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Neun Grad

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23.11.2012
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Neun Grad

Neun Grad​

Im dunklen Schweden blitzte der Himmel. Ayoka vermutete, dass das Gewitter von der Ostsee kam. Sie wanderte mit ihrem Blick weiter nach Osten. In Finnland dämmerte es, direkt in Flugrichtung ging die Sonne am russischen Horizont auf. Aus dieser Höhe konnte sie die Krümmung der Erde deutlich sehen. In der Ferne, an den Grenzen des Kontinents färbte sich das Land in kalten, weißen Farben. Über ihr tanzten leuchtende Polarlichter langsam zu ihrem Walzer.

»Sehr geehrte Fluggäste, wir erreichen in 5 Minuten Moskau. Bitte schnallen sie sich an. Wir gehen in den Landeanflug.«

Ayoka schaltete die Musik aus. Ein Steward lief den Gang herunter. »Wir treten gleich in die Atmosphäre ein! Bitte halten sie ihre Gurte stramm.«

Sie spürte die ersten Erschütterungen. Draußen nahm die Sichtweite in der dichter werdenden Luft deutlich ab, während sich Schwarz zu Blau verwandelte. Nach kurzer Zeit flog das Flugzeug durch eine Wolkenschicht, die sich wenig später auch schon wieder lichtete. Moskau, die größte Stadt Europas glitzerte spektakulär im Morgenrot. Die fernen Wolkenkratzer wirkten wie spitze Stacheln, die lange Schatten über die Metropole warfen.

Der Flughafen lag außerhalb Moskaus, daher flogen sie noch einige Minuten den Fluss entlang, bis sie den gigantischen Airport erreichten.

Der Check-Out verlief schnell, da es für Diplomatenflugzeuge einen eigenen Anleger gab. Russischen Regierungsbeamten holten Ayokas Delegation direkt von der Landebahn ab und brachten sie zur Magnetschwebebahn. In der Bahn suchte sie sich einen abgelegenen Platz. Sie brauchte ihre Ruhe, um alle Unterlagen noch einmal durchzugehen. Sie stand auf dem bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere. Die Afrikanische Union entsendete sie als oberste Klimaexpertin auf die Konferenz.

Die Schwebebahn setzte sich in Bewegung, um Moskau zu verlassen. Ayoka kramte ihre Datenbrille heraus. Die Batterieleuchte blinkte, daher schloss sie die Brille mit dem zugehörige Kabel an ihr Smartphone an. Die Durchlässigkeit deaktivierte sich, die Gläser wurden Schwarz. Sie zog die Brille vor die Augen, startete das System und aktivierte die Nachrichtenapp.

Das CNN-Logo. Kriegsschiffe fuhren durch das Polarmeer. »Die chinesische Marine kontrolliert weiterhin die Nord-Ost-Passage durch das kanadische Seegebiet. Daher folgt nach heftigem internationalen Streit heute der Sondergipfel zur Schwefelkrise in Moskau.«

Die Bilder endeten. Der Moderator erschien mit ernstem Blick.

»Guten Tag. Es wäre wohl nicht übertrieben zu sagen, dass diese Woche Entscheidungen getroffen werden, die unsere alle Zukunft verändern! Wenn die Regierungen jetzt entschieden handeln, können sie das größte Problem des 21. Jahrhunderts lösen. Ansonsten stürzen wir den Planeten in die Apokalypse.«

Ayoka stöhnte. Wieso sind Medien so einseitig? Das musste sie sich nicht antun. Sie zog die Brille ab und schaute aus dem Fenster. Einzelne Ortschaften rauschten wie in freiem Fall an ihr vorbei. Sie dachte nach, der Moderator hatte Recht. Wir würden das Klima ins Chaos stürzen, aber nur dann, wenn die Kanadier weiterhin Schwefeldioxid in die Atmosphäre pumpen.

Ayoka konnte die letzten Tage nicht sehr gut schlafen. Sie holte ihre Bitpaper aus der Tasche und verstreute sie auf dem Tisch. Die Klimaberechnungen, die globalen Windströme, die ozeanischen Grunddaten.
Nach einiger Zeit des Lesens begann sie die Papiere vollzuzeichnen, wie sie es immer tat. Nicht mit Notizen, sondern mit Mustern und Kringelbildern. Das beruhigte sie. Tausende hatte sie schon gespeichert.

Plötzlich hörte sie eine Männerstimme hinter sich.

»Sajnálom...« Ihr Translator reagierte schnell: »Ach Entschuldigung, könnte ich zwei abhaben?« Die Stimme in ihrem linken Ohrhörer überlagerte sich mit der Originalstimme im Hintergrund.

