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Nachtschicht

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02.07.2018
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Nachtschicht

Bernard Shaw wurde bereits vor 15 Jahren von seinem Arzt gebeten, das Rauchen sein zu lassen.
Hat er nicht.

Schon Albert Einstein hat gesagt, man solle immer erst seine Pfeife anzünden, bevor man eine Frage beantwortet. Und genau so hat Bernard Shaw es immer gehandhabt, wenn sein Enkel ihn nach einer seiner Geschichten gefragt hat.
Das hat er, weiß Gott, nicht immer getan. Aber irgendwann kommt man in ein Alter, in dem man das Gefühl hat, seine Großeltern nicht mehr lange um sich herum zu haben.


„Die Geschichte, die ich heute für dich habe, hat sich 1962 zugetragen.
Ich bin gerade 18 Jahre alt geworden. Mit Großmutter hatte ich damals noch nichts zu tun, stattdessen hatte ich Ronette an meiner Seite. Glaub mir, das war eine Traumfrau. Ihr strahlendes Lächeln, ihre blonden Haare …
Na ja, jedenfalls habe ich in diesem Sommer so viel gearbeitet, wie nur irgend möglich. Wir hatten es damals nicht so gut wie ihr. Wer nicht gearbeitet hat, hatte kein Geld.
Die Jugend heute hat nicht einmal mehr einen Fliegenschiss Anstand im Leib.“

„Bernard!“ ruft seine Frau aus der Küche. Sein Enkel schüttelt grinsend den Kopf, Bernard hingegen rollt die Augen und erzählt weiter.

„Jedenfalls wollte ich Ronette damals einen Antrag machen und brauchte Geld für den Ring. Jeden Nachmittag habe ich in der alten Tankstelle an der Route 88 gearbeitet.
Am Wochenende übernahm ich immer die Nachtschicht, das gab am meisten Geld. Außerdem war das damals die erste Tankstelle im ganzen Umkreis, die bis 2 Uhr geöffnet hatte.
So stand ich auch in einer warmen Juninacht vor 56 Jahren am Schalter der Tankstelle. Drei Zapfsäulen, alle im selben Blau wie auch die Blechfassade der Waschhalle und des Führerhauses.
Es wird ungefähr 1 Uhr gewesen sein. Schon seit Stunden hörte ich denselben Radiosender, der nur Hits aus den späten 50ern spielte.
Und ich werde niemals vergessen, wie dieser Irre in seinem rot-weißen 1955 Buick Roadmaster angefahren kam.


Er machte von Anfang an einen nervösen Eindruck und schaute sich dauernd um.
Als er seinen Buick vollgetankt hat, kam er auf das Führungshaus zu. Der Kerl humpelte wie eine abgestochene Sau, aber ich hatte an dieser Tankstelle schon viele merkwürdige Sachen gesehen.
Während er auf mich zu kam, kramte er bereits seine Brieftasche hervor. Sein Blick war dabei die ganze Zeit auf mich gerichtet und unter der Kasse gab es damals ein Fach, in dem eine Waffe versteckt war – nur für den Fall. Eine Walther P1.
Nur für den Fall.

Eine Hand hatte ich an der Waffe während ich das schmierige Schwein beobachtete.
Ein ungepflegter Kerl mit fettigen Haaren, unrasiert. Seinen Falten nach zu urteilen war er mit Sicherheit um die 40 Jahre alt.
„N‘ Abend. Einmal volltanken. Und Pall Mall.“
Ich sah in seine Augen.
Leere.
Die kältesten blauen Augen, die ich jemals gesehen habe. Außer … nein, das ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls starrte ich ihn an und das gefiel ihm nicht. Das gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Was hast’n, Bursche?“.
Ich löste meinen Blick von seinen unheimlichen Augen.
„Das macht 3 Dollar.“
Mürrisch legte er Penny um Penny auf die Ablage, während ich mich überwinden musste, die Walther loszulassen um seine Pall Mall zu holen.
Irgendwas hatte dieser Kerl an sich.
Irgendwas, was mir einfach Angst gemacht hat.

