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Namenlos

sim

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13.04.2003
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Namenlos

Vielleicht wieder eines der Themen, die hauptsächlich in R/E geboren werden können.

In vielen Geschichten fällt mir auf, dass die Protagonisten namenlos bleiben.
Begründet wird das meistnes damit, dass sich jeder in den Figuren wiederfinden soll.

Mich würde mal interessieren, was ihr davon haltet.

Lieben Gruß, sim

 

Ich finde, daß der Verzicht auf einen Namen des Helden ein hervorragendes Stilmittel in einer Kurzgeschichte sein kann - ich verwende es immer dann, wenn die Geschichte selbst, also die Handlung, die Atmosphäre oder die sprachlichen Bilder wichtiger sind als der Protagonist. Das ist meistens der Fall in Geschichten, die sich um die Nichtigkeit der menschlichen Existenz oder, umgekehrt, um die unfaßbare Unendlichkeit des Universums (der Realität/Wirklichkeit/Wahrheit/etc.) drehen. Es soll hier gar keine Identifikation mit dem Protagonisten aufkommen, denn dieser ist nur Spielball - vielmehr soll das Geschehen von außen beobachtet werden und dem Leser gleich klar sein, daß der Charakter selbst nur ein lächerlich uninteressantes Nichts ist.

Dementsprechend sehe ich nicht, wie Namenlosigkeit der Identifikation zuträglich sein soll.

 

Die Begründung, dass sich jeder in den Figuren wiederfinden soll, finde ich schwach. Sind die Figuren schlecht beschrieben, dann wird sich auch ohne Namen keiner in ihnen wiederfinden. Sind sie gut beschrieben und entdeckt man Gemeinsamkeiten, dann hindert ein Name nichts daran, sich mit ihnen vollständig oder teilweise zu identifizieren.

Es kommt doch sehr stark auf die Erzählweise an. Beziehungskisten, die ausschließlich aus der Sichtweise der Betroffenen erzählt werden, brauchen keine Namen. Wenn ich die dritte Person wähle, dann kann es von Vorteil sein, Namen zu geben. Muss aber nicht.

Ich versuche zur Athmosphäre passende Namen zu finden, wenn ich welche brauche. Manchmal auch Namen mit bestimmter Bedeutung. Der Name ist als Info nur interessant, wenn er den Charakter der Prots etwas beleuchtet. Wenn er wirklich Information darstellt. Tut er das nicht, dann lasse ich ihn lieber weg. Die Ausnahme ist, wenn der Text so viele Prots enthält, dass man sie nicht mehr auseinander halten kann. Dann ists wohl nicht zu vermeiden.

Soll halt jeder so halten, wie er will, aber man sollte nicht die Wirkung von gut eingesetzten oder raffiniert plazierten Namen unterschätzen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Also, ich stehe auf dem Standpunkt, dass es in 99% aller Fälle besser ist, wenn die Figuren einen Namen haben. Meiner (Lese-)Erfahrung nach kommt in den allermeisten Fällen nix Gutes dabei raus, wenn Figuren oder gar Protagonisten namenlos bleiben. Oft soll das nur so eine pseudo-geheimnisvolle oder "philosophische" Atmo erzeugen o.ä. - das ließe sich mit anderen Mitteln meist besser und einfacher erreichen. Ich denke, es macht einfach wenig Sinn, aus dem Namen seiner Figuren ein Geheimnis zu machen und es zwingt einen in der Regel nur zu unschönen Verrenkungen und erzeugt oft sehr unschön zu lesende Texte. Ich meine, ich schreibe ja auch nicht "das Objekt mit dem Kompressor" sondern "der Kühlschrank", wieso sollte ich dann dauernd "der Mann" schreiben statt "Frank"?