Ayoka löschte schnell die Kritzeleien und reichte dem Ungaren zwei Bitpaper. Sie hatte genug davon.

Nach einiger Zeit wurde der Maglev langsamer. Sie kramte hastig ihre Sachen zusammen und lief mit den Armen voller Unterlagen aus dem Abteil. Sie unterschätzte immer, wie schnell sie dabei sein musste. Draußen war es wärmer als sie dachte. Russland war auch nichtmehr, was es mal war.


***​

Ein Tag später. Ayoka konnte die vergangene Nacht wieder kaum schlafen. Die meisten Politiker kamen erst diesen Morgen. Nachmittags sollte die dritte Expertenrunde stattfinden.

Ayoka saß mit ihrem amerikanischen Freund Leroy im Bus. Er hatte einige Teilnehmer am vorigen Abend eingeladen, an einer morgendlichen Bustour teilzunehmen. Sie wollten sich die Mammuts angucken, die in den Reservaten lebten. Ayoka nahm das gerne an. Sie brauchte etwas Zerstreuung vor ihrer große Rede am Abend.

Leroy zappelte die ganze Zeit herum. Sie konnte ihm das nicht böse nehmen, er war sein halbes Leben an den Rollstuhl gefesselt. Mit seiner Genesung wurde er hibbelig wie kein anderer. Der dünne Mann in engen Shirts trieb seitdem viel Sport, lief Marathons, dicke Adern lagen auf seinen Armen.

»Leroy, besteht eine Chance, deinen Präsidenten zu überzeugen?«, fragte Ayoka.

»Nein. Das wird dir nicht gelingen,« schüttelte er den Kopf. »Lass uns darüber jetzt nicht diskutieren.«

»Russland und China lassen euch sowieso keine freie Hand!«, antwortete sie selbstsicher.

»China ist nur gegen einen Alleingang. Koordinieren wir das über den Sicherheitsrat, sind die bestimmt dabei! Und sei dir bei den Russen mal nicht so sicher.«

Ayoka lachte spöttisch. »Die sind der größte Gewinner der globalen Erwärmung! Schau doch nach draußen! Weizenfelder so weit das Auge reicht. Wenn die dem Geo-Engineering zustimmen, opfern die ihre Zukunft.«

»Russland liegt das Weltklima auch am Herzen!«

Ungläubig schaute sie ihn an. »Meinst du das ernst? Hier geht es doch nicht um Wohltätigkeit! Das ist ein reines Herrschaftsinstrument! Wenn die Eliten die Temperaturen bestimmen, ist das unser Untergang. Wir sollten das Klima wieder der Natur überlassen.«

»Ayoka, wir haben doch nicht unendlich Zeit! Letztes Jahr sind alleine in Indien 30 Millionen Menschen verhungert! Wie sollen wir die Welthungerkrise denn stoppen, ohne den Monsun wiederherzustellen? Emissionshandel dauert viel zu lange!«

»Tut mir Leid Logan, nicht persönlich nehmen, aber hätten die USA ihre Entwicklungshilfe nicht gestrichen, wären nie so viele gestorben.«

Leroy seufzte. »Du weißt, dass der Präsident kein Budget mehr hat! Die Foundations sind jetzt dafür zuständig. Ich halte die Protektorats-Lösung auch für die Bessere!«

»Klar, seine Sklaven lässt man ja nicht verhungern.« Seid ihrer Jugend, im Sudan, hasste Ayoka die Chinesen. Die Militärs gingen hart gegen ihre Familie vor, damit ihr Vater sein Land verkaufte. Mit Beginn der Welthungerkrise machten sie den Sudan dann zu einem Protektorat - nur ein anderer Begriff für Kolonie.

Leroy wollte nicht weiter in die Wunde stechen. Sie schwiegen eine ganze Zeit.

»Mammuts!«, rief aufgeregt einer der Mitfahrer. Alle Passagiere drängelten sich auf die linke Busseite, dort in der Ferne, am Hang, grasten die zotteligen Rüsseltiere. Ayoka war erstaunt, sie sahen ganz anders aus als Elefanten, Ihre Köpfe unterschieden sich deutlich. Doch Der Bus fuhr an den Mammuts vorbei. »Halten wir gar nicht an?«, fragte ein Passagier nach vorne. Keine Antwort. Nach einigen Minuten spürte Ayoka, das etwas nicht stimmte, Leroy verhielt sich merkwürdig ruhig.

