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Nachts am PC
Es flutscht, ich komme gut voran. Bin schon auf Seite 4. Die Idee ist etwas verwegen– aber auch zum Lachen. Jedoch bin ich mir nicht sicher: Verletze ich religiöse Gefühle, bin ich gendermäßig gut vertäut? Wird mir der Leser folgen?
Ein bisschen riskant ist es schon, aber diese Unsicherheit beflügelt auch.
Meinen Text könnte man von verschiedenen Standpunkten betrachten. Wenn aber erst Ideologien mit ins Spiel kommen, dann gnade mir! Die Hardliner könnten mich glatt ans Kreuz nageln – unter dem frenetischen Applaus ihrer Gemeinde. Ich werde unsicher.
Das anfängliche kraftvolle Schreiben strömte wie ein starker Bach – und jetzt scheitere ich schon am ersten Wehr, am ersten Zweifel.
Vielleicht ernte ich noch nicht einmal angedeutetes Wohlwollen, sondern meine kleine pikante Erzählung wird zum großen Bumerang und reißt mir die Rübe ab! Schon bei meiner ersten Lesung bekomme ich Dinge an den Kopf geworfen, deren Haltbarkeitsdatum eindeutig überschritten ist. Es werden üble Flüssigkeiten über mir entleert, auch ein ganzer Kanister mit gleichem Inhalt kommt angesegelt wie ein böser Vogel und ich sehe mich genötigt, hinter meinem Dichtertisch abzutauchen.
Die Kritiker zerreißen mich - gespreizt, gehässig, eitel, kleinlich - oder auch penetrant nachsichtig. Letzteres ist für mich die herabwürdigendste Art, einem aufstrebenden Talent alle Hoffnungen zu zerstören.
Der Strom mit der kühnen Idee ist jedenfalls perdu, schon am ersten Wehr abgegurgelt, abgesoffen mit den ersten Zweifeln.
Gute Nacht also, Marie. Und der Flow of spirits ist auch im Eimer. Shit. Der Bach beginnt, bergauf zu fließen.
Das sind keine glücklichen Momente. Ich gebe meiner Neigung nach, frühere Tage mit heutigen zu vergleichen.
Wie ich meinem Hund die Frisbeescheibe entreiße, so entriss ich damals meiner Schreibmaschine die misslungene Seite – auch wenn sie die nicht hergeben wollte und die Zähne fletschte - und zerknüllte sie kraftvoll. Dabei wendete ich wenigstens fünfmal so viel Energie auf wie nötig gewesen wäre, um das bisschen Papier zu deformieren - aber das war gut investierte Kraft! Anstrengung und Entspannung dicht aufeinander wie bei einer minimierten Tai-Chi-Übung: Das löst Verspannungen im Nacken- und Rückenbereich, aber auch Verkrustungen in der mentalen Zone. Fast eine symbolische Handlung - und mit prallem Bizeps: weg damit! Und da ich damals mit meinen Texten noch mehr Ärger hatte als heute, wiederholte sich diese Übung bis zu zwanzigmal am Abend.
Jetzt bleiben mir diese befreienden Gesten versagt. Die Muskulatur verkümmert. Es genügen flinke Fingerspitzen.
Schreibarbeit war seinerzeit eine Schinderei. Auch für die Knie!
Ständig musste man sich erheben, auf und nieder – wie auf dem Kasernenhof. Je nach Eigengewicht mehr oder weniger mühsam. Neues Papier holen, Papierkorb ausleeren, Korrekturband wechseln, abtauchen in die Redaktionskatakomben und Archive, Farbbänder und Briefcouverts suchen. Am nervigsten war das Kopieren.
Ein großer metallener Kasten funktionierte nur mit einem bestimmten Papier – und das war im Gegensatz zum Kasten sehr teuer. Des weiteren benötigte man eine üble schwarze Flüssigkeit in einer kuchenblechartigen Lade, und wenn man die austauschen musste, dann wurde das ganze Areal mit dicker Folie abgedeckt. Hier kam dann die Bauchmuskulatur zum Einsatz.