Jedenfalls holte ich ihm seine dreckigen Pall Mall und legte sie neben seinen Turm aus Pennies.
Erst als ich sein Geld aufsammelte, hörte ich sein schweres Schnaufen. Ich schaute hoch, sah direkt in diese kalten Augen und er starrte zurück. Der Griff um die Walther wurde fester.
Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun und fragte mich, warum das Schwein nicht verschwinden wollte. Aber er stand da und starrte mich an.
„Kann ich noch etwas für Sie tun, Mister?“.
Das Zittern meiner Stimme muss unüberhörbar gewesen sein.
Er fing ganz langsam an zu grinsen und zeigte mir seine gelben Zähne. Langsam nahm er seine Schachtel Pall Mall, drehte sich um und humpelte zu seinem Buick.

Meine Hand umklammerte die Pistole bis die Lichter angingen.
Bis der Motor anging.
Ich ließ erst los, als der Buick hinter der nächsten Kurve verschwandt.
Meine Schicht dauerte ja nur noch eine Stunde.
Aber eine Stunde kann lang sein.

Sehr lang.


Es war 1:40 als mich das erste Mal ein dumpfes Geräusch vom Dach des Führerhauses aus meinen Gedanken riss.
Ich war bereits mit dem Kassensturz beschäftigt und da seit dem Irren niemand mehr getankt hat, ging ich davon aus, dass das auch in den nächsten 20 Minuten nicht der Fall sein würde. In manchen Nächten bleibt die Kundschaft eben aus.
Dieses Geräusch war verdammt leise und ich nahm es kaum wahr. Erst als ich es wenige Sekunden später wieder hörte, drehte ich das Radio aus und starrte zur Decke.
Nichts.
Gerade als ich mich wieder der Kasse widmen wollte, Klack.
Irgendetwas landete da oben. Ich sah aus dem Fenster auf das Gelände der Tankstelle. Das blaue Neonlicht verriet niemanden.
Allem Anschein nach war ich alleine.
Klack.
Ehe ich mich versah, hatte ich die Walther in der Hand.
Ich hab gezittert wie ein vollgeschissener Vogel und mir wird immer noch mulmig, wenn ich daran denke.
Klack.
„Hallo!? Ist da jemand?“ rief ich.
Die einzige Antwort, die ich bekam, war das dumpfe Geräusch vom Dach.
Klack.
Mir wurde übel. Irgendjemand schien ein Spiel mit mir zu spielen.
Klack. Klack.
Ich blickte auf die Uhr. 1:44.
Klack.
Die Panik kroch in mir hoch wie eine ganze Kolonie von Maden. Ich entsicherte die Waffe und starrte die Decke an.
Klack.
„Was soll das!?“ schrie ich, während meine Stimme sich vollkommen überschlug.
Klack.

Danach war es vorbei. Ich hörte nichts mehr.
Zehnmal habe ich dieses dumpfe Geräusch gehört, ein leises Geräusch.
Und ich verwette meinen Arsch darauf, dass mein Herzschlag lauter war als dieses Klacken.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und atmete tief durch.
Irgendwas in mir wollte wissen, was das gewesen ist.
Es war ohnehin Feierabend und ich beschloss aufs Dach zu klettern, bevor ich zum Wagen sprintete.

Auf die Kasse habe ich in dieser Nacht geschissen. Zitternd griff ich mir die Taschenlampe und die Walther, öffnete langsam die Tür und trat hinaus in die warme Sommernacht.
Es war totenstill. Nur ein paar Grillen zirpten im Feld auf der anderen Seite der Tankstelle.
Ich atmete tief ein und spürte, wie gut die Luft mir tat. Freiheit.
Vielleicht vergaß ich auch kurz, dass ich mir 2 Minuten vorher noch beinahe in die Hose gepisst habe – und es war wirklich sehr knapp – aber mit einem Schlag kam es mir wieder ins Gedächtnis und ich drehte mich zum Führerhaus. Ich schluckte als ich einmal um das Haus herumschlich und die Leiter auf der Rückseite erklomm.
Meine schweißnassen Hände kämpften sich Sprosse für Sprosse vor und mit jeder wurde meine Anspannung größer.
In wenigen Augenblicken sollte ich wissen, was mich gestört hat.
Auf der letzten Sprosse angekommen schob ich langsam meinen Kopf über die Dachkante. Irgendwas lag tatsächlich auf dem Dach.
Ich atmete tief ein und fummelte die Taschenlampe aus meiner Hosentasche. Als der Lichtkegel das Dach beleuchtete, merkte ich, wie mir die Pisse das Hosenbein runter lief.

