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Nachtschwärmer
Oliver lag ein hohes Pfeiffen im Ohr, als er aus der Disco kam. Auch Danni und Babs ging es nicht viel besser. Sie hatten viel getanzt, etwas getrunken und Spaß gehabt. Doch nun hatten sie von der Disco "Bunker" genug. Irgendwann empfanden sie alle die laute Musik nur noch als Krach, und die schlechte Luft, vermischt mit den Dünsten etlicher Parfüms und Aftershaves, Zigarettenqualm und Schweiß hatte ihr übriges getan. Als sie an den Türstehern vorbei ins Freie traten schlug ihnen die Kühle Nacht entgegen, die angenehme, nur noch leicht vom Gewummer der Bässe, die aus dem Gebäude drangen gestörte Stille des frühen Morgens.
"Heftig, mir dröhnt der Kopf!" Babs zog den Reißverschluss ihrer Jacke auf und genoß die kühle Luft, die an ihr verschwitztes Top drang.
Sie hatten jetzt genug von diesem Zappelschuppen.
"Los kommt, der Bus!" rief Danni, nach dem er auf seinem Handy die Uhrzeit abgelesen hatte.
"Ey, Fährt jetzt überhaupt noch einer?" meinte Oliver, als er hinter den beiden zwischen den geparkten Autos über den Vorplatz der Disco lief.
"Ja, Alter, komm schon!" Danni drängte mit einer Geste zur Eile an.
Sie liefen eilig an die Straße. Nur noch jede zweite Laterne warf ihre schummrigen Lichtkegel auf den regennasen Asphalt. Hinten sahen sie schon die beleuchtete Reklame an dem gläsernen Wartehäuschen der Haltestelle.
"Nun lauft schon, der muss jeden Moment kommen!" Danni beschleunigte seine Schritte.
"Jetzt mach doch mal langsam, Alter!" maulte Oliver, der von der miesen Luft in der Disco noch immer etwas benommen war.
Schon bald lagen die letzten Fetzen der Musik hinter ihnen, die Stille der nächtlichen Straße mitten im Gewerbegebiet hüllte sie ein.
Ein gleißender Lichtstrahl vom Dach der Disco zog seine Bahnen über die tief hängende Wolkendecke wie ein Flak-Scheinwerfer.
"Die Ufos kommen!" meinte Danni, als er nach oben zu dem hellen Lichtkegel an den Wolken sah.
"Scotty, beam me up!" rief Oliver nach oben.
Babs studierte den Fahrplan im Glaskasten an der Rückwand des Wartehäuschens.
"Da kommt nicht mehr! Scheiße!"
Oliver stöhnte.
"Dann müssen wir ja doch noch ´n Taxi rufen! Ich hab kaum noch Moneys!"
Oliver zückte seinen Geldbeutel, kramte mit den Fingern in dem spärlichen Vorat an Münzen.
"2 Euro 60 kann ich geben! Los, wieviel habt ihr noch? Vielleicht reichts ja!" Hoffnungsvoll sah er in Richtung Jenifer, die ihrerseits den Geldbeutel aus ihrer Handtasche gezogen hatte.
Wasserperlen glitzerten in ihren Rot gefärbten Haaren. Sie sah mal wieder so süß aus.
"40 Cent! Mehr hab ich nicht!"
"Danni, was hast du noch?" sagte Olvier, während Danni seine Hosentaschen nach Geld absuchte.
"Einen Euro!"
"Shit, das sind 4 Euro´s! Ob das reicht?"
"Bis zu mir bestimmt nicht!" schimpfte Babs.
"Vielleicht fragen wir den Taxifahrer wie weit wir mit 4 Euros kommen. Dann müssen wir halt noch ein Stück laufen!"
"Oh Nee!" stöhnte Danni. Seine Füße taten ihm weh, die Schuhe waren neu und das Leder noch hart.
"Gib mal die Nummer vom Taxi.
Oliver hatte sein Handy wieder eingeschaltet. In der Disco hätte er es bei der lauten Musik sowieso nicht klingeln gehört.
Während Danni überlegte, wie die Nummer lautete, hörte er ein Motorgeräusch.
Schnell drehte er den Kopf herum.
Das hörte sich sehr nach einem Bus an.
Und dann sah er auch schon die Scheinwerfer, das grünlich schimmernde Anzeigefeld über der Windschutzscheibe.
"27 Auestadion"
Danni stutzte.
