Was ist neu

Neuanfang

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05.08.2003
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Neuanfang

Mir ist kalt. So kalt, dass ich selbst die Zigarette kaum anbekomme, weil mir die Finger zittern. Ich hatte mich schon oft darüber gewundert, dass meine Körpertemperatur so schnell auf meine psychische Verfassung reagiert, die Kälte von innen unweigerlich nach Außen dringt. Einmal mehr stehe ich am Ende eines Abschnitts und sehe gleichzeitig einem neuen Anfang entgegen. Doch noch nie war mir dabei so bitter kalt. Gibt es in dieser Abflughalle noch jemanden, der friert? Ich versuche, die Gesichter der anderen Fluggäste zu deuten, doch irgendwie gelingt es mir diesmal nicht, die Stimmungen aufzunehmen, bin wohl doch zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Das wievielte Mal sitze ich nun schon mit meinen paar Habseligkeiten in zwei Koffern verpackt in einem Flughafengebäude und lasse mein Leben hinter mir? Aber das ist nicht die eigentliche Frage, die mir in den Kopf kommt, vielmehr ist es dieses Gefühl, dass diesmal alles anders ist. Das „Hinter-sich-lassen“ ist so übermächtig und Angst einflössend, dass die Freude auf den Neubeginn im Strudel der Gefühle gänzlich untergeht.
Was war früher anders? Wieso konnte ich nicht diesmal fröhlich und erwartungsvoll meinem neuen Lebensabschnitt entgegen sehen? Darauf war ich doch immer so stolz, alles mir nichts dir nichts hinter sich zu lassen und konsequent voll Unabhängigkeit strotzend meinen neuen Lebensweg einschlagen. Keine Kompromisse machen, der Langeweile entgehen, dem Alltag keine Chance lassen….war das nicht immer das Ziel? Kontinente habe ich gewechselt, neue Sprachen gelernt, Freundschaften geschlossen und Freunde verlassen. Seit meinem 25. Lebensjahr war ich nie länger als 3 Jahre an demselben Ort, wollte immer wieder was Neues entdecken und mich weiterentwickeln. Furchtlos mit den 2 Koffern in der Hand immer wieder in eine neue Welt, mit neuen Menschen, neuer Arbeit, neuer Kultur und neuem Selbstwustsein.
Wieso nur ist mir so kalt? Diesen Gedanken in meinem Kopf versuche ich zu verdrängen, aber es gelingt mir nicht. Dieser Gedanke, der mir so viel Angst macht, der meine Ziele in Frage stellt, ja, mein gesamtes Leben in Frage stellt.
Flucht….
Mein Flug wird aufgerufen, endlich. Es wird Zeit, zu gehen, mal wieder. Ich versuche, mich auf den Neuanfang zu freuen, wenn mir doch nur nicht so kalt wäre……

 
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Hallo katjawa,

zunächst ist mir aufgefallen, dass dein Ich-Erzähler geschlechtslos zu sein scheint - zumindest für den Leser bleibt er das, ich weiß nicht ob es eine Frau oder ein Mann ist. (Oder hab ich was überlesen?) Vielleicht solltest du das Geschlecht irgendwo klarmachen? Es ist zwar eigentlich nicht besonders wichtig, aber es trägt dazu bei, sich was vorstellen zu können. Wie kann man das bei einem Ich-Erzähler machen? Zum Beispiel, indem sie ihre Lippen nachzieht, statt zu rauchen, dabei kann man wahrscheinlich auch ordentlich zittern.

Deine Ich-Erzählerin (ich nehme mal an, sie ist weiblich) flieht offensichtlich vor irgend etwas. Vielleicht vor sich selbst. So ganz klar wird es nicht. Es hält sie nirgends lange. Vielleicht solltest du noch mal drüber nachdenken, vor was genau sie flieht? Hat sie Angst, sich auf einen bestimmten Menschen einzulassen, sich an jemanden zu binden? Angst, so spießig zu werden wie die Nachbarn? Angst vor der Langeweile, die sie in ihrer Jugend so oft gespürt hat, und bei der sie glaubt, dass sie zum Selbstmord führen könnte?

Ich glaube, etwas mehr Stoff wäre da gut. So reißt du die Geschichte nur an, finde ich. Es steckt noch viel mehr da drin.

Noch was Sprachliches:
- meinem neuen Lebensabschnitt
- meinen neuen Lebensweg
Das sind abgegriffene Ausdrücke aus Lebenshilfe-Büchern, verzeih mir.
- meine psychische Verfassung
Das ist ein sehr theoretischer Ausdruck. Vielleicht gibt es etwas, was nicht so sehr nach Arztbericht klingt (Der Patient war in schlechter psychischer Verfassung: Das schreibt vielleicht ein Arzt. Wenn es mir schlecht geht, denke ich eher: Dass es mir so kalt wird, wenn mir elend ist. Oder sowas.)

Die Protagonistin ist in einer Abflughalle. Sie friert. Ich glaube, du könntest die Atmosphäre verstärken, wenn du die Halle noch etwas beschreibst. Flugzeughallen wirken ja meistens nicht besonders heimelig, eher anonym und kühl. Das könnte zur Stimmung der Protagonistin passen.

Entfernt erinnert mich deine Story übrigens an die Geschichte "Pappkartons" von Raymond Carver. Da geht es um eine alte Frau, die ständig umzieht. Die ist 20 Seiten lang. Wie gesagt: Es steckt noch mehr in diesem Thema....

Grüße,
dein Stefan

 

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