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Nachts

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Tristan Harzen

Guest

Nachts

Nachts.
(Juli 1995)

Eines Nachts wachte Gregor auf.
Weit standen die Fensterläden offen, nachtkühler Wind hauchte in die kleine Kammer. Gregor öffnete die Augen und spürte, wie bleierne Mattigkeit auf seinen Gliedern lag. Der hauchartig dünne Stoff, mit dem er zugedeckt war, wollte ihm wie ein Berg schwerer, feucht-warmer Grabeserde vorkommen, deren Gewicht ihm die Luft aus den Lungen presste und dem Herzen nur ein mühsames Pochen zugestand.
So hauchartig der bedeckende Stoff war, so unmöglich war es den erschlafften Armen zunächst, ihn beiseite zu schaffen; schließlich gelang es doch, und Gregor tat einen tiefen Atemzug. Die Luft, das spürte er jetzt in den sich quälend langsam füllenden Lungen, war von solch zäher Konsistenz, von solch feuchter Dunstigkeit, dass er in warmer Schlacke zu ersticken glaubte. Rasch und in Todesahnung richtete sich der nun ganz und gar wache Körper auf, beschleunigte die Atmung und gab dem zäh fließenden Blut so den benötigten Sauerstoff. Das Sitzen nahm den halb illusionären, halb tatsächlichen Druck von der Brust, der Körper begann stiller und unauffälliger zu arbeiten, so dass Gregors Geist nun Zeit und Muße fand, seine Gedanken ziellos schweifen zu lassen... sie hielten sich an nichts fest und vermochten nichts festzuhalten, sondern waberten dumpf und halb schlafend durch ein dunstiges Bewusstsein. Da glitt Gregors Blick durch das kleine Fenster und sah sich an einem großen, runden Mond fest, der über schwarzen, ganz scharf gezeichneten Waldsilhouetten wie ein ganz Unbeweglich-Ewiges stand; da rührte sich in der unausgeloteten Tiefe von Gregors junger Seele etwas, geschah dort eine Regung, die wir hilflos eine Sehnsucht nennen wollen. Die ließ Gregor aus dem Bett steigen und an das Fenster treten.
Der kühle, frisch duftende Wind, der in sachten Wellen ihm entgegenwogte, ließ Gregors schweißnasse Haut frösteln. Kein Laut war zu hören, so sacht und gleichsam ehrfürchtig strich der Wind über die Wälder und durch die Büsche. Die stille, kühle Welt dort jenseits seiner von schwerer Luft erfüllten Kammer zog Gregor an, dort irgendwo, im Wald, auf dem Feld, auf dem Hügel, ahnte er das Ziel seines unbestimmten Verlangens, dort musste der Magnet verborgen liegen, der an seiner Seele so gewiss zugleich und ungewiss zerrte... schon hatte ihn ein kurzentschlossener Sprung, der die Zerbrechlichkeit des Körpers nicht achtete, ins Freie fallen lassen.
Da stand er nun nackt in nächtlicher Kühle. Wohin sollte er sich wenden? Dies war ihm gleich und würde sich finden. Ich bin wahnsinnig, dachte er in der Kürze eines kaum bewussten Momentes. Und ein solcher Moment nur war es auch, in dem er an die schimpfenden Eltern dachte und sich seiner Nacktheit schämte. Dann ging er mit der marionettenartigen Sicherheit eines Schlafwandlers los; allein er wandelte nicht schlafend, sondern war wach und klar und hell in einer Weise, die er zuvor niemals gekannt hatte. So ging er quer durch das Feld, indem sich die