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Nicht mehr
Mit geschürzten Lippen blies er eine Rauchwolke in das Halbdunkel des Zimmers. Durch den Spalt zwischen den Vorhängen drang das letzte Licht des Tages herein – ein blutrotes Dreieck, das die Schatten durchstach.
Ein Seufzen neben ihm. Ein Kopf an seiner Schulter. Vielleicht ein verträumter Blick. Es war ihm egal, er schaute nicht hin. Er wollte lieber weiterrauchen, war aber schon beim Filter angelangt. Missmutig drückte er den Stummel in den Ascher auf dem Nachttisch. Der Tabak hatte ihm nicht den ekelhaft sauren Geschmack von der Zunge scheuchen können. Er wollte am liebsten ausspucken, aber einen letzten Funken Anstand hatte er dann doch noch im Leib.
Eine Hand strich über seine Brust. Ebenso gut hätte man ihm einen alten Fisch drüberziehen können, das Gefühl wäre sicherlich nicht großartig anders gewesen. Bestimmt erwartete sie, dass er einen Arm um sie legte. Passiert nicht, Schätzchen, nicht sein Stil – nicht mehr. Er suchte seine Kippen, fand die Schachtel, schnippte sie auf … leer.
Zeit, sich dünn zu machen.
Er schob sie beiseite und stand auf, suchte sein Zeugs zusammen. Sie sagte nichts. Er sah sie nicht an, schlüpfte schneller in die Klamotten, als er sich rausgeschält hatte. Während er sein Hemd zuknöpfte, riskierte er einen Blick. Sie hatte die Knie bis unters Kinn gezogen, zusammen mit der Bettdecke. Ihre Augen ruhten fragend auf ihm wie stumpfe Glasperlen. Ihr Mund ein schmaler Strich, der Lippenstift verwischt. Im schwindenden Licht wirkte sie irreal, wie ein hungriger Sukkubus. Was wollte sie noch von ihm? Eine zweite Runde? Kuscheln? Reden? Keine Chance, Schätzchen, so was machte er nicht – nicht mehr.
Er setzte sich auf die Bettkante, zog seine Schuhe an. Als er mit den Schnürsenkeln kämpfte, spürte er ihre Finger auf der Schulter. Er schüttelte sie ab. Vielleicht sagte sie etwas, aber er hörte nicht hin. Seine Gedanken waren bereits draußen vor der Wohnungstür. Schweigend warf er sich die Jacke über die Schulter und folgte ihnen. Noch im Treppenhaus zog er sein Handy aus der Tasche, löschte ihre Nummer. Er tat es mit der Selbstverständlichkeit, mit der man einen erledigten Termin aus dem Kalender streicht.
Vor dem Haus fand er einen Zigarettenautomaten auf der anderen Straßenseite, zog sich eine Schachtel seiner Marke. Dabei fühlte er ihren Blick in seinen Rücken stechen. Sie stand am Fenster, beobachtete ihn. Er brauchte nicht einmal hinzusehen, um es zu wissen.
Er schiss drauf, steckte sich eine an, und machte sich auf den Heimweg.
Zuhause zerrte er sich im Bad die Klamotten vom Leib, schleuderte sie fast mit Abscheu in den Wäschekorb. Unter der Dusche drehte er das Wasser so heiß auf, dass es ihm fast die Haut verbrühte. War okay, so wollte, so musste er es haben. Er schrubbte sich ab, als wollte er sich eine ganze Ameisenkolonie vom Leib waschen.
Die Zahnbürste drückte er zu fest ans Zahnfleisch, verletzte es. Das Mundwasser brannte in der frischen Wunde. War okay.
Er betrachtete sich selbst im beschlagenen Spiegel. Nur ein hautfarbener Fleck mit einer schwarzen Krone. Er wischte das Kondenswasser weg.
Sein Abbild veränderte sich nicht. Ein hautfarbener Fleck mit einer schwarzen Krone. Früher hatte dieser Fleck noch Kontur gehabt. Früher hatten sie noch gesagt, er wäre nett, lieb, ein Gentleman, ein guter Freund. Viel zu wertvoll, um ihn durch diese eine Sache zu verlieren. War er nicht, Schätzchen.
Nicht mehr.