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Nektarine, nicht Nacktmull

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30.03.2010
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Nektarine, nicht Nacktmull

Roberts Kindheitserinnerungen wurden geprägt von dem langen Haar seiner Mutter.
Neben ihr im Zug sitzend, wickelte er ihre Locken um seine Finger und ergriff in der Stadt nicht ihre Hand, sondern eine der Hüftlangen Strähnen. Ihm zu liebe trug sie ihr Haar immer offen, strich beim Gutenachtkuss langsam mit den blonden Spitzen über sein Gesicht. Weinend saß er beim Friseur auf ihrem Schoß und flehte um jeden Zentimeter, der nicht abkommen sollte. Er schloss die Augen und fuhr sanft mit den Fingerspitzen über ihre langen Wimpern, und er liebte die Gänsehaut auf ihren Armen.

Sie rieb Roberts kahlen Kopf mit Sonnencreme des höchsten Lichtschutzfaktors ein und küsste ihn, bevor die Kappe drauf kam.
„Und ich krieg die Schultüte, die ich will? Eine ganz große?“
„Was immer du willst.“
Auf dem Weg zum Bahnhof hüpfte er auf und ab, der Schweiß rann über seine haarlosen Arme.
„Hey, mach mal etwas langsamer, Robert!“
Er drehte sich zu seiner Mutter um und kniff die Augen zusammen. Mit dem Handrücken wischte er die Feuchtigkeit von seiner Stirn, bevor sie in Tropfen seine Augen erreichte.
„Aber ich will meine Schultüte endlich aussuchen!“
„Wir haben noch sehr viel Zeit dazu.“
Eine ältere Frau lächelte Robert mit traurigem Blick zu. Schnell streckte er ihr die Zunge raus, und bekam einen Klaps auf den Hinterkopf von seiner Mutter.
„So nicht!“
„Aber die sollen mich nicht so blöde angaffen.“
Tränen sammelten sich auf seinem wimpernlosen Unterlid und schwappten schließlich über.
„Ignorier sie. Außerdem ist es nicht böse von ihnen gemeint. Was sage ich immer?“
Er verdrehte die Augen und leierte herunter, was er oft gehört hatte, „Irren ist menschlich.“

Robert saß am ersten Schultag zwischen Martin und Dörthe. Fasziniert fuhr sie mit dem Finger über seinen Arm und dann den Kopf.
„Warum hast du keine Haare?“, fragte Martin.
„Das ist eine Besonderheit“, antwortete Robert, „Es gibt Pfirsiche und Nektarinen. Ich bin eine Nektarine und ihr seid alle Pfirsiche.“
„Die schmecken aber ähnlich“, sagte Dörthe und lächelte, „Sogar fast gleich.“
„Das stimmt.“ Robert lächelte zurück.
„Ne, ich glaub, er ist ein Nacktmull“, sagte Martin.
„Lass ihn in Ruhe“, rief Dörthe.
„Nacktmull!“, brüllte Martin durch die Klasse und zog alle Blicke auf sich und Robert. Dörthe sprang vom Stuhl und warf sich auf Martin, der nach hinten kippte und unter dem kleinen Mädchen auf seiner Brust nach Luft japste.
„Robert ist eine Nektarine und kein Nacktmull!“ Ihre Fäuste zitterten, als die Lehrerin sie von Martin herunternahm.

Dörthe griff nach Roberts Hand.
„Wir schaffen das zusammen“, sagte sie, und blickte auf das Schild „5d“ des neuen Klassenraums.
Die neuen und unbekannten Mitschüler standen bereits vor dem Raum, tuschelten und blickten in Roberts und Dörthes Richtung. Die Worte „Tod“ und „Krebs“ wurden laut geflüstert.
„Die gucken so, wegen meiner neuen Hose“, lachte Dörthe und drehte sich vor Robert, damit er die Gesäßtaschen mit den eingestickten Herzchen betrachten konnte.
Die neue Klassenlehrerin kam und schloss den Raum auf, in dem bereits ein Stuhlkreis aufgebaut war. Jeder sollte sich vorstellen.
„Hallo, ich bin Dörthe, zehn Jahre alt und komme aus dem Nachbarort Bernheim.“
„Hallo, ich bin Robert, auch zehn Jahre alt und komme auch aus Bernheim. Und ich habe Alopecia universalis, was der Grund ist, warum ich keine Haare habe. Ich wollte das sagen, weil ihr euch sonst fragen würdet, was ich habe.“
Dörthe drückte die feuchte Hand und erwiderte sein zittriges Lächeln.
„Das war sehr mutig von dir, Robert, uns darüber aufzuklären. Danke“ Die Lehrerin sah ihn an, und danach die Klasse. In den Blicken lag Befremdung. Durch die Nennung des medizinischen Fachbegriffes erschien der kahle Junge ihnen nun noch exotischer und ferner.

Auf dem Weg zur neuen Schule lag ein Friseur, der Perücken im Schaufenster ausstellte.
Robert blieb davor stehen. „Dörthe“, er zog an ihrem Ärmel, „Denkst du, ich sollte mal eine anprobieren?“ Sie überlegte einen Moment, sah von den Pappköpfen zu Robert, schaute hin und her.
„Nein, das wäre komisch.“
„Aber ich will wissen, wie das aussieht. Willst du nicht wissen, wie du ohne Haar aussiehst?“
„Davor hätte ich Angst, glaub ich.“
Robert wandte den Blick von den Perücken ab und sah Dörthe an. Ihre Unterlippe zitterte, so wie seine bei der Vorstellung in der neuen Klasse.
„Tut mir leid.“
Sie schüttelte den Kopf, „Wir bleiben, wie wir sind, ja?“ Er nickte.

„Mama?“
„Im Bad!“
Robert klopfte an die Tür.
„Komm rein, ich putze gerade.“ Sie streifte die Handschuhe von den Händen und umarmte ihren Sohn. „Wie war es? Erzähl’s mir.“
„Es hat keiner gelacht und niemand hat was Blödes gesagt.“
„Ist also alles okay gewesen. Das freut mich“, sie sah ihn noch einen Moment an, dann schlüpfte sie wieder in die Handschuhe, „Ich muss jetzt weitermachen. Dein Vater hat wieder seine Bartstoppel im Waschbecken verteilt.“
Robert nickte und ging. Ihm kam der Gedanke, dass er wohl nie jemanden mit seinen Bartstoppeln belästigen würde.

