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06.09.2002
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Nein

Trautes Heim. Ja, so ist es . . . diese vier Wände ziehe ich vor. Doch der Anblick ist nicht mehr der selbe, wie vor 3 Jahren.
Was hat sich verändert? Nichts!
Ich lasse die Türschwelle hinter mir, gehe langsamen Schrittes nach vorne und mein Arm bewegt sich routinemäßig nach rechts um den Lichtschalter der Küche zu betätigen. Erst mit Hilfe dieser 30 Watt Birne kann ich mir einen Überblick bilden, da die Fenster so undurchlässig wie die Wände geworden sind. Auch farblich ist der Unterschied gering. Schnell wird die Kraft der Sonne bewusst: die Vorhänge waren mal leuchtend rot –zumindest in meinen Erinnerungen- doch nun kommt es mir vor als hätten sie in Erbrochenem gelegen –so wie es mir in den letzten Jahren auch ergangen ist- und würde ausreichend Platz bieten für Familie Motte.
Sind es drei Jahre her? Das Haus ist um hundert gealtert, so wie ich. Eine Hand drückt meine Schulter. „Ich lasse dich lieber alleine Marc.“
Ich war mir nicht bewusst, dass Ken mich noch hinein begleitet hatte.
„Du brauchst etwas Zeit für dich. Ich kann dir dabei nicht helfen. Doch wenn du mich brauchst . . .“
Nun ist er weg . . . Ken. Ist er mein Freund? In drei Jahren konnte ich mir selbst keine Antwort drauf geben, doch er hat das getan wofür er bezahlt wurde: mich verteidigen. Er hat es verdient, ja , schon alleine deswegen, weil er sich dieser Sache angenommen hatte.
Selbst ein Verteidiger bringt sich in Schwierigkeiten, wenn er einen Mann verteidigt, der zwei junge Frauen umgebracht haben soll. Es gab nicht mal Motive oder Indizien, doch ich bin 25, Single, sehr introvertiert und die Leichen wurden fünfhundert Meter von meinem Haus entfernt in einem Wäldchen gefunden. Das reicht aus für eine Verhaftung, zumindest im Staate Texas.
Drei Jahre lang: kämpfen, erklären, verneinen, immer wieder verneinen, diese ständigen Verhöre, die selben Fragen mit den selben Antworten . . . täglich.
Doch die Verhöre erfreuten ich immer mehr, das Reden und das Verlassen der Zelle, denn Kommunikation war eingeschränkt. Auch ich bekam meine gutgeschriebene Besuchszeit, doch ohne Besuch. Ich war tot –und bin es jetzt noch. In den Köpfen meiner Eltern existiert wohl nur noch ein Grabstein: Marc Olyn 1961 – 1986.Ich belasse es auch dabei. Würde auch nur kleiner Lebensfunken von mir zu ihnen durchdringen, mein Vater würde schon längst mit geladener Schrotflint vor mir stehen. Das traue ich ihm zu. Das Glauben meiner Eltern an die Justiz ist größer als das in mich selbst, davon wurde meine Kindheit geprägt. Doch dieser Teil meines Lebens okkupiert nur einen kleinen Teil meines Kopfes, in die Ecke gedrängt von den Erinnerungen der letzten drei Jahre. Ich will es nicht, doch sie drängen sich hervor. Ein Bandwurm hat sich festgesetzt und ich bin abgemagert. Mein Verstand wird dünn.
In habe diese zwei jungen Damen, 16 und 17, gefoltert, zwei Tage lang, und mit eigener Hand erdrosselt. Das sagen sie, sie alle. Graue Gesichter mit Scheitel, mit pikfeinem Anzug und zu fünft in einem kleinen Raum um mich umhersitzend.
Sie suchen nicht nach Informationen, Indizien oder einem endgültigen Geständnis, sie fordern es.
Ihre Fragen ,und es sind immer und immer wieder nur die selben – jedenfalls laufen sie immer wieder nur auf das selbe hinaus- werden von ihnen selbst beantwortet. Meine hektischen und mit unkontrollierter, heiserer Stimme wiedergegebenen Antworten sind so hilflos wie die zitternden Bewegungen eines gerade gefangenen Fisches.
Der Fischer, diese fünf Gesichter, sie schauen nur ruhig herab auf das Gefangene und warten, denn dies ist ihr Vorteil. Sie wissen was kommen wird: das Ende, mein Ende.
Ich jedoch bin wieder ins Wasser zurückgesprungen. Nein, gesprungen ist falsch gewählt! Ich wurde gerettet, von einer Welle, Ken!
Ach, was rede ich mir nur ein! Ja, ich bin jetzt frei und muss nicht mehr in meiner Zelle vegetieren.
Ja, frei! Wo bleibt die Freude? Verdammt noch mal darauf kann ich lange warten und es hat einfach keinen Sinn!
Der Grund warum ich freigelassen wurde: aus Mangel an Beweisen. Mit anderen Worten, ich bin noch immer auf ihrer schwarzen Liste, immer noch schuldig, doch weil diese Männer mit Scheitel nicht genug gefunden haben müssen sie mich loslassen.