reifen Ähren wellenartig vor ihm teilten und hinter ihm schlossen; so ging er in den Wald, durch den sich ein flüsterndes Bächlein wand. Gregor schlürfte eine Handvoll des klaren Wassers, wusch sich am ganzen Leibe und liess sich vom Nachtwind trocknen; es war kalt, es war köstlich. Dann ging er weiter, nackt und frierend, hell und klar, ein erleuchteter Geist, der alles, alles – nicht zwar formelhaft begriffen hat, es aber ahnt, es spürt, es atmet... ein Kind noch, ein vierzehnjähriger Knabe, der da nackt und ahnend durch die Welt streift! Wohin? Wohin nur? Ein Hügel ist es, seht!, dessen unsichtbare Stufen die bloßen Füße jetzt emporsteigen.
Da steht er nun, der Knabe, und weiß nicht wie ihm geschieht. Wir aber wollen es zu bezeichnen suchen: Absonderung geschieht, erschlagende Vereinzelung, tödliche Vereinsamung findet statt, Wissensartiges, Erkenntisartiges fließt weitend in die Seele, wie scharfer Menthol, der die verstopfte Nase prickelnd und beißend eröffnet – und doch ist es nicht nüchternes Wissen, ist es nicht nüchterne Erkenntnis, die da kühl hineinströmt, sondern ist – ist eine Empfindung, ein Gefühl, ein Leibliches... Der Schwindel, der ihn begreiflicherweise erfasst, lässt ihn am Stamme eines festen, alten Baumes auf der Hügelkuppe niedersinken. Ruh dich aus, Knabe! Halte dich fest und erwärme dich an dem Wissen, dass du ja nicht alleine, sondern einer von Millionen und Millionen anderen Menschen bist! Dass morgen und am Tage alles wieder in der Ordnung sein wird, du in die Schule gehen wirst, und links und rechts Menschen wie du sitzen und zu dir sprechen werden; dass hinter dir die Eltern und Großeltern stehen, dass vor dir die Kinder und Enkelkinder stehen und du wohlgeborgenes Glied einer langen, langen Kette bist! An all dem halte dich fest, spüre den Rahmen, der dich umgibt und aus dem niemand heraus fällt...
Gregor beruhigt sich in der Tat und blickt über das weite, dunkle Land zu Fuße des Hügels; das Bächlein, das ihn eben erfrischte, gleicht einer feinen Silberkette, die ein Gott nachlässig von seinem Halse fallen ließ. Einige Meilen hinter dem Dorfe liegt der See, in dessen kühler Tiefe die Jugend des Dorfes die meisten Stunden dieser heißen Tage verbringt. Da blickt Gregor in den Himmel. O hättest du es nicht getan, du Erwählter und Verdammter zugleich! Denn die tausend Sterne erschlagen ihn, lassen ihn in einer seltsam-seltsamen Mischung von wetterleuchtendem Entzücken und Entsetzen aufspringen, lassen ihn sinnlos taumeln und sich, den Kopf in den Nacken geworfen, im Kreise drehen, lassen ihn tanzen wie den Verrücktesten, den die Welt je sah... Dann bricht er zusammen, presst sich an den Stamm des alten Baumes und wird unmenschlich gepeinigt von - einer Angst...? Fehl geht da jeder Begriff!
In einem Rahmen bin ich? spottet der Zitternde. Umgeben von Menschen, hinter mir Vorgänger, vor mir Nachfolger? Ein schwarzes, sternenloses All, das nicht oben noch unten, nicht links noch rechts kennt, darin bin ich, darin schwebe ich! Es ist so kalt! - -
Dann nahm ihn der Wahnsinn ganz zu sich, verdunkelte ihm das Bewusstsein und löschte das Licht.