»Keine Sorge«, sagte er mit schuldigem Blick.

»Was hat das zu bedeuten?«

Sie fuhren über eine Hügelkuppe in ein bewaldetes Tal. Ayoka sah in der Ferne große Forst-Luftschiffe in niedriger Höhe über dem Waldgebiet schweben, die mit einer Seilwinde Bäume aus dem Wald pflückten. Beim Hochziehen befreiten automatische Sägeblätter die Stämme von ihrem Astwerk. Sobald ein Luftschiff genug gesammelt hatte, schwebte es mit seiner Beute unter dem Bauch davon.

Nachdem sie eine lange Zeit fuhren, erreichten sie einen Militärstützpunkt. Die Wachen winkten den Bus durch den Checkpoint. Im Fahrzeug herrschte eine angespannte Stimmung. Sie näherten sich einem Landsitz, um den bewaffnete Männer patrouillierten. Drei Russen eskortierten sie in das Gebäude.

Das Anwesen war mit noblen Möbeln und einem teuren, grünen Teppich eingerichtet. Klassische Gemälde schmückten die vertäfelten Wände. In der Mittel lag ein großer, warmer Raum, in dem sich bereits ein paar Menschen befanden.

Schlagartig verstummte die Gruppe. Ayoka traute ihren Augen nicht. Am Kamin unterhielt sich der amerikanische Präsident Ben Barclay mit seinem russischen Kollegen Adam Masolv. Als die meisten sich gesetzt hatten, ergriff der Russe das Wort.

»Meine Damen und Herren, Sie alle sind hier, weil meine und Bens Mitarbeiter sie für vertrauenswürdig halten.«

der hagere US-Präsident nickte ernst.

»Sie erfahren heute Staatsgeheimnisse. Durch ihre Anwesenheit stimmen sie zu, diese zu bewahren. Alternativ können sie nun den Raum verlassen.«
Maslov stand auf und schaute in die Menge. Ein Flüstern ging um. Nach mehr als einer Minute stoischen Wartens, setzte er sich wieder, winkte einen Mitarbeiter herbei und übergab ihm das Wort.

»Ja Hallo«, begrüßte der salopp die Gäste. »Unter Ihren Stühlen finden sie ein Dossier...«

Ayoka öffnete den Ordner und sah ein Bitpaper mit der russischen Karte.
»Seit dem letzten Hochsommer passiert etwas, das allen Prognosen widerspricht.« Auf Ayokas Karte blinkte ein riesiges Gebiet auf. Sie konnte nicht glauben, was sie sah.

»Der sibirische Permaboden taut auf.« Ein Raunen ging durch die Menge. »Wir können uns das auch nicht erklären.« Er holte Luft. »Es ist viel schlimmer als wir dachten. Gigantische Mengen CO2 steigen aus dem Boden auf.«
Ayoka war entsetzt, laut ihren Berechnungen bestand die Gefahr dazu erst in Jahrzehnten. Das ging viel zu schnell!

Der russische Präsident stand auf. »Ich muss Ihnen mitteilen, dass die globalen Temperaturen daher bis Ende des Jahrhunderts um neun Grad Celsius steigen!«

Die Anwesenden riefen fassungslos durcheinander. Ayoka schwindelte es. Das veränderte alles! Ihre Sitznachbarn redeten vom Hitzetod der Erde.

»Ruhe!«, brüllte Maslov. Er guckte seinen US-Kollegen an, Barclay nickte, die Gäste horchten. Der Amerikaner sah aus, als habe er sein Leben lang in einem Steinbruch gearbeitet. Sein mageres Gesicht und der graue Vollbart ließen ihn viel älter aussehen er war. Dazu trug er eine altmodische Brille - in Wahrheit sicherlich eine moderne Datenbrille. Er räusperte sich.

»Wir haben zu lange den Klimawandel ignoriert! Jeder von uns! Nun gehen wir deshalb drauf!«, sagte Barclay ungewohnt emotional. »Wir haben nurnoch eine Chance! Natürlich ist die mit Risiken verbunden, aber wir haben mittlerweile keine Wahl mehr.«

Maslov fiel ihm ins Wort. »Ich bitten Sie, sich in der Expertenrunde für das Geo-Engineering auszusprechen! Wir müssen die Welt, besonders Russland, sehr schnell abkühlen! Schwefeldioxid hat genau die gegenteilige Wirkung von CO² und Methan«

Hände schossen in die Höhe, Leute riefen herein.

