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Neulich im Inehinei

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03.07.2004
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Neulich im Inehinei

Wer das "Inehinei" ansteuern wollte, brauchte sich vor Nacht und Nebel nicht zu scheuen. Grölender Gesang durchdrang jede Finsternis wie ein arg verstimmtes Nebelhorn und in der Gaststube trug der Tabakrauch, der über den Tischen hing, für neblige Stimmung.

In einer ruhigen Ecke saßen Klaas, der etwas klein geratene Segelmacher mit seinem fußbodenlangen Bart, der lange Hein, der fremde Sprachen nicht mochte, aber ein hervorragender Steuermann gewesen war und Käpt'n Braas. Sie konnten es sich erlauben, im "Inehinei" bis in den Morgen zu zechen. Ihnen schlugen keine Glasen mehr, und die Seeräuberei hatten sie rechtzeitig an die Tampen gehängt, bevor sie selber dort baumelten.

Ein kalter Windstoß zeigte an, dass die Tür geöffnet wurde. Alle äugten verstohlen zum Eingang und so verpasste keiner, was nun geschah. Käpt'n Klopp (der grobe Klopp) betrat die Kneipe. Er hatte bereits angekündigt, heute sein neues Holzbein vorzuführen. Aber statt sich zu seinen Kumpanen zu setzen, wirbelte er plötzlich wie ein Derwisch durch die Kneipe bis zum Tresen. Dabei stand sein Holzbein waagerecht in der Luft und bretterte mit einem satten Knirschen in den Holztresen. Dorthin, wo die Kasse unter dem Tresen stand. Alle starrten erstaunt auf Käpt'n Klopp, der mit seinen Armen herumfuhr wie eine Windmühle, und den Wirt, der ungeachtet seiner knappen 2 Meter Körperlänge herumsprang wie eine wild gewordene Rapunzel.

So still war es, dass jeder die leisen Worte von Käpt'n Braas vernahm: "Ich glaub, der Kerl da drüben trägt mein Holzbein."
Der lange Hein schaute unter den Tisch: "Nöö, dein Holzbein is' noch dran!"
Aber Klaas dachte angestrengt nach und schaute Käpt'n Braas ins wettergegerbte und vor lauter Bart kaum erkennbare Gesicht: "Ich hab mal gehört."
"Was hast du mal gehört?" Der Wirt hörte auf zu tanzen, alle Ohren wandten sich Klaas zu und erhofften ein ordentliches Garn.

Es war dann Käpt'n Braas, der mit seiner tiefen rauen Stimme erzählte: "Das ist schon über zwanzig Jahre her, ich fuhr als zweiter Steuermann, da brach aus heiterem Himmel ein Taifun los und schleuderte unser Schiff gegen ein Riff. Ich erinnere mich noch, dass ich wie eine Möwe durch die Luft flog und dann wurde alles dunkel.
Als ich wieder erwachte, wollte ich aufstehen, aber es ging nicht. Mehr als Stöhnen war nicht drin.

Ich hörte eine sanfte Stimme, aber ich verstand nur 'noho', also 'bleib'."
"Was 'n das für 'ne Sprache?" meckerte der lange Hein und rief Gelächter hervor.
"Weiter erzählen." Mehrere Zuhörer verlangten lautstark eine Fortsetzung.
"'Where?' stöhnte ich auf englisch. Eine junge braunhäutige Frau mit großen schwarzen Augen beugte sich über mich. Ihre langen schwarzen Haare kitzelten meine Lippen und erklärte mir in stockendem Englisch:
'Ich heiße Pulelehua oder einfach Pule. Trink.'
Sie hielt mir eine halbe Kokosnussschale vor die Lippen. Die Milch in der Schale war kühl und erfrischend, aber nachdem ich die Schale ausgetrunken hatte, war ich so müde, dass ich gleich wieder einschlief.