 

Nach Deiner Ankündigung in Deiner unverschämten Kritik an "Augenblick mal" habe ich von Deiner Geschichte eigentlich eine Art Erleuchtung erwartet, quasi den Orgasmus der Kurzgeschichte.

Nun, wie man sieht: Du kochst auch nur mit Wasser. Deine Sprache ist zu bemüht, als daß Deine Geschichte den Leser an sich binden könnte.

Ein Hügel ist es, seht!, dessen unsichtbare Stufen die bloßen Füße jetzt emporsteigen.
Weniger ist oft mehr.
Mir scheint, Du willst nur beweisen, wie "intelligent" Du Dich ausdrücken kannst - aber das ist nicht die Kunst des Schreibens.

Da Du ja den Vergleich nicht scheust - lies Dir die philosophischen Geschichten von Michael Dornbusch mal durch. Davon kannst Du mit Sicherheit noch lernen.

Zum Abschluß: Im direkten Vergleich ziehe ich "Augenblick mal" Deiner Geschichte vor.

 

Hi Tristan,
Du schreibst im Vokabular der Empfindsamkeit. Die ist nun aber schon lange durch neue Redeweisen ersetzt worden. Deine Metaphern sind zwar schön, aber sie sind nicht innovativ, Stichwort Katachrese. Dein Gregor (Gregor in einem Bett, wer denkt da nicht: Samsa) wirkt nicht wie ein Kind der heutigen Zeit, eher wie ein Relikt aus dem späten 18. Jahrhundert. Wenn Du Gregors Konflikt in die heutige Lebenswelt (Vokabulare und Lebensformen sind eins) übersetzt, dann ist die Geschichte möglicherweise überzeugend oder aktuell. Im Moment wirkt Deine Sprache auf mich wie ein Abklatsch von Lenz, Goethe oder vielleicht noch Büchner (der problematisiert den Wahnsinn allerdings schon aus einer nicht romantischen Perspektive). Und da liest man dann doch eher das Original. Versuche, Dein eigenes Vokabular zu finden, dann genügst Du den Ansprüchen, die Du stellst.

 

Oh höre nun, Tristan, wie wunderlich ist Deine Prosa! Unfreiwillig komisch, grotesk überhöht und archaisch mutet die Ausdrucksweise an, man wähnt sich gar im Jahre der Herrn Eintausendachthundert! Zu viele Adjektive sind's, die jedes Verständnis oder aufkommenden Lesefluss im Keime ersticken, zu viele obsolete Ausdrucksweisen und formelhafte Satzkonstrukte, die einen jedoch kalt und leer und voll Unverständnis zurücklassen. Bessere Dichtung ward nicht nur zuhauf geschrieben, nein, bessere Dichtung ist sogar auf dieser bescheidenen Seite in jenem ätherischen Netze, welches die Welt gar unsichtbar und doch fast greifbar, filigran umspannt, zu finden.


So, jetzt ham' sie's geschafft, Herr Harzen, wir haben die Story gelesen, und beeindruckt war ich nicht gerade davon.

Nasen kann man übrigens nicht eröffnen, seltsam-seltsam ist eine gar unnötige Wortschöpfung, und vor der Formulierung "so gewiss zugleich und ungewiss" würde selbst Goethe den Hut ziehen.

Doch genug von der Kackerei der Korinthen.

 

Nunja, hier mal ein 'relativ' einfacher Versuch einer objektiven Kritik.

Zweifellos ein bemuehter Versuch klassiche Prosa mit zeigenoessischer Philosophie (Zerstoerung der Umwelt durch das Erfassen der Natur durch den menschlichen Geist) auf einen Nenner zu bringen. Die Kritik an der Sprachwahl ist dennoch angebracht, da bereits Studenten im zweiten Semster nach Abhandlung der klassischen Literatur durchaus in der Lage sind, aehnliche Texte zu verfassen. Warum schreiben diese dann dennoch nicht in dieser Sprache (nur zur Belustigung ihres Textes :))? Doch daran ist in ersten Linie nichts auszusetzen. Ich moechte hier nur kurz eroertern, woran es an ihren Text meiner Meinung nach wesentlich mangelt.