»Sie können ihre Fragen stellen, einer nach dem anderen.«
Ayoka sprang auf. »Herr Präsident, warum veröffentlichen Sie diese Daten nicht? Dann kriegen sie sofort alle an einen Tisch.«
Maslov schüttelte heftig den Kopf. »Stellen sie sich den Börsenkollaps vor! Das würde zu einer globalen Wirtschaftskrise führen, die alles nur noch verschlimmert. Russland würde durch diese Hiobs-Botschaft im Chaos versinken!«

Barclay intervenierte. »Aber um es noch einmal klarzustellen: Wir werden trotzdem entschieden handeln! Das steht gar nicht zu Debatte. Wir senken durch Geo-Engineering die Temperaturen in den nächsten Jahren auf vorindustrielles Niveau.

Nach einer halben Stunde verließen die Staatschefs das Anwesen. Viele Fragen waren noch offen, und die meisten Experten fühlten sich außer Stande, so schnell ihre Meinung zu ändern. Sie verteilten sich zur Beratung auf die vielen Räume im Gebäude. Ayoka zerrte Leroy in ein Gästezimmer im Obergeschoss.

»Leroy, ich kann dem nicht zustimmen!«, knallte sie aufgewühlt die Tür zu.

»Angenommen das endet nicht im absoluten Chaos, sondern funktioniert, dann gäbe es doch keinen Grund mehr CO² und Methan zu sparen! Dann wird einfach eine gleiche Menge Schwefeldioxid in die Luft gepumpt und für die Politiker ist alles gut.«

»Nein natürlich ist dann nicht alles gut«, seufzte Leroy.

»Aber das interessiert die Wirtschaft doch nicht! Sobald wir damit anfangen an der Welttemperatur herum zu pfuschen, gibt es kein zurück mehr!«. Sie fuchtelte energisch mit den Armen.

»Eigentlich pfuschen wir schon seit Jahrzehnten ...«

»Ich sag dir wie das Laufe wird: Die pumpen ihr Schwefeldioxid in den Russischen Himmel, die Kanadier machen zusammen mit der USA weiter, die Chinesen fange an. Wenn dann vielleicht noch Zeit bleibt, kümmert man sich darum den indischen Monsun zu stabilisieren. Soll ja auch eine Machtdemonstration werden! Aber Afrika wird man einfach links liegen lassen.«

Leroy beunruhigte ihre aufgeregte Art. »Das breitet sich doch gleichmäßig in der ganzen Atmosphäre aus!«

Ayoka lachte hysterisch. »Erzähl mir nichts! Ich bin hier die Klimaexpertin. Das dauert eine Dekade, bis sich das Schwefeldioxid verteilt hat.«

»Wir Sorgen dafür, dass Afrika vorher Hilfe bekommt!«

»Und die Ozeane, weißt du auch, was mit denen passiert? Die müssen dann noch mehr CO² ertragen!« Traurig guckt sie ihn an. »Das Meer wird immer sauerer, das hält das Ökosystem nicht aus. Fast alle Korallenriffe sind schon ausgestorben!«

»Darüber wollte ich mit dir reden.« Leroy schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Wir müssen die Ozeane aufgeben!« Er hielt kurz inne. Es viel ihm sichtbar schwer das zu sagen. »Aber wir können viele Spezies vor dem Aussterben bewahren, indem wir ihr Genom retten. Russland gibt für sowas schon heute gigantische Summen aus. Sie wollen auf der Konferenz eine internationale Agentur für Genkonservierung vorschlagen. Also falls dir die Afrikanische Union kündigt ...«

»Was soll ich da? Ich bin doch keine Genetikerin!«

»Du bist aber eine gute Rednerin und ein engagierter Mensch! Der US-Präsident würde sich für dich als Generalsekretärin einsetzen! Du bekommst ein Jahresbudget von zig Millionen eCoins. Damit könntest du viel mehr bewirken.«


***​

Am nächsten Morgen versammelten sich zahlreiche Presseteams vor dem Tagungsgebäude. Kameradrohnen flogen vorsichtig durch die Luft, um nicht miteinander zu kollidieren. Die Staatschefs hatten sich soeben geeinigt. Viele Teilnehmer verließen nun die Konferenz.

»Frau Bantu! Eine Frage! Wieso der Meinungswechsel?...«. Die Reporter scharten sich um die schweigende Ayoka, die gerade aus dem Gebäude kam. Leroy und sein Wachpersonal brachten sie in einen Wagen der amerikanischen Botschaft, der schnell davonfuhr.