Zehn abgetrennte Finger lagen verteilt auf dem Dach des Führerhauses. Roter Nagellack auf ihnen, deutlich heller als das getrocknete Blut, welches aus dem Stümmel lief.
Ich weiß nur, dass ich den Mund aufgerissen habe. Ob ich geschrien habe, kann ich dir nicht sagen. Jedenfalls packte mich im nächsten Moment eine Hand am Fuß und riss mich von der Leiter.
Ich landete mit dem Rücken im Staub und sah direkt in die Augen des Irren aus dem Buick. Er grinste zurück, so leer wie die Unterhose eines Eunuchen.
Das Adrenalin schoss mir durch den Körper und ich versuchte, die Walther in die Hände zu bekommen. Sie hatte sich im Hosenbund verheddert.
Jedenfalls griff er mit seinen Pranken nach mir und zog mich am Kragen zu sich, ließ mich aber schreiend los als ich ihm mit voller Wucht in die Eier trat.

Sein Kreischen hallte durch die Nacht als ich zu meinem Wagen rannte, den ich hinter der Waschhalle geparkt hatte. Ob er mich verfolgte oder nicht, das wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich hier weg wollte. Raus aus diesem Albtraum.
Mein Herz machte einen Sprung, als ich meinen Ford Thunderbird sah. Ich kramte meinen Schlüssel hervor, stolperte hinters Lenkrad und verriegelte die Tür von innen.
Gerade als ich den Motor gestartet hatte, kam der Irre um die Waschhalle herum und humpelte mit seinem leeren Grinsen auf mich zu.
Ich schrie, gab Gas und fuhr den Wichser über den Haufen.
Es knallte richtig als ich ihn überrollte und irgendwas rumpelte von der Rückbank, mir war aber in jenem Moment nicht bewusst, was es war.

Ich fuhr noch ein paar Meter und machte eine Vollbremsung.
Im Rückspiegel sah ich, wie der Kerl im roten Licht meiner Rückscheinwerfer den rechten Arm anhob.
Dann den linken.
Und dann hob er seinen Kopf.
Das war der Moment, in dem ich ihn rückwärts überrollte.

Er regte sich nicht mehr. Seine kalten Augen würden niemanden mehr ansehen.
Ich ließ mich erschöpft in den Sitz fallen und schloss die Augen.
Als mir wieder einfiel, dass etwas auf der Rückbank gepoltert hatte, drehte ich mich um.

Jetzt wusste ich, wo die zehn Fingerstümmel herkamen …"

 

Hallo LowlandPalmer,

und willkommen bei den Wortkriegern.

Meine Empfehlung: Nimm die Rahmenhandlung rund um den Großvater, der seinem Enkel eine Geschichte erzählt, raus. Trägt rein gar nichts zum Text bei. Dann konzentrier dich auf die eigentliche Geschichte, bau sie aus. Nicht unbedingt inhaltlich. Sie hat einen klaren Anfang und ein klares Ende, völlig in Ordnung. Aber mir fehlt da einfach was. Zum einen sprachlich. Das wirkt für mich alles so dahingeschleudert. Ja, der Großvater erzählt seinem Enkel eine Geschichte und du versuchst, das möglichst authentisch zu machen. Aber wenn du diese Rahmenhandlung eben beiseite lässt, könntest du da viel mehr rausholen. Der Erzähler könnte derb und salopp bleiben, aber du könntest damit viel mehr anstellen, könntest allein durch die Sprache einen Sog entfalten. Im Moment ist das halt nicht der Fall. Im Moment wirkt es sehr lieblos.

