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Nele

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26.12.2002
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Nele

Die Zeit heilt alle Wunden....?

Die Zeit heilt alle Wunden...?

Nele stand vor dem alten imposanten Gebäude: „Soweit ist es also gekommen“, dachte sie. Plötzlich konnte sie sich wieder erinnern, wie es gewesen war. Mehr als elf Jahre waren seitdem vergangen, und sie hatte diesen Tag vollkommen verdrängt, der gelangweilte Richter, die chaotische Anwältin, das Glas Sekt danach....

Damals war es grauer Winter gewesen und heute ein blauer Sommertag.

Doch schienen Jahreszeiten in diesen Räumen keine Bedeutung zu haben, denn Nele fröstelte, sobald sich die großen, schweren Eingangstüren hinter ihr schlossen. Unentschlossen blieb sie stehen, versuchte ihre vom Sonnenlicht geblendeten Augen an das Dunkel zu gewöhnen. Der Pförtner hob den Kopf und schaute sie aufmunternd an.
Nele wußte, sie würde ihn unmöglich fragen können: „Bitte wo findet die Scheidung Henderson gegen Henderson statt? Also hob sie den entschlossen Kopf und ging zielstrebig weiter, den Blick scheinbar interessiert auf die Anschläge vor den Sitzungssälen gerichtet.

Eine Woge von Scham erfasste sie, als sie plötzlich ihren Name las: Nele Henderson gegen Jan Henderson.
Heftiger Protest stieg in ihr auf, was soll das,.... wer hat das geschrieben,.... das stimmt doch gar nicht, wollte sie sagen.... Aber es stimmte ja doch, schließlich war sie deswegen heute zum zweiten Mal in ihrem Leben hier.

Vorsichtig drehte sich Nele um, ließ unauffällig ihren Blick schweifen.... Jan war noch nicht da. Unschlüssig setzte sie sich auf einen der wenig einladenden kalten Metallstühle.

Sie war nicht alleine, überall standen Menschen in dem langen, muffigen Flur, meist flankiert von einer Person in schwarzer Robe. Manche diskutierten lautstark, andere redeten leise und beschwörend auf ihre Mandanten ein.

Nele spürte, wie ihr Körper begann, auf ihre Nervosität zu reagieren, kalter Schweiß und Übelkeit machten ihr langsam zu schaffen.

„Vielleicht kommt er ja auch gar nicht“, schoß es ihr durch den Kopf, und sie war nicht sicher, ob sich Hoffnung oder Furcht in diesen Gedanken mischte. Aber eigentlich wußte sie genau, dass Jan sich nur verspäten würde, denn sie hatte ihn heute bereits getroffen.

Auf dem Weg hierher, an einer roten Ampel, war er wie aus dem Nichts mit seinem Auto vor ihr gestanden. „Welch groteske Situation!“ Nele erschauerte. Wie oft war sie hinter Jan her gefahren, um seinen Wagen zur Werkstatt zu bringen. Sie hatten sich dann immer zugewunken und lustige Grimassen geschnitten. Heute waren sie auch hintereinander gefahren,.... nur dieses Mal würde er danach sicher nicht mit ihr nach Hause kommen.

Letzte Woche erst hatte Nele etwas Ähnliches inszeniert. Mechanisch und wie selbstverständlich war sie Jans Wagen durch die halbe Stadt gefolgt. Als er dann auf einem Parkplatz stoppte, war Nele über sich selbst erschrocken gewesen. Der Peinlichkeit ihrer Situation bewußt, wollte sie unauffällig wenden und verschwinden, als sie ihren Sohn aus Jans Auto steigen sah.

Er hatte sie erkannt,... natürlich... und kam auf sie zu: „Ich habe Dich gesehen, Du warst schon die ganze Zeit hinter uns“, begrüßte er sie. Die Art der Formulierung ließ nicht erkennen, ob er sie durchschaut hatte. Nele tat so, als sei sie ihnen nur gefolgt, um ihm nach dem Ergebnis einer wichtigen Klausur zu fragen.

Auf seine Antwort konnte sie sich nicht mehr konzentrieren, denn aus dem Augenwinkel sah sie Jan den Wagen absperren und auf sie zukommen, erkannte seinen großen, schlanken Körper, das markante Gesicht mit den feinen Zügen und dem Grübchen am Kinn.... Nele wollte weg, er sollte sie auf keinen Fall sehen... Aber sie hätte so gerne seine Hand genommen, um mit ihm zu gehen, und ihr Herz wollte nicht verstehen, warum das nicht mehr ging......

