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Nationalsozialisten wie du und ich

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02.12.2003
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Nationalsozialisten wie du und ich

Wir waren Freunde.
Wir waren Partner.
Wir kannten uns seit eh und je.
Alles haben wir geteilt. Unsere Gedanken. Unsere Erlebnisse. Unsere Liebe.
Jetzt ist alles vorbei.

Ich stehe an seinem offenen Grabe und fühle die Sonne, die besonders warm durch meine schwarze Uniformjacke scheint. Die Blätter der Linden um uns alle herum wogen sachte in der lauen Brise. Eine sanfte, nachdenkliche und besinnliche Melodie ertönt in meinem Kopf und untermalt meine Erinnerungen. Ich kann die Worte des Predigers, der die Totenrede hält, gar nicht mehr hören. Nein, ich höre sie, doch ihr Sinn entfließt meinem Geiste wie ein leise rauschender Bach, auf dem goldene Sonnenflecken tanzen. Diese Vorstellung hätte Friedrich gefallen.

Friedrich, der Dichter.

Er war so einzigartig. Die Erinnerung an ihn ist tief verwurzelt und wird niemals erlöschen, selbst, wenn sie eines Tages verblassen sollte. Er besaß alles, was einen Menschen zu einer Gabe Gottes machen kann, dabei zeigte er sich so simpel und alltäglich.

Nun ist er tot und kehrt nie wieder zurück. Dafür ist gesorgt worden.

Ein Blutopfer der Bewegung, sagt der Prediger. Er ist eine hohe Persönlichkeit der Partei und ehrt die Beerdigung durch seine Anwesenheit. Obwohl ich die Geste sehr wohl zu schätzen weiß, bringt sie mir einen nur geringen Trost. Meine Mutter hatte mich noch besorgt und leicht misstrauisch gefragt, ob ich es nicht lieber hätte, wenn ein Pater dem Toten seinen Segen geben würde. Sie ist katholisch und missbilligt die moderne deutsche Kirchenpolitik sehr, die Gute. Ich lächele nur müde und lehne dankend ab. Friedrich hätte das nicht gewollt. Nein, es wäre ihm schlicht und ergreifend egal gewesen.

Eine einzige Wolke verdunkelt die Sonne und verzieht sich kurz darauf wieder. Sie hinterlässt einen ewigen Flecken in meinem Herzen. Die Trauer steckt tief in mir, doch bin ich über die Depression hinausgewachsen.
Da bin ich mir sicher, dass Friedrich es nicht gewollt hätte. Eine Depression meinerseits. So war er nicht. Er war vielmehr ein Symbol des Lebens, des Lebendigseins. Seine Gegenwart hat einem mit jener matten Glückseligkeit erfüllt, die man Frieden nennt. Ich nenne es die Schöpfung, ganz für mich allein. Den Anderen sage ich es nicht, sie sind zu sehr erfüllt von Kult und Mystik, um zu verstehen, dass ich es so nicht meine. Ich denke dabei lediglich an die Natur, das Leben, die Göttlichkeit, die im Frieden und der Schönheit stecken. Friedrich hat sie alle in sich getragen, mehr, als irgendjemand sonst, mehr, als irgendjemand es zu schätzen gewusst hätte. In seinen Augen gab es das Funkeln des perfekten Glückes.

Als er sterbend und blutüberströmt in meinen Armen lag und unsere Blicke sich ein letztes Mal trafen, so war dieses Licht so vollkommen und überirdisch, dass es mir das Herz brach. Es war, als wäre seine Seele in Berührung mit jener Vollkommenheit geraten, die er sein Leben lang gesucht hat, um den Bruchteil einer Sekunde später seinen Körper mit einem Seufzer der Erleichterung zu verlassen. Dieser Moment erschütterte mich dermaßen, dass ich einige Ewigkeiten im Nichts zu schweben schien, bevor ich begriff, dass er tot war. Dann kamen auch die Tränen. Ich weiß nicht, ob es der Schmerz des Verlustes war, der mich zum Weinen gebracht hat, oder einfach diese unfassbare Begegnung mit dem absoluten Frieden.

Der totale Frieden.

Die Erinnerung treibt mir wieder Tränen in die Augen, die ich gar nicht zurückhalten möchte. Ich versuche es auch nicht. Wie im Takte wiegen sich die Äste der Linden in der Brise, während goldene und leuchtendgrüne Punkte auf den Gesichtern der Anwesenden tanzen, sich drehen, wenden und mir verraten, dass jene Schönheit, wenn auch nicht in konzentriertem Maße, überall zu finden ist. Man muss nur wissen, wonach man sucht.

Ich erinnere mich an das wunderbare Gefühl, mit Friedrich den größten Teil meines Lebens geteilt zu haben und lächle, trotz der Tränen. Die Kameraden werfen mir mitleidige Blicke zu, einige klopfen mir auf die Schulter.

