Mitglied
- Beitritt
- 10.09.2018
- Beiträge
- 40
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
- Anmerkungen zum Text
Hallo, da Märchen nicht so laufen hier mal was seltsames. Die Geschichte, die übrigends genauso passiert ist, hat es vor zig Jahren mal in ein BoD Büchl, bei einem Shortstorywettbewerb von Radio Fritz geschafft. Zum Glück haben die damals noch nicht so streng kontrolliert, wie heute beim Spiegel.
Dabei meine ich nicht den Wahrheitsgehalt, der ist über alle Zweifel erhaben, sondern die ganzen Fehler. Eine Schande, was jetzt selbst noch entdeckt habe.PS: Leider bin ich bei den tags überfordert und auch schon in heftigem Clinch mit dem @Webmaster hier, gut möglich, dass dies meine letzte Story hier wird ... ja, danke auch, fürs erleichterte Ausatmen ... verstehe trotzdem nicht, warum der sich so über den geforderten Tag "Nebel" aufregt.
Nebeltag
Ja, das war einer dieser Nebeltage. Ich weiß auch nicht, warum ich sie so nenne, vielleicht weil mir dann immer so ist, als würde ich unter einer Art Dunstglocke stehen.
Ich saß allein in dieser Bar und zählte die Flaschen im Regal. Nach einer Weile nahm ich noch deren Spiegelbilder dazu und kam, kaum zu glauben, auf an die dreihundert Flaschen. Es gab eine Menge Spiegel. Manchmal sind Bars richtig feierlich. Blitzendes Glas, wohin man auch sieht. Es glitzert wie verrückt, spiegelt sich, du wirst fast besoffen davon. Eine einzige Lampe bewirkt ein Feuerwerk. Und es gab viele Lampen.
Wenn du vorn am Tresen hockst, also direkt zwischen all dem Glimmern und Flimmern, kann manchmal fast so etwas wie Weihnachtsstimmung aufkommen. Du denkst plötzlich an damals, schrumpfst auf dem Hocker zurück in die gute alte Zeit. Mit einem Schlag sitzt im Kreis der Lieben. Mutter ist da, sogar Vater, die Geschwister, Oma und Opa. Du siehst in die Spiegel und alle vor dir. Ein Strahlen im Raum. Jeder belauert sein Gegenüber. Packt er das Geschenk aus, welches man selbst eben sorgfältig eingewickelt hat? Und du mit seligem Lächeln mittendrin. Erinnerungen strömen gebündelt auf dich ein und alle schönen Weihnachtsfeste verschmelzen zu einer gigantischen Bescherung.
Faszinierend, solch kurze Glücksmomente, in denen du vergisst, was gerade um dich herum geschieht. Es ist dir egal. Selbst die schärfste Tussi mit ihren Barhockerbeinen ist einfach nur ein Möbelstück.
Schon komisch, du musst vergessen, um dich zu erinnern. Na ja, meistens reißt dich im schönsten Moment irgendein Idiot aus den Träumen. Sicher weil er so viel Glück auf deinem Gesicht verdächtig fand oder nicht aushalten konnte. Der Keeper fragt, wie`s geht: “Warum grinst'n so?“ Genau neben dich muss sich einer auf den Hocker hieven, rülpsen, lachend nicken wie einer dieser scheiß Dackelköpfe hinter Heckscheiben. Du wünschst dir mal wieder ein Gewehr.
Glas umkippen, Stuhl scharren, Feuer fragen, schönes Wetter bestätigen lassen ...
Da bist du raus. Die Geschenke explodieren, dem Tannenbaum fallen sämtliche Nadeln aus und schon kracht er stiebend in sich zusammen. Die Gesichter deiner Verwandten erlöschen im Schreikrampf. Ein weiteres Fest der Liebe verschwindet und plötzlich siehst dich selbst x-fach in den Spiegeln. Und das ist dann erst recht nicht zum Aushalten.
