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Nachtigall

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02.03.2002
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Nachtigall

Nachtigall

27 Gramm. Ein unscheinbares Federkleid und eine Stimme, die trotz ihrer geringen Lautstärke, die Mauern von Jericho zum Einsturz bringen kann.

Wenn das Zwielicht der Dämmerung den Konturen die Schärfe nimmt beginnt sie ihre Elegie, ihren Nachruf auf den sterbenden Tag. Nicht auf einen speziellen Tag. Nicht ein bestimmtes Ereignis. Nein, es betrifft jeden Tag gleichermaßen.
Es ist ihre Trauer über den Verlust der Helligkeit, über die Reduzierung von Wahrnehmungen, über die Unwiederbringlichkeit eines weiteren, kleinen und erfolgreich bestandenen Lebensabschnittes. Sie singt ihre Trauer hinaus. Aber leise hinein geflochten findet sich die Vorfreude auf den kommenden Tag. Beides zusammen erst erzielt diese Wirkung und dringt direkt in die Seele, macht sie empfänglich für zarte Töne. Sonst als Nebengeräusch überhört, wird die Melodie zum Mittelpunkt aller Wahrnehmung. Der starke Kontrast zum gefühllosen Alltagskampf verstärkt das Entstehen von Harmonie und für eine kurze Weile nimmt diese Harmonie dem Tag die Spitzen, die Schrecken. Der Mensch hält inne, vergisst für Minuten und geht in sich. Trotz allen Fortschritts und aller Intelligenz benötigt er einen Impuls um Zugang zu seinem Inneren zu bekommen, Unabhängigkeit zu erleben und Distanz.

Der Nachtigall hingegen genügt ein kurzer Flügelschlag und die Bedrohungen dieser Welt bleiben zurück. Grenzenlose Freiheit. Glück, das nie als solches empfunden wird.

27 Gramm, welch ein Gewicht!

 

Moin Querkopp,

klasse! Deine Geschichte hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Immerhin habe ich solange zum Lesen gebraucht, wie sonst für eine Geschichte, wo man zweimal weiterscrollen muss. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, was du mir bei der Überleitung zum Menschen sagen willst. Die letzten beiden Punkte (Unabhängigkeit und Distanz) sind zwar schöne Schlagworte, aber ich finde hier könntest du ein bischen ausführlicher werden.

Reduzierung von Wahrnehmungen
Diese Formulierung finde ich zu Wissenschaftlich. Das passt nicht ganz zum restlichen Text. Besser fände ich sowas wie: Verminderung von Wahrnehmungen

Grüße
Jack

 

Hi querkopp!

Zwar würde ich "Nachtigall" nicht als Geschichte bezeichnen, denn es findet nicht wirklich eine Handlung statt; vielmehr ist dieser Text eine Betrachtung, und dabei jedoch nicht minder faszinierend als manche Geschichte. Nach dem Lesen blieben bei mir Bilder und Nachdenklichkeit zurück.
Aber warum ausgerechnet 27 Gramm - hat es damit irgendeine Bewandtnis?

Gruß,
tristhor

 

@thristhor

ja hat es, die Nachtigall wiegt nur 27 Gramm, faszinierend nicht wahr, so winzig und so viel Power.

Lieber Maris,

keine Geschichte im eigentlichen Sinne, aber schön geschrieben und so, dass ich nichts dran auszusetzen habe.
Deine Betrachtung ist nur vordergründig die Beschreibung des Gesangs der Nachtigall. Es ist eigentlich die Beschreibung dessen, was einen Menschen ausmachen kann, wenn er denn erkennt und in der Lage ist, so zu sein.
Dieses tägliche ohne Bitternis Abschiednehmen, zu wissen, dass es einen neuen mit guten Dingen ausgefüllten Tag geben wird, der alle Chancen in sich birgt. Vorfreude vermischt mit Rückblicken in das Geschehene.
Und dann diese Freiheit, die bei der Nachtigall nur durch einen Flügelschlag erreicht wird und beim Menschen??? Beim Menschen reicht ein Gedanke und er ist frei und in der Lage, sich zu befreien, loszulösen von den alltäglichen Erdrückungen.
Deine Nachtigall gibt einem dazu die Hoffnung.