Wenige Meter bevor Jan sie erreichte, gelang ihr ein glaubwürdiger Absprung. Es war schon zu dunkel um diese Jahreszeit und sie war sich sicher, dass Jan sie nicht wirklich gesehen haben konnte. Aber genügte es nicht, das er wußte, dass sie es war?....

Nele schrak hoch, plötzlich öffnete sich die Tür unmittelbar neben ihr und riss sie aus ihren Gedanken. Eine Frau kam mit schleppenden Schritten heraus, der Rock ihres schlecht sitzenden Kostümes war verrutscht und ihr gesenkter Kopf lenkte den Blick auf den nachgewachsenen grauen Ansatz ihrer dunklen Haare. Sie weinte hemmungslos.

„Das wird schon wieder werden, Frau sowieso.“ Tröstend tätschelte der Anwalt ihren Arm. „Was wissen Sie denn schon,“ hätte Nele gerne gesagt, “Sie haben doch keine Ahnung!“

Über zwei Jahre waren nun schon vergangen seit Jan gegangen war. So viel war geschehen, doch wenn Nele alleine war, wusste sie, dass ihr die Zeit nicht wirklich geholfen hatte. Nele fühlte sich immer noch wie ein Zuschauer in ihrem jetzigen Leben, so als müsste sie nur aufstehen und nach Hause gehen in ihr richtiges Leben mit Jan. Sie war nicht weiter gekommen, klebte wie ein Kaugummi an der Vergangenheit fest und wusste nicht, wie sie loskommen konnte.

Ging es vielleicht einfach nur darum, ihm zu verzeihen? Oder vielleicht sich selbst?

„Du hast diese Entwicklung doch in Gang gebracht. Warst nicht Du es, der plötzlich die Spielregeln eurer Beziehung verändert hat? Der Gleichberechtigung und finanzielle Verantwortung von Jan verlangt hat? Du hast gewußt, was geschehen kann, wenn einer nicht mehr mitspielt!“ Das waren die Worte ihrer Freundin gewesen, als sie von der bevorstehenden Trennung erfuhr.

Nele versuchte, sich zu erinnern, wie es war, als Jan ging. Sie hatte nicht viel Zeit gehabt, sich mit dieser Situation auseinander zu setzen, und Abschied zu nehmen. Eines Morgens hatte er seinen Ehering abgestreift und war zu ihr gegangen, ohne etwas mit zu nehmen.
Heute sah das für Nele eher aus wie eine Flucht, nicht wie ein Auszug. Vier Wochen später kam Jan dann urplötzlich wieder zurück. Er beteuerte Nele, dass er jetzt wüsste, worauf es ankommt im Leben und dass er zu schätzen wisse, was er an ihr habe.

Das Dumme war nur, er bereute Nichts und verhielt sich so, als gäbe es Nichts zu verzeihen. Noch heute lief Nele ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie an diese wenigen Tage dachte, an denen er zurückgekehrt war. Alles war so unwirklich, Jan war wie ein Fremder für sie.

Eine Woche später war der Spuk vorbei, Nele hatte ihm seine Rückkehr nicht geglaubt und ihn in flagranti ertappt. Dass das zweite Mal noch viel schlimmer war, lag wohl daran, dass sie wusste, wie endgültig es war.

„Nichts wird schon wieder“ dachte Nele und schenkte der weinenden Frau ihr tiefstes Mitgefühl.

Hastig inspizierte sie noch einmal ihre äußere Erscheinung: dezent, aber modisch. Sie hatte sich viel Mühe geben mit ihrem Make-up und ihrer Frisur. Nicht zu schrill, aber auch nicht unscheinbar wollte sie wirken.
„Wenn er nun die „Neue“ mitbrachte?“ Dieser Gedanke traf sie völlig unvorbereitet, Panik machte sich in ihr breit. „Das schaffe ich nicht, niemals!“ Nele wollte weg. Hektisch griff sie nach ihrer Tasche, erhob sich von ihrem Stuhl und rannte los, die Augen fest auf den Boden gerichtet.

Der Zusammenprall kam so unerwartet, dass einige Sekunden vergingen, bis sie begriff. „Na na, Frau Henderson, „wo wollen Sie denn hin? Wir sind gleich dran. Sie können nicht mehr weg gehen!“ Nele sah in das väterliche Gesicht ihres Anwaltes und wenige Meter hinter ihm kam Jan durch die Tür. Den Mantel locker über den Unterarm im perfekt sitzenden Anzug telefonierte er scheinbar lässig.

„Kommen sie, Frau Henderson, wir müssen in den Saal 22 ganz am Ende des Ganges.“ Mit diesen Worten nahm Neles Anwalt ihren Arm und schob sie sanft vorwärts. Sie konnte nicht antworten, aber das war auch nicht nötig. Wärme und Verständnis lagen in seinem Gesichtsausdruck, Nele war dankbar dafür.

