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Namhaft integriert
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit löste der Bürgermeister von Hansestadt sein Wahlversprechen ein, indem er den ersten offiziellen Rundgang durch die parallele Siedlung machte. Gemäß seinem Motto „wer sich nicht anpasst, wird abgeschoben“ wollte er die Integration seit Jahren vernachlässigter Steuerzahler vorantreiben.
Das Oberhaupt der Kommune kämpfte sich Schritt für Schritt an Wohnungen, türkischen Geschäften, Restaurants, Vereinen und Moscheen vorbei. Von Zeit zu Zeit musste er seinen Hut vom Boden auflesen, da dieser nach jedem Zusammenstoß mit tief angebrachten Parabolantennen hinunterfiel. Die Siedlungsbewohner wunderten sich zwar über den hohen Besuch, maßen diesem aber keine allzu große Bedeutung bei.
Schließlich trat der Bürgermeister in die größere Teestube ein, die allgemeine Zweitwohnung aller türkischen Ehemänner. Hier versammelten sie sich jedes Mal, nachdem sie ihre zwangsverheirateten Frauen zuhause ordentlich eingesperrt hatten, wenn sie auf die Kopftuchlieferung für ihre minderjährigen Töchter vom Änderungsschneider gegenüber warteten oder einfach darüber nachdachten, bereits errichtete Parallelgesellschaften salonfähiger zu machen.
Der Bürgermeister schickte sogleich seinen Dolmetscher zum Stubenbesitzer und ließ eine Versammlung anordnen. Nach kurzem Tumult kamen die Leute zusammen und der Bürgermeister konnte loslegen.
„Meine Herren, ich bin heute hier im Rahmen einer Akklimatisationspolitik, die sich optimistisch ausgedrückt auch schlicht „Integration“ nennt. Nachdem ihr nun über Jahrzehnte hinweg dahinvegetieren und euch fern jedweder Eingliederungsmaßnahme austoben konntet, folgt mit sofortiger Wirkung die Ernüchterung. Ihr habt einen Monat Zeit, euch zu integrieren. Es ist nicht ausreichend, die deutsche Sprache zu beherrschen, zur WM-Zeit die Deutschlandflagge zu hissen und im Lidl oder bei Aldi einzukaufen. Es ist kein Symbol der Annäherung, die Dachgepäckträger eurer Autos mit Plastiktüten dieser Märkte zu bedecken. Was fortan zählt, ist Integration mit Fakten! Wer sich nicht deutscht, hat im Endeffekt trotzdem ausgetürkt! Herr Yilmazoglu, hier neben mir, wird zur Sicherheit alles Gesagte übersetzen. Außerdem gehen Rundschreiben an alle Haushalte. Herr Yilmazoglu, bitte!“
Nachdem Yılmazoğlu zum besseren Verständnis des Ultimatums beigetragen hatte, verließ er zusammen mit dem Bürgermeister die Teestube.
Der Schock bei den Anwesenden saß tief. Die Worte des Stadtoberhauptes mussten erst einmal richtig registriert und verdaut werden. Eine Lokalrunde Tee eignete sich optimal dafür. Zur weiteren Vereinfachung wurde der heimatliche Fernsehsender eingeschaltet, der rein zufällig ein Fußballspiel übertrug. Der allgemeine Schreck in den Gliedern ließ allmählich nach und man frönte entspannt dem sportlichen Ereignis.
Die Drohung des Bürgermeisters war bereits vergessen.
So verstrich ein Monat im bekannten Trott. Der Bürgermeister jedoch, an dessen Gesicht man sich in der Siedlung längst nicht mehr erinnerte, erschien zur persönlichen Inspektion fristgerecht auf der Bildfläche.
Zur problemlosen Völkerverständigung hatte er Yılmazoğlu wieder im Schlepptau, diesmal zusätzlich mit einem Schnellrichter für Abschiebungsprozesse, um die Säuberungsaktion, sofern erforderlich, zu beschleunigen.