Am Abend betrat Robert das Zimmer seiner Mutter. Sie saß in dem schwach beleuchteten Raum am Schminktisch und bürstete ihr Haar. Der Geruch von Kosmetikpuder und einem warmen Parfum lag in dem Zimmer.
„Möchtest du mir die Haare machen?“, sie lächelte und reichte ihm die Bürste. Vorsichtig strich er Bahn für Bahn über die langen Strähnen.
„Fertig“, er legte die Arme um ihre Schultern und seinen Kopf an ihren, „Was ist das?“
Seine Mutter nahm die Schachtel mit den Kosmetikwimpern, „Die waren ein Werbegeschenk.“
„Für Frauen ohne Haare?“
„Nein. Na ja, bestimmt auch, aber das tragen einige, damit ihr Augenhaar voller wirkt.“ Im Spiegel sah sie Robert an, „Willst du sie ausprobieren?“
Einen Moment sah er die Augen seiner Mutter in ihrem Spiegelbild an, den weichen Rahmen von langen Wimpern, dann nickte er.
Sie wechselten die Plätze, und die Mutter kniete vor ihn, um die Wimpern vom Kästchen an die nackten Lider ihres Sohnes zu bringen.
Nach einiger Zeit konnte Robert das erste Mal an seine Augen fassen und das Nachgeben weicher Härchen erspüren. Die ungewohnte Schwere an den Lidern zu dieser Abendzeit ließ ihn schläfrig, aber glücklich aussehen. Er lächelte sich im Spiegel an.
„Sieht das gut aus, Mama?“
„Wenn du dich wohlfühlst, wird alles an dir gut aussehen“, sie küsste seine Schläfe.
„Mama, ich hab auf dem Schulweg einen Laden mit Perücken gesehen. Können wir das mal ausprobieren?“
„Guten Abend“, Roberts Vater öffnete die Tür und betrat den Raum. Der Impuls, sein neues Aussehen zu verstecken durchzuckte den Jungen.
„Noch wach, Robert?“ Er kam auf ihn zu, und legte ihm die Hand auf den Hinterkopf, dann sah er im Spiegel die Wimpern. Sein Blick wandte sich der Mutter zu.
„Warum hast du ihm so was dran gemacht?“
Sie stand auf und zuckte die Schultern, „Er hat sie hier liegen sehen und wollte sie.“
„Besser du gehst ins Bett, Robert.“
„Gute Nacht, Schatz“, seine Mutter umarmte ihn, dann schob sie ihn mit der Hand im Rücken zur Tür.
Gedämpft hörte Robert die Stimme seines Vaters durchs Haus dröhnen.
„Wir hatten Glück, dass er nie besonders geärgert wurde, in der Schule. Und jetzt fängst du mit sowas an. Stell dir doch mal vor, was passiert, wenn er wie eine Glittertranse in die Schule geht? Angeklebte Wimpern. Als nächstes eine blonde Perücke? Dann fangen doch die Probleme erst an. Setz ihm sowas nicht in den Kopf, verstanden?“
Die Antwort seiner Mutter hörte Robert nicht, aber das Knallen einer Tür. Mit geschlossenen Augen betastete er währenddessen den Flausch an seinen Augen. Die Konzentration richtete sich immer mehr auf das noch nie erlebte Gefühl, das nun durch die Wimpern in seinen Fingerspitzen und den Lidern entstand.

Die erste Klassenfahrt seit Beginn der Pubertät fand statt, als Robert dreizehn war. Erfolgreich hatte er sich beim Sport zum Umziehen in die Toilette retten können, nun musste er das Risiko von acht Stunden Schlaf inmitten Testosteron erfüllter Jungs eingehen.
„Das ist das erste Mal, dass ich nicht weiß, wie ich dir helfen soll“, sagte Dörthe vor der Jugendherberge bei der Zimmereinteilung. Die Lehrerin sprach davon, dass „die Unzertrennlichen“ nun die Möglichkeit hätten, sich unter die andren zu mischen, um endlich einen „größeren Anschluss“ zu gewinnen. Robert und Dörthe bezweifelten, dass das für sie von Vorteil sein würde.
„Stell dir mal vor, Robert, ein Mülleimer für fünf menstruierende Mädchen. Das ist schlimmer, als ein Zimmer für fünf masturbierende Jungs.“ Sie versuchte zu lachen, doch Robert wurde schlecht. Weder sprossen bei ihm Schamhaare, noch floss der Samen. Er war sich nicht mal sicher, ob er überhaupt schon in der Pubertät war. Es gab keine sicheren Indikatoren für ihn.

Die Zimmerzeiten verbrachte Robert bis zur vorletzten Nacht ignoriert.
Er schlief bereits, als ihn eine Taschenlampe blendete.
„Meint ihr echt?“, hörte er es flüstern, „Vielleicht stimmt’s gar nicht.“
„Es hilft nur, nachzusehen.“
Kalte Luft drang in Roberts Schlafanzug, als die Decke weggerissen wurde.
„Lasst mich schlafen“, flüsterte er, und griff hinter sich, erwischte statt der gesuchten Decke jedoch ein Bein.
„Der begrabscht mich schon!“
Jemand riss von hinten seine Arme hoch, es knackte in den Schultern. Robert stöhnte vor Schmerz.
„Des gefällt dem! Und wir haben den noch nicht mal nackt gemacht.“
Bevor er zur Gegenwehr treten konnte, hielten schon zwei seine Füße fest. Er schwebte in der Luft, als ein weiterer mit einem Ruck seine Hose runterzog.
Hilflos blickte er an sich herab, sah seinen Unterleib im Lichtkreis einer Taschenlampe.
„Glatt wie ne Pornomuschi!“ Alle lachten.
„Willste mal sehen, wie das bei echten Kerlen aussieht?“ Zwischen seinen Beinen kniete sich der Hosenrunterzieher und entblößte seinen Penis, der sich bereits aus dichtem Schamhaar emporreckte. Robert schaute unwillkürlich hin, über seine eigene kahle Scham hinweg zu der dunklen Stelle zwischen den Sportlerschenkeln. Als sie ihn losließen, die Taschenlampe ausknipsten und in ihre Betten schlichen, kamen Robert die Tränen. Er zog die Hose hoch und verließ das Zimmer.

Wie ein Streuner kratzte er an der Tür zu Dörthes Zimmer. Eines der anderen Mädchen öffnete.
„Robert, es ist mitten in der Nacht, was zum …“, sie streckte ihre Hand aus und griff an seine Wange, „Was ist passiert? Warum weinst du?“
„Dörthe …“, flüsterte er, „Bitte …“
Das Mädchen nickte und verschwand im Zimmer. Einen Augenblick später kam Dörthe heraus.
„Was ist passiert?“ Er musste nicht antworten, Dörthe hatte sich das Szenario schon vorher ausgemalt, nun hatten sie es in die Tat umgesetzt.