Inzwischen hatte Jan sie erreicht. An seiner typischen Körperhaltung konnte Nele erkennen, dass ihm die Situation entsetzlich peinlich war. Als er ihr die Hand zur Begrüßung entgegenhielt, verspürte sie plötzlich sogar Mitleid mit ihm: „Warum so förmlich heute?“ wollte sie schon sagen und einfach ihre Arme um ihn schlingen.

„So war es immer gewesen“, dachte Nele resigniert. „Ich war immer der Pausenclown für ihn, habe ihn zum Lachen gebracht, wenn er bedrückt war, ihm endlos zugehört bei geschäftlichen Problemen, sein Desinteresse vor den Kindern entschuldigt, die Geschenke für seine Familie besorgt, seine Lieblosigkeit übersehen.“ Sie ergriff Jans ausgestreckte Hand und erwiderte seinen Gruß mit einem kurzen Kopfnicken. Nele spürte, wie durch seine Berührung ihre Beherrschung bröckelte und war froh, als die Richterin ihre Namen aufrief.

Wenige Minuten später fand sich Nele vor dem Gerichtsgebäude wieder. Die letzten offiziellen Worte klangen noch in ihrem Kopf: „.......Hiermit erkläre ich die Ehe für geschieden, auf Rechtsmittel wird verzichtet.....“

Um Haltung bemüht, betont aufrecht sitzend, war sie dem Geschehen gefolgt wie eine Zuschauerin. Nur einmal, als sich die Richterin unvermittelt an Jan persönlich wandte: „Wie sehen Sie das Herr Henderson, halten Sie ihre Ehe für zerrüttet und wünschen die Scheidung?“ glaubte Nele, sie würde ohnmächtig werden.

Aber sie hatte sich zusammen genommen und direkt in Jans Augen geschaut. Entgegen seiner Gewohnheit, in öffentlichen Vorträgen schnell und undeutlich zu sprechen, hatte er ruhig und überlegt geantwortet, warum es keine Zukunft mehr für sie gab. Während seinen Ausführungen, tauchten Bilder vor Neles geistigem Auge auf....

Nur wenige Wochen vor seinem Auszug war Jan so gelöst gewesen, wie sie ihn selten gesehen hatte. Sie wollten ein Haus kaufen, er schlug ihr vor, zu Hause zu bleiben, ihren Hobbys nach zu gehen. Nele erinnerte sich noch genau, sie fuhren mit dem Wagen über Land, im Radio lief ein wunderschöner Song, Jan hatte ihre Hand genommen, hielt sie ganz zärtlich und Nele dachte: „Wahnsinn, wieviel Gefühl noch da ist nach zehn Jahren und jetzt kann er es endlich auch zeigen.

Nur wenige Tage danach entdeckte sie, dass er sie betrog....

„....Hiermit erkläre ich die Ehe für geschieden, auf Rechtsmittel wird verzichtet.....“

Emotionslos und desinteressiert hatte die Richterin dabei in ein winziges Diktiergerät gesprochen. Immer wieder spulte sie das Band zurück, ließ einzelne Abschnitte noch einmal laut abspielen.... Nele war sich so überflüssig vorgekommen, niemand hatte sie gefragt....

„Nun, Frau Henderson, wie geht es Ihnen? Wollen wir einen Kaffee zusammen trinken?“ Nele drehte sich um und sah in das aufmunternde Gesicht ihres Anwaltes, der ihr galant seinen Arm zum Einhaken anbot.

„Ja, gerne“, antwortete Nele dankbar und während sie über den Parklatz gingen, sah sie Jan in seinen Wagen steigen,.... alleine und mit gesenktem Kopf.

 

Einen wunderschönen guten Tag Nele,

es ist wohl nicht schwer zu erraten, dass das deine persönliche Geschichte ist. Deshalb fällt es mir schwer sie zu kritisieren. Auf jeden Fall wirkt sie sehr authentisch. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man solche Gedanken hat in dieser Situation.

Insgesamt finde ich die Geschichte etwas langatmig. Spannender hätte ich gefunden, wenn man auch etwas von der Sicht des Mannes erfahren hätte. Aber das hattest du nicht beabsichtigt, oder? Vielleicht wäre der Ich-Erzähler deshalb besser, weil noch authentischer gewesen

Kritisieren muss ich auch, dass die Gedankengänge der Protagonistin und die Situation vor Gericht manchmal schwer zu unterscheiden sind. Ich hättes des öfteren klare Absätze gemacht.
Und gegen Ende sagt die Richterin, dass die beiden jetzt geschieden sind, aber danach wird der Mann gefragt, ob er glaubt, dass die Ehe noch zu retten ist. Das ist verwirrend. So was meine ich.