Zeitgenoessische Gesellschaftskritik sollte immer einer zeitgenoessischer Sprache verfasst werden. Das sollte gerade die Herausforderung postmoderner Literatur sein - Philosophie dem 'Fussvolk' nahezubringen. Warum hat ein junger Goethe nicht klassisch geschrieben, und warum draengte und stuermte ein Goethe nicht? Lassen sie sich vom Fluss der Zeit treiben, oder draengen Sie gegen diesen, indem Sie leise zuerst das Paddeln beginnen. Vom Glanz ihrer Worte geblendet, wird der Leser nur unnoetig hinter das wahre Licht gefuehrt. Mag sein, das dies gerade der von Ihnen beabsichtigte Sarkasmus, quasi ein stiller Protest, ist. Doch Bedenken Sie, Herr Tristan, sie wiedersprechen im abstrakt mentalen Sinne sich selbst. Ausser - wenn nur dieser auf Abwegen fuehrender Glanz, den Mikrokosmos ihrer Parabel tatsaechlich wiederspiegelt, Respekt an ihrem Tiefgang, jedoch siehe dann weiter unten.

Ihr Text uebertrifft nach Anfaenglichen Bemuehen gegen Ende das Notwendige. Die ersten Metaphern haben durchaus eine Parabelwirkung auf den Leser (Mond-Lampe, Blei-Atemnot, Blut-Infarkt etc.) doch zweifellos stuerzen Sie in unnoetige Wortschwaermereinen gegen Ende ihres Textes. Vor allem machen sich Luecken in Ihrer anfangs sonst so homogenen Sprachebene bemerkbar, die ein geschultes Auge durchaus kritischer Erscheinen lassen moechten, als es ohnehin schon bei solchen Texten waere. Eine Gottoffenbarung koennte hoechsten noch beim Neo-Okultisten Aufsehen erregen, doch sicherlich wirkt dies auf den zumeist ateistischen Leser eher gemuetsablenkend. Das ist nicht die Essenz einer Kurzgeschichte, wenn dies jedoch eine Ballade darstellt, wohlan mein Freund (take a look at www.balladen.de). Aber dann muessten wir uns wegen dem Versmas noch etwas zusammensetzen :D

- Die philosophische Kernaussage ist Kaugummi von Gestern, diese Kern, dann auch noch mit soviel Suesskram zu verzieren, verdirbt den Appetit. Wir alle moegen kein McDonalds, aber wir lieben es uns damit vollzufressen. Ein Stigma dieser Zeit. Ein Haiku, oder Gedicht wuerde hier mehr angebracht sein. Ein guter Autor weiss um die stilistischtische Formalitaet und dessen Wirkung auf den Leser, Herr Tristan.

Fazit: Anfangs sehr bemueht, gegen Ende haben Sie sich schweifen lassen. Das Format ist fuer diese Sprachwahl und philosophische Abstraktion meiner Meinung nach falsch gewaehlt. Versuchen Sie einen philosophischen Gedankengang dem Leser durch einen fesselnden Plot und einer effizienteren Auswahl des Formates auf anderen Wegen naeher darzulegen; Sie werden merken, dass dann Ihre Geschichte auf mehr Resonanz treffen wird.

..und lassen Sie sich durch unqualifizierte (gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ihrer erster Kritik, auch durchaus menschliche) Kritiken nicht ins Boxhorn jagen, sie haben durchaus Talent, und ich bin davon ueberzeugt, dass das Schreiben Ihnen bestimmt noch viel Freunde bereiten wird.

 

Ben, mir ist Deine "Kritik" bis gerade eben entgangen, dafür musste ich jetzt so lachen, dass ich mich an meinem Mittagessen verschluckt hab. <IMG SRC="smilies/cwm24.gif" border="0">
Form und Inhalt korrespondieren gar sehr wunderbar miteinander, echt wahr!

 

Tut mir leid um den Autor, doch ich muß der Kritik zustimmen.
Die Geschichte taugt nicht viel.Das sprachliche und inhaltliche Geschwafel ist nur schwer zu ertragen. Die Sprache der Empfindsamkeit sollte meiner Meinung nach heute nicht mal mehr in der Lyrik verwendet werden.

