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Nicht in dieser Nacht
Das Glas auf dem Tisch war leer. Ein letzter Rest roter Flüssigkeit zeigte, dass daraus getrunken wurde. Sie ging mit einem Zeigefinger über den Rand und kostete. Es war Rotwein.
Ihr Gesicht spiegelte sich im Fenster. Draußen war es noch dunkel. Sie hasste es, nachts das Licht anzuschalten. Man konnte nicht hinaus sehen. Nur das Spiegelbild des Raumes war zu sehen. Sie ging näher heran. Berührte das Fenster mit den Fingerspitzen. Hand auf Hand. Aber es war nur kaltes Glas. Schnell drehte sie sich herum. Sah sich die Küche genauer an. Sie erinnerte genau an den letzten Abend. Es begann jedes Mal so. Mit Rotwein und einem Essen. Sie konnte gut kochen.
Neben dem Herd lag noch eine Schachtel Zigaretten. In Gedanken nahm sie sich die letzte aus dem Päckchen. Streichhölzer. Keine Streichhölzer. Sie drehte den Gasherd auf und wartete. Der Geruch wurde stärker. So könnte es enden. Aber nicht heute. Nicht in dieser Nacht.
Vorsichtig entzündete sie die Flamme. Die Zigarette brannte im Hals. Sie schaute wieder in das Fenster. Sie sah schlecht aus. Es war nicht mehr viel zu machen.
Unruhig ging sie in der Küche auf und ab, dann zurück ins Schlafzimmer. Er war tatsächlich verschwunden. Wie so viele vor ihm. Nichts erinnerte mehr daran, dass er da gewesen war.
Erschöpft setzte sie sich auf die Bettkante. Sie wollte weinen, aber es ging nicht. Ihr war übel und sie zitterte.
Es war aussichtslos noch einen Mann zu finden, der bleiben würde. Es war ihr Schicksal. Einer nach dem anderen kam. Keiner blieb. Sie hätte keinen bleiben lassen. Wäre sie morgens neben einem aufgewacht, sie hätte ihn rausgeworfen. Diese Chance gaben ihr nur die wenigsten.
Ruhelos ging sie durch die Wohnung. In der Küche brannte noch immer Licht. Es war unerträglich. Sie hasste diese Wohnung. Sie musste wieder umziehen. Wieder flüchten. Vielleicht in eine andere Stadt. Schließlich wurde ihr schlecht und im Bad übergab sie sich. Der Spiegel, er musste weg. Vorhänge vor die Fenster. Kein Licht mehr.
Aus dem Badezimmerschrank holte sie eine kleine Packung Valium. Es waren die letzten. Sie brauchte einen neuen Arzt, eine neue Geschichte. Zwei jetzt, eine morgen früh. Oder alle drei auf einmal. Das würde nicht reichen.
Unzufrieden ging sie zurück ins Schlafzimmer, legte sich ins Bett. Mit einem Rest Wein schluckte sie ihre Tabletten und lies sich zurück fallen. Von draußen schien eine Laterne. Das Licht flackerte an ihrer Decke. Langsam wurde es wärmer. Sie wurde ruhiger. Endlich Stille.
So könnte es enden. Aber nicht heute. Nicht in dieser Nacht.