Dörthe saß auf Roberts Bett und blätterte ohne zu lesen in einer Zeitschrift.
„Schuld sind die Lehrer! Das wäre nicht passiert, wenn die erlaubt hätten, dass du bei mir im Zimmer schläfst. Was denken die denn, was wir machen? Orgien auf Klassenfahrt? Das kann man auch unter nur einem Geschlecht. Und wenn‘s dort einer mit nem andren machen will, kann er‘s eh. Da bringt doch Zimmeraufteilung nach Geschlecht nix.“ Sie warf die Zeitschrift auf den Boden.
„Es ist passiert und ich kann nix dran ändern.“ Er packte seinen Koffer aus und hängte die unbenutzten Sachen in den Schrank. Neben ihm stapelte sich der Berg mit Schmutzwäsche.
„Ich habe genug von diesen Arschlöchern, echt. Ich hasse alle auf dieser verdammten Schule. Ich hasse sie. Es ist falsch, dass du’s nicht der Lehrerin sagst. Ich hätte es einfach tun müssen, und nicht auf dich hören.“
„Dörthe“, er setzte sich neben sie aufs Bett, „Dann wird die Sache größer als sie es ist. Sag niemandem was davon. Auch nicht meiner Mutter, bitte.“
„Verstehst du meine Wut nicht? Bist du nicht wütend?“, sie sah ihn an, sprang auf die Füße und blickte sich im Raum um. Auf dem Schreibtisch fand sie eine Schere, und begann blind in ihr Haar hineinzuschneiden. Strähnen fielen auf den Boden, einzelne Haare schwebten in der Luft.
Dörthe sah Robert schwer atmend an, „Jetzt gibt es kein Zurück mehr für mich.“
Sie warf ihm die Schere aufs Bett und folgte ihr.
„Mach du den Rest. Bitte.“
Er senkte den Kopf, starrte auf seine Knie und die Finger, die sich hinein krallten.
„Meine Mutter hat mir mal Wimpern angeklebt.“
„Was?“
Robert blickte von seinen Händen auf, sah Dörthe an, „Es war irgendwie das Gegenteil zu dem hier.“
„Dann schneid mir auch meine Wimpern ab. Kleb sie dir an.“
„Dörthe, das bringt niemandem was.“
Hart packte sie ihn an den Schultern und schüttelte daran. Ungleichlange Haarbüschel standen von ihrem Kopf ab, ihre aufgerissenen Augen wirkten beängstigend auf Robert. Er fixierte die roten Äderchen auf ihrem Augapfel.
„Die Perücke! Damals hast du mich gefragt. Ich war feige. Jetzt bin ich mutig.“
Sie ließ ihn los, um die Schere zu nehmen und ihm vor die Nase zu halten.
„Ich mache weiter. Egal wie.“
Langsam hob Robert die Hand und umschloss den angewärmten Metallgriff der Schere. Dörthe atmete tief aus, fiel einen Moment in sich zusammen, um sich dann aufzusetzen, bereit für den Kahlschlag.
Vorsichtig setzte er an, schnitt und wischte die Haare weg, die sich in den Falten der Bettdecke sammelten.
„Sollen wir noch rasieren?“
„Sag mir erst, wie ich aussehe.“
Dörthe fuhr sich über die Stoppel und lächelte, als streichle sie ein neues Haustier.
„Du siehst gut aus“, sagte Robert leise, und sah fasziniert zu, wie Dörthe sich ihm zum Kuss näherte. Ihre Lippen waren weich und trocken, die Erinnerung an die angeklebten Wimpern kribbelte in seinen Fingerspitzen.
„Danke“, flüsterte Dörthe, sprang auf und klatschte in die Hände, „Und jetzt rasieren, ja?“

Robert suchte in der Badezimmerschublade nach den frischen Ersatzklingen zum Damenrasierer seiner Mutter.
„Es tut bestimmt weh, sich den Schädel zu epilieren“, lachte Dörthe und setzte sich auf den Badewannenrand. Geschickt wechselte Robert die Klingen, schüttelte die Dose mit Rasierschaum und befeuchtete einen Waschlappen.
„Jetzt kommt die Sahne“, zischend schoss der weiße Schaum über Dörthes Schädel. Sie kicherte, als Robert den Rasierer ansetzte und die ersten Bahnen zog. Nach ein paar weiteren Rasierzügen wischte er mit dem Lappen über den Schädel und begutachtete sein Werk.
Er hob den Daumen, „Sieh‘s dir im Spiegel an.“
„Heilige Scheiße, wie krass“, flüsterte sie, drehte und wandte sich, fuhr mit den Fingern über das glatte Haupt. Sie zog Robert zu sich.
„Jetzt sehen wir uns sogar ähnlich, schau dir das an. Wenn man dem Pfirsich den Pelz abmacht, ist er eine Nektarine. Und lächle mal, ich bin doch auch glücklich.“ Mit den Fingern als Victory-Zeichen zog so Roberts Mundwinkel hoch.
Wie überrascht riss Dörthe die Augen auf, „Warte, ich habe noch was für dich.“
Das Hemd über den Kopf gezogen stand sie in BH vor ihm und hob die Arme, „Ich hab’s noch nie weggemacht. Es wird Zeit dafür.“
Robert blickte auf ihre zarte Achselbehaarung und die bereits in einem B-Körbchen steckenden Brüste.
„Jetzt guckst du aber!“, sie lachte mit offenem Mund, zum ersten Mal mischte sich etwas Ordinäres in ihren Freudenlaut, der tief aus der Kehle kroch und von hinten gegen ihre breiten Zähne schlug.
Ein leichter Schweißgeruch drang in seine Nase. Wieder nahm er den Waschlappen, befeuchtete die Achsel und sprühte sie dann mit Schaum ein. Dörthe kicherte erneut, zuckte leicht, als er den ersten Zug tat.
„Es kitzelt gar nicht so sehr.“
Schnell war er mit der ersten Achsel fertig, wischte Schaumreste vom BH.
„Die andre“, sagte er ernst, wie bei einer Operation.
„Hast du schon mal Achsel- oder Schamhaar angefasst?“ Sie hob den linken Arm, um auch diesen von seinem Achselhaar befreien zu lassen.
„Nein“, sagte er leise.
„Dann tu‘s doch vorher. Oder ekelst du dich?“
Robert tastete ohne hinzusehen nach dem Waschbecken, ließ den Rasierer hinein fallen.
Mit dem Handrücken näherte er sich dem wirren Flaum, strich entgegen der Wuchsrichtung. Der Geruch von Schweiß wurde stärker, er notierte die Feuchtigkeit, den Kontrast der Haut darunter zu dem leicht drahtigen Haar. Es war nicht so weich, wie es aussah.
„Pikt es nicht?“, fragte er.
Dörthe schüttelte den Kopf. Er spürte ihren Atem an seiner Schläfe, dann griff er zielsicher wieder zu seinem Werkzeug und entfernte das eben noch berührte Körperhaar.
„Fertig“, er tupfte einen Wassertropfen von ihrem Oberarm und wechselte wieder die Klingen, hängte den Rasierer zurück in seine Halterung in der Duschkabine und warf den gebrauchten Waschlappen in die Maschine.
„Sollen wir jetzt losgehen und dir Wimpern kaufen?“

