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Nicht mehr

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15.11.2009
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Nicht mehr

Mit geschürzten Lippen blies er eine Rauchwolke in das Halbdunkel des Zimmers. Durch den Spalt zwischen den Vorhängen drang das letzte Licht des Tages herein – ein blutrotes Dreieck, das die Schatten durchstach.
Ein Seufzen neben ihm. Ein Kopf an seiner Schulter. Vielleicht ein verträumter Blick. Es war ihm egal, er schaute nicht hin. Er wollte lieber weiterrauchen, war aber schon beim Filter angelangt. Missmutig drückte er den Stummel in den Ascher auf dem Nachttisch. Der Tabak hatte ihm nicht den ekelhaft sauren Geschmack von der Zunge scheuchen können. Er wollte am liebsten ausspucken, aber einen letzten Funken Anstand hatte er dann doch noch im Leib.
Eine Hand strich über seine Brust. Ebenso gut hätte man ihm einen alten Fisch drüberziehen können, das Gefühl wäre sicherlich nicht großartig anders gewesen. Bestimmt erwartete sie, dass er einen Arm um sie legte. Passiert nicht, Schätzchen, nicht sein Stil – nicht mehr. Er suchte seine Kippen, fand die Schachtel, schnippte sie auf … leer.
Zeit, sich dünn zu machen.
Er schob sie beiseite und stand auf, suchte sein Zeugs zusammen. Sie sagte nichts. Er sah sie nicht an, schlüpfte schneller in die Klamotten, als er sich rausgeschält hatte. Während er sein Hemd zuknöpfte, riskierte er einen Blick. Sie hatte die Knie bis unters Kinn gezogen, zusammen mit der Bettdecke. Ihre Augen ruhten fragend auf ihm wie stumpfe Glasperlen. Ihr Mund ein schmaler Strich, der Lippenstift verwischt. Im schwindenden Licht wirkte sie irreal, wie ein hungriger Sukkubus. Was wollte sie noch von ihm? Eine zweite Runde? Kuscheln? Reden? Keine Chance, Schätzchen, so was machte er nicht – nicht mehr.
Er setzte sich auf die Bettkante, zog seine Schuhe an. Als er mit den Schnürsenkeln kämpfte, spürte er ihre Finger auf der Schulter. Er schüttelte sie ab. Vielleicht sagte sie etwas, aber er hörte nicht hin. Seine Gedanken waren bereits draußen vor der Wohnungstür. Schweigend warf er sich die Jacke über die Schulter und folgte ihnen. Noch im Treppenhaus zog er sein Handy aus der Tasche, löschte ihre Nummer. Er tat es mit der Selbstverständlichkeit, mit der man einen erledigten Termin aus dem Kalender streicht.
Vor dem Haus fand er einen Zigarettenautomaten auf der anderen Straßenseite, zog sich eine Schachtel seiner Marke. Dabei fühlte er ihren Blick in seinen Rücken stechen. Sie stand am Fenster, beobachtete ihn. Er brauchte nicht einmal hinzusehen, um es zu wissen.
Er schiss drauf, steckte sich eine an, und machte sich auf den Heimweg.

Zuhause zerrte er sich im Bad die Klamotten vom Leib, schleuderte sie fast mit Abscheu in den Wäschekorb. Unter der Dusche drehte er das Wasser so heiß auf, dass es ihm fast die Haut verbrühte. War okay, so wollte, so musste er es haben. Er schrubbte sich ab, als wollte er sich eine ganze Ameisenkolonie vom Leib waschen.
Die Zahnbürste drückte er zu fest ans Zahnfleisch, verletzte es. Das Mundwasser brannte in der frischen Wunde. War okay.
Er betrachtete sich selbst im beschlagenen Spiegel. Nur ein hautfarbener Fleck mit einer schwarzen Krone. Er wischte das Kondenswasser weg.
Sein Abbild veränderte sich nicht. Ein hautfarbener Fleck mit einer schwarzen Krone. Früher hatte dieser Fleck noch Kontur gehabt. Früher hatten sie noch gesagt, er wäre nett, lieb, ein Gentleman, ein guter Freund. Viel zu wertvoll, um ihn durch diese eine Sache zu verlieren. War er nicht, Schätzchen.
Nicht mehr.

