Neulich im Flugzeug
Eigentlich fahr ich ja gerne Auto. Die jüngste Kombination Wohnen in Köln – Arbeiten in München und Lieben in Hamburg brachte es jedoch mit sich, dass ich inzwischen der geneigten Vielflieger-Kundschaft der Lufthansa angehöre und zweimal pro Woche über den Wolken schwebe, wo das Leben ja ganz wundervoll sein soll, wenn man Reinhard Mey Glauben schenkt.
Reinhard Mey fliegt wohl nicht mit der Lufthansa.
Nun könnte man der Lufthansa zugute halten, dass sie immer noch pünktlicher ist, als die Deutsche Bahn, deren Pünktlichkeitsoffensive nach meiner bescheidenen Meinung nur von McKinsey-Beratern stammen kann, denn sie macht auf dem Papier viel her, hat jedoch mit der Realität null komma gar nichts zu tun.
Allerdings kann man bei der Bahn einfach einsteigen. Das gleiche Vorhaben – nämlich einsteigen – gestaltet sich beim Flugzeug ungleich komplizierter. Das kann man schon am anderen Namen erkennen, es heißt nämlich nicht einsteigen, sondern 'boarden' und vor dem 'boarden' muss man 'einchecken'. Sprich: man ist zwar im Besitz eines gültigen Tickets, hat auch Wochen im voraus gebucht, aber einsteigen kann man mit diesem Ticket nicht, sondern muss es vorher am Schalter in eine Bordkarte umtauschen. Und wie das in Deutschland so ist: wo immer sich ein Schalter befindet, steht davor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Warteschlange. Und diese Warteschlange muss der deutsche Fluggast einkalkulieren. Es reicht nämlich mitnichten aus, die von der Lufthansa geforderten 35 Minuten vor dem Beginn des Linien-Fluges anwesend zu sein – nein, man muss bis dahin auch die Warteschlange hinter sich gebracht haben und im Besitz einer gültigen Bordkarte sein.
Meine Freude war daher fast grenzenlos, als ich erfuhr, dass die Technik auch auf deutschen Flughäfen vorangeschritten war. Für Kreditkarteninhaber nämlich hat die Lufthansa inzwischen viele hübsche bunte Automaten aufgestellt (im Lufthansa-Jargon 'Quick Check-In' genannt), die bei Fütterung mit der Kreditkarte umgehend die heiß begehrte Bordkarte ausspucken. Technik, die begeistert.
Es sei denn, man hat Gepäck dabei. Und - ihr werdet es ahnen – ich habe Gepäck dabei, da es mir nicht vergönnt ist, meine Pretitiosen in einem Koffer unterzubringen, der den strengen Anforderungen der Lufthansa an Handgepäck (40x80x40 cm) Genüge leistet. So stehe ich dann nach dem Quick-Check-In wieder – ja, genau – in der Warteschlange, um den Koffer loszuwerden. Die Dame vor mir – so stellt sich heraus – will gar kein Gepäck abgeben, sondern nur sicherstellen, dass ihr Beauty-Case mit ins Handgepäck darf. Dieses Bedürfnis scheint mir nur allzu verständlich. Wenn man schon seine Schönheit extra in einem Köfferchen verpackt, statt sie im Gesicht zu tragen, will man ja schließlich auch sichergehen, dass sie heil und unversehrt ankommt.
Doch selbst nach dieser Prozedur ist das 'einchecken' noch nicht vorbei, denn auch der Mensch an sich will ja genauestens dahingehend überprüft werden, ob er möglicherweise zur Gattung der Flugzeugentführer bzw. Bomben-Attentäter gehört. Also ab durch den Metall-Detektor. Der übrigens sehr launisch ist. Denn obwohl ich in der Regel keinerlei Bomben, Handgranaten oder ähnliche Utensilien bei mir trage, piepst dieses Ding mit schöner Regelmäßigkeit munter drauflos, was mir nicht nur die abschätzenden Blicke der Mitreisenden beschert, sondern auch eine genaue Untersuchung nach sich zieht. Vom gestrengen Blick einer weiblichen Untersuchungs-Beauftragten an die richtige Stelle gelenkt, werde ich auch umgehend aufgefordert, meine Arme seitlich auszubreiten und regungslos zu verharren. Etwa in Brusthöhe piepst das Untersuchungsgerät (wie nennt man eigentlich diese Dinger, die einer überdimensionalen Lupe gleichen?) wiederum. 'Tragen Sie einen Bügel-BH'? brüllt die Untersuchungs-Dame mir entgegen. Die abschätzenden Blicke der Mitreisenden wandeln sich zu einem süffisanten Grinsen und insbesondere die männlichen Beobachter dieser Szene lassen eine gewisse Neugier im Blick erkennen. 'Äh – ja' stammele ich unter heftiger Errötung. 'Na, dann ist alles in Ordnung, gehen Sie weiter'. 'Fein', denke ich, 'nun sind also alle über die Beschaffenheit meiner Unterwäsche bestens informiert. Fehlt nur noch, dass die Lufthansa via Leuchtschrift auf dem Monitor verkündet: 'Wir wünschen einen angenehmen Flug mit Lufthansa – ach ja, und für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Petra trägt heute einen Bügel-BH'.