Dörthe griff Roberts Hand, als sie das erste Mal mit Glatze auf die Straße trat. Zum Drogeriemarkt waren es nur fünf Minuten, doch die schienen beiden einschneidend.
„Ich überlege, ob ich das auch als feministisches Statement verkaufen könnte. Weißt du, so nach dem Motto: Jetzt guckt ihr blöd, wenn ich mir statt der Beine den Kopf rasiere, ihr Arschlöcher.“
Roberts Griff um ihre Finger lockerte sich ein wenig, „Ich dachte …“, umso fester langte Dörthe zu.
„Natürlich habe ich es auch für dich gemacht. Und wegen der Erfahrung.“
Es gab Augen auf dem Weg zur Drogerie, die sich fast schmerzhaft nach dem Anblick der zwei Kahlen verzehrten, aber auch welche, die ignorierten und hinnahmen. Für diesen Moment waren ihr die Voyeure wichtiger. Die Gaffer, die Dörthes exhibitionistischen Trieb verstohlen oder auch unverhohlen anstachelten und gleichzeitig befriedigten.
„Wolltest du sie nie alle einfach anspucken?“
Robert zuckte die Schultern und stieß die Ladentür auf, „Ich habe öfter die Zunge rausgestreckt. Gespuckt nie.“
Sie strebten die Kosmetikabteilung an. Vor Robert lag ein Angebot verschiedenster ausgefallener und auch weniger glamouröser Kunstwimpern.
„Soll ich einen Augenbrauenstift mitnehmen? Welche Farbe? Was wäre denn deine Naturhaarfarbe?“
Im Neonlicht glänzten Strasssteinchen, Glitter und Roberts Augen, in denen all das sich spiegelte.
„Robert?“
„Meine Haarfarbe? Die hat sich nie wirklich gestellt, die Frage … dunkelblond vielleicht?“
Dörthe küsste ihm die Schläfe mit einem Lächeln.
„Ganz schön kalt, so ohne Haupthaar“, sagte sie und wandte sich den Augenbrauenstiften zu.

Am Abend klaute Robert die Wimpernzange seiner Mutter aus dem Schlafzimmer und nahm sie mit in seinen Raum, in dem Dörthe bereits mit den Wimpern wartete.
„Welche willst du? Die Normalen oder die Ausgefallenen?“
„Die Normalen, bitte.“
„So, dann beginnt die Operation. Bitte gerade hinsetzen.“
Robert streckte den Rücken durch, „Gewöhnst du dich an das Gefühl der Glatze?“
„So langsam. Morgenfrüh wird es erst mal seltsam sein. Und jetzt still, ich muss dich behaaren.“
Als die Wimpern klebten, sah Dörthe ihr Werk an. Robert streckte seine Finger aus, doch sie hinderte ihn am Anfassen, „Warte noch. Es ist besser sie noch etwas trocknen zu lassen.“ Sie stand auf und verließ das Zimmer, kam mit dem Rasierer zurück.
„Bevor ich dir Augenbrauen male, sollst du mir meine noch abmähen.“
„Ich weiß nicht, Dörthe, das …“
Sie stellte sich vor den Spiegel und setzte an.
„Ich mach es eh. Aber machst du es?“
Er stand auf und nahm den Rasierer, blickte auf ihre geschlossenen Lider und fuhr ein paar Mal über die Brauen, bis kein Haar mehr stand.
„Ich bin gespannt, wie die morgen in der Schule gucken werden.“
Dörthe fuhr sich über die Stirn, über die Brauen und in die Augenhöhlen.
„Und die Wimpern?“
„Bitte, ich bitte dich darum sie dran zu lassen.“
„Dir zu liebe.“ Ein wenig bedankte sich ihre Angst bei Robert.

Robert schloss die Augen und fuhr erneut auf Klassenfahrt. Es war warm um ihn herum, und es blieb schwül, als die Decke von seinem Körper glitt. Bereits nackt lag er auf der Matratze und griff eine feuchte Hand. Ein erdiger Geruch stieg auf. In wechselnd intensivem Licht kniete jemand zwischen seinen gespreizten Beinen. Das Gesicht der Person blieb im Dunkeln, nur der Unterleib war von hartem Licht beschienen, das von pechschwarzem Schamhaar verschluckt wurde. Robert fühlte, wie jede Pore seines Körper sich öffnete. Sein Mund, seine Augen, seine Ohren wurden zu Geschlechtsorganen, die bereit waren, alles aufzunehmen, was ihnen gegeben wurde. Schwanzhunger, flüsterte jemand mit nassen Lippen in sein Ohr. Ein behaartes Kinn kratzte über seine Schläfe. Dann drang etwas zwischen seine Beine, er sah das Beet aus Schamhaaren näher an seine eigne Scham rücken. Es drückte zwischen seinen Pobacken, es pochte mit dem Schlag eines Schwanzherzens. Auf einmal war es weg, er blickte nach unten und sah Dörthes Schulter, spürte seinen Schwanz in ihrer Achsel liegen, ihre Achselhaare reizten sein nacktes Genital. Rieben es mit ihrer Derbheit wund. Angstschwanz.

Er schluckte schwer, den Mund ausgetrocknet, die Vorderzähne an der Innenseite der Oberlippe klebend. Neben ihm atmete Dörthe. Er wagte es nicht, über sie hinweg nach der Wasserflasche zu greifen. Ein unbestimmter Ekel lag ihm auf der Zunge, und er konnte ihn nicht wegspülen.
„Robert“, flüsterte Dörthe, „Bist du wach?“
Erst jetzt bemerkte er sein Schnaufen, sein Herz das sich wie ein Wasserballon in seiner Brust anfühlte. Dörthes Hand erspürte den Schweiß auf seinem Gesicht.
„Weinst du?“
Er schwieg und wartete auf ihre Reaktion. Sie legte ihren kahlen Kopf gegen seinen, ihre Arme um seine Schultern, schlug ein Bein über ihn.
„Hast du schlecht geträumt?“
Er nickte und spürte Tränen aufsteigen. Fingerspitzen fuhren über seine neuen Wimpern, Lippen folgten, vorsichtig und das Lid kaum berührend.