Damit zusammen hängt auch etwas anderes: ich komme dem Erzähler nicht nahe genug, ich interessiere mich gar nicht für ihn. Bei der Konstellation Großvater - Enkel besteht das Problem, dass die beiden sich kennen. Und ja, vermutlich ist es realistisch, dass der Großvater sich dann auf das Wesentliche konzentriert. Aber letzten Endes ist die Geschichte ja für uns, die Leser an den Bildschirmen, und wir kennen den Großvater nicht. Und seine Erzählung sorgt nicht dafür, dass wir ihn am Ende besser kennen.

Mir scheint, die Rahmenhandlung ist nur ein Kniff, um einige wesentliche Aspekte des Schreibens zu überspringen, in diesem Fall sprachliche Ausarbeitung und Figurenzeichnug. Deswegen nochmal der Rat: Nimm die Rahmenhandlung raus, konzentrier dich auf die eigentliche Geschichte und arbeite sie vernünftig aus. In der aktuellen Version ist das für mich nichts.

Liebe Grüße
Mix

 

Damit zusammen hängt auch etwas anderes: ich komme dem Erzähler nicht nahe genug, ich interessiere mich gar nicht für ihn. Bei der Konstellation Großvater - Enkel besteht das Problem, dass die beiden sich kennen. Und ja, vermutlich ist es realistisch, dass der Großvater sich dann auf das Wesentliche konzentriert. Aber letzten Endes ist die Geschichte ja für uns, die Leser an den Bildschirmen, und wir kennen den Großvater nicht.

Hey Mix!

Vielen Dank erstmal für die Mühe!

Jetzt, wo ich das so lese, sehe ich die Geschichte mit anderen Augen.
Die Rahmenhandlung um den Großvater ist eher darauf ausgelegt, eine Kurzgeschichtensammlung zu werden. Aber ich muss auch sagen, dass man ihn nie wirklich näher kennenlernen sollte. Vielmehr geht es mir um das Klischee des Großvaters, der viel absurdes Zeug erzählt und dem man nie so Recht Glauben schenken kann.

Wie du schon sagst, die Geschichte ist für die Leser an den Bildschirmen. Und da merke ich gerade, dass ich zu sehr auf den Großvater fixiert war und dass die Geschichte an sich wirklich keine Tiefe für den Hauptcharakter bildet.
Also stört dich denn mein sprachlicher Umgang um Spannung zu erzeugen oder ist es vielmehr einfach die fehlende Nähe? An beidem würde ich gerne arbeiten, stehe aber gerade etwas auf dem Schlauch, wie ich die Spannung sprachlich intensivieren könnte.

Vielen Dank! :)

 

Hi nochmal!

LowlandPalmer schrieb:
Die Rahmenhandlung um den Großvater ist eher darauf ausgelegt, eine Kurzgeschichtensammlung zu werden.

Halte ich für überflüssig. Wenn du eine Kurzgeschichtensammlung mit dem immergleichen Erzähler gestalten willst, hindert dich nichts daran. Dieses Setting brauchst du doch gar nicht.

LowlandPalmer schrieb:
Aber ich muss auch sagen, dass man ihn nie wirklich näher kennenlernen sollte. Vielmehr geht es mir um das Klischee des Großvaters, der viel absurdes Zeug erzählt und dem man nie so Recht Glauben schenken kann.

Kannst du ja machen. Dann ist der Erzähler eben ein griesgrämiger, derber alter Sack. Das wäre etwas, was du allein durch den geschickten Einsatz von Sprache umsetzen könntest (da die Geschichte selbst ja von einer Zeit handelt, in der der Erzähler deutlich jünger war, könntest du sogar einen witzigen Kontrast zwischen dem Erzähler und seiner Erzählweise auf der einen Seite und seinem Auftreten innerhalb der Geschichte auf der anderen Seite schaffen). Indem du aber vorher diese Rahmenhandlung setzst, ersparst du dir halt die Arbeit und darunter leidet der Text. Im Übrigen geht es nicht so sehr darum, den Erzähler kennenzulernen, sondern darum, ihn als Figur greifbar zu machen. Dafür muss ich nicht seine Lebensgeschichte kennen. Ein ausgereifterer und intensiverer Zugang zu seinen Gedanken und Gefühlen würde schonmal helfen.

LowlandPalmer schrieb:
Also stört dich denn mein sprachlicher Umgang um Spannung zu erzeugen oder ist es vielmehr einfach die fehlende Nähe?