Ein Blutopfer der Bewegung, sagen Sie? Er starb für den Nationalsozialismus, sagen Sie? Nun, ich glaube, die Welt hat sein ganzes Wesen falsch eingeschätzt. Ich habe es lange Zeit auch. Wahrscheinlich ist mir das wahre Wesen seiner Aufgabe erst bewusst geworden, als ich dieses letzte Mal in seine Augen blickte. Dabei möchte ich nicht die Behauptung aufstellen, Friedrich sei ein Engel oder ähnliches gewesen, auf gar keinen Fall. Eher das Gegenteil: Er war ein Mensch, aber auf seine eigene Art menschlich, wie es im Ursprung vorgesehen war. Friedfertig und glücklich, mehr, als jeder von uns, die wir hier stehen und trauern.

Ich habe ihn geliebt, das wissen alle. Doch die Intensität, mit der ich ihn liebte, vermag niemand einzuschätzen. Er war nicht nur mein Kamerad, mein bester Freund, er hat mir gezeigt, dass die vollkommene Seligkeit nicht unbedingt im Schlachtgefecht und der Extase liegen muss, sondern dass sie in der Stille einer besinnlichen, atemberaubenden Sekunde zu finden ist. Eine Sekunde, in der ich die Sonne auf meinen Schultern spüre, eine Sekunde, in der das Licht in grünem Leuchten durch die Blätter fließt, eine Sekunde, in der ein Bach leise über runde Steine gurgelt. Eine Sekunde, in der ein perfekter Blick den meinen in seinen Bann zieht.

Friedrich war kein Blutopfer der Bewegung, Herr Minister, nein, er war vielmehr ein Blutopfer der Menschlichkeit. Dabei habe ich nicht vor, ihn als Märtyrer oder verkannten Messias darzustellen. Nein, adäquate Worte zu finden ist praktisch unmöglich. Ich habe da nur das unbestimmte, schwer zu beschreibende Gefühl, er sei dagewesen, um mich an meine eigene Menschlichkeit zu erinnern. Damals, vor vier Jahren, als ich in die SS eingetreten bin, ist er mir gefolgt.

„Nicht, weil ich diesen Verein billige,“ hat er mir im Vertrauen noch gesagt. „Sondern weil ich auf dich aufpassen muss. Wenn du allein in diese Sekte gerätst, werden die so lange Gehirnwäsche bei dir betreiben, bis du nicht mehr weißt, wer du bist.“

Damals habe ich nicht verstanden, was er damit meinte. Ich weiß auch nicht, ob mir jetzt irgendwie eine Erleuchtung gekommen ist, aber wenigstens bin ich dem, was er war, und was er mir bedeutete, sehr viel näher gekommen.

Die Zeiten waren niemals leicht. Meinen Platz in der Welt zu finden ebenfalls nicht. In der SS habe ich gelernt, dass ich nicht ein anonymer, depressiver Bürger, sondern ein Kamerad und ein Mitglied der Elite sein kann. Das Gefühl hat mir selbstverständlich geschmeichelt. Friedrich dagegen lehrte mich, dass ich nicht irgendwo dazugehören muss, um ein vollwertiger Mensch zu sein. Ihm gefielen die Kameradschaftsabende nicht sonderlich. Er zog es vor, allein zu sein, mit mir auf Wanderschaft zu gehen und seine Gedanken mit mir zu teilen. Bei allem, was ich tat, bei allen Meinungen, die ich vertrat, bei allen Ideen, für die ich kämpfte, versuchte er niemals, mich vom Gegenteil zu überzeugen oder etwas dazu beizutragen. Er hörte mir zu und fragte mich anschließend schlicht, was ich dabei fühlte. Ich und niemand anders. Darauf wusste ich nie sofort etwas zu antworten, weil es mir niemals leichtgefallen ist, tief in mein Inneres zu schauen und die Abgründe zu erforschen. Doch er war geduldig. Und die Abgründe tief.

Wir haben eigentlich nicht viel Gefährliches getan. Es war reiner Zufall, dass wir nach einer Kundgebung im Sportpalast in ein Gefecht mit ein paar rebellierenden Roten gerieten. Bevor ich wusste, wie mir geschah, stand ich mitten auf einem Schlachtfeld. Friedrich stand neben mir. Plötzlich ertönte ein Knall, er blickte mich verständnislos an und sackte zusammen. Der Rest der Schlacht kümmerte mich nicht länger. Ich fiel auf die Knie und hob ihn in meine Arme. Überall war Blut. Einer der Kameraden erschoss auf der Stelle den Täter und rannte los, um Hilfe zu suchen. Doch es war zu spät.

„Jörg,“ sagte Friedrich. Er klang so ausgeglichen. Die Schmerzen schien er kaum zu spüren. „Sei nicht traurig.“ Ich kam mir vor, als wäre ich im falschen Film, doch es handelte sich um bitteren Ernst. Nur war in seinem Gesicht keine Verzweiflung zu sehen, sondern Liebe. Zu mir, zu dem Gefühl der Erlösung, zum Frieden, dem er sich nach so langen Jahren wieder anschließen durfte. Ich flehte ihn an, mich nicht zu verlassen, doch er schüttelte nur leicht den Kopf, sah mir dieses letzte Mal in die Augen und ging. Er war fort, in meinen Armen nur noch das leere Gehäuse. Ich hatte das Gefühl, Raum und Zeit für einen Moment verlassen zu haben und zu schweben, fern von aller Misere und all dem Kummer.

