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Neunzehn

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05.03.2003
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Neunzehn

„Ich komm noch absolut klar.“ sagte Victor, als er wie gelähmt auf dem Treppenabsatz des Hauseinganges saß. Rashid lehnte an der beige verputzten Wand, als würde er nach einem langen Sprint wieder zu Kräften kommen. In Victor’s weit geöffneten Augen standen kleine salzige Wassertropfen. Er hatte das schreckliche Gefühl seine Haut würde austrocknen und auf seinem Fleisch hängen wie altes Laub. Vorsichtig strich er über seine feuchte Wange; zuckte unter seiner eigenen Berührung zurück. LSD, psychedelische Drogen.
„Ich sag dir Victor“ Rashid spannte seine Muskeln an, während ein heißes Kribbeln seinen Leib striff „Da ist...“ das letzte Wort ging in einem sauren Platzregen Erbrochenem unter, der zuerst an die beige Hauswand klatschte- einen unschönen giftig-braunen Fleck hinterließ- dann zwischen seinen Schuhen in den Pflasterstein sickerte „...irgendwas anderes in den Pappen drin...“ der Kampf ging weiter; Rashid fuhr herum, kniete sich mit dem Rücken zur Hauswand über den Rinnstein und brachte den Rest seines stinkenden Mageninhalts ins Freie „...davon würd ich nicht kotzen wie ’n scheiß Mädchen.“
„Locker Rashid“ stöhnte Victor unter immensen ungesunden Vergiftungserscheinungen. Er gab sich einen Stoß und stand taumelnd auf beiden Beinen. Packte sich, noch ehe er seinen Körper- und Geisteszustand objektiv beurteilen konnte, seinen marrokanischen Freund und zerrte ihn weg von hier. Ließ den trostlosen Hauseingang und die beige Front zurück, mit dem Fleck Ausgeworfenem an der Wand, ein paar Kippen, die er nicht geraucht hatte. Schreckliche unwirkliche Angewohnheiten. Eine brennende Zigarette in der Hand, ohne sie zu rauchen, oder jemandem anzubieten. Erbrochenes. Angefangen bei dem fast vollständig verdauten Frühstücksresten. Eine halbe Pizza um zwei Uhr rum und einen Großteil der Bahlsen Prinzenrolle, die er auf ihrem langen Weg irgendwo verloren hatte. Spaghettieis.
„Ich bin absolut dagegen, dass wir uns durch solche Kleinigkeiten aufhalten lassen!“ sagte Victor, während beide die farbenfrohe innerstädtische Mietwohnungsfassade entlangliefen. Er dabei Rashid an einem Arm abstützte, als wäre dieser verletzt.
„Wovon redest du!?“ fragte er.
„Von dem Scheiß halt“ rief er und Rashid löste sich aus seinem Griff, war aber noch unsicher auf den Beiden. Man sah beiden deutlich an, dass etwas nicht stimmte. So läuft keiner durch die Gegend, der nicht absolut ehrlich mit sich und dem Rest der Welt war.
„Den ganzen billigen Sachen, wie sich damit aufhalten, wenn man stehen bleibt um zu kotzen. Genauso wie man sich den ganzen Tag den Kopf zerbricht, was man abends macht. Oder nächste Woche, oder nächsten Monat...“ Er blieb plötzlich stehen schlug mit beiden Fäusten gleichzeitig gegen die Fassade der Wohnungsfront und kämpfte gegen seine Gedärme. Er erbrach sich nicht. Doch Rashid stand einfach da, schaute zu Victor, dann die Straße hinunter, die absolut leer war. Kein Auto, kein junges Päärchen, das da Hand in Hand lief und auch keine Familie. Sie waren ganz alleine hier. Und während Rashid noch auf Victor schaute, senkte er seinen Kopf ein bisschen und verschleimte Magensäure quoll aus seinem Rachen. Er war nichtmal in die Knie gegangen, oder hatte sich dafür beugen müssen. Jetzt tropfte das Erbrochene an seinem T-Shirt hinab und auch an dem rechten Ärmel seiner Lederjacke.
Victor stieß sich von der Wand ab und packte Rashid nicht zu feste am Nacken, während er vor ihm stand und ihn intensiv anstarrte, die Augen unverändert mit Wasser angefüllt.
„So ist es richtig mein Freund“ sagte er, sein Gesicht, als würde er durch einen langen schwarzen Tunnel rasen „Laß dich nicht fertig machen.“ Rashid stand kraftlos mit beschmutztem T-Shirt und braunem Saft an Lippen und Kinn vor ihm, den Blick teilnahmslos erschrocken. Dann sackte er auch schon in sich zusammen, konnte sich aber noch in der Hocke halten, ehe er auf den von der Sonne immer noch angewärmten Pflasterstein gestürzt wäre. Der Marrokaner spuckte einen übel riechenden Rest in seinen Zähnen verklebten Auswurfes auf den engen Bordstein und kam dann nach gehetzten Blicken der Orientierungslosigkeit wieder auf die Beine.
„Wir können gar nicht verlieren.“ sagte Victor leise, ganz dicht an Rashid’s Ohr.
„Scheiß gestreckte Pappen.“ flüsterte der Marrokaner „Hab ich an sonstwen weiter gegeben.“
Victor schaute ihn lange an. Rashid wich ihm immer wieder mit seinem Blick aus, aber es war nicht dieses Gefühl der inneren Bedrohung, das ihn so quälte. Oder etwa doch?
