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Nackte Tatsachen
Nackte Tatsachen (2.0)
Mein Arsch ist keine Himbeere und mein Körper auch kein Tempel - eher eine Art Pommes-Bude oder so etwas wie ein Wohntrailer für meinen tollen Charakter. Es ist nicht so, dass ich alle Spiegel in unserer Wohnung verhängen muss, weil ich meinen eigenen Anblick nicht ertrage. Nein, das wäre wirklich übertrieben. Mein Körper und ich sind im Laufe meiner 29 Lebensjahre wirklich gute Freunde geworden und meine Problemzone beschränkt sich auf den Bereich oberhalb der Knie bis unterhalb der Brüste. Da gibt es immerhin noch mindestens 33 Prozent, denen ich auf jeden Fall Top-Noten geben würde. Und der gesamte Rest kann als wandelnde Warenauslage für diverse Textilien akzeptabel verhüllt werden.
Wie komme ich nun auf dieses äußerst heikle Thema? Die unerwartete Begegnung mit der fremden Nacktheit. Auslöser war ein Team-Event, welches regelmäßig von meinem Arbeitgeber organisiert wird. Bei besagtem Ereignis stand Rafting auf der Tagesordnung.
"Na supi.", dachte ich mir mit einem Hauch Ironie und erschien als absolute Paddel-Jungfrau pflichtbewusst am Treffpunkt.
Das erste Highlight konnte ich bei der Ausgabe der Neoprenanzüge in einer großen Lagerhalle vermerken. Neben meinen Kollegen, Vorgesetzten und mir wollten offensichtlich noch knapp zwei Dutzend weitere Menschen den teambildenden Tschakka-Moment erleben. Wahrscheinlich teilten wir alle dasselbe Schicksal: Einige Wochen zuvor stürmte jemand ins Büro und erzählte freudig erregt: "Neulich war ich beim Rafting und das war so cool. Wollen wir das nicht auch mal als Team machen? Ist bestimmt super für unsere interne Zusammenarbeit."
Und da niemand eine bessere Idee hatte, ein gemeinsamer Restaurant-Besuch zu langweilig erschien und ein Casino mit Stripperinnen nicht auf genug Gegenliebe stieß, befanden wir uns jetzt alle in derselben Halle und warteten.
Es vergingen keine zwei Minuten, da sprang ein athletischer Surfer-/Rafting-/Sport-Typ auf einen Tisch, begrüßte uns und verlor einige Worte zum Ablauf. Bei seinem Anblick wurde mir direkt wieder schmerzlich bewusst, dass körperliche Ertüchtigung die Mauer war, die mich von einem anmutigen Heidi-Klum-Körper trennte.
"Irgendwann schaffst du es nicht nur am Fitnessstudio vorbeizufahren, sondern dich auch dort anzumelden UND regelmäßig hinzugehen.", beschwichtigte mich mein inneres Ich.
"So, dann könnt ihr euch jetzt einen Neoprenanzüge holen. Eure Kleidergrößen müsst ihr nicht angeben, denn das sehen meine Kollegen dann schon.", beendete der Surfer-/Rafting-/Sport-Typ seine kurze Einweisung und unterbrach damit meinen gedanklichen Selbstbetrug.
Nach etwas Gewusel trennten sich die Damen von den Herren und bildeten jeweils eine Warteschlange vor den geschlechtsspezifischen Anzug-Ausgaben.
Als ich an der Reihe war, fühlte ich mich nicht sehr behaglich: Mir gegenüber stand eine sehr hübsche, sportliche Frau. Allerdings schien sie mir nicht besonders gut gelaunt, denn ihre Mundwinkel zeigten gen Boden und ihr gelangweilter Blick war direkt mit der Vermessung meines Körpers beschäftigt.
Ich wollte die Situation auflockern und meinte lachend: "Geben Sie mir doch bitte einen Anzug in leger."
Doch während ich mir selbst ein imaginäres High-Five für die - in meinen Augen - sehr witzige Aussage gab, brachte mir Körper-Scan-Woman nur ein emotionsloses "Hmmm." entgegen.
Daraufhin verschwand sie Richtung Herren-Ausgabe, kam nach wenigen Sekunden zurück und brachte mir doch tatsächlich einen Herren-Neoprenanzug in Größe 54 (normalerweise trage ich Konfektionsgröße 42). Selten hatte etwas so laut "Fette Kuh" geschrien, wie dieser Moment.
Mit einem tiefen Seufzer auf den Lippen und der gummiartigen Wahrheit über meinen Körper in der Hand, machte ich mich auf den Weg zur Umkleidekabine.
"54? Ist nicht wahr?! Das sind sechs Größen mehr als sonst. Da pass ich doch zweimal rein." Mit dem Abstand zwischen meinen Händen versuchte ich das zu visualisieren, was ich bis vor fünf Minuten für eine Größe 54 hielt.
Traumatisiert kam ich in der Umkleidekabine an. Als ich das letzte Mal einen solchen Raum von innen gesehen hatte, stand ich kurz vor dem Abitur und hatte Angst wegen Sport durchzufallen, weil ich so gelenkig war wie eine Brechstange.