Es fehlt mir einfach an Sorgfalt. Dein Umgang mit Sprache erscheint mir prinzipiell sicher, aber es ließe sich so viel mehr aus dem Text rausholen. Das gilt sowohl für die Sprache, als auch für alles andere. Im Moment kommt mir deine Geschichte eher vor wie eine Skizze, etwas, was man mal auf ein Blatt Papier klatscht, um ein Gefühl für die Story und die Figuren zu bekommen. Meiner Meinung nach müsstest du einfach mehr Arbeit investieren. Arbeite die Figuren aus und lass uns an ihnen teilhaben, das gilt sowohl für den Erzähler, als auch für den Bösewicht, welcher im Moment noch sehr beliebig wirkt. Überleg dir genau wie und warum das Geschehen stattfindet. Gerade im Horror muss vielleicht nicht immer jede Ursache klar sein, der Horror kann ja gerade dadurch entstehen, dass man nicht versteht, was überhaupt los ist. Aber dann musst du uns auch in das Geschehen mitnehmen. Der Horror muss spürbar werden. Dafür kann ich dir jetzt auch kein Patentrezept liefern, im Horrorgenre bin ich nicht gerade zu Hause. Aber eine Hauptfigur, die mehr tut als ein bisschen zu fluchen, mit der man mitfiebern kann, wäre schonmal was. Ein Beispiel aus deinem Text:

Er regte sich nicht mehr. Seine kalten Augen würden niemanden mehr ansehen.
Ich ließ mich erschöpft in den Sitz fallen und schloss die Augen.
Als mir wieder einfiel, dass etwas auf der Rückbank gepoltert hatte, drehte ich mich um.

Was geht ihm durch den Kopf, während er die Augen geschlossen hat? Du lässt uns nicht teilhaben an seinen Gedanken, wir bleiben außen vor, sehen nur, was er tut. Da lässt sich mehr rausholen.

Und lass dir Zeit beim Schreiben, es drängt dich ja nichts. Schreiben ist sowieso hauptsächlich überarbeiten. Davon würde deine Geschichte sehr profitieren, denke ich.

Liebe Grüße
Mix

PS: Deine Absätze sind sehr merkwürdig gesetzt. Selten stehen mehr als zwei Sätze direkt hintereinander. Das wirkt schon rein optisch etwas befremdlich. Das würde ich mir auch nochmal ansehen.

 

Hallo, LowlandPalmer

Ach ja, ‘merica, verrückte Geschichten an einsamen Tankstellen, das gibt’s auf unserem Kontinent gar nicht. Erst wollte ich mich über den englischen Namen beschweren, aber ja, ich sehe es ein. Und ich finde, diese Stimmung hast Du schon gut rübergebracht (ich war noch nie in Amerika, und in den 60ern war ich noch nicht geboren, aber ich habe schon Geschichten gelesen/als Filme gesehen, die mir ein ähnliches Gefühl von Staub, Weite und ausgeleiert klingenden Radiostimmen gegeben haben).

Du hast ja schon gute Ratschläge bekommen. Deshalb würde ich jetzt erstmal auf ein paar Details eingehen.

Bernard Shaw wurde bereits vor 15 Jahren von seinem Arzt gebeten, das Rauchen sein zu lassen.

Zahlen werden in Geschichten üblicherweise ausgeschrieben. Das gilt im ganzen Text, außer vielleicht hier …

Die Geschichte, die ich heute für dich habe, hat sich 1962 zugetragen.
Jeden Nachmittag habe ich in der alten Tankstelle an der Route 88 gearbeitet.
Und ich werde niemals vergessen, wie dieser Irre in seinem rot-weißen 1955 Buick Roadmaster angefahren kam.
Eine Walther P1.
Es war 1:40[,] als mich das erste Mal ein dumpfes Geräusch vom Dach des Führerhauses aus meinen Gedanken riss.

Alle anderen Zahlen bitte ausschreiben. Das sieht einfach schöner aus und ist in der Literatur auch so üblich.