 

Hallo Pale Man,

ich bin zwiespältig, was deine Geschichte angeht. Sprachlich einwandfrei, keine Fehler, die Stimmung und der Charakter des Prot kommen irgendwie gut rüber. Trotzdem fehlt mir was. Was ist es, was den Typen so reagieren lässt? Irgendwas ist vorgefallen, dass er bestimmte Dinge „nicht mehr“ tut, die ihm früher offensichtlich wichtig waren. Jetzt ist es natürlich eine Sache, den Leser selbst interpretieren zu lassen. Es kann ja alles Mögliche sein, hat vermutlich auch nicht mit der Frau zu tun, die er gerade im Bett hatte. Eine andere Sache ist es, dem Leser Hinweise auf den Grund seiner Charakterveränderung zu geben, und seien sie noch so subtil.

einen letzten Funken Anstand hatte er dann doch noch im Leib.

Das heißt für mich, dass er jetzt keinen Anstand mehr besitzt. Was oder wer hat seinen Charakter so verändert, dass er sich gegenüber der Frau so mies verhält?

Viel zu wertvoll, um ihn durch diese eine Sache zu verlieren

Was ist diese eine Sache? Das lässt mich neugierig und unzufrieden zurück. Warum verlieren, wer hat ihn verloren, seine Freunde? Wurde er von einer anderen Frau verletzt? Von seinen Freunden, die früher eine so hohe Meinung von ihm hatten, gedemütigt? Aus dem Mann spricht eine sehr verletzte Seele, die sich nun an eben dieser Frau, einer Zufallsbekanntschaft, die aber eigentlich nichts für seine Misere kann, über ihre Ursachen genauso wenig weiß wir der Leser, rächt. Er findet Freude an Schmerzen. Empfindet er diese als gerechte Strafe für etwas was er jemand anderem angetan hat? Ist es dass, was ihn zu diesem verlorenen, miesen Typen hat werden lassen?

Ich mag die Geschichte, ich mag wie du den Typen zeichnest, das Dunkle, das Hintergründige, die ganze Stimmung. Das erinnert etwas an diese Schwarz-Weiß-Filme aus den Vierzigern (des letzten Jahrhunderts - schon so lange her), die ich sehr mag. Da wurde wenig geredet, da sagten Blicke und Gesten mehr aus, als ganze Dialoge. Trotzdem erfuhr man am Ende immer, oder meistens, was das Problem war.

Ich mag nicht, dass ich so gar keine Idee habe, was den Typen zu dem gemacht hat, was er jetzt ist. Vielleicht liegts auch an mir. Werd mir die Story wohl noch ein paarmal durchlesen.

Grüße

Resi26

 

Moin Resi,

danke für's Lesen und die Kritik. Du kommst dem Kern der Geschichte schon sehr nah. Tatsächlich möchte ich mit dieser KG eher die Interpretationsschiene fahren und überlasse es dem Leser, herauszufinden, was dem Protagonisten in der Vergangenheit widerfahren ist.
Aber ich gebe dir einen Tipp, wenn du möchtest.

Was ist diese eine Sache?
"Mit dir kann ich über alles reden, du bist immer für mich da, wenn ich Sorgen habe. Du bist so ein lieber Kerl. Warum kann mein Freund nicht so sein wie du?"

"Warum lerne ich nur immer Arschlöcher kennen? Gibt es denn keine Gentlemen mehr?"

Verschafft das ein wenig mehr Klarheit? ;)

Freut mich jedenfalls, dass dir die Geschichte an sich gefällt, da sie sich doch sehr stark von meinen üblichen Werken unterscheidet und das Gebiet literarisches Neuland für mich ist.

Gruß
Pale Man

 

Hallo Pale Man,

lässt sich gut lesen, deine Geschichte. Wenn das eine ganz neue Richtung für dich ist, dann glaube ich, es ist eine gute Richtung. Die Stimmung kommt rüber, ja, aber es fehlt mir bisschen was Greifbares. Verstehe mich nciht falsch, das ist schon richtig, dass du nicht alles erzählst. Du zeigst und das kann man gut lesen, aber mir fehlt die Rückseite der Geschichte, eine Andeutung für die Gründe des Prots. Vielleicht wolltest du ja auch bloß eine Stimmung einfangen. Das ist dir ganz gut gelungen. Du hast dir viel Mühe gegeben, passende Verben zu suchen. Das lohnt sich.