Allein dafür bin ich ihm dankbar.

Der Prediger ist nun fertig mit seiner Rede. Alle sind tief ergriffen, das sehe ich. Jene, die vorher trockener Augen waren, weinen jetzt wie kleine Kinder. Das überrascht mich nicht. Nur ich weine nicht länger. Meine Augen sind trocken, das Herz ist mir auch nicht mehr schwer. Ich schaue hoch und begrüße die Sonne. Dann werfe ich eine Rose auf den geschlossenen Sarg, schüttele die Hand des Predigers und gehe meiner Wege.
Er sagt, Friedrich sei ein Blutopfer der Bewegung gewesen.
Ein Symbol des jungen Deutschland.
Ein Held.
Ein Nationalsozialist wie du und ich.
Ich entsinne mich Friedrichs unglaublicher Liebe und der Liebe, die ich immer für ihn in meinem Herzen tragen werde.
Das Gras ist weich unter meinen Füßen.
In meinem Kopf ertönt noch weiter die Melodie.
Ich weiß es besser.
Und werde es nie vergessen.

 

Hi elanor_magdalena,

du beschreibst mit schön-traurigen Worten die inneren Gefühle von Jörg und behandelst das Thema Tod und Trauerbewältigung auf eine sehr einfühlsame Art. Ich hatte phasenweise das Gefühl, mit Jörg am Grab zu stehen, mit Jörg mitzufühlen, mich mit ihm zusammen zurück zu erinnern an einen Freund, der gegangen ist, der aber so viel zurück gelassen hat an Wärme, an Perspektive und Sichtweise, dass er in jenen Momenten, den besonderen Sekunden, wenn man etwa dem Singen der Wasser zuhört, wieder lebendig wird, wieder erwacht in der Erinnerung, sich widerspiegelt in der Ruhe und Schönheit der Natur, so dass er eigentlich unsterblich wurde.

Lg
Jan

 

Hallo Existence
Na, da sind einige deiner Einwände, die ich ohne Frage teile.
Siehst du, Friedrich war kein Nationalsozialist im kämpferischen Sinne, sein Freund aber glaubt an die Weltanschauung. Nur durch den Tod eines engen Freundes beginnt er sich zu fragen, was nun wichtig ist und was nicht.
Ja, ich hätte den Friedrich zum echten Nazi machen können, doch finde ich, dass dies im Grunde der Geschichte die Grundlage genommen hätte. Das Interessante ist ja der Unterschied zweier Menschen, die in einer engen Beziehung zueinanderstanden. Er war friedfertig und introspektiv, sein Kamerad Jörg hingegen eher ein Agitator, der zum ersten Male auf die innere Stimme hört. Friedrich fungiert sozusagen als sein Gewissen, sein Tod ist symbolisch, denn erst durch ihn lernt Jörg es, der ruhigen Stimme der Vernunft Gehör zu geben.
Ich hatte daran gedacht, die zwei in die SA zu stecken, denn die meisten meiner Protagonisten sind SA Männer. Nur, ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist, bemerkt Jörg in einem Teil des Textes, dass er eigentlich nicht an gefährlichen Expeditionen teilnimmt. Der Personenschutz wichtiger Parteiführer, wie zum Beispiel des Gauleiters von Berlin, Joseph Goebbels, übernahm jedoch die SS, nicht die SA. Der Protagonist und sein bester Freund waren deswegen am Sportpalast, nicht um sich zu schlagen, des SA-Mannes liebstes Spiel. Es ist ja so, dass der Tod Friedrichs ein Unfall, ein dummer Zufall war.
Aber es ist nett von dir, so auf Details einzugehen.
Liebe Grüße,
elanor_magdalena

 

die geschichte gefällt mir nicht nur sehr gut, ich finde sie auch verdammt bewegent. vielleicht auch, weil es sich um die NS-Zeit dreht (mein Spezialgebiet :))
ich habe mich sehr gefraut, dass jemand NS-Geschichten in dieses Forum gestellt hat, ich habe auch sehr viele geschrieben, hatte aber nie den Mut sie zu veröffentlichen. Lustigerweise sind deine meinen sehr ähnlich :) diese kg gefällt mir von all deinen bisherigen am aller, allerbesten, ich denke, da kannst du wirklich stolz auf dich sein

 

Da haben wir uns ja getroffen!
Mein Spezialgebiet ist nämlich auch die NS Zeit, insbesonders Themen wie Massenmanipulation und Propaganda. Ich studiere Germanistik und habe mich z.B. durch ewige Texte vom oben zitierten Joseph Goebbels gelesen. Was mich reizt, ist die Perspektive, die Dinge menschlich darzustellen, ohne jedes Mal in die ewigen Klischees abzurutschen.
Schön, dass es dir gefallen hat. Trau dich ruhig, deine NS-kg zu veröffentlichen. Würde mich interessieren.
Liebe Grüße,
Magda

 

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