Damit bin also kein Mörder, wurde aber er-mordet. Täglich wurde ich mehrmals ermordet, ausgeweidet wie diese beiden Mädchen. Mit dem Anblick dieser Mädchen haben sie mich umgebracht. Diese Bilder sind ihre Tatwaffe.
Ich konnte es nie verstehen warum sie mir das selbe Dutzend von Photos vor die Nase gehalten haben. Ich habe es doch nicht getan –das sage ich- und jedes Mal erwarten diese grauen, auf mich starrenden Gesichter dass sich meine Antwort ändert.
Somit bin ich ihnen nun trotzdem entflohen und ich bin nun frei. Oder doch eher freigegeben? Freigegeben für die Jagd.
Zivilisten ladet eure Flinten! Marc Olyn ist unter euch!
Und auch bei ihnen ändert mein nein nichts, denn wer glaubt schon einem Kindermörder ...
Ich kannte dieses Gefühl der Hilflosigkeit noch nicht, doch bin ich mir jetzt schon bewusst dass es einen Ausweg nicht gibt. Ich kann nichts ändern weil nichts um mich herum es zulässt.
Das Fenster in meinem Wohnzimmer ist zur Strasse gerichtet. Sonnenschein erhellt die Strasse und ihre vielen netten Häuser. Ich drücke die verfärbten Vorhänge zur Seite und blicke durch die Scheiben hinaus. Das Leben in dieser Welt ist mir unbekannt geworden.
Eine Frau kommt am Haus vorbei, auf der anderen Straßenseite. Sie dreht sich um und ruft ihr kleines Kind zu sich um endlich weiterzugehen.
Weiss sie dass ich daheim bin? Und die anderen?
Ich hoffe es doch, denn sonst wäre die junge Mutter sehr verantwortungslos, wenn sie ihr Kleines so frei vor den Haus eines Mörders laufen lässt.
Ich könnte nun auf die Strasse laufen, oder in der Dunkelheit der Nacht, heute noch ,oder erst in einer Woche, ich könnte es mir greifen, es mehrmals vergewaltigen, erdrosseln, verstümmeln und lebendig verbrennen. Eine ganze Stadt, eine ganze Nation, sie wären sicher alle in Trauer und erschüttert. Ich bin mir auch sicher, überrascht würden sie nicht sein. Nicht von mir.
Das ist meine neue Freiheit, Mord. Ich kann mich ihrer unbegrenzt bedienen und sie nutzten, schamlos.
Die Polizei würde mich festnehmen und würde ihnen mein Keller zeigen, gefüllt mit Kindern, ausgeweidet in ihrem Blut liegend, angefressen und stinkend, ein Kadaverberg: der Tod in seiner reinsten Weise. Die Männer mit ihren pikfeinen schwarzen Kostümen haben nun ihren Beweis, endgültig, und geben ihre das-hatten-wir-doch-gewusst Interviews, voller Stolz.
Ich bin erschrocken. Das Fenster spiegelt mehr das Licht, als dass es welches durchlässt und mein Gesicht erscheint vor mir, schimmernde Augen und ein Grinsen. Ich bin erschrocken, habe mich selbst entdeckt. Mein beiden Hände sind verkrampft vor Erregung und ich habe mich soeben meiner Freiheit bedient. Wenn auch nur in meinen Kopf, doch wenn ich schon daran denke ... , schon allein der Gedanke. Ich denke ,also bin ich. Ich denke daran ,also ...
Nein! Ich sage nein aber tue es doch.
Das Wissen von meiner Existenz ist nur beschränkt auf mich selbst. Ich werde es dabei belassen!
Ich habe mich soeben selbst kennen gelernt und ich fühle nur Furcht. Ist das überhaupt möglich? Doch ich fürchte mich selbst. Ich wurde gewarnt und nehme es ernst.
Wo ist ein Seil? Es hat doch keinen Sinn.
Ich hoffe meine Eltern erfahren es und ich bekommen einen neuen Stein, Marc Olyn 1961 – 1989.

(geschichte nummer1)

 

Hallo Nr...... !

Nein - doch! Oder nicht? Du hast die Geschichte meines Erachtens nach, wirklich gut angelegt und erzählt. Man verfällt einerseits selbst in innere Verteidigung und Anklage, wägt ab was für und was gegen ihn spricht.

Man hinterfragt die eigenen Vorurteile die zu seiner inneren Verurteilung führen und spricht ihn fast gleichzeitig davon frei um sich nicht schuldig zu machen an einem Fehlspruch. Auch die Gescheitelten in den Anzügen haben es gar nicht leicht, und doch unterstellt man es ihnen. Sehr ambivalent das Ganze.

Lieben Gruß schnee.eule

 
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da muss ich mal nachschauen was ambivalent heisst *blätterblätter* :D
mmhhmmmm, achso ... ja da hast du recht
ich versuchte mit dem Text die Gedanken so realistich wie möglich darzustellen, mit den verschiedenen gedankensprüngen. komisch ist für mich der Verlauf der Geschichte in dem Sinne, dass ich es mir überhaupt nicht so vorgestellt hatte. Hab mich einfach hingesetzt und eins kam nach dem anderen und dabei hab ich mich selbst überrascht ...

 

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