"Du siehst irgendwie irritiert aus." witzelte meine Kollegin Carina, als sie kurz nach mir die Umkleide betrat. Sie war unser Küken: Anfang 20, blonde lange Haare, unschuldiger Look, schlank und mit der Fähigkeit, den männlichen Beschützer-Instinkt auf fünf Kilometer Entfernung zu wecken. Obwohl ich auf ihre Figur neidisch war, mochte ich sie wahnsinnig gern, da sie ein unglaublich lieber Mensch war.
"Japp. Ich sehe anscheinend wie jemand aus, der Kleidergröße 54 trägt.", erklärte ich mich und wedelte empört mit dem textilen Beweis rum.
"Erzähl nicht.", widersprach Carina mit ernster Miene.
"Doch. Ich bin fett. Hier steht eine große 54 in meinem Neoprenanzug.", seufzte ich und wetterte weiter: "Außerdem ist das ein Männer-Anzug. Ich bin also nicht nur körperlich überdimensioniert, sondern habe anscheinend auch noch die Figur von einem Kerl."
Inzwischen hatten Jenny, eine weitere Kollegin und Elke, unsere Teamleiterin ebenfalls die Umkleidekabine betreten. Beide hatten von der Anzugsausgaben-Doofkuh die passenden Größen - S und M - erhalten. Und weil ich mit meinen Gefühlen noch nie besonders gut hinterm Berg halten konnte, wussten die zwei, noch bevor sie ihr Taschen abgestellt hatten, wie es um mein Seelenwohl bestellt war.
Carina, Jenny und Elke fanden meine emotionale Problem-Schilderung sehr unterhaltsam und bei der wiederholten Ausführung des Dilemmas konnte ich mir ein Lachen selbst nicht mehr verkneifen. Immerhin hatte ich nach einem legeren Kleidungsstück verlangt und ganz im Sinne von "Kunde ist König" wurde mein Wunsch erfüllt.
Doch als ich beschloss, mich dem eigentlichen Thema zu widmen - dem Rafting, rollte der nächste körperbetonte Schock auf mich zu: Ich realisierte, dass es keine Einzelkabinen gab. Damit hatte ich (warum auch immer) nicht ansatzweise gerechnet. Unendlich froh darüber, dass ich ausschließlich schwarze Unterwäsche trage und somit oben immer zu unten passt, versuchte ich mich möglichst unauffällig umzuziehen: Oberteil aus, T-Shirt an, Hosen runter, Neoprenanzug hoch. Leider gestaltete sich vor allem Letzteres komplizierter als erwartet, denn ein elegantes Hineinschlüpfen in das Übergrößenmodell war nicht möglich. Trotz der Bemühung, meinen schwarz beschlüpferten Hintern nicht allzu lange zu präsentieren, stand ich eine gefühlte Ewigkeit in gebeugter Haltung, mit den Händen in Knöchelhöhe und zerrte an dem störrischen Neopren-Stoff. Irgendwann gelang es mir, mit der Eleganz einer Planierraupe, das Ding hochzuziehen.
"Geschafft.", seufzte ich erleichtert und ergänzte lachend: "Eigentlich war das genug Sport für heute."
"Nix da. Jetzt geht's erst richtig los und ihr werdet sehen, das macht so viel Fun.", widersprach mir Elke euphorisch. Sie war Mitte 40, leitete zwei Teams und sah sich selbst lieber in der Rolle der verständnisvolle Freundin, statt strengen Vorgesetzten. Meistens stürmte sie mit einem "Hallo, meine Helden!" unser Büro und versprühte dabei lebensgefährlich viel gute Laune. Davon abgesehen, war es ihr immer besonders wichtig, bei jeder Gelegenheit zu erwähnen, dass sie Action in ihrem Leben brauchte. Aus diesem Grund stand ich jetzt auch in voller Paddel-Montur am Rand einer Rafting-Anlage.
Ich nahm in der ersten Reihe des Schlauchbootes Platz und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Carina und Jenny saßen hinter mir und mit uns noch zwei weitere Kollegen. Elke saß im, von mir liebevoll getauften, Vorgesetzten-Boot. Mich erheiterte die Vorstellung, dass dieses Boot vermutlich nicht vorwärts kam. Denn die Besatzung bestand nur aus Anweisung-gebendem Personal, während die berufliche Unterschicht - also die tatsächlichen Arbeitskräfte, mit mir in einem Boot saß. Den Chef-Kahn verlor ich relativ schnell aus den Augen, denn ich paddelte mir die Seele aus dem Leib. Wir fuhren gefühlte 50 Runden durch die 270 Meter lange Rafting-Anlage. Neben dem allgemein üblichen rudern kam meinerseits auch das Kreischen und Lachen nicht zu kurz. Trotz zwei Nahtoderfahrungen durch beinahe Ertrinken kann ich zweifellos behaupten: Das hat zu meiner Überraschung wirklich Spaß gemacht.