Möglichst schnell will ich diesen Ort der Peinlichkeit verlassen und strecke meine Hände nach der frisch durchleuchteten Laptop-Tasche aus, doch wieder greift ein Untersuchungs-Beamter ein. 'Ist das Ihre Tasche'? fragt er mit ernstem Blick. 'Ja, wieso?' entgegne ich und überlege gerade, was wohl am Mitführen von Laptops auszusetzen sei, als ich die nächste Aufforderung erhalte 'Schalten Sie ihren Laptop bitte ein'. 'Aha, sie denken also, dass ich die Bombe im Laptop versteckt habe' kommt es mir in den Sinn. Ohne diese Vermutung jedoch laut zu äußern, schalte ich den Laptop ein. Ein freundliches Piepsen und der Laptop startet. 'Ja danke, schalten Sie den Laptop wieder aus und gehen Sie weiter' sagt der Untersuchungs-Beamte mit entspannten Gesichtszügen. Was hatte er wohl erwartet? Etwa dass der Laptop meldet: 'Achtung, dieser Laptop ist gar kein Laptop, sondern eine Bombe und Petra ist eine ganz eine fiese, dreckige und hinterhältigte Terroristin?'. Ich weiß es nicht – jedoch weiß ich genau, was mich im Büro erwartet, nämlich die Schelte meines Laptops, dass ich ihn nicht ordnungsgemäß heruntergefahren habe und er deshalb nicht die üblichen fünf, sondern mindestens 15 Minuten zum Hochfahren braucht, weil er zunächst das System prüfen muss. Hallelujah!
Die Durchleuchtungs-Arie kann jedoch auch ihre humorvollen Seiten haben. Als ich nämlich gegen Ende des letzten Jahres zu einem Flug nach Hamburg startete und den als Geschenk für den Liebsten mitgeführten Überraschungs-Eier-Adventskalender durch das Gerät schob, kringelten sich die Überwachungs-Beamten vor Lachen. Auf meine Frage hin, was denn da so lustig sei an meinem Gepäck, kam die entwaffnende Antwort: 'Och, eigentlich nichts, aber wenn Sie wissen wollen, was in Ihren Überraschungs-Eiern steckt, werfen Sie doch mal kurz einen Blick auf unseren Monitor.' Und tatsächlich war genau zu erkennen, welche der 24 Eier eine Figur enthielten. Hätte ich das nicht gleich meinem Liebsten erzählt, ich glaube, er würde heute noch rätseln, woher ich wusste, was ihn als Inhalt des vierundzwanzigsten Ei erwartete.
Zurück aber zum Boarding. Es erschallt die freundliche Benachrichtigung der Lufthansa-Dame, dass der Flieger jetzt zum einsteigen bereit sei. Als alter Vielflieger-Hase weiß ich natürlich genau, was jetzt kommt: Genau – eine Warteschlange. Während also dreiviertel der Fluggäste in der Schlange stehen, bleibe ich ruhig im Wartesaal sitzen, wissend, dass ich sowieso einen Platz am Gang erwischt habe und niemand wieder aufstehen muss, wenn ich den mir zugeteilen Sitz einnehmen möchte. Als ich mich dann schließlich nach 10 Minuten in den letzten Rest der Schlange einreihen möchte, knurrt mir ein älterer Herr entgegen, dass ich mich doch bitte ordnungsgemäß hinten anstellen möge. Mein freundlich vorgebrachter Hinweis, dass der Flieger dadurch auch nicht schneller starte, beeindruckt ihn nicht und da ich bereits unfreiwillig als Bügel-BH-Trägerin geoutet wurde, möchte ich nun nicht auch noch als Vordränglerin gelten und stelle mich brav an das Ende der Schlange.
Irgendwann ist es dann tatsächlich soweit, dass alle ihr Handgepäck verstaut, ihren Platz eingenommen und sich ordnungsgemäß angeschnallt haben (wobei uns die Lufthansa selbst das nicht zutraut, denn jedesmal wird das Öffnen und Schließen des Gurts wieder für die ganz Doofen erklärt und nebenbei auch erläutert, dass im wohlgemerkt unwahrscheinlichen Falle eines Druckabfalls in der Kabine die Sauerstoffmaske an Mund und Nase und nicht etwa an den Popo zu halten sei) und der Flug kann beginnen.
