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Neuland

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19.05.2003
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Neuland

Bevor man seine Zelte abreißt und den Lagerplatz verläßt, um nie wieder dorthin zurückzukehren, sollte man prüfen, ob man auch wirklich gehen will.
Ich habe die Heringe aus dem Boden gezogen, mein Zelt fein säuberlich zusammengelegt, meinen Lageplatz aufgeräumt und bin voll Enthusiasmus davongeschritten in einen dunkelroten Sonnenuntergang und in eine Zukunft, von der ich sicher war, daß sie schöner selbst als dieses Dunkelrot sein würde.
Jetzt bin ich hier und kann nicht mehr zurück. Ich kann es nicht, weil ich mein Gesicht verlieren würde, vor denen, die ich zurückgelassen habe. Außerdem weiß ich, daß es hier besser für mich ist. Es ist größer, pluraler, farbiger, aufregender, offener, atemberaubender, herausfordender, cosmopolitischer. Es ist Mehr. Es ist ich.
Aber es ist nicht Heimat. Ich kann nicht zurück. Ich habe vergessen, wo es ist, wo ich hergekommen bin. Ich bin so voller Zuversicht aufgebrochen, daß ich mir den Weg nicht gemerkt habe, ich habe meinen Lagerplatz so gründlich aufgeräumt, daß ich nicht mehr weiß, wie er ausgesehen hat. Mein kleines Zelt habe ich auf dem Weg mit jemandem getauscht, der genau in die andere Richtung wollte. Ich bekam dafür eine größeres, ein farbigeres, ein aufregenderes.
Ich weine, ich schaue in mich hinein, um etwas von diesem Ort in mir zu finden, so daß ich etwas Ähnliches suchen kann. Aber alles was ich entdecken kann, sind vage Umrisse, aus deren Silhouette ich nicht einmal schließen kann, ob Baum oder Stuhl, ob Fluß oder See, ob Gras oder Erde. Und es steigen Gefühle in mir auf, die ich dort durchlebt habe. Der Preis einer Erinnerung ist -so sagen die Leute- die Erinnerung an den Schmerz, die sie mit sich trägt. Aber selbst diese Erinnerung ist wunderschön. Sie ist nicht vage wie die Bilder, nein, sie ist atemberaubend. Doch es ist nichts da, an dem ich sie festmachen könnten. Und das macht sie trostlos.
Ich habe in meinem Leben noch nicht viel gelernt, aber ich habe eine Lektion erhalten, die nicht jeder in seinem Leben erhalten darf: Ich bin nur dort ich, wo ich mich fühle. Überall anders bin ich Nichts. Denn das ist die einzige Möglichkeit als Mensch Nichts zu sein: Wenn man sich nicht fühlt.
Darum reiße ich hier meine Zelte ab, um zu suchen, nicht, um den Ort zu suchen, von dem ich kam - nein,ich weiß, ich werde ihn nicht finden, ich habe ihn zu sehr verletzt - sondern einen Ort, an dem ich wieder bin, einen Ort, an dem ich wieder fühle.

 

Hallo luthien,

dein Text ist wortgewaltig und gleichzeitig berührend und sensibel. Ja, Zelte abbrechen, etwas zurücklassen, dass später unauffindbar wird, obwohl man danach Tränen vergießt. Kurz, pregnant, bleibend - das ist deine Geschichte für mich.

Liebe Grüße - Aqua

 

Hallo luthien,
kann mich Aqualung nur anschließen! Super!

 

hi luthien & herzlich willkommen,

schöne worte, soweit ich das beurteilen kann.
schönes thema - sehr aktuell und so ziemlich jeden betreffend, oder? *smile*

bye

barde

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich beeindruckt von der gedanklichen Tiefe, von der philosophischen und menschlichen Macht deines Textes. Viel von jedem Menschen, viel von jedem Leben steckt in diesem tollen Bild. Die Idee ist wunderbar, die Formulierungen teilweise auch.

Als Kritikpunkte ist höchstens zu nennen, dass der Geschichte in manchen Punkten ein Zusammenhang fehlt. Sie wirkt teilweise strukturlos. Vielleicht kommt mir das nur so vor, vielleich täusche ich mich. Und - bei der Sprache und dem Thema - ist die Kürze vielleicht zu groß, bzw. (*g*) der Text schlicht zu kurz. Vielleicht liegt das aber einfach nur daran, dass ich mich über einen längeren Text sehr gefreut hätte. :)

Alles in allem wäre es aber eine glatte 2 in Schulnoten oder 11 Punkte im Punktesystem. *gg*

Weiter so!

 

Hallo luthien,

Dein Text hat sehr viel Tiefe, genau, wie ich es mag. Du beschreibst eine Gefühlswelt, siedelst Deine Kurzgeschichte in ihr an und läßt die Äußere Handlung mehr weg (so hab ich die Geschichte jedenfalls empfunden). Und genau das gefällt mir. Auch die Länge ist genau richtig.
Kann nichts zum Meckern finden... ;)

Griasle,
stephy

 

Danke euch allen. Solche Kritik macht Spaß und ermuntert zum Weitermachen....:D

 

Servus Luthien!

"Es ist ich".

Es ist von nichts abhängig, von keinem Ort, nicht von den Gezeiten oder anderen Menschen. Es ist ich - an jedem Ort der Welt, allein oder in Gemeinschaft. Und dann sind da doch so viele Zweifel die in diesen Text einfließen ...

Die Geschichte ist schön, weil sie intensiv ist, vieles anspricht. Es ist die Kraft des Schmerzes und des Zurückwollens ebenso spürbar wie die des Weitergehens und die Reibung die dazwischen ensteht.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Hallo Luthien,
es war witzig, deine Geschichte zu lesen, ich habe dabei auf meine eigenen Grdanken geachtet und ich muss dir sagen, ich kam immer wieder in die Versuchung, deinen Erzähler als kleines, frisch geborenes Baby vor mir zu sehen, dass zurück in den Bauch will. :)
Wirkich eine klasse Geschichte die zum Nachdenken anregt.

 

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