Eine deutsche ZDF-Korrespondentin wendete sich wieder der Fernsehkamera zu. »Ayoka Bantu, die Klimaexpertin der Afrikanischen Union, hat sich gestern Abend unerwartet in der Expertenrunde für das Geo-Engineering ausgesprochen. In ihrer dramatischen Rede forderte sie, das Weltklima mit Schwefeldioxid abzukühlen und dabei besonders in Afrika und anderen tropischen Gebieten zu beginnen. Bisher konnten wir sie zu keiner Stellungnahme gewinnen. Auch weitere Experten haben überraschend ihre Meinung gewechselt. Dafür erhielten sie von unabhängigen Klimaforschern und Meeresbiologen heftige Kritik. Diese fürchten, dass die Politik ihre Bemühungen in der CO²- und Methan-Reduktion nun langfristig aufgibt. Andere warnen, dass Schwefeldioxid die Ozonschicht gefährden.«

Ein paar Schritte weiter begann ein junger BBC-Reporter seine Ansprache. »Heute haben die acht Länder des UNO-Sicherheitsrates gegen starken Widerstand dem Geo-Engineering zugestimmt, und damit vorläufig die Schwefelkrise beendet. In den nächsten Jahren werden zwei Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Atmosphäre befördert, um das Klima zu stabilisieren.«
Plötzlich öffneten sich die Türen. Der US-Präsident trat mit vielen Sicherheitsleuten an die Presse. In tosendem Blitzlichtgewitter lächelte und winkte er in die Kameras. Die Nachrichtensender bombardierten ihn mit Fragen, doch Barclay wollte zunächst einmal den Moment genießen. Totgesagte leben länger. Das amerikanische Jahrhundert war noch nicht vorbei.

Irgendwo in den hinteren Reihen versuchte ein schwerfälliger Reporter von einem mexikanischen Internetsender nach vorne zu kommen. Er trug nur Handkamera., denn Überflugrechte für eine Kameradrohne bekamen nur die großen Sender. Es war für ihn trotzdem wichtig, dass der Präsident auf dem Bild zu sehen war. Doch es half nichts, er kam nicht durch, daher begann er seine Ansprache mitten in der Menge.

»Durchbruch. Präsident Ben Barclay gelang es, die Chinesen vom Geo-Engineering zu überzeugen. Die Volksrepublik kündigte an die Blockade der Nord-West-Passage zu beenden. Sensationell ist aber vor allem die Tatsache, dass Barclay in harten Verhandlungen auch Präsident Maslov ins Boot holte. Mit einer Zustimmung des ‚Klimagewinners‘ hatte hier niemand gerechnet. Die Moskauer Börse reagierte turbulent. Nach einem heftigen Kurssturz haben sich die Werte nun jedoch wieder stabilisiert, denn Russland soll zum Ausgleich jährlich Verschmutzungsrechte für zwei Millionen Tonnen CO² erhalten. Das Land könnte damit in den kommenden Jahren zum größten Exporteur von CO²-Zertifikaten aufsteigen und dadurch Milliarden einnehmen. Diese Aufweichung des globalen Emissionshandels ist für die EU ein harter Schlag, trotzdem hat der Staatenbund dem heutigen Abkommen zugestimmt.«

Der Reporter hob feierlich die Stimme. »Ben Barclay ist der Mann der Stunde! Durch seinen unfassbaren diplomatischen Erfolg hat er sich mit höchster Wahrscheinlichkeit seine Wiederwahl gesichert.«

 

Hallo Blue Yonder

Und Herzlich Willkommen bei kurzgeschichten.de.

Ich finde die Idee, die Klimaproblematik vor dem Hintergrund fiktiver politischer Verhältnisse der Zukunft zu thematisieren, grundsätzlich gut. Du hast dir da eine Menge Gedanken gemacht und auch viele Details eingebracht - leider ist das auch so ein bisschen das Problem der Geschichte. Für mich steckt da viel drin, vieles wird dadurch aber auch nur kurz angerissen. Das geht mir dann zu schnell, einerseits habe ich Schwierigkeiten, den Fokus der Geschichte zu erkennen, andererseits finde ich es dann auch schwierig, den direkten Zusammenhang der Ereignisse der zu sehen.

Also im Grunde ist ja das Hauptproblem die extreme Erderwärmung, der man jetzt durch zusätzliches Schwefeldioxid (SO2) Herr werden will:

Schwefeldioxid hat genau die gegenteilige Wirkung von CO² und Methan

Gleichzeitig wird aber auch gesagt:

Wir würden das Klima ins Chaos stürzen, aber nur dann, wenn die Kanadier weiterhin Schwefeldioxid in die Atmosphäre pumpen.