An diesem denkwürdigen Tag saß ich jedenfalls nicht vorn am Tresen, hatte mich sicherheitshalber diskret etwas in den Raum, an einen der Fast-Eiche-Tischchen gesetzt. War früh dran und neben einem zurückgezogenen Pärchen der einzige Kunde. Also: Kleines, geruhsames Fest im Glaskasten? Niemand hätte gestört.
Nur, mir war eben gerade nicht nach Weihnachten. Nicht, dass ich schlecht drauf gewesen wäre, ach wo, aber wenn du öfters hintereinander feierst, ist das auch nicht mehr so schön. Da kann einen diese gefühlsschwangere Feterei ganz schön ankotzen!
Also, ich saß da, starrte ohne was zu denken, ohne irgendwelche Festlichkeiten, in die große Spiegelwand. Die Gedanken kreisten um das große Nichts, was wirklich beruhigend gewesen wäre, hätte ich etwas davon bemerkt. Es war so, als würden die Augen leer laufen, von nichts abgelenkt, nicht mal von Träumen. Vielleicht meint man ja nur in solchen Augenblicken nichts zu denken, wer weiß. Ich war erfolgreich damit beschäftigt, das Bild im Spiegel zu ignorieren und drauf und dran, in das Dahinter zu kriechen. Ohne es selbst zu ahnen, bohrte sich mein Blick weiter und weiter in das helle Glas hinein. Ganz schwach, wie nebenbei, wie einen Lufthauch, spürte ich, wie es mich anstrengte und vergaß es auch schon wieder. Von weit hinter den Augen, so als wäre der Kopf ein riesiger schwarzer Saal, flog ein Stechen heran, kam näher, durchkreuzte die Mitte und verebbte in der Stirn. Der Spiegel war genau vor mir. Ich fühlte ein Vibrieren der Luft. Er bewegte sich unmerklich und doch konnte ich nicht darüber nachdenken. Ich glaubte die glatte Oberfläche knirschen zu hören und zu sehen, wie sie ein winziges Splitternetz überzog. Ich ahnte, wie die Atome schneller und schneller umherflirrten. Fast so als wären die Glaskristalle deine eigenen Gedanken und die Atome winzige Blutstropfen, wenn du verliebt bist.
Egal. Ich nahm alles auf und doch auch nicht, sah etwas, konnte es aber nicht übersetzen, hörte und fühlte etwas unheimliches und ließ es einfach nur weiterlaufen. Mein Körper war eine Dampfmaschine, in die ein irrer Heizer eine Lore Koks nach der anderen schaufelte und keiner drehte das Ventil auf. Ich saß gut fünf Meter entfernt. Trotzdem flog der Spiegel auf mich zu oder ich auf ihn, meine Pupillen Millimeter vor dem Glas. Mir liefen Tränen über die Wangen, es musste die Anstrengung sein. Etwas zitterte.
Ich, das Bild, mein Gesicht, der Spiegel, alles begann zu beben. Jeden Moment würde sich das Glas unter meinem Blick auflösen.
Da trat ein Schatten in den Spiegel. Ich starrte weiter, versuchte ihn nicht zu beachten.
Ein Fehler. Der Schatten bewegte sich, kam näher, wurde größer ... und damit war alles vorbei. Der Spiegel, mein Gesicht, das Bild und ich hörten auf zu wackeln.
Widerwillig brachte ich Augen und Körper unter Kontrolle. Erst der Schatten ließ mich begreifen, wo ich eben gewesen war. Der verzweifelte Ansturm ihn zu ignorieren, ließ mich zu mir kommen.
Der Versuch war der Fehler, diesmal ja nicht mein eigener. Was will man machen? Wieder einmal hatte mich jemand rausgerissen. Mit dem Bild im Spiegel wurde auch mein Blick klar. Ich versuchte den fremden Störer zu betrachten. Ich erkannte, dass der Schatten eine Frau war und zuckte zusammen.
Ich kannte sie.
Es wird jetzt vielleicht etwas komisch klingen, aber … es war: Die Traumfrau!
