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Neununddreißig Fünf
Es dauert lange, bis sie nicht mehr friert. Dampf steht in der Luft. Sie schließt die Augen. Herrlich, wie das heiße Wasser auf ihre verspannten Schultern prasselt und den kalten Schweiß der Grippe abwäscht. Ihre Knie sind immer noch wacklig und schwindlig ist ihr auch, aber sie will wenigstens für ein paar Stunden aufstehen.
Es gefällt ihr, die Seife zwischen in den Händen zu drehen, bis der Schaum dick und sahnig wird. Der Duft von Eisenkraut bleibt zurück, als sie ihn aus dem Gesicht spült. Sie öffnet die Augen, weil es kühler wird. Die Badezimmertür steht offen. Er ist zu früh daheim, vielleicht, weil er sich wegen der Öffnungszeiten der Apotheke beeilen musste. Er trägt noch Schuhe und Anzug. „Hallo“, sagt er mit langem „llo“, was aus seinem Mund albern klingt. Er mustert sie mit höflicher Bewunderung, stellt die Apothekentüte auf den Waschtisch ab. „Geht’s dir besser?“
Seine Hand lockert die Krawatte, als sie bejaht. Statt zu gehen, angelt er mit dem Fuß nach dem niedrigen Hocker, setzt sich darauf, stützt die Unterarme auf die Oberschenkel und sieht durch die Glasscheibe zu ihr auf.
Es ist eigentümlich: Sie benutzt den alten Holzschemel, wenn sie sich die Zehennägel lackiert. Und die Kinder haben darauf gesessen, vor zwanzig Jahren, eingewickelt in hellgelbes Frottee, mit Wassertropfen in den Wimpern und rosigen Wangen. Sie ist sich sicher, dass er den Hocker noch nie benutzt hat. Es ist fast, als stände sie in einem fremden Badezimmer unter der Dusche.
„Willst du dir denn keinen Kaffee machen?“
Er schüttelt den Kopf. „Jetzt nicht.“
Seine Stimme klingt fremd durch das Rauschen des Wassers. Alles ist ein bisschen unwirklich. Der Mann mit dem dunklen Anzug und den polierten Schuhen, sein an den Schläfen zurückweichender Haaransatz, der ungenierte Blick und die Art, wie er die Oberlippe zwischen die Zähne saugt und wieder freigibt, unwillkürlich einen herausfordernden Kussmund formend. Sie fühlt sich betrunken, ein bisschen verlegen und angenehm schwindlig.
Sie schließt die Augen wieder und spürt das sanfte Kitzeln der schmalen Ströme, in denen das Wasser seinen Weg nach unten nimmt. Auch das ist unwirklich – als ob ihre Haut durch das Fieber empfindlicher ist. Empfänglicher. Sie spürt, dass sich ihre Brustspitzen verhärten. Sie hebt den Arm, tastet nach dem Duschkopf und nimmt ihn aus der Halterung.
Platzregen wechselt zu Sprühregen. Sie fühlt nur noch ihre erregte, fiebrige Mitte und die Schulterblätter, mit denen sie an den harten Kacheln lehnt. Es ist ein wunderbarer Zustand, fast körperlos, und sie versucht, diese Schwebe zu halten. Als sie den pulsierenden Strahl zwischen ihre Schenkel richtet, stöhnt sie auch für den Mann, der ihr dabei zusieht. Sie ist fast soweit, spürt es schon kommen, als die Glastür knarrt und sie gegen die Wand gedrückt wird. Der Stoff der Sakkoärmel kratzt unter ihren Achseln und die Zunge, die sich fordernd in ihren Mund drängt, nimmt ihr den Atem. Gleichzeitig pulst sie der unermüdliche Wasserstrahl zum Höhepunkt. Das gibt’s nicht, denkt sie, während die erste Welle sie erfasst: Der Kerl hat nicht mal die Schuhe ausgezogen.