 

Ich dachte schon, dass die Geschichte schief klingt, liegt nicht an der Sprache allein: Die Unstimmigkeit zwischen dem, WAS gesagt wird und der Art und Weise, WIE es gesagt wird, macht das ganze so unfreiwillig komisch, wie Ben treffend karikiert hat. Der beschriebene Konflikt ist ein Ausdruck unserer Zeit, Tristan dichtet ihn aber einem "Relikt" an. <IMG SRC="smilies/cwm13.gif" border="0">

 

Sooo siehddas aus, Nina! :)

Wenn man einen Menschen von Heute erreichen will, sollte man nicht die Sprache von Gestern verwenden, sonst wirkt es höchstens skurril-verschroben und der Vergangenheit nachtrauernd.

Obwohl, vielleicht schreib ich ja demnächst mal was in Mittelhochdeutsch, denn das ist die einzige wahre poetische Ausdrucksform! ;)

 

Okay, ich werde mich meinen Vorgängern anschließen und auch ein wenig Kritik üben an dieser Kurzgeschichte.
Lasst mich anfangen mit dem Ende dieser Geschichte: (Zitat Anfang) "Dann nahm ihn der Wahnsinn ganz zu sich, verdunkelte ihm das Bewusstsein und löschte das Licht." (Zitat Ende) Abgesehen davon, dass dieser Satz auf den Urheber der Geschichte zutrifft (...sorry; Spässle gmacht...), kann man daran auch den Stil erkennen, der hier verwendet wird. Der Autor bedient sich in dieser Kurzgeschichte vieler zum Großteil unnötiger Worthülsen, die sich zwar ganz nett anhören mögen, aber dem Handlungsverlauf und der Glaubhaftigkeit keineswegs dienlich sein können. Wie Armelle bereits erwähnte, handelt es sich hierbei um das "Vokabular der Empfindsamkeit". Auf der anderen Seite wird dem Motiv der Sehnsucht allerdings eher in der Romantik Bedeutung beigemessen, genauso wie das Gefühl oder das Streben nach Unendlichkeit und nach einem "Sichauflösen" in der Natur. In diesem Kontext würde mich allerdings sehr interessieren, ob hinter dieser Geschichte nicht auch der Gedanke des Pantheismus, des Erkennens Gottes in der Natur vorhanden ist. Auf diese Weise ist also der Mensch in Gott (=Natur) und wird bewahrt und behütet vor äußeren Einflüssen. Meine Erkenntnis, dass es sich hierbei um eine pantheistisch geprägte Kurzgeschichte handeln muss, ersehe ich vor allem aus der Tatsache, dass sich "Gregor" wie in einem Akt der Offenbarung vor Gott nackt in die Natur, ins Freie begibt und die Enge seines Zimmers hinter sich lässt, um etwas größeres und in vielerlei Hinsicht bedeutenderes zu finden. Etwas, was sich nicht mit rationellen Mitteln ergründen lässt: Gott. Zudem wandelt der Junge "nackt und ahnend" durch die Welt, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass er gefunden hat, wonach er suchte. Dennoch, ein vierzehnjähriger Junge, schicke ich mich nun mal an zu behaupten, kann noch nicht genügend Lebensweisheit besitzen, um "ahnend" zu sein. Ich persönlich glaube, dass kein Mensch, egal