür. Bei allem Frust: Wir auch nicht. Es war ein Autounfall. Er tat uns leid, denn das hatte er nun doch nicht verdient. Außerdem fühlten wir mit seiner Familie.
Doch dann waren wir wie erlöst, obwohl wir nun alle Schäden selbst bezahlen mussten. Von nun an ging es aufwärts. Wir konnten selbst die Zügel in die Hand nehmen, und nach Belieben Handwerker beauftragen oder selbst bauen. Wir stellten Wände auf, fliesten, verputzten, tapezierten, bauten die Terrasse und legten den Garten an. Und kauften richtige Treppenstufen.

Heute ist unser Haus - nun ja - immer noch eine Baustelle. An manchen Stellen. Wenn man genau hinsieht. Aber das tun wir selten. Wir selbst sind nicht perfekt, unser Haus ist es auch nicht. Warum auch? Der Alltag funktioniert trotzdem. Wir tüfteln hier ein bisschen und bauen da ein wenig. Noch bevor wir überall fertig sind, renovieren wir schon wieder. So ist das Leben.
Im Garten gibt es keinen englischen Rasen, dafür hausen hier Katzen, Igel, Blindschleichen und Fledermäuse. Und manchmal fliegt sogar ein Käuzchen vorbei. So wurde die Scheune das, was sie heute ist: Ein wandlungsfähiger Ort der Improvisation und Kreativität. Kurz gesagt: unser Zuhause.

 

Liebe/r Jowi

mein Eindruck nach dem Lesen deines Textes: Das ist in weiten Teilen keine Geschichte, sondern eher das berichtende Protokoll eines Hauskaufes und der anschließenden Renovierung. Aber eine Geschichte mit einer Handlung und einem Spannungsbogen ist das leider nicht, obwohl ich finde, dass du das insgesamt sprachlich ganz anschaulich machst. (Ich selber lebe in einem 130 Jahre alten Haus und dein Text erinnerte mich an einiges und ließ mich deshalb schmunzeln.)

Um das Ganze interessanter zu gestalten, solltest du es vielleicht szenischer aufziehen: Beschreibe doch einzelne Situationen mit den Handwerkern, mit dem Bauleiter usw. Eigentlich fängst du ja genauso an, wenn du diese irre Hänge-Situation beschreibst, aber dann verlässt du diese Schiene und berichtest nur noch. So hat dein Text zum Schluss etwas Protokollartiges trotz des zum Teil recht lockeren sprachlichen Stils. Versuch die ganze Sache für den Leser erfahrbarer zu gestalten. Der Leser muss die Gefühle der Protagonistin nachempfinden können, ihre Begeisterung am Anfang, die Sorgen zwischendurch und das gute Gefühl am Ende, als sich alles mehr oder weniger zum Guten gewendet hat. Die Geschichte mit den Eltern würde ich herausnehmen. Sie wirkt wie ein Fremdkörper in deinem Text.

Noch ein paar Kleinigkeiten.


Ich wusste immerhalb(innerhalb) des Bruchteils

ein menschliches "t",
ein ‚T’

hatte einen haken.
Haken

das von der exotischen Farbe angesehen,
abgesehen

Aber zur gartenseite hin
zur Gartenseite

und günstige arbeite
günstiger

Wir glaubten ihm - unter unterschrieben.
und unterschrieben

Fazit: Dein Schreibstil gefällt mir. Ich würde die Geschichte jedoch in einzelne Szenen aufteilen und den Fortgang der Ereignisse in ihnen zeigen. Das Personal hast du ja: den Mann, die Kinder, die Arbeiter, den Bauleiter. So, wie du schreibst, müsste dir das gelingen und ich könnte mir vorstellen, dass das eine ganz launige Geschichte werden könnte.
Jowi, ich begrüße dich bei den Wortkriegern und wünsche dir hier viel Spaß.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Danke für die prompte Antwort. Ja, da ist was Wahres dran, danke für den Tipp, nur das menschliche "t" muss bleiben weil ein "T" keinen Kopf hat...

 

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