Was an Deinem Text außerdem sofort ins Auge fällt und nicht gut aussieht, das sind die Absätze. Normalerweise beschwere ich mich darüber, dass jemand zu wenige Absätze macht. Hier sind es zu viele. Häufig machst Du über lange Zeit nach jedem Satz einen Absatz. Dadurch sieht der Text einfach zerrissen aus. Du wirst Dich vielleicht fragen, warum das schlimm ist: Aber wir lesen ja mit dem Auge! D.h., so ein Text sollte auch ein halbwegs anständiges Erscheinungsbild haben.

Kurze, abgehackte Sätze und Absätze können ein tolles Stilmittel sein. Aber sie sollten sparsam eingesetzt werden. Ein ganzer Text, der nur aus solchen Ruckartigkeiten besteht, ist kein Zeichen toller Stilmittelumsetzung des/der Autor/in/s, sondern liest sich eben … ruckartig. Also, ruhig ein paar Absätze weniger machen, sodass der Text auch mal fließt.

Du hast ein weiteres Problem (das Du umgehen kannst, wenn Du auf die Rahmenhandlung verzichtest). So, wie der Text aktuell ist, ist das fast alles eine große wörtliche Rede. Sie beginnt …

„Jedenfalls wollte ich Ronette damals einen Antrag machen und brauchte Geld für den Ring.

… und endet …

Jetzt wusste ich, wo die zehn Fingerstümmel herkamen …"

… richtigerweise mit Anführungszeichen. Nun bekommen wir aber ein Problem, denn Du hast auch wörtliche Rede in der wörtlichen Rede. Innerhalb der wörtlichen Rede werden keine neuen Anführungszeichen gesetzt, zumindest herkömmlichen. Stattdessen benutzt man ‚‘ – ich nenne das mal „einfache“ Anführungszeichen. Sie zeigen an, dass Du nicht vergessen hast, einen Sprecherwechsel zu markieren, sondern dass wörtliche Rede in der wörtlichen Rede passiert. Wenn Du die Rahmenhandlung nicht streichst, müsstest Du das noch reparieren.

Weitere Wörtliche-Rede-Schludrigkeiten:

„Was hast’n, Bursche?“.
„Kann ich noch etwas für Sie tun, Mister?“.

Ein Satzzeichen genügt völlig. Die Punkte nach der wörtlichen Rede müssen weg.

Außerdem:

(Eigentlich wollte ich anfangen, mich zu fragen, was Deine Probleme mit der Zeichensetzung am „als“ sind. Dabei fiel mir aber auf, dass in den ersten drei Abschnitten (die ja aufgrund Deiner exzessiven Bearbeitung der Enter-Taste recht kurz ausfallen) viermal das Wort „damals“ vorkommt. Vielleicht mal Variationen reinbringen.)

Es war 1:40 als mich das erste Mal ein dumpfes Geräusch vom Dach des Führerhauses aus meinen Gedanken riss.
Ich schluckte als ich einmal um das Haus herumschlich und die Leiter auf der Rückseite erklomm.
Jedenfalls griff er mit seinen Pranken nach mir und zog mich am Kragen zu sich, ließ mich aber schreiend los als ich ihm mit voller Wucht in die Eier trat.
Sein Kreischen hallte durch die Nacht als ich zu meinem Wagen rannte, den ich hinter der Waschhalle geparkt hatte.
Es knallte richtig als ich ihn überrollte und irgendwas rumpelte von der Rückbank, mir war aber in jenem Moment nicht bewusst, was es war.

Es stimmt zwar, dass nicht an jedes „als“ ein Komma kommt (nämlich dann, wenn ein Vergleich ohne neuerliches Prädikat folgt, das hast Du im Text auch mehrmals richtig umgesetzt), aber an diese Stellen hier muss überall noch eins.

Mal ganz davon ab …

Ich schluckte[,] als ich einmal um das Haus herumschlich und die Leiter auf der Rückseite erklomm.