"Was ist denn das für einer?"
Auch Oliver und Babs blickten dem Bus entgegen.
"Ich wußte nicht, das die 27 nachts noch fährt!"
"Ist doch egal! Der fährt zum Auestadion, da ist´s doch nicht mehr weit!" meinte Babs.
Danni wurde mulmig im Bauch, als er sah, das der Bus leer war.
Als der Bus mit kreischenden Bremsen zum Stehen kam sah er noch kurz eine schemenhafte Gestalt am Steuer vorüber ziehen.
Der Bus kam mit der Hintertür direkt vor ihren Füßen um Stehen.
Die Doppeltür schwang nach innen auf.
Danni wunderte sich, wieso der Bus hinten aufmachte, anstatt vorn, wie es sonst Abends üblich war, damit der Fahrer die Karten kontrollieren konnte.
"Los, komm!" rief Oliver Danni zu, der noch immer ungläubig auf den Bus starrte.
Sie stiegen ein.
Ihre Schritte polterten auf dem harten, grau glitzernden Fußboden.
Babs ging nach hinten, stieg eine Stufe hoch und hatte die Rückbank im Auge.
Hinten saßen sie alle am liebsten, da war man unbeobachtet und konnte selbst alles überblicken. Außerdem konnte man hier auch einfach mal mit einem Eddingstift etwas auf die Rückenlehne kritzeln, ohne das der Fahrer es sah.
Aber hier war kein Gekritzel zu sehen.
Die Rückenlehnen der Sitze waren makellos, wie neu. Nichts war verkratzt, nirgends mit einem Messer an den Sitzen herumgeschnitzt, die Stoffbezüge sauber, nirgends Kaugummi oder verkokelte Stellen.
Sonst sah es in Kassel´s Bussen hinten immer sehr verwüstet aus. Sie hatte noch nie einen bus oder eine Strassenbahn gesehen, die innen keine Schäden hatte.
Vielleicht hatte man diesen Bus innen renoviert?
Seltsam.
Oliver setzte sich neben sie.
Danni zögerte. Sollte er nicht seine Fahrkarte beim Fahrer vorzeigen?
Doch der schien kein Interesse daran zu haben. Im Innenspiegel vorn über der Tür sah er nur eine Glatze mit ein paar scharzen Locken darauf. Der Fahrer sah nicht nach hinten, sagte nichts.
Sonst waren die Fahrer nach 20 Uhr scharf wie Metzgerhunde, wenn es um die Fahrkarten ging.
Im Innenspiegel sah Danni nur die Glatze des Fahrers..
Wohl nicht sehr gesprächig, der Typ. Komisch.
"Nun komm Danni!" rief Oliver.
Er ging nach hinten zu seinen Freunden und setzte sich links neben Babs.
Unter ihnen grollte der Motor auf und ab, etwas zischte, dann fuhr der Bus mit einem Ruck an. Sie hörten, wie das Getriebe schaltete, der Motor brummte und Grollte lauter, wieder schaltete der Bus höher, fuhr immer schneller, schaltete, gab weiter Gas, Schalten.
"Mann, hat der nen Zahn drauf!" meinte Babs kopfschüttelnd.
Sie fühlte, wie sich ihr Rücken durch die Beschleunigung gegen die Lehne presste.
Der Bus lenkte in eine Kurve, sie wurden mit einem Ruck nach links geschleudert.
Die Gummischlaufen an den Haltestangen schwangen hin und her, als er in ein Schlagloch fuhr. Hart stießen die Federn der Radaufhängung bis zum Anschlag durch.
Noch immer beschleunigte der Bus.
Das Motorgeräusch war in ein Heulen übergegangen.
Durch das gekippte Oberfenster fegte eisiger Wind nach hinten.
Oliver beugte sich vor um es zu schließen.
Dani sah bei einem Blick nach draußen wie die Laternen nur so an ihnen vorbeiflogen, sah plötzlich ein Auto neben ihnen, das der Bus überholt hatte.
"Der könnte echt mal langsamer fahren!" meinte Oliver kopfschüttelnd.
Und dann sah Danni entsetzt das Zone 30 - Schild an ihnen vorüberfegen, der Bus war viel zu schnell, und jetzt kamen sie in ein Wohngebiet.
Wieder ruckte der Bus ungebremst in eine Kurve, Danni hörte einen dumpfen Schlag an der Seite, sah im Blick nach hinten eine umgestürzte Mülltonne, deren Inhalt auf die Straße gerutscht war.
