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Neue Zutaten
An diesem Abend würde es mit dem Trinkgeld schwierig werden.
„Es tut mir aufrichtig Leid, mein Herr“, sagte Viktor, „ich werde selbstverständlich dem Koch Bescheid geben ...“
„Ein unglaublicher Laden ist das hier“, schimpfte sein Gegenüber, „ich meine, lässt der Kerl das Essen absichtlich verbrennen?“
Natürlich Dickerchen, dachte Viktor, das ist sein Hobby.
„Mein Herr“, sagte er, „Sie bekommen selbstverständlich eine neues Steak. Ich werde gleich in die Küche ...“
„Das will ich auch hoffen“, unterbrach ihn der Gast.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf seinen Teller. Einige der anderen Gäste blickten zu ihnen hinüber. Viktor räusperte sich.
„Mein Herr, darf ich mir erlauben, Ihnen etwas ganz Besonderes anzubieten. Eine Spezialität des Hauses, als Entschädigung, sozusagen“.
Der Gast blickte ihn an.
„Eine Spezialität?“
„Einen Wein. Ein ganz besonderer Tropfen“.
„So so. Und was ist daran so besonderes?“
Viktor lächelte.
„Das, mein Herr, werden Sie Erkennen, wenn Sie ihn kosten.“
„Na, dann tischen sie mal auf.“
„Sehr wohl, mein Herr.“
Viktor nahm den Teller mit dem verbrannten Steak an sich.
Diese Sorte Gast kannte er nur zu gut. Leicht erregbar, aber ebenso leicht zu besänftigen, solange man nur irgendetwas Exklusives versprach. Bei solchen Typen hatten die Eltern wohl früher Liebe mit Geschenken verwechselt.
Und ein Geschenk würde dieser Typ bekommen, oh ja.
Viktor stiess die Tür zur Küche auf.
„Deine Steaks sind verbrannt!“, rief er.
Karl, der Koch, blickte nur kurz auf.
„Mann, das kann ja mal passieren!“
„Und ich darf jetzt wieder den Diplomaten raushängen lassen!"
Viktor wischte sich den Schweiss von der Stirn. Unglaublich, diese Hitze. Der Herdplatten glühten wie Vulkane.
„Sei doch froh. Haste mal einen Grund mehr, mich zu besuchen“, sagte Karl, „gehste jetzt wieder in den Keller? Den guten Tropfen holen?“
„Was glaubst Du?“
Viktor öffnete einen Küchenschrank. Er kramte ein Karaffe und einen Metallhaken heraus.
„Ich brauche ein neues Steak. Und diesmal bitte nicht verbrannt.“
Anstatt zu antworten, starrte Karl auf den Haken.
„Für was schleppste denn das Ding mit?“, fragte er.
„Muss den Reifegrad kontrollieren“, meinte Viktor, als er die Tür zum Keller öffnete, „und denk daran, dass Steak diesmal richtig blutig!“
Er stieg die Treppe in den Keller hinunter. Die Geräusche und die Hitze der Küche rissen schlagartig ab, als die Tür sich hinter ihm schloss.
Viktor war gerne im Keller. Hier musste er keine Höflichkeit heucheln, keine Hitze aushalten. Hier unten gab es nur Stille, Kühle – und das Fass. Es stand an der hinteren Wand, zwischen einem Regal und einem Stapel Kisten.
Viktor nahm den Deckel herunter. Mit dem Haken stocherte er im Wein herum bis er auf Widerstand stieß, dann zog er ihn mit einem Ruck heraus. Ein Fleischklumpen hing daran.
„Sehr schön“, murmelte Viktor.
Das Bein, das er vor ein paar Monaten zusammen mit Karl in dem Wein eingelegt hatte, musste mittlerweile völlig vom Wein durchtränkt sein. Gut für's Aroma.
Viktor liess den Klumpen zurück in das Fass plumpsen. Dann schöpfte er mit der Karaffe etwas Wein aus dem Fass und schwenkte sie unter seiner Nase. Es roch nach Alkohol, mit einem Hauch von Käse.
„Perfekt“, dachte er.
Sorgfältig verschloss er das Fass. Dann nahm er Haken und Karaffe und machte sich auf den Rückweg. All zulange sollte man seine Gäste nicht warten lassen.
Der Gast schnupperte an dem Wein.
„Riecht ... eigenartig. Aber immerhin hat Ihr Koch das Steak diesmal nicht verbrennen lassen.“
Er nippte an dem Wein.
Er sog Luft hindurch.
Er schluckte.
„Das ist ja ... faszinierend“, sagte er, „dieses Aroma im Abgang. Ganz einzigartig.“
Seine Schweinsäuglein glänzten.
„Nein wirklich. Wo haben Sie den her?“
Viktor lächelte.
„Der ist von ... einem Freund. Ein kleines Weingut. Nicht sehr bekannt“, sagt er.
Der Gast nahm noch einen Schluck.
„Donnerwetter, ist der gut. Sagen Sie mal ... wäre es möglich, dass ich mal privat ... also, eine private Weinprobe dort bekommen könnte?“
Viktor lächelte noch mehr. Er dachte an das Fass und den Haken und das Bein. Warum eigentlich immer ein Bein? Warum nicht mal eine Hand probieren? Oder eine Bauchdecke?
„Natürlich, mein Herr“, sagte er, „ich werde es in die Wege leiten ...“