Immer, wenn ich wieder aufwachte, flatterte Pulelehua um mich herum, gab mir Trinken und bald auch Essen und endlich durfte ich mich auf mein Lager setzen. Mein rechtes Bein schien immer noch taub zu sein, aber dann sah ich es. 'Mein Bein', schrie ich 'Wo ist mein Bein?'
'Weg. Gefressen. Der Heiler hat dich gerettet. Vergiss das Bein.'
Was sollte ich jetzt tun. Vom Knie abwärts war nichts mehr. Ich sank auf die Decken zurück und versuchte mir meine Zukunft vorzustellen. Sollte ich hier bleiben, sesshaft werden, eine Familie gründen? Alles das, was mein Vater gefordert hatte und weshalb ich bei Nacht und Nebel getürmt und zur See gefahren war?
Pulelehua musste mir die Verzweiflung angesehen haben. Mit vielen mir damals noch unbekannten Worten erklärte sie mir: 'Unser Heiler macht dir ein schönes Bein. Vor Jahren ist ein Baum aus sehr hartem Holz bei einem Sturm auf unsere Insel gekommen. Und jetzt schnitzt unser Heiler mit dem Hüttenbauer zusammen seit drei Wochen ein neues Bein extra für dich.'

Und eine Woche später passte mir der Heiler mit viel Tamtam das Holzbein an. So gut, dass ich mit dem neuen Bein richtig laufen konnte. Zwei Wochen später brachten mich die Insulaner mit einem ihrer Fischerboote zur Hauptinsel und dort bekam ich gleich einen neuen Job. Im Hafen lag eine heruntergekommene Brigg, deren Steuermann vom Fieber dahingerafft worden war. Schon am Abend stachen wir in See und ich vergaß Pulelehua und ihre Insel.

Unsere Brigg war zwar in die Jahre gekommen, aber immer noch schneller als jeder Kauffahrer. Nach zwei Wochen sichteten wir den ersten. Der schwerfällige Pott versuchte zu fliehen, aber wir holten ihn schnell ein und enterten das Schiff. Als ich an Deck kam, spielte mein Holzbein verrückt. Als ob es ein eigenes Leben hätte, marschierte es im Eiltempo über das halbe Deck und dann klopfte es wuchtig auf das Deck. Das schmerzte schon recht heftig, noch mehr aber die dummen Scherze der Kameraden. 'Soll das 'n Veitstanz sein' "Guck mal, ein Bein mit Tatterich' und so weiter. Aber mein Holzbein hämmerte unbeirrt auf die Decksplanken, bis diese aufgaben und mein Bein im Deck feststeckte. Wenigstens hörte damit die Hampelei auf. Der Käpt'n stand inzwischen neben mir und starrte auf das Deck. 'Hey Zimmermann komm rüber', rief er dann 'Wollt ihre mein Bein abschneiden?' Ich bekam leichte Panik. Aber der Kapitän zeigte dem Zimmermann eine feine Linie in den Decksplanken, die mir bisher gar nicht aufgefallen war. Und dann ging alles recht schnell. Mein Bein wurde frei gemeißelt und das verborgene Luk aufgestemmt. Der schmale Hohlraum, den wir zu Gesicht bekamen, war angefüllt mit Goldbarren. 'Ich glaube, du hast ein Wünschelbein' meinte der Käpt'n lakonisch und damit begann meine Karriere.

Allerdings war sie gar nicht so goldig, wie ihr jetzt denkt und wie ich mir ausgemalt hatte. Mein Bein ließ mich nicht in Ruhe. Sobald das Gold auf unserem Schiff war, wollte es unbedingt zu dem Schatz. Damit mein Bein unsere altersschwache Brigg nicht endgültig zusammenkloppte, gaben wir ihm nach und ich lebte die meiste Zeit bei den Goldbarren. Wenn ich mein Bein zwischen die Barren steckte, war es ruhig, aber mein Leben wurde sehr stumpfsinnig. Enterten wir ein Schiff, begann die Aufregung. Die Kameraden zerrten mich mit Gewalt auf das andere Schiff. Und schon stürzte sich mein Bein auf den neuen Schatz – gleich ob er aus drei armseligen Silbermünzen und einem Goldring bestand oder der ganze Schiffsbauch mit Golddublonen angefüllt war. Die waren übrigens meine Rettung. Unser Schmied versuchte erst Dublonen an mein Bein zu nageln, aber das Holz war zu hart. Deshalb schmiedete er einen goldenen Stiefel und in dem blieb das Bein ruhig."

