Natan der Weise
Natan wollte seine Ruhe haben. Einfach nur seine Ruhe. Er spuckte in seine Coladose. Vor einiger Zeit hatte er gelesen, das der letzte Schluck in einer Dose zu 75% aus Spucke besteht.Jetzt waren es mindestens 85%.
Er war fast alleine in der Bar. Nur ein pummeliges Mädchen stand am Tresen.Jetzt watschelte sie zur Musicbox zu und warf eine 10 Cent Münze ein.Anscheinend war sie kein Stammgast. Sonst hätte sie nämlich gewusst, dass die Musicbox ein hoffnungsloser Fall war. Eben schon ein älteres Modell.Sie drückte die Taste mit `Bad Moon Rising´, wartete einige Sekunden, trommelte dann mit der Faust gegen die gelbe Plexiglasscheibe der Box und gab schließlich auf. Sie lächelte ihn verlegen an, aber er erwiderte ihren Blick nicht. Natan stand auf, legte 50 Cent auf den Tresen und ging hinaus.
Brütende Hitze empfing ihn.
Er hasste diese Hitze, ebenso wie er diese gutbürgerliche, ehrliche Lebensart in Wheating, diesem verschlafenen Nest in Michigan, in dem er seit über 19 Jahren lebte, hasste.
Er ließ sich in den Sitz seines alten Pick-ups fallen und steckte sich eine Zigarette an. Er wusste nicht wohin er fahren sollte. Sein Kumpel Joe arbeitete seit 3 Monaten in Detroit und kam nur selten nach Hause.
Natan konnte es ihm nicht verdenken. Was war schon die biedere Arbeiterkleinstadt Wheating gegen die Metropole Detroit?
Nach Hause wollte er aber auch nicht.
Denn dort wartete eine Leiche auf ihn. Die Leiche seines Vaters.
Er legte den Rückwärtsgang ein und rollte vom Parkplatz.
Die Straße war leer, aber das war nichts besonderes. Die meisten Leute arbeiteten in dem Karosseriewerk außerhalb der Stadt. Fließbandarbeit. Und keiner von ihnen verspürte nach Feierabend noch große Lust einen weiteren Weg als den vom Fernseher zum Kühlschrank zurückzulegen. Natan fand deren Leben kümmerlich. Er hatte immer schon gewusst das er von hier fort musste, sobald die erste Möglichkeit sich ergab. Genau wie seine Mutter. Die hatte diese tödliche Langeweile nicht ertragen und war einfach abgehauen. Damals war er drei Jahre alt gewesen. Er wusste das sie richtig gehandelt hatte und er hatte ihr schon lange verziehen. Anders als sein Vater. Der hatte ihren Verlust mit Alkohol begossen und war nie darüber hinweggekommen.
Aber jetzt war er ja tot.
Durch die Jalousetten der Häuser sah er das bläuliche Licht der Fernseher flimmern. Vorabendprogramm. Spielshows, Talkrunden... eben leichtverdauliches.
Er fuhr auf das schmutzig-graue Haus zu.
Ihm wurde bewusst, das es jetzt sein Haus war. Aber was wollte er mit einem Haus in einer toten Stadt? Schließlich wusste er aus Erfahrung das man, wenn man zu lange hier gelebt hatte, selbst starb. Wenn auch nur innerlich. Sein Vater war schon lange innerlich tot gewesen. Deswegen ließ es Natan kalt, das er es jetzt auch äußerlich war.
Überhaupt hatte ihn sein Vater von je her kaltgelassen. Sein Tod war ein Unfall gewesen, aber es tat Natan nicht leid.
Er schloß die Haustür auf, ging am Wohnzimmer vorbei, in dem der leblose Körper seines Vaters als wäre nichts passiert im Fernsehsessel lehnte.
Langsam stieg er die Kellertreppen hinab und knipste das grelle Licht in der Werkstatt an. Natan wusste jetzt was richtig war.
Entschlossen griff er nach einem Kanister, der zuoberst im Regal stand, drückte wieder auf den Lichtschalter und stieg nach oben. Vorsichtig verteilte er die Flüssigkeit über die Möbel und zum Schluss über seinen toten Vater.
Er ließ seinen Zigarettenstummel fallen und verließ das Haus.
Dann stieg er in seinen Pick-up und fuhr Richtung Detroit.
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