Völlig außer Puste steuerte ich nach dem Rafting mit meinen Kollegen die Umkleide an. Auf einer großen Terrasse erwartete uns zwischen Fässern und Kleiderständern schon ein Mitarbeiter mit den Worten: "Den Helm könnt ihr mir geben. Die Schuhe bitte einmal in dem Fass waschen und dann in die Tonne daneben schmeißen."
"Check." antwortete ich mit einem Lächeln und erledigte alles wie verlangt.
Als ich meine Schuhe in die besagte Tonne fallen ließ, erklärte mir der Typ: "Deinen Neoprenanzug kannst du in die Tonne hier drüben werfen.", und neigte amüsiert den Kopf in die Richtung des besagten Behälters.
Mein Entsetzen konnte ich kaum verbergen, denn ich stand auf einer großen Terrasse, im Sichtfeld von vorbeipaddelnden Rafting-Fans und neugierigen Besuchern. Es war der Präsentierteller schlechthin, auf dem ich mich mal eben aus meiner Neopren-Haut schälen sollte. Tolle Idee.
Hatte ich schon erwähnt, dass ich über meiner schwarzen Funktionsunterwäsche ein weißes - mittlerweile klitschnasses - T-Shirt trug?
Soweit es mir möglich war, quetschte ich mich an eine Hauswand und nutzte die Deckung eines Kollegen, um mich auszuziehen. Anschließend versuchte ich mein T-Shirt auf die Länge eines Kleides auszudehnen, damit ich möglichst viel von meinem Körper verstecken konnte. Mit einem weißen, nassen Shirt ist das ungefähr so sinnvoll wie eine Diät, bei der man überflüssige Pfunde wegschläft.
Peinlich berührt kam ich in der Umkleidekabine an, wo direkt die nächste Herausforderung auf mich wartete: Gemeinschaftsduschen. Da zum Team-Event auch ein abschließendes Abendessen gehörte, war das Duschen zwingend erforderlich. Obwohl es mir absolut widerstrebte, ließ ich mich vom nackten Gruppenzwang mitreißen und schaute der entblößten Wahrheit ins Gesicht. Selbstbewusst wie eh und je stand ich mit meinem Pommes-Buden-Körper und meinen Kolleginnen unter der Brause. Ich schloss die Augen und wusch mir eilig die Haare.
"Na Mädels, das war doch herrlich, oder?", ertönte plötzlich unerwartet Elkes Stimme. Überrascht öffnete ich die Augen, was ich hätte lieber lassen sollen, denn da stand sie: meine Chefin. Nackt.
"Die Frau kannst du nie wieder ernst nehmen.", dachte ich entsetzt. "Wie soll ich im nächsten Personalgespräch mit ihr über meine berufliche Entwicklung sprechen, wenn ich die ganze Zeit ihre Brüste vor Augen habe? Zum Glück hat sie kein Nippel-Piercing.", schoss es mir weiter durch den Kopf.
Grundsätzlich war ich Brüsten gegenüber sehr aufgeschlossen, schon alleine weil ich meinen eigenen Vorbau sehr mochte. Aber das, was da gerade vor mir hin und her schaukelte war der Busen meiner Chefin und nicht die wohlgeformte Oberweite von Jennifer Lopez.
Elke schien es nicht zu stören, dass ihre beiden Airbags schon etwas Luft verloren hatten, immerhin war sie keine 20 mehr. Der Rest ihres Körpers war für ihr Alter gut in Form und damit tänzelte sie jetzt fröhlich unter der Brause herum. Trotzdem gelang es mir nicht, Brüste Brüste sein zu lassen und die Situation einigermaßen entspannt über mich ergehen zu lassen.
Um weitere verstörende Bilder zu vermeiden, verließ ich schnell die Gemeinschaftsdusche, hoffte auf einen gut funktionierenden Verdrängungsmechanismus bei allen Beteiligten und verhüllte meinen Körper endlich wieder mit Kleidung in Ego-freundlicher Größe.
Obwohl ich wirklich Spaß hatte, war dieses Erlebnis etwas zu viel "Team-Event" für meinen Geschmack. Mein Selbstbewusstsein ist sicherlich nicht klein, aber das kann ich nur in vorteilhafter Kleidung und mit High Heels, die mich 10 Kilo leichter schummeln, richtig ausspielen. Das Problem bestünde natürlich nicht, wenn ich endlich anfangen würde, regelmäßig Sport zu treiben und mich gesund zu ernähren. Aber werde ich das in nächster Zeit machen? Nein. Würde ich mir das Fett absaugen lassen, wenn ich das Geld dazu hätte? Definitiv.
Fazit: Der innere Schweinehund sitzt momentan am längeren Hebel und der richtige Weg ist kilometerweit entfernt. Doch ich schätze, ich kann mich mit Body-Shaping-Unterwäsche noch etwas über Wasser halten. Außerdem werde ich in Zukunft alle Ausflüge, bei denen die Kombination "Kollegen und nackt sein" vorkommt dankend ablehnen. Obwohl ich mir eingestehen muss, dass es auch schlimmer hätte kommen können: Umkleidekabinen für Männer und Frauen - quasi ein wahr gewordener Penis-Brüste-Chef-Alptraum.