Lieben Gruß

elvira

 

Hi Jack Lyric

So Kritiken liest man gern. ;) Was deine Frage zur Bedeutung / Umsetzung auf den Menschen angeht, hat mir Lakita bereits die Arbeit abgenommen. Um es noch intensiver Nachvollziehen zu können, solltest du eine Gelegenheit suchen und nutzen, für eine Weile dem Gesang einer Nachtigall zuzuhören. Spätestens dann wirst du wissen, was ich meine.

Hi tristhor,

ich stimme mit dir darin überein, dass es keine "Geschichte" ist. Ich dachte jedoch, dass es unter dem Oberbegriff Philosophisches nicht unbedingt einer Handlung bedarf.
Zur Frage: Auch in deinem Fall (27 g) hat mich Lakita einer Antwort entbunden.
Danke fürs Lesen und deine Anmerkungen.

Hi Elvi,

ja, ja, sie hat´s halt drauf. :) Schön und zutreffend, wie du einzelne Aspekte meiner Geschichte erläuterst.

Beim Menschen reicht ein Gedanke und er ist frei und in der Lage, sich zu befreien, loszulösen von den alltäglichen Erdrückungen.
Nur, wann erlaubt der Mensch sich diesen einen Gedanken? Man braucht eigentlich immer einen Schubs… Oder gilt das nur für mich?

Danke Elvi

Lieben Gruß
Maris

 

Hallo querkopp,

eine schöne, kleine Geschichte. Die Handlung besteht in dem `gegen die Trauer ansingen´, ohne in der Vergangenheit zu verharren.
Besonders treffend fand ich, daß es nicht um „ein bestimmtes Ereignis“ geht, sondern das ganz alltägliche Leben angesprochen wird. Leider wird das oft vergessen - das alltägliche Leben ist unser Leben. Der Anstoß von Außen - wie schlecht können wir uns am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.
Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

es freut mich, dass du dir für meinen kleinen Snack Zeit genommen hast. Und wie so oft machst du auch hier gute Anmerkungen. Danke dafür. Mit dem eigenen Schopf hast du recht , es muß jedoch nicht aus dem Sumpf sein ("Sumpf" denke ich, ist zu negativ).

Gruß vom querkopp

 

Hi Querkopp.
Wirklich gelungen. Nicht wirklich sehr philosophisch, aber enthält schon Elemente. Ein etwas stärkerer Bezug zur Menschheit, bzw. auf das Leben würde der Geschichte mehr Signifikanz und Eindruck verleihen.es würde das philosophische klarer herausbringen.Ansonsten wirklich angenehm zu lesen und schön geschrieben.

 

Hi Vincent Vega,

sehr schön, dass meine kleine "Geschichte" dir ein paar angenehme Minuten verschafft hat. Ein großes, philosophisches Werk ;) war von mir dabei nicht beabsichtigt. Eine Kritik wie deine, die auch durchaus darauf hinweisen kann, was besser hätte herausgestellt werden können, freut mich sehr. Danke dafür.

gruß vom querkopp

 

Caro signor querkopp!

Auch mich hat dieser Text zum Nachdenken angeregt. Vielleicht sollte man das Vergangene weniger betrauern und der Vorfreude auf das, was kommt, mehr Platz einräumen.

Trotz allen Fortschritts und aller Intelligenz benötigt er einen Impuls, um Zugang zu seinem Innern zu bekommen,...
Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass der Mensch durch Fortschritt und Intelligenz zunehmend daran gehindert wird, einen Zugang zu seinem Innern zu finden.
Glück, das nie als solches empfunden wird.
Sehr schön ausgedrückt!


Auguri
della Antonia

 

Hallo querkopp!