Montags hatten Robert und Dörthe erst zur dritten Stunde Unterrichtsbeginn. Der Friseursalon machte um acht Uhr auf.
„Gehen zwei Glatzköpfe zum Friseur“, Dörthe grinste und rammte Robert den Ellbogen in die linke Rippe. Der Wasserballon darin hatte an Druck verloren.
Die Friseurin lächelte verunsichert, als die Türklingel über den beiden erklang.
„Hallo“, sagte Dörthe und ging vor, „Ich hätte gerne eine Perücke für ihn.“

„Hast du ihm die Wimpern und Augenbrauen gemacht?“
Dörthe nickte stolz.
„Das ist wirklich gut gemacht.“
Robert ließ sich die dritte Perücke aufsetzen, betrachtete sein neues Aussehen im Spiegel.
„Die nehmen wir!“, rief Dörthe und fuhr mit den Fingern durch das halblange Blondhaar. Robert lächelte, als die Friseurin ihn fragend ansah, „Sie hat Recht, die gefällt mir.“

Je näher sie der Schule kamen, umso mulmiger wurde es Dörthe und Robert. Er zupfte an seiner Perücke, sie fuhr sich über den blanken Schädel. Der Wasserballon in Roberts Brust wurde dicker und schwerer.
„Ich habe schon mal versehentlich Pfirsiche gekauft, obwohl ich Nektarinen wollte“, sagte sie.
„Und?“
„Vielleicht verwechseln sie uns jetzt.“ Dörthe lachte laut, denn auch sie wollte den Druck unter ihren Rippen und im Magen verringern.
„Sie werden sehen“, sagte Robert, „Dass wir alle irgendwie nur verkleidet sind, oder?“
Dörthe nickte und wagte nun größere Schritt in Richtung Schule.

Die Mädchen waren unverhohlen schockiert. Rissen Augen und Münder auf, brachen in Diskussionen aus und bestürmten Dörthe mit Fragen, obwohl sie sonst nicht viel mit ihr sprachen.
„Warum?“, fragten sie mit schmerzverzerrten Gesichtern, als sei jemand zu jung gestorben.
Dörthe zuckte die Schultern, „Warum nicht?“
Über Robert lachte und schmunzelte man, ein älterer Schüler rief, „Hey Warhol, gib mir fünfzehn Minuten Ruhm!“
Vor der Klasse standen die Jungs aus Roberts Zimmer und lachten.
„Hey, es ist doch ansteckend. Jetzt hat er die Kleine haarlos gemacht“, einer trat in den Gang und schrie, „Robert ist ansteckend!“
Robert standen Tränen in den Augen, er konnte sich nicht bewegen.
Dörthe drückte seine Hand und ging auf die Gruppe zu.
„Das war ich selbst, ihr Wichser. Und wenn ihr’s nicht glaubt, zeig ich euch meine Haare.“ Sie knöpfte die Jeans auf und entblößte ihr Schamhaar. Es war still, eine Sekunde, dann brachen alle in Grölen aus.
Dörthe presste die Lippen zusammen, schloss den Knopf und drehte sich um.
Plötzlich brach sie in Lachen aus, gluckste und entblößte ihre weißen Zähne, „Bitte lach jetzt endlich, Robert!“
Er tat ihr den Gefallen.
„Lass uns gehen. Wir haben hier nichts verloren, nicht mal unser letztes Haar.“

 

Hallo Timo

Da legst du ja mal wieder eine Geschichte vor, die sich von der Idee und der Handlung her erfrischend abhebt und plausibel wirkt. Anfänglich zögerte ich noch, es hinzunehmen, dass der kleine Robert sich am langen Haar seiner Mutter derart fasziniert, doch dann bekam es Konturen.

Teilweise hatte ich etwas Zweifel, ob Dreizehnjährige heute so unverblümt über Menstruation und Masturbation sprechen, ich hätte es da eher auf einer provokativ-witzelnden Ebene gesehen, aber genau weiss ich es natürlich nicht. Im Ganzen sind die Dialoge und die Handlungen nach meinem Empfinden aber gut gestrafft, nicht ausufernd.
An sich wäre zu erwarten gewesen, dass Dörthe mit ihren Eltern Ärger bekommt, doch gefehlt hat mir dieses Teil in der Geschichte nicht. – Ich hatte seinerzeit als Zwölfjähriger mal aufgrund einer Wette meinen Schädel beim Coiffeur kahlrasieren lassen. Damals war das nicht „In“, einzig Yul Briner war als Kahlkopf bekannt. Am nächsten Tag johlten alle Kinder auf dem Schulhof um mich. Lustige Erinnerung, aber für Kinder nicht empfehlenswert. Ich erhielt das Entgelt der Wette jedenfalls nie.

Mit geschlossenen Augen betastete er währenddessen den Flausch an seinen Augen, ganz und gar fühlende Fingerspitze werdend.

Mit diesem Satz hatte ich meine Schwierigkeiten, wohl erkennend, was gemeint ist, doch von der Wortwahl ganz und gar fühlende Fingerspitze werdend irritiert. Dieses Empfinden würde im Klartext doch etwa lauten: Mit geschlossenen Augen betastete er währenddessen mit den Fingerspitzen, den Flausch an seinen Augen. Dass es für ihn ein ganz neues Gefühl ist, hätte ich in einen weiteren Satz genommen.

Es war mir ein Lesevergnügen, dessen romantische Züge mich wohltuend erheiterten, obwohl der Ernst von Roberts Lage mir ebenso bewusst wurde.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon!

Vielen Dank für das Lesen und Kommentieren meiner Geschichte!

Mit diesem Satz hatte ich meine Schwierigkeiten, wohl erkennend, was gemeint ist, doch von der Wortwahl ganz und gar fühlende Fingerspitze werdend irritiert.
Den Satz habe ich geändert (hoffentlich nicht verschlimmert) zu einem:
Mit geschlossenen Augen betastete er währenddessen den Flausch an seinen Augen. Die Konzentration richtete sich immer mehr auf das noch nie erlebte Gefühl, das nun durch die Wimpern in seinen Fingerspitzen und den Lidern entstand.