Ich persönlich bemühe mich jedenfalls stets, ausnahmslos all meinen Figuren einen Namen zu geben (nach Möglichkeit natürlich auch einen, der zur Figur passt - ein Latino-Lover namens "Watzlaw" oder "Klaus-Rüdiger" wäre höchstens in einer Satire brauchbar... :D). Ich kann mich jetzt eigentlich an keinen einzigen Fall erinnern, wo ich durch Namenlosigkeit irgendeinen wie auch immer gearteten Vorteil gehabt hätte, eher im Gegenteil. Meist habe ich solche "Experimente" nach kurzer Zeit beendet und doch einen Namen vergeben.

Ausnahmen können natürlich trotzdem möglich sein - z.B. wenn der Prot auf jemanden trifft, den er nicht kennt und der sich nicht vorstellt, dann ist es halt "der alte Mann" oder "die Blondine". Aber selbst dann tendiere ich dazu, immer die selbe Formulierung zu gebrauchen und so quasi einen "Pseudo-Namen" oder evtl. sogar einen Spitznamen zu vergeben (z.B. könnte ein Ich-Erzähler einen rauchenden, hustenden Unbekannten als "Röchellunge" titulieren oder so...)

Für mich sind Figuren mit Namen einfach greifbarer, der zugehörige Text wirkt generell weniger künstlich und unnötige schreiberische Verrenkungen bleiben einem erspart. Zudem entspricht es wohl (s.o.) einem natürlichen menschlichen Reflex, die Dinge möglichst eindeutig zu bezeichnen. Auf mich wirken Texte, in denen das Kind beim Namen genannt wird, durchweg "natürlicher" als namenlose Schwurbeltexte. Ich bin also defintiv "Pro Namen"! ;)

EDIT: Ich hab allerdings auch schon Geschichten geschrieben, in denen einige Figuren keinen Namen hatten. Eine war in dieser Hinsicht sogar recht extrem. Da hatten weder der Ich-Erzähler noch das "Du", das er ansprach noch ihr Ehemann einen Namen. Einzig die Tochter hatte einen - wodurch sie auch so gesehen ein ganz spezielles Gewicht bekommt, wenn ich den Text heute so lese. Allerdings ist das auch ein Text, wo es mir schwer viele, im Nachhinein irgendwelche Namen reinzubasteln... manchmal bricht man halt auch mit seinen Prinzipien. ;)

 

So, ich wollte ja nicht nur fragen. :)

Ich muss ganz ehrlichschreiben, dass ich in mindestens neunzig Prozent aller Fälle die Namenlosigkeit der Protagonisten als Fantasielosigkeit des Autors empfinde.
Unabhängig davon, dass sich der gewollte Effekt bei mir nicht einstellt, sondern eher das Gegenteil erreicht wird, halte ich seine Psotulierung für eine Ausrede.
Namen sind für mich in Geschichten wie die Gesichter der Protagonisten.
Hornis Beitrag weist darauf hin, dass er wenn eine Figur aus der Story heraus keinen Namen hat, andere Charakteristika für die Benennung dienen.

Es gibt Fälle, in denen der Name unlogisch wäre. Das Opfer eines Überfalls (vielleicht auch noch aus der "Ich-Perspektive" fragt natürlich nicht nach den Namen. Bei romatischen Begegnungen ist der Name aber in der Regel bekannt. Wenn nicht, gibt es dafür erwähnenswerte Gründe (etwa bei einem One-Night-Stand).

Namen spielen in unserer Gesellschaft eine Rolle. Wir sprechen selten jemanden ohne Namen an, passiert uns das, empfinden wir es als Unhöflichkeit. Eher verwenden wir sogar viel Energie auf Kosennamen (weshalb auch in meinen Geschichten Prots sowohl einen richtigen, wie einen Kosenamen haben).

Die Rolle, die Namen in unserer Gesellschaft spielen steht in einem erstaunlichen Gegensatz zu der Rolle, die sie in Geschichten oft nur einnehmen dürfen. Da scheint eher nach der Einschätzung "Namen sind Schall und Rauch" lieber ganz verzichtet zu werden.

