Also, ich stehe auf dem Standpunkt, dass es in 99% aller Fälle besser ist, wenn die Figuren einen Namen haben. Meiner (Lese-)Erfahrung nach kommt in den allermeisten Fällen nix Gutes dabei raus, wenn Figuren oder gar Protagonisten namenlos bleiben. Oft soll das nur so eine pseudo-geheimnisvolle oder "philosophische" Atmo erzeugen o.ä. - das ließe sich mit anderen Mitteln meist besser und einfacher erreichen. Ich denke, es macht einfach wenig Sinn, aus dem Namen seiner Figuren ein Geheimnis zu machen und es zwingt einen in der Regel nur zu unschönen Verrenkungen und erzeugt oft sehr unschön zu lesende Texte. Ich meine, ich schreibe ja auch nicht "das Objekt mit dem Kompressor" sondern "der Kühlschrank", wieso sollte ich dann dauernd "der Mann" schreiben statt "Frank"?
Ich persönlich bemühe mich jedenfalls stets, ausnahmslos all meinen Figuren einen Namen zu geben (nach Möglichkeit natürlich auch einen, der zur Figur passt - ein Latino-Lover namens "Watzlaw" oder "Klaus-Rüdiger" wäre höchstens in einer Satire brauchbar... ). Ich kann mich jetzt eigentlich an keinen einzigen Fall erinnern, wo ich durch Namenlosigkeit irgendeinen wie auch immer gearteten Vorteil gehabt hätte, eher im Gegenteil. Meist habe ich solche "Experimente" nach kurzer Zeit beendet und doch einen Namen vergeben.
Ausnahmen können natürlich trotzdem möglich sein - z.B. wenn der Prot auf jemanden trifft, den er nicht kennt und der sich nicht vorstellt, dann ist es halt "der alte Mann" oder "die Blondine". Aber selbst dann tendiere ich dazu, immer die selbe Formulierung zu gebrauchen und so quasi einen "Pseudo-Namen" oder evtl. sogar einen Spitznamen zu vergeben (z.B. könnte ein Ich-Erzähler einen rauchenden, hustenden Unbekannten als "Röchellunge" titulieren oder so...)
Für mich sind Figuren mit Namen einfach greifbarer, der zugehörige Text wirkt generell weniger künstlich und unnötige schreiberische Verrenkungen bleiben einem erspart. Zudem entspricht es wohl (s.o.) einem natürlichen menschlichen Reflex, die Dinge möglichst eindeutig zu bezeichnen. Auf mich wirken Texte, in denen das Kind beim Namen genannt wird, durchweg "natürlicher" als namenlose Schwurbeltexte. Ich bin also defintiv "Pro Namen"!
EDIT: Ich hab allerdings auch schon Geschichten geschrieben, in denen einige Figuren keinen Namen hatten. Eine war in dieser Hinsicht sogar recht extrem. Da hatten weder der Ich-Erzähler noch das "Du", das er ansprach noch ihr Ehemann einen Namen. Einzig die Tochter hatte einen - wodurch sie auch so gesehen ein ganz spezielles Gewicht bekommt, wenn ich den Text heute so lese. Allerdings ist das auch ein Text, wo es mir schwer viele, im Nachhinein irgendwelche Namen reinzubasteln... manchmal bricht man halt auch mit seinen Prinzipien.