Teilweise hatte ich etwas Zweifel, ob Dreizehnjährige heute so unverblümt über Menstruation und Masturbation sprechen
Da bin ich mir auch nicht sicher, aber ich hatte gehofft, die Dörthe wie eine wirken zu lassen, die das tut. Egal, wer um sie herum darüber schweigt oder spricht.

Ich hatte seinerzeit als Zwölfjähriger mal aufgrund einer Wette meinen Schädel beim Coiffeur kahlrasieren lassen. Damals war das nicht „In“, einzig Yul Briner war als Kahlkopf bekannt. Am nächsten Tag johlten alle Kinder auf dem Schulhof um mich. Lustige Erinnerung, aber für Kinder nicht empfehlenswert. Ich erhielt das Entgelt der Wette jedenfalls nie.
:D Kinder sind grausam.

Es war mir ein Lesevergnügen, dessen romantische Züge mich wohltuend erheiterten, obwohl der Ernst von Roberts Lage mir ebenso bewusst wurde.
Das freut mich sehr.

Grüße: Timo

 

Hi TimoKatze,

ich hab deine Geschichte gestern schon gelesen (Hammer Titel, echt). Du benutzt hier viele Zutaten, auf die ich abfahre. Schräges Stigma, Ausgrenzung, und dann bisschen zum Wohlfühlen, weißen Ritter (Dörthe, der Held), Rettung und Happy End.
Ich fand das schön und niedlich (meine ich nicht abwertend).

Inhaltlich haben mich ein paar Sachen angesprungen.

Dörthe hat so eine klassische Heldenrolle, und als Leser kapiert man nicht wirklich, warum. Also, wenn jemand in der Schule gepiesackt wird, das Schlimme ist ja, da stellt sich eben NICHT jemand daneben, hilft dem und sagt, lass uns Freunde sein und zusammen schaffen wir das und ich mach die alle fertig für dich.
Was ist Dörthes Motivation?
Was mir so als ganz klassisch einfallen würde: Dörthe hat auch irgendein "Problem", so dass sich zwei Außenseiter zusammentun und sich gegenseitig helfen. Hier würde sich zum Beispiel thematisch anbieten, dass Dörthe mit einem Damenschnurrbart oder sowas "gesegnet" ist.
Im Moment schweigt sich der Text ja komplett drüber aus, warum Dörthe sich des Protagonisten so annimmt.

Die erste Klassenfahrt seit Beginn der Pubertät fand statt, als Robert dreizehn war. Erfolgreich hatte er sich beim Sport zum Umziehen in die Toilette retten können, nun musste er das Risiko von acht Stunden Schlaf inmitten Testosteron erfüllter Jungs eingehen.
Das Hänseln, Mobben, Quälen, wie auch immer man das nennen will: hat das wirklich nur mit Pubertäts-Testosteron zu tun (wie die Formulierung des Satzes nahelegt)? Meiner Meinung nach hätte die Szene mit der Schlafanzughose in jedem Alter stattfinden können, also zB auch bei erwachsenen Männern in der Kaserne.

„Sieht das gut aus, Mama?“
„Wenn du dich wohlfühlst, wird alles an dir gut aussehen“, sie küsste seine Schläfe.
„Mama, ich hab auf dem Schulweg einen Laden mit Perücken gesehen. Können wir das mal ausprobieren?“
Ich wünschte, die Mutter würde da nicht so eso weltfremd rüberkommen, so eine Mutter wär für den Kleinen glaub ich ganz fatal.

„Stell dir mal vor, Robert, ein Mülleimer für fünf menstruierende Mädchen. Das ist schlimmer, als ein Zimmer für fünf masturbierende Jungs.“ Sie versuchte zu lachen, doch Robert wurde schlecht. Weder sprossen bei ihm Schamhaare, noch floss der Samen. Er war sich nicht mal sicher, ob er überhaupt schon in der Pubertät war. Es gab keine sicheren Indikatoren für ihn.
Den Gag mit dem einen Mülleimer finde ich vermeidbar. Wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass alle Mädchen gleichzeitig menstruieren? Eine viel realere Bedrohung bei sowas: fünf Mädchen, aber nur ein Badezimmer!
Und ein Zimmer mit fünf masturbierenden Jungs und Robert macht sich Sorgen, weil er noch keinen Samen produziert, das klingt so, als würden Jungs in dem Alter auf Klassenfahrt immer in der Gruppe wichsen und sich gegenseitig dabei zugucken ... hm. Echt? Ist das üblich?

Dörthe drückte seine Hand und ging auf die Gruppe zu.
„Das war ich selbst, ihr Wichser. Und wenn ihr’s nicht glaubt, zeig ich euch meine Haare.“ Sie knöpfte die Jeans auf und entblößte ihr Schamhaar. Es war still, eine Sekunde, dann brachen alle in Grölen aus.
Dörthe presste die Lippen zusammen, schloss den Knopf und drehte sich um.
Plötzlich brach sie in Lachen aus, gluckste und entblößte ihre weißen Zähne, „Bitte lach jetzt endlich, Robert!“
Also ... Dörthe ist einfach zu gut um wahr zu sein, psychologisch kauf ich die nicht, echt nicht :)
Ich weiß nicht, ob du da viel dran ändern kannst (oder es solltest). Über ihre Motivation könntest du wirklich mal nachdenken. Dieses Ende, das wird wohl immer so ein Märchen-happyend bleiben, auch wenn du eine verdammt gute Motivation für Dörthes Heldentum in die Geschichte stricken kannst.
Es hat mich nicht übermäßig gestört oder so, ich les gern mal bisschen rosa. Aber du solltest wissen, dass das schon sehr rosa ist.