… glaube ich das hier einfach nicht. Wie lange braucht man wohl, um ein Haus zu umrunden (sogar zu schleichen) und eine Leiter hochzuklettern? Je nachdem, wie weit der Weg und wie hoch die Leiter würde ich sagen bei einem sehr kleinen Haus, einem sehr schnellen Schleicher und einer sehr kurzen Leiter, mindestens dreißig Sekunden. Und so lange schluckt der Prot also? Hölle! Ich bin ja irgendwie bekannt für meine Formulierung „am Kloß in meinem Hals schlucken“, aber selbst dafür räume ich meinen Charakteren gerade einmal, say, zwei Sekunden maximal ein. Versuch mal, dreißig Sekunden lang zu schlucken. Ich frage mich, wie viel Du danach kotzen musst. Allein die Vorstellung lässt mich würgen. ;) Das ist ein gutes Beispiel dafür, inwiefern Du im Text noch sorgfältiger nachbearbeiten solltest. Solche Sätze … passen einfach nicht. Wenn Du so etwas findest, solltest Du es präzise nachbearbeiten.

Außerdem benutzt Du wirklich extrem viel „als“. 5x „damals“ (hinzu kommen noch viele Varianten in Form von "niemals" und "jemals") und 23x „als“. Für so einen kurzen Text ein bisschen viel (mehr als 1% aller Wörter sind „als“). Versuche, Variationen in Deine Sätze reinzubringen. Auch das gehört zum Feilen dazu. Man muss jetzt nicht unbedingt ausrechnen, wie viel Prozent des Textes welches Wort ist, das mache ich nur aus Spaß. Da es kein Maß dafür gibt, welches Wort wie oft in einem Text vorkommen darf, ist das natürlich Quatsch. Ich merke aber meistens beim Schreiben schon, wenn ich einen bestimmten Satzbau oder ein bestimmtes Wort sehr häufig verwende (in meinen Kommentaren ist es z.B. „total“). Dann unterdrücke ich das bewusst (in Kommentaren lasse ich es). Wenn Du es beim Schreiben nicht merkst, wird es Dir sicher beim Lesen auffallen. Früher hatte ich Angst davor, meine eigenen Geschichten zu lesen. Aber da muss man durch. Und zwar deutlich häufiger, als dass man sie schreibt.

Na ja, jedenfalls habe ich in diesem Sommer so viel gearbeitet, wie nur irgend möglich.

Wo ich aber gerade bei einem vergleichenden „als“ ohne folgendes Prädikat war: Das gilt natürlich auch fürs „wie“. Deshalb kommt in diesem Satz vor dem „wie“ das Komma weg.

Eine Sache ist mir noch aufgefallen:

Er grinste zurück, so leer wie die Unterhose eines Eunuchen.

Hier bin ich total ins Schleudern geraten. Bei Vergleichen muss man vorsichtig sein: Sie müssen gut passen. Und ja, beides ist leer, und ja, das ist hübsch humorvoll und dreckig formuliert. Aber ein Grinsen und eine Unterhose? Hm. Ich musste eine Weile nachdenken, um zu checken, was Du damit sagen willst. Und das ist nicht der Sinn eines Vergleichs. Auch Stellen, wo es sich beim Ausfeilen hinzuschauen lohnt.

Alsomalso: Make it work!

Und ein herzliches Willkommen bei den Wortkriegern.

Feine Grüße,
Maria

 

Hallo LowlandPalmer,
und willkommen bei den Wortkriegern!

Vieles von dem, was ich zu sagen hätte, wurde schon von anderen gesagt, teils mehrfach. Daher versuche ich mich auf Dinge zu beschränken, die noch nicht erwähnt wurden.

Also, deine Geschichte funktioniert für mich nicht richtig als Horror. Nicht, dass sie schlecht wäre, aber das Thema ist ja nicht gerade neu, was zunächst einmal in Ordnung geht. Aber ich würde mir zumindest eine kleine Abwandlung, ein kleines Spielchen mit meiner Erwartungshaltung als Leser wünschen, das mich doch noch überrascht. Stattdessen läuft alles genauso ab, wie in gefühlt hundert anderen Geschichten und Filmen, die ich schon gelesen und gesehen habe.