Die verwirrten Gesichter innerhalb der türkischen Gemeinde, deren Beneblung nun nicht mehr ausschließlich vom Dunst der Wasserpfeifen herrührte, wurden entlastet, als sich in der hintersten Ecke ein Student im Stresemannanzug erhob und um eine Audienz beim Stadtoberhaupt bat. Von der deutschen Bekleidung geblendet, gewährte ihm der Bürgermeister unüberlegt den Vortritt.
„Darf ich mich vorstellen, vielleicht anhand meines Ausweises?“ Der Student holte seinen Personalausweis aus der Brieftasche und überreichte ihn dem Bürgermeister.
„Tama Kelal?“, las dieser laut und vorsichtig vor und hakte gleich nach: „Oder Tama Zelal?“
Der Student lächelte nur und bat den Bürgermeister ans Fenster, ohne auf dessen Frage einzugehen. Er machte einen Fingerzeig auf die Dönerbude gegenüber.
„Verzeihung, können Sie mir vielleicht sagen, was auf dem Verkaufsschild dort drüben steht?“
„Döna Kebab. Vegetarischa Döna ohne Dönafleisch. Warum, ist das Gammelfleisch?“
Allmählich wurde der Bürgermeister ungeduldig.
„Aber keineswegs, haben Sie bitte etwas Geduld“, versuchte der Student ihn zu beruhigen. „Zwei Kleinigkeiten noch: Kennen Sie den Sänger dort drüben auf dem Poster?“ Er richtete seinen Blick auf die Thekenwand.
Nach kurzem Zögern stammelte der Bürgermeister: „Moment, das gleiche Bild hängt ja auch im Zimmer meiner Tochter. Das ist doch dieser Tahkan, oder wie der heißt. Sagen Sie mir endlich, was das alles soll?“
„Sofort, wenn Sie einen letzten Blick auf diese Bilder hier werfen könnten?“ Zum Abschluss zeigte der Student dem Bürgermeister je das Bild einer Lasagne, von Michael Jackson und das des ehemaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, woraufhin dieser deren Bezeichnung bzw. Namen laut vorsagte:
„Lasanje – Maikel Dscheksän – Fronsuha Mitterohng. Ist das hier eine heimliche Quizshow?“
Endlich kam der Student mit der Auflösung heraus:
„Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Es geht um Folgendes: Mein Name – Tamer Celal – wird weder Tama Kelal noch Tama Zelal ausgesprochen, sondern Tamer Dschelal. Das „E“ bleibt und das „R“ wird gerollt. Das „C“ ist ein „Dsch“. Gleiches gilt für den Döner, also nicht Döna, sondern Döner, ausgesprochenes „E“ und gerolltes „R“. Die Aussprache von Tarkan erklärt sich folglich von selbst, oder? Italienische Speisen, amerikanische und französische Namen werden bei der Aussprache in ihrer jeweiligen Landesart belassen. Diese Beispiele sind auf internationaler Ebene beliebig erweiterbar. Unsere Bezeichnungen und Namen hingegen werden im deutschen Sprachgebrauch gebeugt und gedehnt, oder um es mit ihren Worten auszudrücken: Sie werden angepasst! Wenn das kein Zeichen für Annäherung und ausgesprochene Integration ist?“
Der Bürgermeister lief knallrot an, schnaufte im sich immer weiter beschleunigenden Rhythmus und musste sich die Krawatte lockern. Der Student fuhr derweil fort:
„Ein Volk mit einem derart intensiv ausgeprägten Nationalstolz kann doch wahrlich nicht mehr Integrationsbereitschaft an den Tag legen, als dass es sich namhaft fügt, oder?“
Erbost stampfte der Bürgermeister zum Ausgang, seine beiden Begleiter folgten ihm. Beim Hinausgehen konnte man noch den Dolmetscher Yılmazoğlu wahrnehmen, der aufgrund des hier angesammelten Mutes auf die richtige Aussprache seines Namens verwies. Ob sein Hinweis je Anklang fand, blieb ungewiss.
Später wurde gemunkelt, man hätte den Studenten in den folgenden Jahren zum Siedlungsoberhaupt gewählt. Offiziell bestätigt wurde dieses Gerücht nicht, schließlich bildete man ja nur eine Parallelgesellschaft und keinen Staat im Staat.