Ich muss ehrlich zugeben, ich bin ein Laie in diesen Fragen, sowohl der Chemie als auch der Umwelttechnik. Und dein Text bewegt sich oft auf diesem wissenschaftlichen Niveau, das kann ich dann nicht mehr nachvollziehen. Hier zum Beispiel, bei den zitierten Sätzen, sehe ich einen Widerspruch, den ich nicht auflösen kann. Da würde ich mir einfach mehr Erklärungen wünschen, um dem Thema besser folgen zu können.

Zumal ja auch die politischen Verhältnisse eine wichtige Rolle spielen:

Durchbruch. Präsident Ben Barclay gelang es, die Chinesen vom Geo-Engineering zu überzeugen. Die Volksrepublik kündigte an die Blockade der Nord-West-Passage zu beenden.

Wie hängt jetzt das eine mit dem anderen zusammen? Und was bedeutet eigentlich dieses "Geo-Engineering"? Also einfach, CO2 durch SO2 auszugleichen? Oder steckt da noch mehr dahinter, mir sagt das nämlich nichts.

Auf dieser wissenschaftlichen Ebene solltest du mMn deutlicher werden.

Ferner werden auch die Konflikte im Text selbst überraschend schnell gelöst. Zum einen einigen sich Politiker auf das Vorgehen im Kampf gegen den Klimawandel - das allein klingt schon unglaubwürdig :). Natürlich bringst du die "reale" Gefahr des schmelzenden Eises in Sibirien - aber, ganz ehrlich, wie ist das denn heute bei der Klimaproblematik? Da findet doch jede Seite sog. "Experten", die die eigene Meinung unterstützen. Also würden doch sicher hier die Russen (als "Klimagewinner") auch Experten finden, welche behaupten, es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem CO2 in der Atmosphäre und dem Schmelzen des Bodens - und das Absenken des Klimas bekämpfen, da sie vom wärmeren Klima ja profitieren. Ich glaube, da würden sie sich auch nicht mit ein paar CO2-Emissionspapieren "abspeissen" lassen.

Und was ist eigentlich die Position der Chinesen? Das ist mir unklar geblieben, offenbar sind sie da nicht auf einer Linie mit Russland - wie oben geschrieben, solche Dinge sollten klarer herausgearbeitet werden.

Was ich die Stärke am Text finde: Die Figur Ayoka, als Vertreterin von Afrika. Durch das Geo-Engineering wird sie ja in einen Konflikt gestürzt, das finde ich gut herausgearbeitet, auch, wie du implizit schilderst, dass Afrika bei solchen Verhandlungen übergangen wird und die USA / Russland / China bestimmen, wo es langgeht. Aber auch diesen "Konflikt" löst du sehr einfach auf:

»Du bist aber eine gute Rednerin und ein engagierter Mensch! Der US-Präsident würde sich für dich als Generalsekretärin einsetzen! Du bekommst ein Jahresbudget von zig Millionen eCoins. Damit könntest du viel mehr bewirken.«

Verstehe ich nicht so ganz - offenbar will man sich hier die Zustimmung von Afrika "erkaufen", aber würde Ayoka da so schnell mitmachen? Was sind denn ihre Gründe dafür? Auch verstehe ich nicht, warum es da unbedingt sie braucht: Findet der US-Präsident keinen "guten Redner und engagierten Menschen" in den eigenen Reihen?
Also auch hier schildert der Text mehr als er erzählt, und das ist so meine Hauptschwierigkeit: Sowohl das Wissenschaftliche als auch das Politische als auch das Persönliche wird immer nur angekratzt, ohne dass man da wirklich mal tief abtauchen kann. Wie gesagt, da stecken eine Menge Ideen drin, aber so als Ganzes, als Geschichte, überzeugt es mich nicht so recht, zumal es manchmal auch zu trocken formuliert ist.

Formal musst du über den Text nochmal drüber, da sind noch viele Fehler drin:

In der Ferne, an den Grenzen des Kontinents färbte sich das Land in kalten

Komma nach "Kontinents"

Bitte schnallen sie sich an.

Sie/Ihre/Ihnen in der Anrede immer gross. Das ist an vielen Stellen falsch.

Draußen nahm die Sichtweite in der dichter werdenden Luft deutlich ab

Was hältst du von: "Draußen nahm die Sichtweite ab" - kürzer ist oft besser, die "dichter werdende Luft" ergibt sich aus dem Kontext, und das "deutlich" ist hier ein unnötiges Füllwort, weil es praktisch nichts aussagt.

