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Neustadt Maniacs
Neustadt Maniacs
Die Geschichte basiert auf wahren Begebenheiten
Die Geschichte hat einen lokalen Bezug, sollte aber auch für Außenstehende ganz verständlich sein. Neustadt ist die Stadt in der die Geschichte spielt.
Es ist ein schöner sonniger Tag. Ich gehe mit meinem Hund spazieren und mache mich auf den Weg zu dem einzigen grünen Platz, den die Gartenstadt noch bietet. Zur Brend. Um vom Mopp nicht erkannt zu werden, trage ich einen lustigen Hut und eine übergroße Sonnenbrille. Das ist auch schon das Verwerflichste, was man mir nachsagen könnte. Die Tauben zwitschern in ihren Taubenhäusern und es scheint nichts darauf hinzudeuten, dass die Bewohner dieser Stadt vom Teufel besessen sind. Doch ich weiß es besser.
Ich gehe jeden Tag hier Gassi. Die Allgegenwärtigkeit des Bösen erschreckt mich nicht mehr. Ich laufe entspannt auf dem offensichtlich frisch gekehrten Bürgersteig entlang. Der stechende Geruch eines Penners beißt in meiner Nase. Er läuft direkt vor mir. Ich bin noch immer entspannt. Der ist von einem anderen Teufel besessen. Doch in diesem Moment offenbart sich mir eine Ausgeburt der Hölle am Fenster des Hauses, das ich gerade passiere. Ein Weib keift mich daraus an. Sie muss mindest 95 Jahre auf dem Buckel haben. Das Geschrei wird unerträglich und ich wage zu fragen, was denn um des Herren Willen ihr Problem sei.
„Drauf geschissen hat er! Auf meinen Gehsteig geschissen!“ Ich glaube nicht daran, prüfe den Gehsteig dennoch gründlich. Kot vermag ich nicht zu entdecken. Ich beschleunige meine Schritte und treibe auch meinen Hund zur Eile. Noch am Ende der Straße kann man ihr Gezeter hören. Jeden Tag geht das so… Plötzlich wird sie still und ich hoffe, dass sie nicht einem Herzinfarkt erlegen ist. Oder hoffe ich es doch? Dafür bleibt wenig Zeit, denn der Wahnsinn sitzt überall. Ich muss erschrocken ausweichen als ein Kind von 4 Jahren mit einem mini Fahrrad wie von Sinnen an mir vorbei rast, gegen eine Treppe knallt und mit dem kleinen, aber unverkennbar hohlen Kopf geräuschvoll gegen eine Stufe klatscht. Auch das nun folgende Geschrei wird unerträglich. Meine Hände beginnen langsam zu schwitzen. Ich will die Brendwiesen erreichen.
„Hey Sie!“ Ich zucke zusammen.
„Wie schlagen sich unsere Jungs im Vietnam Krieg?“
Auftritt die „Irre“, wie sie von den wenigen geistig noch Orientierungsfähigen liebevoll genannt wird. Sie trägt eine rote Lackjacke, dazu Pelzstiefel und einen Hut mit einer Feder auf ihrer Prinz Eisenherz Frisur. Mitten im Sommer. In der Hand hält sie ein Bild des Brandenburger Tors und in der anderen einen schwarzen Aktenkoffer. „Wir werden weitere Truppen nachsenden müssen..“, höre ich sie mir verkünden. Sie muss es ja wissen, denke ich, sie hatte mir erst kürzlich von ihrer Tätigkeit beim Geheimdienst erzählt. Sie stehe über dem Gesetz, um Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, erzählte sie mir damals. Ich bin beängstigt merke aber, dass ich nichts vor ihrem Wahn zu befürchten habe. Sie patrouilliert weiter auf dem Fahrradweg.
Ich gehe schneller. Wenige Meter weiter steht ein grüner Streifenwagen. Davor steht ein nicht nur mit weißen Handschuhen bekleideter Polizist und kontrolliert buchstäblich alle Kinder und Jugendliche, die mit dem Fahrrad vorbei fahren darauf, ob sie Licht am Rad haben. Es gibt noch Gerechtigkeit, denke ich. Endlich erreiche ich mein Ziel, die Brendwiesen. Doch hier gibt es keine neutrale Zone, keine Verschnaufpausen. Mit meinem linken Ohr nehme ich eine Stimme wahr die schreit: „Kann man die Hunde laufen lassen?“ Obwohl ich ihr „Kalb“, das sie da mit sich führt, nicht mehr unbedingt als Hund durchgehen lassen würde, antworte ich wie ich schon tausendmal zuvor geantwortet habe. Gar nicht. Als müsse es mich interessieren spricht sie einfach weiter und lässt die Informationen geradezu in mein Ohr tropfen. Ich höre nicht hin, kann mir aber vorstellen, dass sie wieder über den Krebs ihres Mannes spricht. Mein Ohr beginnt zu schmerzen und ich fange an mich zu fragen, ob der Krebs nicht vielleicht die bessere Alternative für ihren Mann gewesen ist. Ich mache meinen Hund von der Leine. Ohne Umwege galoppiert sie, mein Hund ist ein weiblicher Rüde, zu einer Bushaltestelle mitten in der Pampa die irgendein Fuchs, irgendwann einmal errichtet haben muss. Dort muss ich mit ansehen wie sie sich wonnevoll in einem großen Haufen Scheiße wälzt. Ich scheue mich nicht es so zu titulieren. Bei genauerem Hinsehen frage ich mich, welches Tier einen Haufen in eine Bushaltestelle setzt und ihn dann mit benutzten Taschentüchern abdeckt. Mir fällt spontan nur eines ein. Angewidert wische ich diesen Gedanken aus meinem Kopf. Komme mir vor wie ein Alien, gestrandet auf dem Planet der Affen.
