Neues Leben aus der Tiefe dringt
Ich quake, und die Enten quaken zurück.
Der Teich ist fast völlig zugefroren. Mein Atem bildet eine weiße Wolke, die sich langsam mit dem schwarzen Himmel über dem Park vereint.
Heute ist der 21. Dezember. Es ist der kürzeste Tag, es ist die längste Nacht, aber erst in drei Tagen feiern die Menschen das, was aus dem Fest der Wintersonnenwende geworden ist. Dafür wissen die meisten ganz genau, welchen Einfluss der Jupiter auf ihr Liebesleben hat.
Ich schalte mein Handy ab, hole eine Kerze aus der Tasche und entzünde sie.
Reif bedeckt die Wiese, die den ganzen Tag in den langen Schatten der Bäume gelegen hat. Das kleine Licht von der anderen Seite nähert sich.
In der Mitte treffen wir zusammen.
Ich spreche die ersten Worte. »Wir grüßen die Götter und Geister, unsere Mutter Erde und alle Wesen, die mit uns sind.«
»Heil allen hochheiligen Göttern«, kommt ihre Antwort.
»Hi Anny.«
»Hi.«
Wir stellen die Kerzen vor uns ab.
»Ich hab noch ein paar Geschenke eingekauft«, sagt Anny.
»Hast du jetzt alles?«
»Ich denke schon.«
»Also dann.«
»Also dann.«
Ich hole Luft und beginne: »Heute vor einem halben Jahr haben wir hier Mittsommer gefeiert – und es war eine ziemlich heiße Nacht, wenn ich das sagen darf ...« Dabei kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Seitdem wurde das Tageslicht weniger, bis es jetzt die dunkelste Zeit erreicht hat, den Tiefpunkt des Jahresrades, an dem der Weg vollendet ist und von neuem beginnt.«
»Wenn Winter Eis und Kälte zwingt, und Dunkelheit das Leben streift ...«, beginnt Anny das alte Gedicht, und ich ergänze: »... schon neues Leben aus der Tiefe dringt und tief verborgen neuer Frühling reift.«
Anny fährt fort: »Heute feiern wir das Julfest. Wir feiern die Vollendung des Jahresrades und den neuen Anfang, die Wiedergeburt der Sonne, des Lichts und des neuen Lebens. Leider ist es für Fruchtbarkeitsrituale zu kalt.«
»Aber wir haben ja unser warmes Zuhause«, merke ich an.
»Und den Met«, sagt Anny, holt die Flasche hervor und stellt sie neben ihrer Kerze ins Gras.
»Und den Met«, lache ich.
Anny bleibt ernst und setzt das Ritual fort: »Wir gedenken unserer Ahnen. Sie leben weiter in der Erde, von der sie wieder ein Teil geworden sind. Wir gedenken heute, wenn wir das neue Leben begrüßen, derer, die ihren Lebenskreis schon vollendet haben.«
Wortlos löschen wir unsere Kerzen und schweigen einen Moment. Um uns sind die fernen Geräusche der Zivilisation, deren Teil wir sind.
Es ist Zeit, das neue Licht zu entzünden. »Der Kreis ist vollendet, ein neuer Kreis beginnt.«
Anny zündet ihre Kerze an und nimmt sie in die Hand. »Wir entzünden das Feuer der Schöpfung. Flamme wachse an Flamme, so dass Wärme, Licht und Leben glühen und nicht verlöschen vor der Zeit.«
Ich nehme meine Kerze und gehe zu meiner Partnerin. An ihrer Flamme entzünde ich mein eigenes Licht. »Dies ist das erste Licht des neuen Jahres. Der Kreis des Lebens schließt sich. Wir danken den Göttern und Göttinnen, der Erde und den Ahnen für das Leben, das wir durch sie haben.«
Etwas klappert.
»Das sind meine Zähne«, sagt Anny.
»Dann verschieben wir das mit dem Met auf später.«
»Gut.«
Wir packen Kerzen und Flasche ein und marschieren zur Bushaltestelle.
In einiger Entferung quaken die Enten. Vielleicht haben sie auch irgendwas zu feiern.
(frei nach einem heidnischen Ritual)
Ich wünsche mit dieser Geschichte allen Lesern schöne Festtage - was immer ihr feiert.