Russischen Regierungsbeamten holten Ayokas Delegation direkt von der Landebahn ab

Nominativ: Russische Regierungsbeamte ...

Die Batterieleuchte blinkte, daher schloss sie die Brille mit dem zugehörige Kabel an ihr Smartphone an.

zugehörigen

Die Durchlässigkeit deaktivierte sich, die Gläser wurden Schwarz.

schwarz

»Guten Tag. Es wäre wohl nicht übertrieben zu sagen, dass diese Woche Entscheidungen getroffen werden, die unsere alle Zukunft verändern!

"alle" raus

Wenn die Regierungen jetzt entschieden handeln, können sie das größte Problem des 21. Jahrhunderts lösen. Ansonsten stürzen wir den Planeten in die Apokalypse.

Das klingt mir zu sensationslüstern für einen CNN-Reporter.

Sie holte ihre Bitpaper aus der Tasche und verstreute sie auf dem Tisch.

Was ist dieses "Bitpaper"?

Russland war auch nichtmehr, was es mal war.

Russland war auch nicht mehr (das), was es mal war.

Der dünne Mann in engen Shirts trieb seitdem viel Sport, lief Marathons, dicke Adern lagen auf seinen Armen.

Passt nicht ganz, Adern liegen ja nicht "auf dem Arm", sondern eher unter der Haut. Auch das "liegen" passt nicht zu Adern, finde ich. Warum nicht: dicke Adern verlaufen unter seiner Haut.

»Tut mir Leid Logan,

leid
Wer ist Logan? Ich dachte sie spricht mit Leroy.

Seid ihrer Jugend,

Seit

Doch Der Bus fuhr an den Mammuts vorbei.

der

Nach einigen Minuten spürte Ayoka, das etwas nicht stimmte,

dass

der hagere US-Präsident nickte ernst.

Der
Auch hier mal überlegen, welche Informationen für den Leser wichtig ist: Adjektive und Adverben (hager, ernst) immer hinterfragen.

»Sie erfahren heute Staatsgeheimnisse. Durch ihre Anwesenheit stimmen sie zu, diese zu bewahren. Alternativ können sie nun den Raum verlassen.«

So beginnt das offizielle Treffen hochrangiger Politiker? Klingt mir eher, als würde in einem James-Bond-Film (einem von den alten) der Bösewicht seine Pläne einer Gruppe von Investoren vorstellen :).

»Wir haben nurnoch eine Chance!

nur noch

Schwefeldioxid hat genau die gegenteilige Wirkung von CO² und Methan«

Punkt fehlt am Ende.

Sobald wir damit anfangen an der Welttemperatur herum zu pfuschen, gibt es kein zurück mehr!«.

Und hier ist ein Punkt am Ende zu viel.

»Ich sag dir wie das Laufe wird:

laufen

mit der USA weiter, die Chinesen fange an.

fangen

Du solltest den Text vor dem Posten nochmal aufmerksam lesen (vielleicht auch ausdrucken), solche Fehler liessen sich echt vermeiden.

»Wir Sorgen dafür, dass Afrika vorher Hilfe bekommt!«

sorgen

Es viel ihm sichtbar schwer das zu sagen.

fiel

Also alles in allem, viele gute Ideen und eine interessante Figur mit einem Konflikt. Ich würde dir empfehlen, diesen Konflikt noch klarer herauszuarbeiten und nicht so schnell aufzulösen. Auch die politischen / wirtschaftlichen Hintergründe solltest du mMn besser beleuchten, damit sie klarer werden, oder das eine oder andere vielleicht auch streichen (bspw. diese Seeblockade der Chinesen).

Viele Grüsse
Schwups

 

Hallo Schwups,

vielen dank für dieses tolle, ausführliche Feedback :)

Deine Kritik sehe ich vollkommen ein. Für mich fühlte sich das auch nicht ganz rund an. Was eventuell zugleich die Bereicherung und das Problem ist: Ich erzähle da aus einem komplexeren Universum, dessen Beschreibung mich über tausend Notizseiten und 2 Jahre meiner Jugend gekostet hat.
Ich war nie der große Schreiber und diese Kurzgeschichte gehört nun zu meinen ersten Versuchen, Geschichten aus diesem Universum wirklich zu "erzählen". An Details wird es sowieso nicht mangeln, und alles was ich beschreibe, begreife ich zunächst erstmal als Mosaik.