Das ist jetzt so das, was ich mir mit einem Tag Abstand gemerkt hatte aus dem Text.
Und wie gesagt, gern gelesen, immer wieder Dialogzeilen drin, die ich wirklich rührend fand. :)

 

Hallo Timo,

ja, mir hat diese Geschichte gefallen. Die Dialoge, das Thema, die Spannung. Hatte irgendwann mittendrin die Befürchtung, die geht dann doch wieder so aus, am Schluss bringt er sich um. Das hätte mir dann nicht gefallen - aber so ein wirklich gutes Ende - in jeder Hinsicht. Eine Geschichte über Toleranz, auch über Mitgefühl ohne gefühlsduselig zu sein, ganz im Gegenteil, mit viel Humor auch. Zwei wunderbare Charaktere, die Dörthe und der Robert. Und eine Geschichte über die Grausamkeit von Kindern, das wissen wir ja alle, und einem Weg, wie man damit auch umgehen kann. Das ist schon stark. An manchen Stellen habe ich mich schon auch gefragt, sind die wirklich erst Dreizehn, hörte sich zum Teil reifer an. Aber die Entwicklungzeiten der Kinder/Jugendlichen heute beschleunigen sich ja wohl exponentiell :D Da kommt ein alter Knacker wie ich gar nicht mehr mit :confused:

Eine Stelle ist etwas unklar für mich - ich vermute das ist eine Traumsequenz von Robert:

Robert schloss die Augen und fuhr erneut auf Klassenfahrt. Es war warm um ihn herum, und es blieb schwül, als die Decke von seinem Körper glitt. Bereits nackt lag er auf der Matratze und griff eine feuchte Hand. Ein erdiger Geruch stieg auf. In wechselnd intensivem Licht kniete jemand zwischen seinen gespreizten Beinen. Das Gesicht der Person blieb im Dunkeln, nur der Unterleib war von hartem Licht beschienen, das von pechschwarzem Schamhaar verschluckt wurde. Robert fühlte, wie jede Pore seines Körper sich öffnete. Sein Mund, seine Augen, seine Ohren wurden zu Geschlechtsorganen, die bereit waren, alles aufzunehmen, was ihnen gegeben wurde. Schwanzhunger, flüsterte jemand mit nassen Lippen in sein Ohr. Ein behaartes Kinn kratzte über seine Schläfe. Dann drang etwas zwischen seine Beine, er sah das Beet aus Schamhaaren näher an seine eigne Scham rücken. Es drückte zwischen seinen Pobacken, es pochte mit dem Schlag eines Schwanzherzens. Auf einmal war es weg, er blickte nach unten und sah Dörthes Schulter, spürte seinen Schwanz in ihrer Achsel liegen, ihre Achselhaare reizten sein nacktes Genital. Rieben es mit ihrer Derbheit wund. Angstschwanz.

Ansonsten würde das irgendwie nicht in das Gesamtschema passen, weiß nicht, das klingt so gewollt anders.

Ja und dann der Titel - der ist echt gut. Der den Gegensatz zwischen den verschiedenen Sichtweisen auf Robert gleich herausstellt. Man kommt beim Titel ja nicht gleich drauf, um was es geht in der Geschicte, aber der Dialog in dem dieser Titel thematisiert wird - auch sehr stark.

Das wars mal von mir im Schnelldurchlauf - gern gelesen

Grüße

Fred B

 

Hey Timo,

schön mal wieder von Dir zu hören. Die Außenseiter haben es Dir ja angetan, hast wohl dein Thema gefunden.

Diese Geschichte finde ich nicht so gut gelungen, wie die vorherigen. Die beiden sind zu glatt. Robert ist in der klassischen Opferrolle und Dörthe in der Heldenrolle. Niemand verlässt seine Rolle, steigt da mal aus, gibt mal eine andere Sicht auf die Person. Eindimensional von Anfang bis Ende. Das war in deinen Geschichten davor nicht so. Die hatten Ecken und Kanten. Mit der Spannung ist auch so ein Ding. Ich weiß nicht in welche Richtung Du sie aufbauen willst, aber das zuspitzen der Erlebnisse, naja, das ist eben eine Steigerung, linear und am Ende noch was positives. Aber ich bin da auch kein Profi, ich merke bei dieser Geschichte nur, wie es sich für den Leser anfühlt.

Ich hätte mir ein bisschen mehr "innen" gewünscht. Was macht die Wut mit Robert? Hat er welche? Wie geht er mit seinen Ängsten um? Die Geschichte schaut ja sehr von außen und macht alles an den Handlungen der beiden fest. Daran ist ja an sich nichts falsches, aber die anderen sind gemein, Robert knickt das, Dörthe hilft. Dörthe liest sich für mich auch mehr als große Schwester, denn als Freundin. Also, mir fehlt hier das psychologische Moment, was vorher bei Dir so großartig umgesetzt wurde.

Versteh mich jetzt nicht falsch. Die Geschichte ist gut zu lesen, der Titel ist toll, das Thema interessant, aber im Vergleich zu davor, schwächelt sie für mich. Hätte ich die nicht zum Vergleich, würde ich sicher mehr loben. Es ist unfair, wenn Leser mit Erwartungshaltungen kommen, oder?

Mach Dir nix draus :). Ist ja auch nur mein Senf und Gefühl.
Beste Grüße Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Timo,

ich fand die Geschichte sehr interessant, aber auch noch ein wenig unausgegoren. Also dieses Haarmotiv, das kommt schon ziemlich literarisch-artifiziell rüber, aber das hat mich hier nicht so gestört. Man kann gerade durch Überzeichnung schöne Effekte erzielen.
Am Spannesten fand ich es eigentlich da, wo es sexuell wird. Weil da alle möglichen Brüche reinkommen, Ekel und Begehren, Furcht und Geilheit und das alles auf so eine gundverkorkste Teenagerart. Wo sie da plötzlich ordinär klingt und breite Zähne hat und er homoerotische Phantasien. Überhaupt dieses Enthaarungsthema in diesem Zusammenhang fand ich gut. Weil bei ihm die Haarlosigkeit ja mit sexueller Spätentwicklung einherzugehen schein, obwohl das in seinem Fall ja biologisch eigentlich nichts miteinander zu tun haben sollte. Und bei ihr sind die Haare dann so Zeichen sexueller Reife. So wie sie redet ist sie ja schon ziemlich frühreif für eine 13jährige und provoziert auch mit ihrer Sexualität. Und die Verbindung von Enthaarung und Nichtenthaarung mit Feminismus ruft sie ja selbst auf. Ist auch nach wie vor ein interessantes Thema, dass in unserer Kultur gerade die kindlich-nackte Frau zur Sexikone geworden ist.
Entweder hast Du schon ziemlich viel überarbeitet, oder ich lese da anders als andere Leser. Für mich ist Dörte kein eindimensionaler Held. Es kommt ja immer mal wieder durch, dass sie das alles nicht nur ihm zuliebe tut, sondern auch aus Exhibitionismus. Da ist die Geschichte eben keine platte Anti-Mobbing Mutstory.
Also das finde ich alles spannend und im besten Sinne seltsam. Aber es ist nicht so richtig konsequent durchgezogen. Diese Gebrochenheit von Dörte ist erzählerisch nicht so richtig vorbereitet. Um diese ganze Aktion besser sortieren zu können, müsste ich beide Figuren viel besser kennen, der Wandel ihrer Beziehung, der Dreh ins Sexuelle müsste sich langsamer entwickeln.
Überhaupt hat mir der ganze erste Teil, der Familien und Kindheitsteil nicht wirklich was für die Geschichte gebracht. Du fängst so groß mit der Mutter an, fast so ödipal, und dann verschwindet die einfach sang- und klanglos. Es ist auch nicht so ein richtiges Ablösungsmotiv, also dass die haarige Dörte da jetzt den Platz der haarigen Mutter einnähme. Könnte man gut machen, aber dann müsste man das anders ausbauen. Auch dass die Mutter ihm schonmal Wimpern angeklebt hat, nimmt irgendwie das Besondere aus Dörtes Behaarungsaktion.
An Deiner Stelle würde ich die Eltern komplett rausschmeißen und mich auf die Beziehung von Junge und Mädchen konzentrieren. Wie das wächst und sich dann in der Pubertät so seltsam entwickelt. Für mich wurde die Geschichte erst mit der Klassenfahrt so richtig spannend, als die Haargeschichte mit Sex verbunden wird. Also ich würd da viel Drumherum streichen und in der Figurenzeichnung einige weißen Flecken ausmalen.

