Was ist neu

Nerissa und Nelia - meine erste Kurzgeschichte

Mitglied
Beitritt
04.07.2012
Beiträge
2

Nerissa und Nelia - meine erste Kurzgeschichte

Nerissa und Nelia

„Weißt du, Nelia“, sagt Nerissa und streicht mit einer sachten Bewegung eine vorwitzige, golden schimmernde Locke hinter ihr Ohr, „am liebsten würde ich das Ganze ja sein lassen. Oder später erledigen. Ich finde, es gibt Wichtigeres zu tun!“ Sie fasst ihre Haare zusammen und bindet sich einen Zopf oben am Hinterkopf. Ein paar Strähnen fallen seitlich heraus, und seltsamerweise gefällt sie sich in dem Moment fast, als sie ihr Spiegelbild fixiert.
Nelia lacht leise. „Es gibt immer Wichtigeres, darüber haben wir doch hundertmal gesprochen. Aber manchmal muss man Prioritäten setzen...“
Nerissa unterbricht sie genervt. „Du klingst wie Nora. Dieses typische Eltern-Gelaber. Erstmal eine vernünftige Ausbildung, bla bla bla...“ ahmt sie ihre Mutter nach.
Die Kerze auf der antikgebeizten, wuchtigen Kommode flackert, als wäre urplötzlich eine negative Stimmung in den Raum gedrungen. Wachstropfen bahnen sich ihren Weg an der Kerze nach unten. Wie Tränen...
„Entschuldige, Nelia!“ flüstert Nerissa. „Du möchtest gern studieren, oder?“
Aber Nelia ist nicht böse oder verstimmt. Das ist Nelia nie, und Nerissa beneidet sie oft um ihre Gelassenheit.
„Weißt du, Nelia, man denkt ja immer, man hätte ewig Zeit. Aber was ist wenn morgen auf einmal Stückchen Erde fehlt? Dann können wir da nicht mehr hin. Also müssen wir es jetzt tun, solange es noch da ist.“
Nerissas Ohrringe baumeln und glitzern silbrig; der Kontrast zu ihrer schwarzen Kleidung sieht schön aus. „Du immer in Schwarz, Nerissa!“ sagt Nelia fast jeden Morgen.
Nerissa mag schwarz und dunkelrot.
Nelia schrille Töne.
Aber bei Musik sind sie sich einig. Ihr beider Lieblingssong ist Only an Ocean away. Eventuell mag Nerissa es ein klein wenig lieber. Sie hört es häufiger, besonders in der letzten Zeit.
Gerade tönt es auch durch das dunkle, nur in Kerzenschein gehüllte Zimmer.
Nerissa steht gern vor dem Spiegel, nicht weil sie sich so attraktiv findet, sondern weil sie gerne beobachtet. Andere und sich selbst. Das ist manchmal spannender als ein Roman. Es erzählt Verborgenes, man lernt auch zwischen den Zeilen dieses Buches zu lesen.
Nelia sagt, ihre Gedanken sind komplex und manchmal wirr. Das mag stimmen. Nelia ist viel klarer, aber manchmal auch etwas öde...
„Entschuldige, Nelia!“ flüstert Nerissa. „Das wollte ich nicht sagen. Oder denken. Entschuldige bitte!“
Nelias Lachen klingt wie ein Harfe.

„Jedenfalls“, sagt Nerissa lauter, „ich weiß ja nicht, was du jetzt machen würdest, oder was du gerade tust, aber ich gehe morgen nicht in die Uni. Ich fliege morgen nach Island. Und hole mir vorher ein kleines Kätzchen und einen Absinth. Nein, den klau ich!...
Und den Tandemflug, den mach ich allein, Nelia, danach bin ich bei dir, okay? Okay?“
Nelia sagt nichts. Sie schaut Nerissa nur an. Warum flüstert sie nicht denn einmal, warum erklingt die Harfe nicht? Sind es Nelias Augen, die dort blitzen hinter dem Glas des stuckverzierten Bilderrahmens oder ist es das Kerzenlicht im Spiegel, und überhaupt, wer ist das einsame Mädchen dort mit den langen rotblonden Locken?

Ist Nerissa ein bisschen Nelia? Und Nelia ein wenig Nerissa?
Warum hat sie so viel Zeit? Wer hat Zeit, Nelia oder Nerissa?