Eine Hand strich über seine Brust. Ebenso gut hätte man ihm einen alten Fisch drüberziehen können, das Gefühl wäre sicherlich nicht großartig anders gewesen.
Sowas wirkt.

Die Zahnbürste drückte er zu fest ans Zahnfleisch, verletzte es. Das Mundwasser brannte in der frischen Wunde. War okay, er mochte den Schmerz irgendwie. War gut, überhaupt noch etwas zu fühlen.
Hier würde ich das fette weglassen.

Wenn ich es richtig verstehe, hat man früher gesagt, er sei nett, viel zu nett, um bestehende Freundschaften mit Frauen durch Sex zu ruinieren. Das haben die Frauen gesagt. Er wollte aber lieber Sex, den er jetzt bekommt, wodurch er sich aber zum charakterlosen Schwein entwickelt. Tja, dann ist Sex also schlecht für den Charakter. Meinst du Sex mit verschiedenen Frauen, die er nicht liebt noch achtet, dass das schlecht für den Charakter des Prot ist? Ich denke, dass du das meinst und ich denke auch, dass da Wahrheit drinsteckt. Diesen Prozess der Veränderung könnte man doch herausarbeiten, das wäre spannend.


Grüße

Lollek

 

Moin herrlollek,

danke für die Kritik. Du hast meine Intention schon ganz gut erfasst, auch wenn ich hier nicht nur auf Sex reduzieren möchte. Eigentlich möchte ich eine emotional gebrochene Person skizzieren, die sich aufgrund der Ablehnung durch die Frauenwelt dazu entschließt, ihren Charakter radikal zu verändern. Aus einem sensiblen, verständnisvollen Mann wird also ein richtiges Arschloch, das jetzt zwar mehr Erfolg bei Frauen hat, diese aber nicht mehr liebt sondern eigentlich verachtet. Deswegen besteht das Liebesleben des Protagonisten nur noch aus bedeutungslosen One Night Stands, nach denen er sich leer und verkommen fühlt, sich selbst nicht mehr erkennt.
Vielleicht sollte ich das alles in der KG etwas deutlicher hervorheben. Ich überlege mir mal was :).

Gruß
Pale Man

 

Früher hatten sie noch gesagt[,] er wäre nett, lieb, ein Gentleman, ein guter Freund,
was sich nach dieser Geschichte,

lieber Pale Man,

endgültig erledigt hat und vom Konjunktiv irrealis in den der indirekten Rede fallen darf. Dabei bleibt mir eher unklar, wer diese(s) „sie“ in der dritten Person Plural wäre(n) …
Aber ein wenig Geheimnis nebst nachgereichtem Komma tut jeder Geschichte gut.

Nach einer kurzen einleitenden Beschreibung in vollständigen Sätzen folgen drei Ellipsen, die durch ihre (prädiktlose) Form auf das Kommende vorbereiten sollen:

Ein Seufzen neben ihm. Ein Kopf an seiner Schulter. Vielleicht ein verträumter Blick. Es war ihm egal, er schaute nicht hin,
selbst wenn die erste Ellipse mit dem Derivat eines Verbes (seufzen) beginnt, dessen Substantivierung aber eher das Subjekt, in unserm Fall: das gewesene Objekt der Begierde, ersetzen und somit entpersonifizieren wird (die wirkliche Strafe in einem Text). Sein – wodurch auch immer - gewachsenes Desinteresse äußert sich im Wunsch, weiterzurauchen.
Ebenso gut hätte man ihm einen alten Fisch drüberziehen können, …
Immerhin wissen wir bald, dass der Beilieger weiblich ist.
Im schwindenden Licht wirkte sie unecht, wie ein hungriger Sukkubus.
Was wäre in diesem Falle „echt“, das vom Ursprung her ein juristischer Begriff ist. Nun ja, der passte dann doch zur Hexe (Sukkubus), die ihm wohl zum Inkubus geworden ist.