Wie du treffend hingewiesen hast, funktioniert das aber noch nicht. Daher werde ich einige Details reduzieren und den inneren Konflikt(Ayokas) und denn äußeren Konflikt(der Welt) mehr beschreiben - wozu ich mir ein paar zusätzliche Seiten Text dazunehmen werde, um nicht alles nur kurz anzureißen.

Trotzdem will ich einige Fragen absichtlich auch unbeantwortet lassen, um aus dem Erzähler keinen Erklärbär zu machen. Zum Beispiel: "Was sind Bitpaper?". Ich hatte gehofft der Leser stellt sich Papier vor, auf dem man zeichnen und speichern kann und das Texte anzeigt und sogar blinkt. Diese Vorstellung, die einem Papier mit Bildschirm oder elektronischer Tinte nahe kommen könnte würde dann schon reichen.

Hast du so eine Vorstellung gehabt, oder konntest du dir wirklich nichts darunter vorstellen, so dass es dich im lesefluss gehindert hat? Dann müsste ich natürlich wirklich noch einen erklärsatz ranhängen :)

Aufjedenfall vielen Dank für deine Anmerkungen und die nette Begrüßung!

 

Hallo Blue Yonder

Ich erzähle da aus einem komplexeren Universum, dessen Beschreibung mich über tausend Notizseiten und 2 Jahre meiner Jugend gekostet hat.

Ui, das klingt heftig. Ist natürlich schwierig, das in einer KG dann vernünftig unterzubringen, aber es gilt dann umso mehr: Fokussiere dich auf einzelne Bereiche. Lass alles weg, was nicht direkt dazugehört, du verlierst sonst den Leser.

Trotzdem will ich einige Fragen absichtlich auch unbeantwortet lassen, um aus dem Erzähler keinen Erklärbär zu machen. Zum Beispiel: "Was sind Bitpaper?".

Ja, da hast du auch recht. Es geht auch aus dem Kontext hervor (und eigentlich auch schon aus dem Namen, wenngleich mich das "Bit" stört). Mich hat irgendwie dieses "breitete es auf dem Tisch aus" gestört, das klingt unheimlich mühsam, statt "echtem" Papier elektronisches zu nehmen, also sind wir da nicht heute schon weiter mit Smartphones, Tablets, Notebooks, wo man sich mal eben Dateien hin- und herschicken kann?

Wenn du jetzt sagst, das Bitpaper hat aber den und den entscheidenden Vorteil (der in der Geschichte nicht erwähnt wird), dann ist es gut, es zu nennen. Andernfalls ist das halt auch so ein Begriff, wo man hängen bleibt, stutzig wird. Zumindest gings mir so.

Hast du so eine Vorstellung gehabt, oder konntest du dir wirklich nichts darunter vorstellen, so dass es dich im lesefluss gehindert hat? Dann müsste ich natürlich wirklich noch einen erklärsatz ranhängen

Nein ist schon in Ordnung. Ich fands halt nicht so wahnsinnig innovativ, wie gesagt, frag dich ob du mit hunderten von diesen Dingern durch die Gegend laufen würdest, wenn du doch alles auch auf einem Gerät haben könntest. Vielleicht willst du mit dieser Erwähnung der Geschichte auch einfach einen "futuristischen" Klang geben (was sie mMn nicht nötig hätte). Ich wollte damit nur sagen, dass ich über den Begriff gestolpert bin, anderen geht es vielleicht anders.

Viele Grüsse,
Schwups

 

Hallo Blue Yonder,

natürlich ist es feine Sache, wenn Du die Hintergründe der Welt, in der Deine Geschichte spielt, so genau durchdacht hast. Das gibt Dir die Möglichkeit, Dich frei und zwanglos in diesem Universum zu bewegen.

Viele Autoren haben beispielsweise ganz genaue Vorstellungen von dem Haus, in dem ihre Geschichte abläuft, sie kennen jedes Zimmer, manchmal sogar deren Einrichtung.

Aber: Keine Geschichte kann davon leben, daß man ein Haus, eine Welt, technische oder ökologische Zusammenhänge beschreibt. Das macht so umfänglich eigentlich nur dann Sinn, wenn der Zweck der Geschichte im Vermitteln von Wissen besteht.

So gehen ja historische oder naturwissenschaftliche Dokus im TV vor - sie arangieren um einen Kern aus Fachwissen eine erbauliche Story, damit es den Zuschauern nicht zu langweilig wird.

In Deiner Story fehlt die Story. Es passiert kaum etwas, was mich als Leser mitreißt. Ich denke, Deine Protagonisten sollten weniger nachdenken und mehr erleben.

Gruß Achillus

 

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