Zur Strafe nehme ich sie wieder an die Leine. Gerade rechtzeitig, denn schon kommt die nächste bizarre Gestalt auf mich zu. Es ist eine Frau mit voluminösem Haupthaar. In der Hand hält sie einen Strick und an diesem Strick hat sie eine Art Ameise mit Haaren befestigt. Ich kann die Angst in ihren Augen erkennen, vermag aber noch nicht vorherzusehen, zu welchen Taten sie gleich Fähig sein würde. Das Kalb reißt sich los und rennt bedrohlich schnell auf die behaarte Ameise zu. Die Frau reagiert prompt. Ungläubig, aber nicht allzu überrascht werde ich Zeuge, wie sie ihren Strick immer schneller kreisen lässt. Die winzige Töle erhebt sich in die Luft und startet in eine sichere Umlaufbahn um ihren Kopf, während Frauchen versucht das Kalb zu erlegen. Leider sprüht sie mit ihrem Pfefferspray gegen den Wind und findet in diesem keinen Verbündeten. Ich nutze die allgemeine Aufregung um mich aus dem Staub zu machen. Mit letzter Kraft erreiche ich den Kinderspielplatz am anderen Ufer, binde meinen Hund fest und benutze die Schaukel. Gerade als ich ganz oben bin, stellt sich mir ein Freund der russischen Sprache in den Weg, oder ein Hauptschüler, oder beides, das kann ich so schnell nicht sagen. Aus Angst ihm wehzutun, wenn ich aus vollem Schwung mit gestreckten Beinen in sein Gesicht flöge, bremse ich abrupt ab, komme kurz vor ihm zum stehen.
„Ey, verarsch mich nicht.“ Neben ihm gewahre ich einen weiteren, nennen wir es salopp einmal „Menschen“. Der erste der beiden Lustigen packt mich am Hals und wirft mich von der Schaukel. Ich liege im Sand wie ein Fragezeichen. Aber er ist gnädig und wiederholt seine Forderung:
„Ey, verarsch mich nicht.“ Er droht mich zusammenzuschlagen. Gut 50 Meter weiter wird gerade ein Busgeld von 5 € wegen freihändigen Fahrradfahrens an einen armen kleinen Jungen verhängt. Ich beschließe mich tot zu stellen. Diese Taktik verwirrt meinen Angreifer und er lässt von mir ab. Nicht ohne mir zum Abschied noch einmal gegen das Schienbein zu treten. Ich rapple mich auf und setze meine Gassirunde fort. Da kommt ein Mann auf mich zugestürzt. Er ist sehr hässlich. Die wenigen Haare die er noch hat, sind auf einen Millimeter gestutzt. Sogleich duzt er mich. Er fragt laut, ob das mein Hund sei. Ich blicke auf die Leine in meiner Hand, folge der Schnur bis zu meinem Hund und wieder zurück. Wie ich in seine starren Augen schaue bringe ich hervor: „Nein?“
Er schnaubt und gestikuliert wild. Im Augenwinkel kann ich erkennen wie meine russischen Freunde polnische Chinaböller in die Brend werfen und sich an der Fontaine erfreuen. Der Mann erzählt mir mein Hund sei eine Gefahr für die Enten. Er habe schon den halben Entenbestand der Brend ausgerottet. Ich versuche interessiert auszusehen, bin aber abgelenkt als ein weiterer Chinaböller explodiert. Er sei bei der Polizei, schreit er mich an und wenn er mich mit meinem Hund noch einmal hier sähe, würde ich verklagt. Ich kasteie mich innerlich selbst, dass ich meinen MP3 Player vergaß mitzunehmen. Doch er ist noch nicht fertig.
„Wenn dein Hund hier noch einmal wildert schießt ihn der Jäger ab!“ Ich lasse meinen Blick schweifen um mich zu vergewissern, dass ich noch immer auf dem Kinderspielplatz stehe.
„Der hat das Recht dazu, der knallt den einfach ab.“ In seinen Augen lodert eine rote Glut. Er würde doch nicht…mitten in einer Wohngegend..
„Das ist schon öfter vorgekommen!“ Offenbar würde er doch. Ich traue ihm alles zu. Mich überrascht in der Gartenstadt gar nichts mehr. Ich erkläre meinen Spaziergang für beendet und mache mich eiligen Schrittes auf den Weg nach Hause.
„Til! Ich zeige dich an! Ich bin bei der Polizei, das geht schneller als du gucken kannst!“ Ich heiße nicht Til. Aber das ist ja wohl grade mein geringstes Problem. Ich will nur in Sicherheit, raus aus diesem Irrenhaus.
„Der Jäger schießt’n tot!!!“ Ich jogge, um allem hier als bald als möglich zu entgehen. Ein Fehler. Ein blauer VW Kombi schert kurz vor mir auf dem Bürgersteig ein. In letzter Sekunde kann ich meinen Hund zurückziehen. Zwei bewaffnete Männer steigen aus.
„Schönen guten Tag. Wo kommen Sie her? Und wo wollen Sie so schnell hin?“ Ich bin verwirrt.
„Ausweis, bitte. Haben Sie Rauschgift oder andere Verbotene Substanzen dabei?“ Ich krame in der Tasche nach meinem Ausweis.
„Da sind die Irren!!!“, will ich ihnen ins Gesicht schreien.
„Da hinten sind die Verrückten!!! Macht die Augen auf!“ Aber was hätte das schon gebracht, unter Kollegen?