Als Kritiker finde ich es als fauler Mensch natürlich auch bequemer, wenn ich mich auf einen Namen stützen kann, anstatt immer von der Prot (oder ganz gräuslich die Prot) zu schreiben.

Bei mir gab es auch schon Protagonisten ohne Namen, sogar eine ganze Geschichte ohne Namen. Ich behaupte also nicht, dass es das nicht geben darf. Nur vorgegebene Sinn der besseren Wiederfindung des Lesers in einem namenlosen Prot, der leuctet mir nicht ein. Vielleicht weil ich mich viel besser mit einem Namen mitfühlen kann. Dann wird es für mich ein Mensch mit Gesicht.

 

Manchmal finde ich es gut, wenn keine Namen erwähnt werden, wenn durch das Fehlen der Namen das Geschilderte von einer persönlich gültigen Ebene auf eine allgemeingültige gehoben wird (wobei ich mit "heben" keine Wertung treffen will).
Interessant für den Leser zum Knobeln, für den Autoren als kreatives Spiel finde ich Namen, die mehr oder weniger deutlich etwas verbergen, das die Aussage der geschilderten Situation unterstützt.
Schlecht finde ich Namen die überdemonstrativ sind: Karl Schlechter - der ist sicher kein Guter, eher ein Schlächter...

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich persönlich gebe meinem Protagonisten gerne Namen. Das macht sie für mich realer, bringen sie mir irgendwie noch näher.
Wir haben ja auch alle Namen, warum dann nicht auch die Protagonisten.
Zudem sagt der Name mitunter einiges über die Person aus. (Bei manchen Namen ahnt man, dass er/sie vermutlich eine schwere Schulzeit hatte. :D )

Sicher ist ein Name nicht immer nötig, kann manchmal sogar stören, aber das wurde hier ja schon erwähnt.

Mir macht es richtig Spaß, meinen Prots einen Namen zu geben - das artet mitunter sogar in Wissenschaft aus, wenn ich z.B. einen Namen wegen dessen Bedeutung vergebe.

Gelegentlich fällt mir eine Geschichte erst zu dem Namen ein. Wenn ich auf einem Grabstein einen schön klingenden (oder für eine bstimmte Zeit eher ungewöhnlichen) Namen finde, fängt mein Hirn sofort an zu rattern und bastelt eine Story drumrum.

Ja, so ist das... Wollt ich mal eben erzählt haben. :D

Ach ja, die Ausrede, man habe keinen Namen gewählt, damit sich alle im Prot wiederfinden könnten, halte ich für eine billige. Ich ziehe doch zu einer erfundenen Figur nicht desshalb Parallelen, weil sie keinen Namen hat oder wegen ihres Namens. :dozey:

 

Einige gute Gründe gibt es schon, wenn ein Autor seinen Protagonisten namenlos läßt, bei meinem Gänseblümchen zum Beispiel hat der Protagonist auch keinen Namen, weil er ja am Schluß das Gänseblümchen ist, und das würde viel weniger wirken, wenn er vorher irgendeinen Namen hätte.
Aber ganz zu Beginn hab ich mal eine Geschichte geschrieben (weiß gar nicht mehr, welche das war :Pfeif: ), da hatte es eigentlich keine derartigen Gründe, und da wurde es auch kritisiert. Tatsache war, daß ich mich selbst noch gar nicht genug mit dem Verhalten des Protagonisten auseinandergesetzt hatte, selbst gar nicht richtig hinsehen konnte, und deshalb war er nur ein "er". Daß der Leser nicht gerade dadurch besonders mitfühlen konnte, habe ich erst durch diese Erfahrung verstanden...

Ich seh es also weniger als Phantasielosigkeit eines Autoren, wenn er die Protagonisten aus nicht ersichtlichen Gründen namenlos läßt, sondern als einen Schritt, den er noch nicht gelernt hat. - Und dafür sind wir ja auf kg.de, daß wir sowas lernen und weitergeben. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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