Und damals wie heute: Der schreibende Mensch ernährt sich nicht so, dass er den hohen Anforderungen gerecht werden könnte. Er isst nur wenig, flüchtig, ohne hinzusehen. Er hat die Zeit nicht für eine ordentliche Mahlzeit. Dafür raucht er – meist heftig, neuerdings in den dafür ausgewiesenen Zonen, also meist innerhalb der weißen Markierung - und trinkt viel schwarzen Kaffee. Aber ohne Milch! Um Gottes Willen keine Milch - Kaffeesahnewölkchen würden nicht nur den Kaffee, sondern auch den Kopf vernebeln. Der die Wahrheit Suchende jedoch braucht Klarheit!
Klischee? Na und – wenn es doch stimmt! Schaut sie Euch nur an, diese Männer und Frauen mit den ernsten, wissenden Gesichtern – grüblerisch und verhärmt.
Ich rufe ihnen zu: „Wäre es nicht hundertmal besser, Ihr bliebet bei Euren Berufen, statt von literarischem Ruhm zu träumen?“
Obschon - so eine Autoren-Schreibecke ist wie eine Insel im All: Weit weg von allem Niedrigen und Gemeinen, fern von jedem Schmutz. Immer vorausgesetzt, der Autor schreibt sich diesen Bodensatz mit seinen Texten nicht selbst herbei - sei es an einem mechanischen Koloss von Schreibmaschine oder am oblatendünnen Gebilde eines PC.
Spät in der Nacht dann, wenn alles schläft, kommt ein freundlicher Mann mit blauer Schürze und bringt Wein.
Es muss ein Mann sein. Eine Frau würde von der Arbeit zu sehr ablenken - reines Gift für die Konzentration.
Der Wein ist gut, seine Wirkung belebend. Ein Labsal zu später Stunde! Einen schönen Nachhall hat er, man möchte ihm immer wieder hinterherschmecken.
Aber es hat ja noch.
Die Mahnungen der dröhnenden Standuhr zu jeder vollen Stunde werden als Belanglosigkeit abgetan. Nun allerdings beginnt der Text zu kleben.
Das tut der Wein nicht. Der ist trocken.
„Dürfte jetzt auch eine Frau den Wein bringen?“, fragt eine Stimme aus dem Off.
„Aber gerne doch - wenn sich das arrangieren ließe...“, hoffe ich.
„Und wie sollte sie denn idealerweise sein, diese Frau?“
„Tja, ich dachte so in etwa... – Wissen Sie was? Ich melde mich gleich wieder.“
Ich lehne mich zurück. Aus dem Internet könnte ich mir Anregungen holen. Rotschwarzblond, Melonen oder Aprikosen, drall oder schlank. Genüsslich lasse ich die Lider sinken, habe meine eigenen Vorstellungen. Vertiefe mich darin. Sinke in den berühmten dunklen See, in dem man ganz gleichmäßig atmen muss, um nicht zu ertrinken.
Rasshh!! Ich schrecke auf. Raketenstart mit Schleudersitz! Die Autobahn!!
Ich reiße die Augen ganz weit auf und werde geblendet wie bei einem Nuklear-Test – unerträglich grellweiß der ganze Schirm. Bevor ich im Reflex die Augen wieder zusammenpresse, erkenne ich den leuchtendblauen Fernlichtanzeiger meines Armaturenbretts. Ich fahre voll aufgeblendet! Panik würgt mich. Instinktiv mache ich das einzig Richtige: Mit grimmiger Entschlossenheit und einem satten ‚Pflopp’ klappe ich den Deckel meines Rechners zu. Ich halte beide Hände drauf, damit nicht wie bei Jack-in-the-Box der ganze Irrsinn wieder von vorn losgeht.