„Hörst du mich, Nelia, ich mache morgen alles, was wir uns vorgenommen haben,, okay, einiges in abgeschwächter Form... und dann komm ich. Oder soll ich gleich kommen, dann machen wir alles zusammen? So wie wir wollten? Soll ich mit dem Zwillingsflug beginnen?
Weißt du noch, Nelia, unsere Liste? Unsere Liste am 20. Geburtstag: 10 Dinge die wir unbedingt tun müssen oder machen wollen, bevor wir 30 Jahre alt werden.
Tattoo; Ladendiebstahl, der sich lohnt, Tandemflug; Absinth trinken; sich bei einer fremden Hochzeit mit in die Kirche schleichen und nur gucken; ein Katzenbaby aufziehen; nach Island fliegen; Mittsommernacht erleben; Mamas Lover Bruno, dem Idioten, 25 Pizzen liefern; uns niemals aus den Augen verlieren!“

Ach Nelia. Warum bist du nicht mehr hier? Ich will zu dir. Jetzt. Und ich werde kommen, das verspreche ich uns beiden.
Du fehlst mir...
See you in Heaven!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sinikka,
Willkommen bei kg.de.

Du schreibst, sagst du, seitdem du einen Füller halten kannst.
Man merkt dir diese Versiertheit auch an. Es gibt zahlreiche Stellen in deinem Zwillingswerk, die mir sehr gefallen haben. Du arbeitest mit der Sprache, und das ist klasse.

Sowas hier z. B. ist gut:

Ein paar Strähnen fallen seitlich heraus, und seltsamerweise gefällt sie sich in dem Moment fast, als sie ihr Spiegelbild fixiert.
Und da gibt es selbstverständlich noch mehr.
Dass dein Text eine angenehme Fehlerfreiheit hat, muss ich dir nicht sagen.


Leider haben mich zwei Dinge auch wieder rausgehauen.

Zum Einen hast du mir zuviele Formulierungen benutzt, die ein wenig sehr romantisch rosarot sind. Das brauchst du gar nicht, du kannst die merkwürdige "Zwillingsliebe" auch so wunderschön darstellen one eine hohe Adjektivdichte.

Deine Geschichte lässt zum Zweiten Fragen offen.
Streng genommen ist es gar keine Geschichte, sondern eine Szene, ein Ausschnitt, was weiß ich. Für eine Geschichte bräuchte es noch eine genauere Handlungsführung, die aus der Unklarheit der Persönlichkeiten einen Konflikt macht. Und das ist auch schon ein Teil der Schwierigkeit.
Warum fühlt Nerissa sich so zweigeteilt? Was ist mit ihrer Schwetser passiert? War es überhaupt ihe Schwester? Was folgt aus dieser Unklarheit?
Verstehst du, du hast einen Teil einer Idee etwickelt. Aber der Aufbau, die eigentliche Handlung mit Konflikt und Höhepunkt und Auslösing, das fehlt.
Ab dieser Stelle hier

Ist Nerissa ein bisschen Nelia? Und Nelia ein wenig Nerissa?
Warum hat sie so viel Zeit? Wer hat Zeit, Nelia oder Nerissa?
wird die Geschichte unklar. Ich glaube, du willst es rätselhaft halten. Ob das nun einmal zwei waren, von denen eine gestorben ist. Oder ob es, auch das könnte möglich sein, nur eine Person ist, die einen Fantasiepartner hat.
Man wünscht sich einfach ein bisschen mehr Klarheit und eine Geschichte, die auf dieser Schwierigkeit der Zwillinge aufbaut.


Nun noch ein paar Einzelheiten:

„Weißt du, Nelia, man denkt ja immer, man hätte ewig Zeit. Aber was ist wenn morgen auf einmal Stückchen Erde fehlt? Dann können wir da nicht mehr hin. Also müssen wir es jetzt tun, solange es noch da ist.“
Der Satz an sich ist schön, aber er kommt sehr abrupt. Wieso soll denn ein Stückchen Erde fehlen?

Nelia sagt, ihre Gedanken sind komplex und manchmal wirr. Das mag stimmen. Nelia ist viel klarer, aber manchmal auch etwas öde...
Hast du das echt so gemeint? Oder nicht vielleicht doch Nelia und Nerissa hier durcheinandergewurstelt?

Warum flüstert sie nicht denn einmal, warum erklingt die Harfe nicht?
Da stimmt was nicht im ersten Teil.


Die Aflösung zum Schluss, dass Schwester Nelia gestorben ist, das hast du alles sehr stimmungsvoll gemacht. Hat mir gefallen, dennoch weiß ich, dass die Geschichte, die hinter Nerissas Erinnerungen und Gefühlen wartet, erst recht spannend wäre.

Ein klitzkleiner Tipp noch: Nicht ganz so viele Adjektive verwenden. Das drängt deine Texte sonst in Richtung Kitsch. Da das richtige Msaß finden, das ist nicht ganz einfach. Auch ich neige dazu, Dinge ausschmücken zu wollen. Aber damit es nicht in Richtung Kitsch abmarschiert, ist es sehr wichtig, ungewöhnliche Eigenschaftswörter zu verwenden und sie sparsamm zu dosieren.