Ok, trotzdem gut geschrieben. Ein frohes neues Jahr für dich.

Liebe Grüße Jan (sorry, der Name kommt ziemlich oft vor)

 

Lieber Jan,

...falsch geraten, ist nicht meine persönliche Geschichte. Die Namensgleichheit ist rein zufällig, eigentlich wollte ich das noch ändern, aber ich dachte, dass es im Endeffekt nicht wichtig ist.
Trotzdem vielen Dank für Deine Kritik! Dass der Mann nicht zu Wort kommt war wirklich beabsichtigt, aber mit den Absätzen gebe ich Dir Recht, ich versuche, es übersichtlicher zu geatalten.

Dir auch ein frohes neues Jahr, Nele

 

ohne etwas mit zu nehmen.
mitzunehmen

Sie können nicht mehr weg gehen

weggehen

ihren Hobbys nach zu gehen.

nachzugehen

du hast eine rechtschreibschwäche bei zusammengefügten verben. oft hilft das vernomisieren der verben bei der entscheidung, ob zusammengeschrieben wird oder nicht.
mitnahme >> mitzunehmen, weggang >> weggehen.


hi nele,
ich finde jans kritik überwiegend treffend. diese geschichte wirkt besonders authentisch! die erzählperspektive ist ungünstig, weil der mann nur objekt ist.
da ich aber selbst mitten in der scheidung stecke, kann ich den inhalt der geschichte nicht distanziert genug kritisieren.
so bleibt noch der erzählstil. ich finde ihn flüssig und gelungen. leider fehlt ihm der paukenschlag .. das ist notwendig für langwierige texte, damit sie nicht langweilig werden. humor ist immer ein dankbarer stil dafür. klar - schwierig, humor in einem so ernsten thema unterzubringen - aber es geht!
was die namensgleichheit betrifft. wenn du nicht die prota bist, dann solltest du unbedingt den namen ändern. sonst ist es eine falschaussage. du gibst dem leser mit einem, wenn auch ungewollten, trick das authentikgefühl. das ist fatal, denn er stellt ja automatisch eine bezug zu dir.
also - entweder klare verhältnisse von anfang an, indem du dich mit einem anderen namen als person vom inhalt der geschichte distanziert, oder du lässt uns im glauben, dass autor und prota eine person sind - das ist alle mal besser als deinen leser nachträglich noch zu verwirren!
bis dann
barde

 

Hi Barde,
Vielen Dank für Deine Kritik! Ich habe versucht, den Titel zu ändern, doch scheint das nicht zu funktionieren und wenn das nicht möglich ist, nützt es wenig, den Namen in der Geschichte zu ändern. Wenn Du mir sagen kannst, wie das geht, schaffe ich gerne klare Verhältnisse....

Übrigens...., ich persönlich fände es viel angenehmer, als erstes Deine Kritik zu lesen, als gleich (ohne wenigstens kurze Begrüßung) ... mit meinem Unverständnis der neuen deutschen Rechtschreibung konfrontiert zu werden. Da fühle ich mich sofort in alte Zeiten zurückversetzt...(Schule !)

Das mit dem Paukenschlag will ich nicht, es sollen leise Töne sein, eine Gefühlswelt einfach...., wenns etwas langweilig wurde dadurch, muss ich mich das nächste Mal einfach kürzer fassen.

Viele Grüße
nele

 

Servus Nele!

Was mir an deiner Geschichte gut gefällt, wenngleich sie dadurch natürlich auch lange wurde, ist dieser ständige Gefühlswechsel. Einerseits weiß sie um sein Fehlverhalten, seine Erwartungen die sie zu erfüllen hatte. Andererseits ist da die Gewohnheit des sich Näherns, das Berühren das noch immer so selbstverständlich scheint. Das Wissen, dass nichts mehr ist, nie mehr sein wird wie es war, es auch zu akzeptieren und andererseits das noch nicht verarbeitet haben, das Verletztsein. Das alles ist dir gut gelungen zu transportieren.

Lieben Gruß schnee.eule

 

Hi schnee.eule!

Freut mich, dass es mir gelungen ist, ein bisschen was von der Zerrissenheit Neles rüberzubringen... :cool:
Die Geschichte war erst mein zweiter Versuch, ich muß noch lernen, mich kürzer zu fassen, aber das ist ja bekanntlich das Schwierigste!

Liebe Grüße

nele

 

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