"Ey, wo haben sie ihren Führerschein gemacht?" brüllte Oliver nach vorn.
Auch ihm wurde es langsam zu bunt.
Keine Reaktion, der Bus raste weiter in irrsinnigem Tempo durch das nächtliche Wohngebiet.
"Ich will hier raus!" flüsterte Babs, nun auch ängstlich.
Oliver drückte auf den roten Stop - Knopf an der Haltestange vor ihnen.
Vorn an der Anzeigenkonsole blinkte es links und rechts auf, in der mitte das schwarze Anzeigefeld.
"Wagen hält"
Doch dann sah Babs eine Haltestelle vorüberschießen, noch immer gab der Bus Gas, der Motor jaulte und heulte unter ihnen, die Sitze vibrierten, die Verkleidungen an den Dachschrägen und an der Decke klapperten, irgendwo rasselte es.
Wieder schaltete das Getriebe einen Gang höher, der Bus drückte nochmals nach vorn.
Wieder raste er an einer Haltestelle vorbei.
"Wir wollen aussteigen, Hallo!" brüllte Oliver, panik ergriff ihn.
Wieso hält der nicht an, obwohl dort oben "Wagen hält" steht?
"Die fahren doch höchstens 80! Der hat aber bestimmt schon über hundert drauf!" stöhnte Danni. Sein Geicht war kreidebleich.
Der Bus nahm einem VW Polo die Vorfahrt, der Fahrer musste hart in die Eisen steigen.
Er schütelte wütend die Fäuste dem Bus hinterher.
"Jetzt halten sie sofort an!" schrie Babs entsetzt.
Der Motor des Busses grollte noch immer unter ihnen, ihre Schultern stießen durch die hektischen Fahrbewegungen immer wieder gegeneinander.
Babs stöhnte vor Schmerz.
Der Bus raste in wahnsinnigem Tempo durch das Wohngebiet, auf schmalen Strassen, wich wie in einem irrsinnigen Slalomrennen am Rand geparkten Autos aus, immer wieder schleuderte der Bus hin und her, die Reifen Kreischten.
"Wo will der hin?" meinte Danni mit zitternder Stimme, als er sah, wie der Bus nun eine lange Strasse hinunterschoss, mit kreischenden Reifen auf eine Hauptstrasse einbog.
Der Bus schien planlos durch die Gegend zu rasen, nur nicht auf seiner Linienführung.
Oliver sah ein großes gelbes Schild, sah nun daran, das der Bus aus der Stadt heraus fuhr, er überlegte, wo sie nun waren.
Und dann merkte er, das der Bus auf der Stadtautobahn nach Süden fuhr, unter einer Autobahnbrücke hindurch kam, urplötzlich nach links in die Auffahrt einscherte, mit einem Höllentempo die enge, sich windende Auffahrt hinauf raste.
"Der will mit uns auf die Autobahn!" schrie Danni auch schon voller angst.
"Ich gehe jetzt nach vorn und mach dem Wixer klar, das er anhalten soll!" schnaubte Oliver und stand vorsichtig auf.
Er hangelte sich an den Haltestangen nach vorn, langsam, immer wieder schlug er gegen eine Sitzlehne.
"Anhalten!" brüllte er immer wieder nach vorn, doch im Innenspiegel sah er, wie der Fahrer nicht einmal aufblickte.
Er kam weiter vorwärts.
Und dann war er vorn.
Oliver drehte sich zum Fahrer um.
"Halt sofort an, oder ich..."
Olvier blieben die letzten Worte im Halse stecken.
Der Fahrer hatte kein Gesicht.
Dort, wo es war gähnten ihn zwei schwarze, leere finstere Augenhöhlen an, die Nase war ein klumpiger Fetzen Knorpel, aus der furchigen Wange ragten durch ein Loch hindurch gelbe Zähne. Die Haut sah aus wie verlaufner Käse auf einer Pizza, furchig, zu talgigen Flatschen verbacken.
Der Lippenlose Mund grinste ihn an, gelbe, spitze Zähne.
Ein teuflisches, boshaftes Grinsen.
Ein Grinsen wie aus den tiefsten Abgründen der Hölle.
Seine Angstschreie gellten durch das donnernde Hämmern des Motors, des heulenden Fahrtwindes, als der Bus immer weiter über die stille, nächtliche Autobahn raste...