"Du bist Käpt'n Goldbein?" Die erstaunten Ausrufe schwirrten nur so durch das "Inehinei". Und alle nutzten die Pause zum Nachtanken und Platz schaffen. Als alle seemännischen Urbedürfnisse gestillt waren, richten sich die Ohren wieder auf Käpt'n Braas, der auch bereitwillig fortspann:

"Nach kurzer Zeit lag unser Kahn tief im Wasser und wir suchten eine kleine abgelegene Insel, um uns zu erleichtern. Aber Neptun hat uns vorher erwischt. Aus heiterem Himmel stürmte eine Bö gegen die Brigg, die einfach umschlug und versank. Ich musste schnell feststellen, dass ein Goldbein fürs Schwimmen nicht gut geeignet ist. Mühsam gelang es mir, in der wilden See die Riemen durchzuschneiden und ohne Bein weiterzutreiben. Ich muss dann eingedöst sein, denn als ich die Brandung hörte, war es schon zu spät. Das Meer schleuderte mich an Land und ich spielte wieder Möwe. Aber der Felsen traf mich, bevor ich das Fliegen gelernt hatte.

Als ich die Augen aufschlug, sah ich in das schöne Gesicht von Pulelehua. 'Ich glaub 's nicht. ich bin im Himmel', krächzte ich und versank erneut in Finsterns. Nun ja, ich war tatsächlich wieder an die gleiche Insel gespült worden. Nachdem ich meine Geschichte den staunenden Insulanern ein paar Mal erzählt hatte, schnitzte mir der Heiler ein neues Bein, aus sicherem Holz, wie er meinte."

Nachdem Käpt'n Braas seine Story beendet sowie den Beifall und einige Freigetränke entgegengenommen hatte, zogen vier kräftige Leichtmatrosen das Holzbein aus dem Tresen, um seinen neuen Besitzer sicherheitshalber zu entfernen und die Gäste konnten sich wieder dem üblichen Ablauf des Abends zuwenden.

Klaas zog dann das Fazit der Abendunterhaltung: "Jetzt können wir sicher sein, dass der Wirt Gold in seiner Kasse hat."
Und der lange Hein zeigte dann, dass er fremde Sprachen ganz gut verstehen konnte, als er meinte: " Bevor dein Schmetterling dich aus dem Gestern ins Morgen abholt, wieso hat Käpt'n Klopp dein Holzbein?".
"Das weiß ich auch nicht, aber ich denke, dem Bein ist im kalten Wasser eingefallen, dass Holz schwimmen kann."

 

Hallo Jo!

Damit du nicht gleich am Anfang mit Lob überschüttet wirst, hier erstmal der Textkram:

Wer das "Inehinei" ansteuern wollte, brauchte sich vor Finsternis oder Nebelbänken nicht zu scheuen. Grölender Gesang durchdrang jede Finsternis wie ein arg verstimmtes Nebelhorn und in der Gaststube trug der Tabakrauch, der wie dichter Nebel über den Tischen hing, für die Wohlfühlatmosphäre.

Ich denke, einmal Finsternis dürfte genügen.
Und ich nehme an, der Rauch trug zur Wohlfühlatmosphäre bei *hust*

In einer ruhigen Ecke saßen Klaas KOMMA der etwas klein geratene Segelmacher

Ihnen schlug kein Glas mehr

???

Häuserbauer

Klingt irgendwie schräg. Fast schwäbisch: Schaffe, schaffe, Häusle baue.

Noch ein Nachschlag: Absätze! Bitte, bitte, bitte! Dann lässt sich das Ganze eine Ecke leichter lesen.

So, genug gemeckert. Ich fand die Geschichte super, solide gesponnenes Seemannsgarn über Wünschelrutenbeine und schöne Südseemädchen.

Auch das Ende hat mir gefallen.

Allerdings weiß ich nicht, ob sich die miesen Gesellen in der Spelunke tatsächlich von einer Geschichte ablenken lassen, wenn Gold auf dem Boden rumkullert. Plausibler wäre es gewesen, wenn Klopp beim Betreten der Kneipe vom Holzbein zur Kasse des Wirts geschleift worden wäre und dann keine Chance mehr gehabt hätte, sich von dort zu entfernen.