„Komm, das ist nicht gut hier!“ Victor zog seinen marrokanischen Freund am Unterarm mit sich. Und sie liefen weiter über menschenleere Bordsteine und verlassene Straßen. Rashid hatte Angst, dass Victor irgendwas von ihm erwartete, das er tun sollte, aber er konnte nicht dahinter kommen was. Deshalb wollte er sich von ihm fernhalten. Er, Victor, der mit seinen stylishen Markenklamotten, der edlen engen Jeansjacke, der sündhaft teuren Schlaghose... der hinter ihm hereilte, immer von furchteinflößender Gangunsicherheit begleitet, als würde er sich nach vorne Stürzen, ins Stolpern kommen, aber doch nicht fallen.
„Du scheiß Kind!“ schrie Rashid Victor ins Gesicht, nachdem er stehen geblieben war und dieser fast in ihn hineingerannt wäre. Er war auf einmal blaß geworden und Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Ansonsten war Rashid’s Haut durch und durch ölig.
„Häh!?“ Victor spürte wie sein rechtes Knie nachgab, aber er hielt sich; nur der Schrecken stand noch eine Weile in seinem Gesicht.
„Fick deinen Lebensstil!“ schrie Rashid.
„Ich kann dich nicht verstehen“ schrie Victor zurück „Ich kann Marrokanisch nicht verstehen, konnte ich noch nie!“ Er wollte sich wieder mal an die Fassade lehnen, brachte es aber aus irgendwelchen wahnhaften Gründen nicht fertig.
„Fick das alles du Kind!“ schrie der Marrokaner weiter, redete aber deutsch, hatte es die ganze Zeit schon getan. Unverständlich warum es bei Victor nicht auch auf deutsch ankam.
„FICK DEINEN LEBENSSTIL!“
„Ich will nichts weiter als etwas Gras rauchen um wieder runterzukommen.“ brüllte Victor zurück.
„Du bist ein Witz!“
Victor taumelte, hielt sich aber. „ICH WILL NUR GRAS RAUCHEN!“ schrie er.
Rashid sah wieder reif zum erbrechen aus, aber er blieb aufrecht.
„EINE SCHEIß LÜGE BIST DU!“ der Marrokaner schwitzte aus einem Großteil seiner Poren und Flüssigkeiten drangen aus allen nur erdenklichen Öffnungen seines Körpers.
„Nur was zum runterkommen!“ Er stürzte sich auf Rashid, packte ihn am mit sauren Körpersäften verschmierten Kragen seiner Lederjacke und sein Gewicht brachte beide zum Fall. Sie glitten durch die Luft, während Victor in Rashid’s verzerrtes Anlitz starrte, als würde ein Abgrund auf ihn zuschnellen und er mit einem Lächeln auf den Lippen. Als sie beide auf dem Bordstein aufschlugen, zerrte ein Schmerz im Rücken Rashid den letzten intakten Teil seiner Wahrnehmung ins Zwielicht zu dem Rest von ihm. Victor schürfte sich trotz der stabilen Hose sein rechtes Knie auf. Jetzt lehnte er über seinem Freund, die Gesichter ganz dicht zusammen.
„Ich will nur Gras rauchen, um wieder runterzukommen.“ flüsterte er.
„So kommst du nicht durch“ entgegnete Rashid ebenfalls im Flüsterton „Mit den ganzen Mädchen, deinen halbgahren Nutten. Die lachen über dich, wie alle anderen auch.“ Sein Gesicht ein einziger Klumpen weißer feuchter Masse mit scheintoten Augen, die auf der Oberfläche klebten und alles andere darin versinken ließen.
„Das ist das einzige was zählt. Nur die Mädchen zählen, alles andere ist egal“ sagte Victor „Fick den Job, fick die Ausbildung, die Schule, fick die Lehrer, fick deine Einkommenssteuer und den kaputten Kühlschrank in deiner Wohnung. Fick das Auto, das du kaufen mußt um leben zu können und fick die ganzen Lügner da draussen!“
„Du kommst so nicht durch.“ zischte Rashid und sein neidgeplagter Verstand wollte abschalten, konnte aber nicht.
„Wo ist das LSD?“ fragte Victor, wartete aber nicht auf eine Antwort des Marrokaner, sondern fasste in Rashid’s linke Hosentasche, um den Rest der unbedruckten Viereckigen Löschblätter hervorzuholen. Zwei Stück waren noch übrig „Man wird vielleicht nicht nach mir suchen, wenn ich mal verschwunden bin“ sagte Victor „Aber ich bin trotzdem unbesiegbar.“ Er schluckte die beiden Quadrate Löschblattpapier, mit dem gestreckten LSD, tief in sie eingesickert. Die Paste klebte in seinem Rachen, aber er schluckte wie ein Wahnsinniger und dann war es tief drinnen. Er wollte wieder stehen, versuchte auch ernsthaft sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, doch dann taumelte er nach hinten und landete auf seinem Hintern. Victor fasste sich an den Kopf und sah wie die Leute um ihn herum langsam wieder, wie aus dem Nichts, die Stadt bevölkerten. Päärchen über Päärchen, Familie über Familie.

 

Hey Will!
Man, man ich muss schon sagen irgendwie mitreißend. Besonders gut gefallen mir die Namen: Victor- klingt so nach trauriger Held und Rashid- nach verbittertem Marokkaner. Nimm mir das bitte nicht übel, aber das Thema ist doch echt schon tausendmal aufgewärmt worden. Teilweise ist der Text von Klischees durchzogen und vermittelt einen eher langweiligen pseudo- emotionalen Eindruck. Bin aber trotzdem gespannt wie es ausgeht.

 

Naja, wie ein Rausch halt so ist, da liegen Klischees nahe. Ist alles ein bisschen aus dem Kontext gerissen, deshalb rafft man leider nicht was los ist. Soll man aber auch nicht. Achja, möchte mit einem weiteren Auszug kontern. Paul ist gerade von seiner Freundin verlassen worden uns sitzt im Schloßpark als...

 

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