Zum Anderen fehlt mir der Aufbau in der Geschichte, der Spannungsbogen:

Er machte von Anfang an einen nervösen Eindruck und schaute sich dauernd um.
Als er seinen Buick vollgetankt hat, kam er auf das Führungshaus zu. Der Kerl humpelte wie eine abgestochene Sau, aber ich hatte an dieser Tankstelle schon viele merkwürdige Sachen gesehen.
Während er auf mich zu kam, kramte er bereits seine Brieftasche hervor. Sein Blick war dabei die ganze Zeit auf mich gerichtet und unter der Kasse gab es damals ein Fach, in dem eine Waffe versteckt war – nur für den Fall. Eine Walther P1.
Nur für den Fall.

Eine Hand hatte ich an der Waffe während ich das schmierige Schwein beobachtete.

Bis hierher weiß ich über den neuen Kunden, dass er nervös ist, dass er humpelt "wie eine abgestochene Sau" (Nebenbei, für mich heißt abgestochen tot. Vielleicht "wie eine waidwunde Wildsau"?), und dass er den Erzähler die ganze Zeit im Blick hat. Das reicht für mich nicht, um den Grusel zu empfinden, den du in mir auslösen willst. Ich denke beim Lesen nicht "an seiner Stelle würde ich aber auch zur Pistole greifen", weil ich seine Angst nicht nachempfinden kann. Da muss etwas mehr sein, was diesen Typen so gruselig macht, dass der Prot schon jetzt zur Waffe greift, aber das erzählst du nicht. Es ist kein Sprachproblem, wie du weiter oben vermutet hast, sondern ein Problem der Stilmittel. Später kommen die "kalten Augen" hinzu, aber das ist mir auch ein bisschen zu lapidar. Der Typ ist eklig, das hast du gut herausgestellt, aber noch nicht besonders gruselig.

Ähnlich geht es weiter, als der wirkliche Horror beginnt. Zugegeben, das Klacken auf dem Dach in der Einsamkeit der Nacht ist ein bisschen unheimlich. Aber so wie der Prot ausflippt, weil es auf dem Dach ein paarmal leise "Klack" macht, ist es nicht nachvollziehbar:

Ich hab gezittert wie ein vollgeschissener Vogel
Die Panik kroch in mir hoch wie eine ganze Kolonie von Maden.
„Was soll das!?“ schrie ich, während meine Stimme sich vollkommen überschlug.
Und ich verwette meinen Arsch darauf, dass mein Herzschlag lauter war als dieses Klacken.

Mit den Fingern auf dem Dach und dem Kampf danach kommt endlich richtig Horror in die Geschichte. Aber mit den Szenen davor und den übertriebenen Reaktionen des Prots hast du schon allzu deutlich signalisiert, wohin die Reise geht, und die Luft ist schon raus, bevor das Drama den Höhepunkt erreicht.

Einige andere Dinge, die mir aufgefallen sind:

Seinen Falten nach zu urteilen war er mit Sicherheit um die 40 Jahre alt.
Klingt seltsam. Wieso "mit Sicherheit"?

Außer … nein, das ist eine andere Geschichte.
Das ist gut.

„Das macht 3 Dollar.“
Mürrisch legte er Penny um Penny auf die Ablage
Die Dezimalwährung von Dollar heißt Cent.

Erst als ich sein Geld aufsammelte, hörte ich sein schweres Schnaufen.
Wieso erst jetzt? Und warum ist es wichtig? Das Schnaufen wird später in der Geschichte nicht wieder aufgegriffen. Würde ich aber erwarten, wenn du es hier erwähnst.

Der Griff um die Walther wurde fester.
Ich denke, er hat die Waffe abgelegt?

Zehnmal habe ich dieses dumpfe Geräusch gehört, ein leises Geräusch.
Wenn ich richtig gezählt habe, hört er das elfmal :D

Irgendwas in mir wollte wissen, was das gewesen ist.
Klingt abgedroschen. Warum nicht einfach "Ich wollte jetzt wissen,..."?

Roter Nagellack auf ihnen, deutlich heller als das getrocknete Blut, welches aus dem Stümmel lief.
Getrocknetes Blut läuft nicht.

Fazit: Versuch, den Horror für den Leser erlebbar zu machen, indem du zeigst, was den Horror auslöst, und nicht nur, indem du erzählst, wieviel Angst der Prot hat.

Und: Achte auf die Zeiten. Sie stimmen nicht immer.

Beste Grüße
Hopper

 

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