Gerne gelesen,

penny

 

Hallo penny_lane,

ich habe deine Idee gleich mal umgesetzt. Das Glas habe ich durch Glasen ersetzt. Dann wirds hoffentlich deutlicher.

Die Absätze in der Geschichte sind nicht übernommen worden, ich habe sie jetzt per Hand nachgetragen.

LG

Jo

 

Hallo Jobär,
ich mach es anders rum als penny-lane, von mir kriegst du erst das Lob und dann die Korrektur. Sind aber nur Flüchtigkeiten.
Deine Geschichte gefällt mir sehr gut, witzig und wunderbar verwickelt.

'Ich glaube, du hast ein Wünschelbein' meinte der Käpt'n lakonisch und damit begann meine Karriere.
Schöne Stelle, so richtig gut daneben!

Und dann das Schicksal des armen Goldbeinträgers - witzig. Hält mich jetzt doch davon ab, mir in Eurokrisenzeiten so ein Bein zu wünschen.

Gut gefällt mir auch die Einführung dieses Querschlägers von einem Holzbein. Da hast du pennys Vorschlag gut umgesetzt. Auch das trocken-humorige Ende gefällt mir gut.
Schön geschrieben und sehr gern gelesen.

Und hier die Flüchtigkeitsfehler:

wirbelte er plötzlich wie ein Derwisch durch die Kneipe bis zum Trsen
Tresen. Vergessenes e in Tresen auch im Satz danach.

mit einem satten Knirschen inden Holztresen
in den

herunfuhr wie eine Windmühle
herumfuhr

Mehr als ein Stöhnen konnte ich nicht leisten.
leisten empfinde ich hier nicht so passend, würde ein anderes Wort wählen.

"Sie hielt mir eine halbe Kokosnussschale
Die Anführungszeichen am Anfang sind glaub ich überflüssig, aber prüfs noch mal nach, falls ich was nicht gerafft habe.

'Mein Bein' schrie ich
'Mein Bein', schrie ich

Als ob es ein eigenes Leben hatte
hätte, Konjunktiv II fände ich hier besser.

gleich ober er aus drei armseligen Silbermünzen
gleich, ob er er aus drei armseligen Silbermünzen

zogen vier kräftige Leichtmatronsen
Leichtmatrosen

So, ich hoffe, du nimmst mir meine Korinthen kackende Genauigkeit nicht übel.
Hab deine Geschichte gern gelesen.

Schöne Grüße vom Novak

 

Hallo Novak,

vielen Dank für dein Lob. Freut mich, dass mit trockener Humor ankommt. Die Fehler habe ich hoffentlich alle erwischt. Man sollte auch bei Korrekturen die Rechtschreibprüfung einschalten.

LG

Jo

 

Moin jobär,

ja, das nenne ich ordentlichen Seemannsgarn ;). Besonders der Anfang hat mir sehr gut gefallen.

und schaute Käpt'n Braas ins wettergegerbte und vor lauter Bart kaum erkennbare Gesicht: "Ich hab mal gehört."
"Was hast du mal gehört?" Der Wirt hörte auf zu tanzen, alle Ohren wandten sich Klaas zu und erhofften ein ordentliches Garn.

Finde ich fantastisch albern.

Eine kleine Bemäkelung meinerseits - kann das Mädchen den Käpt'n nicht duzen? Wäre für meinen Geschmack ne Spur exotisch-insulanischer.

Ansonsten: schön, schön ...

Lg fvg

 

Hallo fvg,

exotisch ist gut, also lasst uns duzen - das Sie ist ja wohl auch eine deutsche Erfindung, um die Höflichkeit gegenüber älteren, größeren und sonstwie erhabenen Menschen auch in der Sprache zu verdeutlichen.

Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

LG

Jo

 

Ahoi, jobär!

Seemannsgarn von der ersten Zeile an. Kompliment!
Da grölt „Gesang“ durch jede Finsternis und doch gibt es im Inehinei eine ruhige Ecke; einen Typen mit „fußbodenlangem“ Bart (hab sofort meinen Flur vermessen, um mir ein Bild zu machen)
und es wird was an die Tampen gehängt. :D
Ja, so muss Seemannsgarn sein.

Die Geschichte um ein nach Gold wünschelrutendes Holzbein hat mir gefallen.

Lieben Gruß aus der Brig

Asterix

 

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