wie alt er auch sein mag, wirklich auch nur die Ahnung von göttlichen Mächten und der Alleinheit haben kann. (ich hoffe ich klinge nicht übertrieben religiös...) Das Motiv des Hügels, den der Junge besteigt, dürfte schon aus der Bibel bekannt sein. Die Erhebung eines Einzelnen (besonders von Gott) ist symbolisch aufzufassen als ein Zeichen der Überlegenheit, der Macht, aber kann auch Zeichen des Erkennens und vielleicht des "Wissenwollens" sein. Der Junge besitzt nun eine völlig neue Perspektive: im eigentlichen wie auch im übertragenen Sinne. Und eben diese neue Perspektive ermöglicht ihm, sich einer Theophanie zu öffnen und sich darauf einzustellen. Diesen Aspekt finde ich, wie man sicherlich erkennen kann, äußerst interessant. Schade nur, dass das ganze zu sehr an "Lenz" erinnert (für alle, die diese Novelle kennen: ich frage mich immer noch, wie es ist auf dem Kopf zu gehen... soviel zu Perspektive ;)) In "Lenz" haben wir ja auch einen geistig verwirrten Mann, der sich die unmöglichsten Dinge einfallen lässt und beginnt, gänzlich den Verstand zu verlieren. Dies ist allerdings ein Novum in der (deutschen) Literatur, da vor Büchner kaum ein Schriftsteller auch nur einen Gedanken daran verschwendet hätte, über Geisteskranke zu schreiben. (siehe auch Woyzeck; Leonce und Lena) Aber heutzutage ist dieses Thema nicht mehr so erstaunlich oder unerhört. Daher halte ich diesen Hintergrund eher für vernachlässigbar. Um auf die Sprache zurückzukommen: ich bin ebenfalls der Auffassung, dass es mithilfe der Verwendung einer moderneren Sprache bedeutend einfacher gewesen wäre, die Orientierungslosigkeit und vielleicht auch die Ziellosigkeit eines Jugendlichen zum Ausdruck zu bringen und auf diese Weise einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Es mag ja ganz reizvoll sein, den Leser mit leeren Worthülsen zu bombardieren, aber in diesem Fall ist es einfach nur sinnlos. Durch diesen Stil gelingt es dem Autoren mit durchschlagendem Erfolg, seine Leser eindämmern und ins Reich des Tiefschlafs hinübergleiten zu lassen - allerdings auf Kosten der Nachhaltigkeit, die doch im Vordergrund stehen sollte, oder nicht? (ich glaube, dass war jetzt ne rhetorische Frage... *g*) Zumindest mir ist es so gegangen: Am Anfang konnte ich der Faszination dieser Sprache und seiner Verwendung kaum widerstehen und voller Enthusiasmus dem harren, was da kommen würde. - Doch es kam nichts! Rein gar nichts. Das einzig Kontinuierliche an dieser Kurzgeschichte ist, wenn ich es persönlich auf einen knappen Nenner bringen soll, die Anhäufung von Worthülsen, die nicht nur die Hauptfigur, sondern auch den Leser in den Wahnsinn zu treiben scheinen und sie früher oder später die Flucht ergreifen lassen. (ist bloß `n Tipp, nicht sauer sein...)

Gut, das wär dann eigentlich alles, was mir so spontan einfällt - ich melde mich natürlich wieder, wenn ich noch andere Dinge herausfinde, die unsere Ausführungen und Betrachtungen weiterzuführen in der Lage sind.
Nun könnt ihr auch über meine Kurzgeschichten herfallen... (Wink mit dem Zaunpfahl...)

Thanx,
- Toby -

 

Nun, bei all dem sollte man dennoch das Folgendes erwaegen :D

Metaphern duerfen nur mit Vorsicht und weissen Handschuhen angefasst werden. Fuer den einen moegen diese leere Worthuelsen bedeuten, fuer den anderen jedoch eine Projektion des Tiefgangs des Autors. Nun kann man folglich jene Metaphern deuten, die den Tiefgang des Betrachters selbst nicht ueberfordern.

Der Text und die Nachfolgende negative Kritik an diesem, koennten, wie bereits erwaehnt, eine makroskopische Metapher des Inhalts selbst sein. In anderen Worten, der Glanz der Sprache der Empfindsamkeit, koennte eine latente Gesellschaftskritik an dem materiellen Bewusstsein der Gesellschaft sein. Vieles deutet hierfuer, als Beispiel verlaesst der Autor die Perspektive des Jungen gegen Ende des Textes 'Ruh dich aus, Knabe!..' - Ein potentieller Verlust des Bewusstseins des Jungens, gleichzeitig aber, der Hochflug der Sprache der Empfindsamkeit. Wem dem nun so waere, dann hat Herr Harzan durchaus einen guten Text verfasst, wenn jedoch dieser dennoch, an den genannten Maengeln zuvor, noch etwas leidet. Und Ueberinterpretieren kann man einen Text nicht, denn jeder Text ist ein Abdruck des Seele des Verfassers. Vieles was wir schreiben oder metaphern ist uns in erster Linie gar nicht bewusst, viel spaeter, mit zunehmender Lebenserfahrung, verstehen wir unsere Texte viel besser und interpretieren diesen nach unseren gegenwaertigen Lebensverhaeltnissen.

Man sollte auf jeden Fall niemals einen Text zu frueh abstempeln. Dies ist ein Manko der materiellen Gesellschaft. Ich erinnere mich da, dass einst ein unbekannter aber sehr talentierter Philosoph, der keinen Verleger fuer seinen Thesen finden konnte, bei Kant angefragt hat diesen zu lesen. Kant hat den Text fuer gut empfunden, da er zum Teil mit seinen Gedanken kongruierte, und zeigte diesen seinem Verleger. Der Verleger nun hat faelschlicherweise diesen Text fuer Kants Erguss gehalten und diesen publiziert. Die Leute waren erstaunt und lobten Kant, ja sogar, einige behaupteten, das dieses Werkchen, selbst wenn es ohne Autor verlegt geworden waere, ganz klar nur die ueberaus geniale Handschrift des Philosophengottes Kants tragen koenne. Als Kant aber berichtigte, der Text sei gar nicht von ihm, staunte die ganze Sippe und ein neuer Philosoph wurde geboren.

Ich denke mir, selbst wenn jemand eine verlorenes Gedicht oder eine Erzaehlung von Heine hier ausstellen wuerde, waere diese nur einem kritischen Gespoett ausgeliefert, der Tiefgang des Textes, der Gedanken, wuerde nie sich im Augenlicht seiner Audienz glaenzen. Hier dazu noch eine Anektdote. Fuer einen Wettbewerb fuer den besten Charlyn Chapplin Imitantoren, hat der echte Charlin Chaplin, wie er nun mal in seiner ironischen Art ist, frech und ohne Benachrichtigung der Jury selbst teilgenommen und belegte am Ende'nur' den zweiten Platz! Ich denke, dies ist ein Dilemma junger talentierter Autoren in der 'Postmodernen'. Viele sind ihrem Alter durchaus voraus, haben tiefe Gedankengaenge und bringen diese sorgfaeltig verschachtelt auf Papier, doch niemand macht sich die Muehe das Geschenkpapier auszupacken; ein Manko dieser materiellen Gesellschaft, wo Verleger doppelt und dreifach auf Jugend, Kinder und reiner Unterhaltungsliteratur legen und legen muessen.

Deshalb empfiehlt es sich nur dem Herrn Tristan, der zweifellos eine gewisse Tiefe besitzt, folgendes ans Herz zu legen. Verpacken Sie ihre Geschichten in einen spannenden Plot und maskieren sie ihre Weisheit und Lebenserfahrung. Alpha O'Droma, dem die Weisheit aus dem Hals schon heraushaengt, hat dies voellig korrekt erkannt und schleudert nur Brocken seiner Chose in die Texte. Erst schreitet, wie wir gesehen haben, der Name vor der Tat. Wie bei Forrest Gump nach seinem Lauf quer durch Amerika 'Ich bin muede, ich moechte schlafen' und die Menge ward der Meinung, sie sei erleuchtet :P

 

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