Oder eher alles, was ich mir je darunter vorgestellt habe, da war sie, mit einem Schlag zu Fleisch und Blut geworden. Sie war meine Erfindung! Nein, nicht eine Hälfte blond, eine tiefschwarz. Ich kannte alles an ihr, jede Einzelheit, selbst ihre Gedanken. Natürlich ist so eine Frau völliger Quark, ein Hirngespinst und man würde es keine zwei Tage mit ihr aushalten, zu perfekt, schreckliche Vorstellung, quälende ... Sie trat näher. Was für ein herrliches Wesen! Ich werde ihre Stimme erkennen, ich liebe sie!
Sie war noch zwei Tische hinter mir. Ich beobachtete die grazile Erscheinung im Spiegel, ließ sie nicht mehr aus den Augen und wagte doch nicht, mich umzudrehen. Sie schien jemanden zu suchen, kam dabei immer näher. Ihr Kopf strich hin und her und dann, eh ich mich versah, nach vorn.
Ihr Blick traf wie ein Blitzschlag die Stelle im Spiegel, an der meine Augen klebten. Wir trafen uns und ich ahnte, was Laserstrahlen bedeuten. Zwei blaugrün schimmernde, heiße Kugeln schossen durch das Glas und schüttelten mich durch und durch.
Du kennst das ja, es wird heiß, im Kopf gehen tausende bunte Raketen hoch, dir wird unsäglich schlecht, du glaubst vom Stuhl zu fallen und hast dich noch nie so gut gefühlt.
Idiotischerweise hatte ich den starken Drang, endlich aufzustehen, mich umzudrehen, vorzustellen, was weiß ich. Ich löste den Blick, die Muskeln in den Waden spannten sich. Ich hatte ein gutes Gefühl, da flossen sie zu verräterischem Pudding auseinander. Panik stieg auf. Mit ihr und Hilfe des Tisches kam ich doch noch auf die Beine. Im Drehen fragte ich mich, was ich sagen soll, fand keine Antwort, machte aber schon mal den Mund auf.
Ich ließ ihn offen. Da war niemand. Vor mir der leere Gang, hinten neben der Tür das Pärchen, das nichts in der Welt jetzt da rausreißen konnte.
Ich griff mir an den Kopf. Ein Stechen löste sich aus der Stirn, raste durch die Mitte, tief, tief nach hinten, als wäre mein Schädel ein riesiger schwarzer Saal. Weit in der Finsternis verwandelte es sich in abklingendes, dumpfes Pochen. Ich ließ mich schwer auf den Stuhl zurückfallen. Hinter den Augen schmerzte es unerträglich. Ich riss die Arme hoch, stemmte die Ellenbogen auf den Tisch und drückte die Fingerspitzen wie Stahlkrampen in die verkrampften Lider. Das schien zu helfen, trotzdem kratzte es trocken wenn ich den Blick wieder hob. Sägemehl unter den Augäpfeln. Ich war unfähig zu blinzeln, konnte nur geradeaus sehen. Im Spiegel sah ich verschwommen den Rücken einer Frau, der sich langsam entfernte. Ich musste mich nicht noch einmal umdrehen, ich wusste, da war niemand. Ich stand auf, schwankte, ging auf die Bar zu, trat durch die Schwingtür, vorbei am verdutzten Barmann. Ich stolperte weiter zum Wandregal, schob ein paar Flaschen zur Seite und starrte in den Spiegel. Ihr Bild wurde schwächer. Mein Interesse löste sich von ihr, bis sie nur noch ein verblassender Schatten war. Ein kleiner trüber Fleck in den Augenwinkeln, der in der nächsten Sekunde gänzlich verschwunden war. Ich suchte die Stelle und fand sie sofort. Zwei unscheinbare Verformungen, kleine Wölbungen im Glas, zwei unheimliche Augen, so als hätte jemand einen Schweißbrenner dagegengehalten.
Dann glaubte ich zu hören, wie hinter mir die Tür ging.