Dann aber doch noch der eine wie der andere Lapsus Linguae und / oder Calami:

Würde nicht passieren, …
Die Konjunktivkonstruktion wäre korrekt, sofern zumindest nicht sicher wäre, dass es doch noch zum Stilbruch kommen könnte, ansonsten wäre der Indikativ angesagt:
[Wird] nicht passieren, …
oder einfach „Passiert nicht“, was bei einem, der sich verdünnen will, eher zu verwenden wäre als alles andere.

…, suchte sein Zeugs zusammen.
Umgangssprachlicher Ausdruck , der eher den Genitiv als den Plural bildet. Oder auch ein Versuch im Denglish und somit eher Pidgin. Korrekte Pluralbildung: das Zeug – die Zeuge, was an Zusammensetzung wie Werkzeug leichter zu erkennen ist.

…, sowas machte er nicht,
so was, ist umgangssprachlich Verkürzung des so etwas und ist auch in der Umgangssprache getrennt zu schreiben.

Wohltuend, auch mal das Ende einer Beziehungskiste zu erlesen, ganz ohne Beischlafszene (die, wie sich jeder denken kann, zuvor „gelegen“ haben muss) und folglich ohne das allzu weit verbreitete Unwort mit im Deutschen mehr als vier Buchstaben. Statt der Lust am Geschlechtlichen die Unlust aufs Geschlechtliche, eine Geschichte, ohne einen Hauch hedonistisch und schon gar nicht epikureïsch zu sein.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Moin Friedel,

vielen Dank für die ausführliche Kritik, auch wenn ich mir gerade vorkomme wie in meinem Linguistikseminar :D
Ich werde mich gleich mal um die Fehlerchen kümmern.

Umgangssprachlicher Ausdruck , der eher den Genitiv als den Plural bildet. Oder auch ein Versuch im Denglish und somit eher Pidgin. Korrekte Pluralbildung: das Zeug – die Zeuge, was an Zusammensetzung wie Werkzeug leichter zu erkennen ist.
Beim Schreiben habe ich an der Stelle auch kurz verharrt, ob ich das so formulieren soll. Ich habe mich dann aber bewusst für die umgangssprachliche Variante entschieden, um dem Ganzen einen etwas flaspigeren Ton zu geben.

Freut mich, dass dir mein Geschichtchen scheinbar ganz gut gefallen hat. :)

Lieben Gruß
Pale Man

 

Hi pale,

Das hat mir zugesagt, diese Szene, nu ja, eigentlich die zwei Szenen. Gut geschrieben mit, für mich, genug Andeutungen um auch Spaß an Interpretation zu haben. Also wäre das jetzt alles zu sehr verorakelt worden, dann killt das für mich sofort den Drang, mich hierauf einzulassen und die "Arbeit des Autors" zu übernehmen ;) also das ist für mich immer die Herausforderung bei so interpretationsdingerns, die dürfen nicht danach schreien (ich bin so offen, so vielschichtig, so genial), sondern müssen dazu einladen. Ich habe mich eingeladen gefühlt :)
Der dicke Pluspunkt für das Ende/ die ausklangsszene, hier balancierst du es gut aus, also die Wertung seiner Aktion. Eben keine Verurteilung, aber recht deutliche Bilder.
Gerne gelesen
Grüßlichst
Weltenläufer

 

Moin Weltenläufer,

das geht doch runter wie Öl. Freut mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Vielen Dank für das Lob! :)

Lieben Gruß
Pale Man

 
Zuletzt bearbeitet:

Nix zu danken,

liebes Bleichgesicht,

kurios find ich, wenn Du schreibst

auch wenn ich mir gerade vorkomme wie in meinem Linguistikseminar.
dass ich denken muss,

so weit ist es also mit dem Betriebswirt-, Gewerkschafter gekommen, der schon mal hin und wieder in arbeits- und kirchenrechtlichen seminarisierte ... Aber auch da hat er nix vom Cournotschen Punkt, Gewinn- und / oder Profitmaximierung zum Besten gegeben.

Übrigens lese ich äußerst selten nur "scheinbar" gerne.

Gruß

Friedel

 

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