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Nein danke
Nein danke
Das Klingeln des Weckers schoss wie ein Feuerwerk in Ulrikes Träume. Sofort waren die Bilder gelöscht. Lediglich ein ungutes Gefühl wies darauf hin, dass es kein schöner Traum gewesen sein konnte.
Ulli starrte an die Decke. »Und was bitte soll ich anziehen?«, murmelte sie, trotzig wie ein Kind.
Es war Sonntagmorgen, acht Uhr. Ein Tag, an dem ihre Freundinnen ausschliefen. Ein Tag, an dem sie zu ihren Eltern fuhr.
Pünktlich um halb zwölf, gleich nach dem Gottesdienst, gab es Mittagessen. Margarete präsentierte stolz immer das Gleiche: Schweinebraten, dazu Gemüse-Kartoffelmus, das je nach Geschmack mit Soße angereichert oder darin ertränkt werden durfte.
Der Geburtstag ihres Bruders Friedjoff sowie Muttertag bildeten eine Ausnahme und wurden im immer gleichen Restaurant gefeiert. Am reservierten Tisch saß Ulli ihrer Mutter gegenüber. Sie sah zu, wie sie ihre Kartoffeln in Stücke schnitt, mit der Gabel zermanschte, um sich dann in der gleichen Form über das Gemüse herzumachen. Margarete vermengte alles zu einem Brei von undefinierbarer Farbe, den sie genüsslich seufzend in ihren breiten, weit geöffneten Mund schob.
Gut, dass sie das Fleisch nicht auf ähnliche Art mit den langen Zinken ihrer Gabel massakrieren konnte.
Zu Hause ersparte sich Margarete die Prozedur, indem sie Kartoffeln und Gemüse gleich im Topf mit dem Pürierstab zerkleinerte und mischte. Alle mussten Pampe essen, und irgendwann würde sie sicher auch den Braten integrieren.
Ulli schlug die Decke zur Seite, setzte sich auf die Bettkante und starrte auf den staubigen Fußboden zu ihren Füßen. Wenn sie sich doch ein Mal trauen würde, den Sonntagsbesuch ausfallen zu lassen!
Friedjoff öffnete ihr die Tür. »Das Essen ist bald fertig.« Er strahlte, als hätte er die ganze Woche nichts bekommen.
»Ulrike!« Margaretes Stimme kratzte am ‚r‘ und spuckte das ‚k‘ wie einen Kirschkern aus, wahrscheinlich direkt in den großen Topf, in dem sie eifrig mit dem Pürierstab hantierte. Ulli begrüßte ihre Mutter, bevor sie ins Wohnzimmer flüchtete.
»Hallo Papa.« Sie ließ sich zwischen ihren Vater und Friedjoff auf das Sofa fallen.
Peter nickte und tätschelte den Arm seiner Tochter.
»Also wirklich!« Margarete stand, die Hände in die Hüften gestemmt, im Türrahmen. Ihr Gesicht leuchtete vor Anstrengung hochrot. Sofort sprang Ulli auf, hastete zum Schrank und hob die guten Teller heraus.
»Das Essen ist soweit«, zwitscherte Margarete aus der Küche, als gäbe es ein Festmenü. Die einzige Überraschung bildete die Farbe der zerquetschten Beilagen, die in einer weißen Schüssel mit Goldrand serviert wurden.
»Ulrike, jetzt stocher nicht auf deinem Teller herum! Iss wenigstens das Gemüse, wenn du schon das gute Fleisch verschmähst.« Margaretes Mund schloss sich wie eine Mausefalle.
Dir würde es auch gut tun, auf das fette Fleisch zu verzichten, dachte Ulli und grinste verstohlen.
»Noch etwas Kartoffelgemüse?« Margarete stand hoch aufgerichtet und schwang die Kelle.
Ulrike schüttelte den Kopf. »Nein danke.«
Schwungvoll landete die hellgrüne Masse auf ihrem Teller. Ihre Mutter sah ihr triumphierend in die Augen. Mit ebensolchem Schwung traf Ullis Mageninhalt das Tischtuch neben ihrem Teller - zumindest in ihrer Fantasie. Als könnte Margarete Ullis Gedanken lesen, fielen ihre Mundwinkel herab und ein Kranz winziger Fältchen grub sich in die Haut um ihre Lippen. »Zu spät. Du hättest ja etwas früher nein sagen können. Friedjoff möchtest du noch?«
Er lehnte sich zurück und rieb seinen Bauch. »Nee, lass mal.«
Margarete klatschte eine Kelle voll auf den Teller ihres Mannes. Freundlich blickte sie auf Friedjoff hinunter. »Den Nachtisch lässt du dir aber nicht entgehen, oder?« Sie lächelte verschwörerisch. »Ich habe ihn extra für dich gemacht.«
Das Essen schien Stunden zu dauern, wie jeden Sonntag. Ulli hätte zum Abschluss gern einen Kaffee gehabt, aber den gab es um Punkt drei. Wenigstens bestand ihre Mutter nicht mehr darauf, dass sie so lange blieb.
»Das wird jetzt aber aufgegessen, Ulrike! Erst nicht genug kriegen, und dann die Hälfte stehen lassen. Wo gibt’s denn sowas?«
Ulli kratzte den Rest vom Teller, blickte verstohlen auf ihre Armbanduhr und nahm eine Anstandsportion Schokoladenpudding. Der weiche Brei in ihrem Mund blähte sich auf. Sie schluckte tapfer. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie ihr Vater versunken löffelte. Die Mutter plapperte an ihr vorbei und Friedjoff grinste dümmlich dazu.
Mit einem Mal war der Gedanke geboren, entwickelte sich in Sekunden zu einem Entschluss: Nie wieder wollte sie an diesen sonntäglichen Essen teilnehmen, sich den Tag, ja die ganze Woche damit verderben. Sie würde ihrer Mutter sagen, dass sie weder den Schweinebraten, noch den Gemüsematsch und schon gar nicht ihre Monologe ertragen konnte. Ihre Ignoranz, ja Frechheiten wollte sie sich nie wieder gefallen lassen. Jetzt war Schluss!
»Ich gehe dann mal.« Ulli griff nach ihrer Tasche.
»Wenn du meinst.« Beleidigt sah Margarete aus dem Fenster, dann klopfte sie Friedjoff lächelnd auf den Oberschenkel. »Soll ich denn schon mal einen Kaffee kochen und die Schwarzwälder auf den Tisch stellen?«
»Tschüss dann.« Peter hob grüßend die Hand in Richtung seiner Tochter.
Margarete hievte sich ächzend aus dem Sessel. »Ja, ja, bis Sonntag, Ulrike.«
»Ja, bis Sonntag«, antwortete sie und schlich über den Flur zur Haustür.