Ich wünsch dir viel Spaß hier auf der Seite.
Bis bald Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sinikka,
willkommen auf KG.de!

Deine Geschichte hat jetzt erst einen Kommentar erhalten.
Das soll so nicht bleiben:

Du schilderst hier einen inneren Dialog Narissas mit ihrer verstorbenen Zwillingsschwester.
Offensichtlich kommt Narissa über den Verlust ihrer Schwester nicht hinweg.
Nach anfänglichem Zögern und Abwägen reift im Verlauf des Gedanken-Dialogs in Narissa der Entschluss, sich das Leben zu nehmen.

Und den Tandemflug, den mach ich allein, Nelia, danach bin ich bei dir, okay? Okay?“

Oder soll ich gleich kommen, dann machen wir alles zusammen? So wie wir wollten? Soll ich mit dem Zwillingsflug beginnen?

Ich will zu dir. Jetzt. Und ich werde kommen, das verspreche ich uns beiden.

See you in Heaven!
„Weißt du, Nelia, man denkt ja immer, man hätte ewig Zeit. Aber was ist wenn morgen auf einmal Stückchen Erde fehlt? Dann können wir da nicht mehr hin. Also müssen wir es jetzt tun, solange es noch da ist.“
Das Stückchen Erde, das bald fehlen könnte, interpretiere ich als „geerdet sein“ an die Schwester, zu der Nerissa zunehmend die Bindung zu verlieren fürchtet, je länger der Tod Nelias zurückliegt.

...

, und überhaupt, wer ist das einsame Mädchen dort mit den langen rotblonden Locken?

Wie du siehst, hast du dem Leser viel Raum gelassen, zwischen den Zeilen (wie du es an einer Stelle sagst) zu lesen.

Einen guten Einstieg ins KG.de hast du dir mit deiner Geschichte verschafft.
Obwohl eher Gedanken als Handlung in deinem Text vorherrschend sind, habe ich deinen Text gerne durchgearbeitet.

Dabei bin ich, trotz deiner Rechtschreibsicherheit (findet man nicht oft bei Neulingen) doch auf einige korrekturbedürftige Stellen gestoßen:

Warum flüstert sie nicht denn einmal, warum erklingt die Harfe nicht?
denn nicht

„Entschuldige, Nelia!“ flüstert Nerissa.
Hier fehlt das Komma hinter dem Schlusszeichen.

Aber manchmal muss man Prioritäten setzen...“
Die Pünktchen bis auf eins kürzen oder eine Leerstelle hinter „setzen“

.

Erstmal eine vernünftige Ausbildung, bla bla bla...“ ahmt sie ihre Mutter nach.
Kommata zu bla, bla, bla und Leerstelle vor die bedeutsamen drei Pünktchen, zudem Komma hinter das Schlusszeichen

ich mache morgen alles, was wir uns vorgenommen haben,, okay,

hinter „haben“ ein Komma weg

antikgebeizten
antik gebeizten

10 Dinge die wir unbedingt tun müssen
zehn Dinge ( Zahlen bis zwölf ausschreiben) und Komma vor "die"

Aber was ist wenn morgen auf einmal Stückchen Erde fehlt?
Was ist KOMMA wenn

Neugierig darauf, was du uns in deiner nächsten Geschichte präsentierst,
grüße ich
kathso60

 

Hi Sinikka,
auch von mir ein herzliches Willkommen. Ich finde, dass Kathso60 mit seiner Interpretation den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
Kann nur hinzufügen, dass Nerissa den Spiegel, bzw. ihr eigenes Spiegelbild als Hilfe zur 'Kommunikation' mit ihrer verstorbenen Zwillingsschwester benutzt.
Werde ab und an von Nachbars-Zwillingen besucht. Die Mädchen sind immer zusammen, wenn sie reden, dann beginnt eine den Satz und die andere beendet ihn. Sitzen da mit eingehakten Armen und legen ihr Köpfchen abwechselnd auf die Schulter der anderen.
Die innere Verbundenheit ist beeindruckend.
Du hast diesen brutalen Verlust eines Zwillingspartners, mit einer gefühlvollen Mädchengeschichte authentisch transportiert.
Als Debüt schon beeindruckend.
Als einzige Meckerei habe ich nur, Zitat:...und bindet sich einen Zopf oben am Hinterkopf.
Ich glaube -oben am Hinterkopf- kann weg, klingt ein bisschen hoplrig und ist überflüssig.

schön gemacht!
Gruß Elfenweg

 

Hallo ihr Lieben!
Ganz fix vorweg: Erst einmal Danke für eure Beiträge.
Ich werde sie jetzt ganz in Ruhe lesen, freut mich echt total, dass ihr gelesen und geantwortet habt.
Konnte ´ne längere Zeit nicht on sein, daher erst jetzt Meldung.
Sinikka

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom