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nachts

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03.11.2003
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nachts

Der Wecker schellt. Verschlafen blinzelt Lucy in die Sonnenstrahlen, die sanft auf ihrer Nase tanzen. Montag. Lucy mag keine Montage. Sie hasst sie regelrecht. Schlechtgelaunt schlendert sie ins Bad. Ein Blick in den Spiegel. Ihre Laune ist auf dem Tiefpunkt.
Nach einer halben Stunde endlich setzt sie sich an den Frühstückstisch – der Kaffee ist von gestern, die Brötchen ebenfalls. So bleibt ihr nichts anderes als den letzten Joghurt zu essen und bis zum Mittag zu warten. Schnell noch eine Zigarette und dann nichts wie los um die U-Bahn noch mit Mühe und Not zu erreichen.

Geschafft. Erleichtert atmet Tom durch. Jetzt muss er nur noch auf seine Ergebnisse warten. In einem Monat wird er erfahren, ob er die Prüfungen bestanden hat. Doch, ehrlich gesagt, hegt er daran nicht den geringsten Zweifel.
Freudig pfeifend wirft er den Rucksack über seine Schulter. Im Park legt er sich auf die Wiese und beobachtet die vorüberziehenden Wolken. Wenn nur immer alles so leicht wäre – die Wolken beobachten, sich um nichts kümmern müssen und so ganz nebenbei noch das Abi bestehen...

Als Lucy im Hauseingang verschwindet – Sekunden bevor der Regen losbricht – ist sie erleichtert den Tag wieder einmal ohne größere Komplikationen überstanden zu haben. Eilig rennt sie die Treppe hinauf, öffnet die Wohnungstür und ist im nächsten Augenblick hinter ihr verschwunden.
Am Küchentisch sitzend schnappt sie sich die Zeitung, die sie morgens so achtlos liegengelassen hat, trinkt den kalten Kaffe ihrer Mutter und wartet darauf, dass es Abend wird.
Zwischendurch lässt sie sich ein heißes Bad ein, träumt sich weit fort und auf die Bretter der Welt, bis sie kurz vor Sonnenuntergang auf ihrem Balkon sitzt und an dem immer lichter werdenden Treiben der Menschen auf dem Marktplatz als stummer Beobachter teilnimmt.

Tom schlendert durch die abgelegenen Gassen der Stadt. Hier gibt es kleine verträumte Läden, in denen er ganze Nachmittage verbringen kann. Tom liebt Literatur, den Umgang mit Worten, die Macht der Sprache. Kaum jemand weiß davon – soll auch niemand, aber hier in den kleinen Nebenstrassen fühlt er sich unbeobachtet und kann seine kleine Welt genießen.
Als die Geschäfte ihre Türen schließen, macht er sich langsam auf den Weg zurück.
Der Blick von der Brücke nimmt ihn jedes Mal wieder von Neuem ein. – Unter ihm der Fluss, vor ihm die Berge und dazwischen endlose Landschaft. Er setzt sich, beginnt in dem neuen Buch zu lesen, das er eben erst erstanden hat.
Die Sonne verschwindet rot hinter den Bergen, als er plötzlich eine bekannte Stimme hinter sich wahrnimmt. Erschrocken dreht er sich um.
Zuerst sieht Tom niemanden, glaubt sich verhört zu haben, doch als er die Gegend noch ein letztes Mal prüfend betrachtet, entdeckt er Lucy – ein Mädchen aus seiner Schule. Er hat sie noch nie richtig bemerkt, weiß nur, dass sie eher still und in sich gezogen lebt und dass sie grundsätzlich andere Ansichten als die große Masse hat.
Mit einem Schwung steht er wieder auf der Strasse. Sie hat ihn nicht bemerkt, da ist er sich sicher...

Lucy schaut noch einmal hinunter auf die Strasse, fragt sich, was Tom – dieser „ach so coole“ Typ von ihrer Schule – in diesem Viertel der Stadt wohl so treibt. Sie kann es sich nicht vorstellen. – Langsam schließt sie die Balkontür, bleibt noch einen Moment hinter ihr stehen, bis Tom um die Ecke gebogen ist.
Seltsam, gerade von ihm hätte sie erwartet, dass er die Gegend meidet wie seinen schlimmsten Alptraum.
Als sie im Bett liegt, kann sie lange nicht einschlafen. Zu sehr hat sie Toms plötzliches Auftauchen durcheinander gebracht.
Früher hat sie ihn gemocht – aus der Ferne - hat ihn beobachtet, regelrecht studiert, bis sie festgestellt hat, dass sie mit seiner Oberflächlichkeit nicht umgehen kann und will.

Tom schlendert zum Kühlschrank. Es ist zwei Uhr nachts und er hat bisher kein Auge zugetan. Der Mond steht lächelnd vor dem Küchenfenster und scheint ihn zu einem Spaziergang durch die Nacht einladen zu wollen.
Die frische Luft umspielt seine Lungen, als er auf der Strasse steht, und vertreibt die letzte schwüle Wärme des Tages.
Plötzlich steht er unter Lucys Balkon. Verwirrt schaut er hinauf.

Diese Augen haben Lucy schon fasziniert, als sie Tom das erste Mal sah. Er scheint genauso sprachlos wie sie.
Gemeinsam wandeln sie durch die Nacht.
Zum ersten Mal kann Tom frei reden – über seine kleine, geheime Welt – und er fühlt sich verstanden.
Lucy schweigt, lässt ihn gewähren, denn sie fühlt, dass sie die einzige ist, zu der er so spricht.

Auch die nächsten Nächte verbringen sie zusammen, ereifern sich in hitzigen Diskussionen, schweigen gemeinsam.
Lucy saugt jede Minute auf wie ein Verdurstender. – Natürlich hat sie ihre Mutter, ihre Freunde, mit denen sie redet, aber mit Tom ist es anders – die Gespräche sind wie ihre tägliche Droge.
Jeden Morgen, wenn die Sonne gerade aufgehen will, fällt es Tom schwer sich zu verabschieden. Zu sehr nehmen ihn die Gespräche ein, zu sehr fühlt er sich wohl. Er wünscht sich die Nacht als Ewigkeit...

Erleichtert tritt er hinaus. 1,5! Er könnte die Welt umarmen. Besser hätte er nicht abschneiden können. Voller Enthusiasmus kämpft er sich durch die noch-Wartenden und ihn Beglückwünschenden.
Eilig stellt er sich zu seinen Freunden, nimmt das Bier, das ihm gereicht wird.

Lucy geht über den Hof. Als sie Tom sieht, muss sie unwillkürlich lächeln. Sie schaut ihn an, hebt die Hand, um ihn zu grüßen...

Toms Miene verfinstert sich für einen kurzen Augenblick. „Hey Tom, was guckst du denn da so hin? Kennst du die etwa?“ „Was? – Nein, quatsch,... Komm, lass uns feiern“ Er legt seinen Kumpels die Arme auf die Schultern und geht mit ihnen davon. – Das hätte ihm gerade noch gefehlt, dass die Leute am letzten Tag herausbekommen, was manchmal wirklich in ihm vorgeht...

 

Eine schöne unterhaltsame Kurzgeschichte! Von solchen bräuchten wir noch viel mehr!
:D

Falls jemand anderer Meinung ist sollte er sich folgendes Zitat zu herzen nehmen:

Die Kritik an anderen hat noch keinem die eigene Leistung erspart. (Nóel Pierce Coward, engl. Bühnenautor und Schauspieler)

Dein
Daniel

 

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