Es wurde ja schon ziemlich viel zu deiner Geschichte gesagt und ich kann mich dem meisten anschließen. Sie ist nicht einfach zu lesen. Jeder Satz ist gehaltvoll und man kann sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Sprachlich wirkt sie auf mich sehr ruhig und gleichzeitig kraftvoll, so wie du eben die Nachtigall beschreibst. :)

Besonders gut gefallen hat mir folgende Stelle:

Es ist ihre Trauer über den Verlust der Helligkeit, über die Reduzierung von Wahrnehmungen, über die Unwiederbringlichkeit eines weiteren, kleinen und erfolgreich bestandenen Lebensabschnittes.

Die Trauer über einen Tag, der unwiderbringlich ist. Auch wenn nichts besonderes passiert ist, wird sich dieser kleine Abschnitt so nie mehr wiederholen. Dieser Gedanke macht mich nachdenklich über die Zeit grundsätzlich und über das Leben. Es geht zu einem überwiegenden Teil nicht um die großen Ereignisse. Die meiste Zeit besteht es aus einer Aneinanderreihung von vielen kleinen erfolgreich bestandenen Abschnitten.

Habe den Text gerne gelesen.
klara

 

carissima Antonia,

scusi per no usare mei guggerchen. y gracie per respondare a mi papagalo. :D
Hatte deine Antwort nicht registriert. Aber du siehst, nicht nur in Philosophie, nein auch in italienisch hab ich den totalen Durchblick.
Fortschritt bedeutet eigentlich: mehr, Weiterentwicklung, wobei stets das Bestehende verbessert wird. Ebenso sollte mehr Intelligenz bedeuten, dass die alten Fähigkeiten verbessert werden und nicht verloren gehen. Aber ich denke, du hast recht: die Intelligenz ist gestiegen, bei gleicher Bandbreite. Als ob man den Blick mit einem Fernglas an einem Hochhaus hochwandern läßt. Man sieht dann zwar die oberen Stockwerke, jedoch nicht mehr die unteren. Nicht so ganz stimmig, aber ich glaube es wird klar was ich meine.

ciao belllla

Hallo Klara,

auch dir ein herzliches Danke für deine treffenden Anmerkungen.

Die meiste Zeit besteht es aus einer Aneinanderreihung von vielen kleinen erfolgreich bestandenen Abschnitten
...Ob sie denn immer ´erfolgreich´ waren hängt sehr stark von der Betrachtungsweise ab.

Gruß vom querkopp

 

Ah, un compatriota! Mi rallegro!:D

Dein Vergleich mit dem Fernglas an einem Hochhaus passt recht gut. Die vielen Eindrücke, die wir tagtäglich in uns aufnehmen und versuchen, zu verarbeiten, lenken uns von unserer Intuition ab. Ureigenste Gefühle werden durch Erziehung und soziale Umstände unterdrückt und an ihrer Entfaltung gehindert.
Ich denke, wir meinen beide das Gleiche. Oder doch nicht?


Con molta stima
Antonia

 

Carissima,

natürlich meinen wir das Gleiche, wir gehen sozusagen absolut condom. :D

la cabeza quadratiga

 

Servus Querkopp!

Leider kann ich mich nicht entsinnen jemals einer Nachtigall beim Singen zugehört zu haben.

Aber deine schöne Beschreibung von der späten Dämmerung, wenn sich die Konturen verlieren, die kann ich gut nachempfinden. Es ist die Tageszeit wo für mich immer alles leicht und einfach wird und gleichzeitig doch auch ein wenig Schmerz mitschwingt. In meiner Umgebung singen dann oft vereinzelt Amseln und dieser Moment der Stille, in der man meint sie spricht mit einem, kommt dem was du beschreibst nahe.

Die Freiheit des Flügelschlages der nicht einmal als Glück wahrgenommen wird? Glück ist immer mit etwas in Verbindung, steht kaum für sich allein. Mit einem Menschen, einem Gefühlszustand, etwas Vollbrachtem. Ein Flügelschlag der an nichts gebunden ist was Glück bedeuten würde, schenkt vielleicht erst wirklich Freiheit.

Eine schöne Geschichte - lieben Gruß an dich - Eva

 

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