lg,
fiz

 

Hallo Timo Katze,

es ist schon viel kommentiert worden zu deiner Geschichte und im Großen und Ganzen schließe ich jedem der Kommentatoren inhaltlich an. Ich habe beruflich mit solchen Erkrankungen zu tun, darum ist mir das Thema nahe.
Die geführten Dialoge schwanken zwischen Erwachsenen Sprache und Jugendjargon. Spätestens bei dem Wort "epilieren" stolperte ich über das Alter der Protagonistin (13?) und das Gefühl des schlingerns bekam ich noch einige Male. Die Sexualität ist zwischen diesem good girl und good boy für mich nicht glaubwürdig. Beim Lesen erschien mir das Mädchen ca. 18 Jahre alt und der Jung vielleicht um die zehn Jahre alt.

Trotz dieser Ungereimtheiten in den Dialogen habe ich die Geschichte sehr gerne gelesen und mich nicht gelangweilt. Es ist ein schweiriges Thema und es ist sehr schwierig, sich empathisch einem Pubertier zu nähern, der an einer seltenen Erkrankung leidet.
Ich werde mehr von deinen Geschichten lesen.

Freundlich
die Mai

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Timo,

Titel mag ich, eine feine dreier-Alliteration mit stimmigem Inhalt, die muss erst mal gefunden werden! und er macht doppelt neugierig, zuerst fragte ich mich, was sich dahinter verbirgt und dann, als Kritisierender, ob es der Schreiber hinkriegt, diesen Tiitel sinnvoll mit der Geschichte zu verbinden. sehr gut gelungen also, der einzige Kritikpunkt, der bleibt, ist die Frage, ob die Kinder in der fünften Klasse diese relativ komplexen Übertragungen wirklich so souverän verwenden könnten, da spielen die sich die Bälle zu wie kleine Genies. aber es ist nicht zu weit aus dem Rahmen heraus, die Glaubwürdigkeit bleibt erhalten.

und im Gegensatz zu dem Fotograf bspw gibt es hier eine Krankheit, ähnlich der des Weberknechts, das gibt der Geschichte schicksallhafte Züge, dadurch haben die Verhaltensweisen der beiden keine extravaganten Züge, es geht nicht darum, sich zu etwas außergewöhnlichem zu machen, sondern darum, jemanden mit seiner Eigenheit nicht allein zu lassen, indem Dörthe sich in die Ecke stellt, in die er von den (noch verhältnismäßig friedlichen Mitkindern) gestellt wird.
es ist, als wäre dörthe ebenso eigenartig wie Robert, nur auf eine andere Art, und zwar, weil sie es als einzige nicht akzeptieren will, dass ihn seine Andersartigkeit ausschließt. (wobei das jetzt schon relativ viel Spekulation ist - für diese Feststellung bräuchte es noch mehr Szenen, die zeigen, dass Dörthe Teil der Gemeinschaft sein könnte, wenn sie wollte / und dass Robert wirklich ausgeschlossen wird ...) und im Zuge einer bestimmten Entwicklung macht sie einen radikalen Schritt, um sich zu ihm zu stellen, das demonstriert Robert und der Klasse, sie meint es ernst.
das gibt der kleinen Geschichte in meinen Augen eine größere Kraft, die (scheinbare) Unabänderlichkeit von Roberts Schicksal legitimiert das Verhalten der beiden. hier sind ein paar sehr schöne Details drin, allerdings habe ich das Gefühl, hier schlummert noch einiges Potential, das nicht entwickelt wurde ...

Grüße
Kubus

PS: wobei man von der Dörthe auch sagen muss, dass ihr Verhalten ebenso als Art und Weise verstanden werden kann, sich eines anderen Menschen voll und ganz zu versichern. indem sie sich so deutlich und krass zu Robert stellt, macht sie freiwillig zu ihrem Schicksal, was dem Robert mitgegeben wurde, ohne zu fragen: die Isolation von der Klasse. nur jetzt sind sie eben allein zu zweit, durch einen demonstrativen Akt verbunden, der das Bild von beiden dauerhaft verändert und somit einen eventuellen Weg in die Klassengemeinschaft zusätzlich erschwert. auf der einen Seite wird der Graben vertieft, auf der anderen Seite wird aber auch ein Band zwischen den beiden geknüpft, das fester sein dürfte, als das zwischen den meisten Menschen. Dörthe ist schon ein ausgefallenes, mutiges, verrücktes Mädchen, die zwar auch Gelüste auslebt mit ihrer Aktion, aber letztendlich und vor allem diesen Schritt wagt, zu dem sie ja erst mal Mut sammeln musste, um die unsichtbare Grenze in Roberts Isolationskammer zu überwinden. dort hinein geht sie aber nicht aus Berechnung, das könnte man bei so verteufelt cleveren Kids gruseliger Weise schon vermuten, sondern aus einer Regung ihres mitleidigen Herzens heraus, es ist dieser finale Schritt ja bereits angelegt in ihrer Feststellung zu Beginn, als sie leichthin meint, Nektarinen seien den Pfirsichen im Prinzip sehr ähnlich, bzw in dem Satz steckt drin, dass sie sich von den Äußerlichkeiten, auf die die anderen anspringen, nicht einen Moment foppen lässt. interessant und vielschichtig gestaltet, sehr vielversprechend, ihre Charakterzeichnung. gefällt mir von allen deinen Charries am besten bisher, so eine kämpferische Prinzessin Myschkin. und, wie geschrieben, hier schlummert in der Geschichte allgemein noch einiges an Potential.

 

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