Über den Wolken, wo die Freiheit fast grenzenlos ist, dann das nächste Phänomen: der Deutsche an sich trinkt gerne Tomatensaft. Aber nur, wenn er fliegt. Ich persönlich kenne nämlich niemanden, der im heimischen Kühlschrank Tomatensaft vorrätig hätte. Ich habe auch noch nie jemanden im Restaurant oder sonstwo Tomatensaft trinken sehen. Nur im Flieger sind sie alle ganz wild auf Tomatensaft. Dabei scheint es keinen zu stören, dass eben jener im Falle von Luftlöchern ganz fiese Flecken auf dem von Mami mit Liebe und Sprühstärke gebügelten weißen Hemd hinterlassen könnte. Angesteckt von dieser Tomatensaft-Orgie unterzog auch ich mich jüngst einem Selbstversuch, aber ich kann euch versichern: Tomatensaft schmeckt über den Wolken keinen Deut besser als am Boden.
Auch die Landung ist geprägt vom dringenden Bedürfnis des Deutschen, erster zu sein. Die Triebwerke sind noch nicht ganz ausgeschaltet, da stürmen die ersten Fluggäste auf die Handgepäck-Stauräume zu und suchen hektisch nach ihren Habseligkeiten. Und das gilt wohlgemerkt nicht nur für die Menschen mit Sitz direkt am Gang – nein – auch die Mittelsitz-Inhaber drängen hinterher, quetschen sich zwischen die bereits stehenden Gäste und wuchten ihren Trolley aus dem Gepäckfach, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass auch der Fensterplatz-Inhaber inzwischen Richtung Gang nachgerückt ist und den Trolley mit voller Wucht gegen die Nase bekommt. Nach dieser Hektik stehen dann wieder alle für mindestens 10 Minuten regungslos im Flieger. Nur ich sitze noch und blätter gemütlich in meiner Zeitschrift, da ich - Vielflieger-Hase wie ich bin - natürlich weiß: die Lufthansa braucht mindestens 10 Minuten, um die Flugzeug-Tür zu öffnen. Im Flughafengebäude zeigt sich dann schließlich, wer sich im im Flieger am besten durchsetzen und sich den Spitzenplatz am Gepäckband sichern konnte. Spätestens dann hat sich der Einsatz und der Abdruck der Trolley-Rolle auf der Nase eindeutig gelohnt, bedeutet dies doch, dass man sein Gepäck mindestens eine halbe Minute eher vom Band nehmen kann als die ollen Trödler, die ihren Koffer erst nach einer halben Umrundung in Empfang nehmen können. Zeit ist Geld und Geld ist knapp. Nicht bedacht haben die Spitzenplatz-Inhaber jedoch, dass der optimale Platz am Gepäckband nicht wirklich Einfluss darauf hat, welcher Koffer zuerst auf dem Band erscheint. Die Logiker unter uns werden es schon ahnen: last in - first out, sprich: wer zuletzt eingecheckt hat, dessen Koffer erblickt ganz zu Beginn das Licht des Bandes. Während also die Spitzenplatzinhaber immer noch voller Ungeduld Koffer um Koffer an sich vorbeiziehen lassen, hat Madame längst den ihrigen geschnappt und ist von dannen gedackelt - nicht ohne dabei lässig und mit einem Lächeln auf den Lippen an den immer noch wartenden Spitzenplatzinhabern vorbeigeschlendert zu sein, versteht sich.
Auch während der Gepäckband-Phase allerdings bleibt der geneigte Fluggast nicht vom Piepsen verschont. Diesmal jedoch nicht aus einem Untersuchungsgerät, sondern aus diversen Hosen- und Jackett-Taschen. Verschreckt zücken die Inhaber der piepsenden Hosen und Jacketts ihr Handy, um nachzuhören, was während der unermesslichen Zeitspanne von genau 50 Minuten passiert ist, ohne dass sie erreichbar gewesen wären. Die Welt könnte schließlich ohne ihr Wissen untergegangen sein. Und dann ist es doch nur Mutti, die ausrichten lässt, das der Göttergatte seine Socken vergessen hat.
Lieber Reinhard Mey, ich empfehle dir dringend, einen innerdeutschen Linien-Flug hinter dich zu bringen und ich bin sicher, anschließend wird dir dein Lied nicht mehr so unbeschwert über die Lippen kommen.
P.S: Sollte übrigens im Verlaufe dieses Tatsachen-Berichts der Verdacht aufgekommen sein, ich würde speziell die Lufthansa nicht mögen, so täuscht das. Ich liebe die Lufthansa. Seit ich mit Iberia nach Spanien geflogen bin.
Petra